Urteil des OLG Köln vom 15.04.2002

OLG Köln: sozialhilfe, bedürftigkeit, mutwilligkeit, stadt, uvg, aufteilung, unterhaltsklage, beschwerdeschrift, pauschal, bedürfnis

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 4 WF 157/01
15.04.2002
Oberlandesgericht Köln
4. Zivilsenat
Beschluss
4 WF 157/01
Amtsgericht Bonn, 45a F 377/01
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Der Antragstellerin wird
für den Antrag zu Ziffer II. 4. gemäss dem Klageentwurf vom 19.
September 2001 uneingeschränkt Prozesskostenhilfe ohne
Ratenzahlungsanordnung bewilligt und ihr auch insoweit Rechtsanwalt
B. in H. zu den Bedingungen eines in Bonn ortsansässigen Anwalts
beigeordnet. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht
erstattet.
Gründe:
Das gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel
ist begründet. Der Antragstellerin ist für die beabsichtigte Geltendmachung von
Unterhaltsrückständen für die Zeit seit Oktober 1999 ebenfalls Prozesskostenhilfe zu
bewilligen. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 114 ZPO sind auch insoweit
gegeben. Die Vereinbarung zwischen der Antragstellerin und der Stadt H. vom 9. Januar
2001 (Bl. 29 f. der Unterakte 45 a F 377/01 EA/UE), durch die die nach § 91 Abs. 1 Satz 1
des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in Höhe der erbrachten Sozialhilfeleistungen auf
den Träger der Sozialhilfe übergegangenen Unterhaltsansprüche der Antragstellerin sowie
des Kindes N. C. zum Zwecke gerichtlicher Geltendmachung gemäss § 91 Abs. 4 BSHG
treuhänderisch auf die Antragstellerin zurückübertragen worden sind, steht dem nicht
entgegen. Für die Monate Oktober und November 1999 folgt das allein schon daraus, dass
die vorgenannte Rückübertragungsvereinbarung ohnehin nur den Zeitraum ab dem 1.
Dezember 1999 erfasst. Aber auch im übrigen kann die Vereinbarung weder unter dem
Gesichtspunkt fehlender Bedürftigkeit der Antragstellerin noch - entgegen der Auffassung
des Amtsgerichts in dem angefochtenen Beschluss - dem der Mutwilligkeit der
beabsichtigten Rechtsverfolgung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe entgegen stehen.
Gemäss dem am 1. August 1996 in Kraft getretenen § 91 Abs. 4 Satz 1 BSHG (i. d. F. des
Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996, BGBl. I S. 1088) kann der
Träger der Sozialhilfe den auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruch im Einvernehmen
mit dem Hilfeempfänger auf diesen zur gerichtlichen Geltendmachung rückübertragen und
sich den geltend gemachten Unterhaltsanspruch abtreten lassen. Nach Satz 2 dieser
Bestimmung sind Kosten, mit denen der Hilfeempfänger dadurch selbst belastet wird, zu
übernehmen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie im Schrifttum ist umstritten,
ob und ggfls. unter welchen Voraussetzungen dem Hilfeempfänger, der den
zurückübertragenen Anspruch gerichtlich geltend macht, Prozesskostenhilfe zu gewähren
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ist (vgl. zum Streitstand Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG § 91 Rdn. 173b;
Musielak/Fischer, ZPO 2. Aufl. § 114 Rdn. 35; Wendl/Staudigl/Scholz, Das Unterhaltsrecht
in der familienrichterlichen Praxis 5. Aufl. § 6 Rdn. 558; Künkel FamRZ 1996, 1509, 1513,
jeweils mit zahlreichen w. N.). Dabei wird auf der einen Seite die Auffassung vertreten, die
Bewilligung der Prozesskostenhilfe scheitere in Fällen der vorliegenden Art schon an der
fehlenden "Prozesskostenarmut" des Hilfebedürftigen, der vom Träger der Sozialhilfe einen
Prozesskostenvorschuss verlangen könne, wobei wiederum im einzelnen streitig ist, ob
dieser Vorschussanspruch sich bereits unmittelbar aus § 91 Abs. 4 Satz 2 BSHG (so OLG
Koblenz FamRZ 1997, 1086) oder zumindest in direkter bzw. entsprechender Anwendung
von § 669 BGB aus dem materiellen Recht (so OLG Celle FamRZ 1999, 1284) ergeben
soll. Auf der anderen Seite haben sowohl der 14. Zivilsenat als auch, ihm folgend, der 25.
Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln die Ansicht vertreten, die Verpflichtung des
Sozialhilfeträgers aus § 91 Abs. 4 Satz 2 BSHG begründe für den Hilfebedürftigen keinen
Prozesskostenvorschussanspruch, sondern lediglich einen - für die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe unschädlichen - Übernahme- bzw. Freistellungsanspruch für den Fall,
dass der Hilfebedürftige durch die Geltendmachung selbst mit Kosten belastet werde (vgl.
OLG Köln - 14. ZS - FamRZ 1997, 297, 298; OLG Köln - 25. ZS - FamRZ 1998, 175, 177;
ebenso OLG Nürnberg FamRZ 1999, 1284, 1285; Musielak/Fischer aaO;
Wendl/Staudigl/Scholz aaO). Der erkennende Senat schließt sich der letztgenannten
Auffassung an:
Bereits der Wortlaut des § 91 Abs. 4 Satz 2 BSHG ("Kosten, mit denen der
Hilfeempfänger...belastet wird") spricht eher für einen bloßen Freistellungsanspruch des
Hilfebedürftigen, der erst dann eingreift, wenn diesem - am Ende des Prozesses bei
Erstattungsansprüchen des Prozessgegners - Kosten auferlegt werden (vgl. OLG Nürnberg
aaO). Dieses Verständnis steht auch in Einklang mit der Entstehungsgeschichte der
Vorschrift, wonach die Formulierung, dass der Unterhaltsberechtigte nicht selbst mit Kosten
belastet werden soll, der Klarstellung dienen sollte, dass die Prozesskostenhilfe vorrangig
zur Deckung der Prozesskosten heranzuziehen ist (vgl. Wendl/Staudigl/Scholz aaO m. w.
N.). Dem entspricht es, dass die Prozeßkostenhilfe als eine Art "Sozialhilfe" im Bereich der
Rechtspflege nach dem in § 2 BSHG verankerten Subsidiaritätsprinzip den im BSHG
getroffenen Regelungen vorgehen, die §§ 114 ff. ZPO also nach dem Willen des
Gesetzgebers die Kostentragung im Prozessfalle bei Bedürftigkeit grundsätzlich
abschließend regeln (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1994, 384, 385; OLG Nürnberg aaO). Bei
dieser gesetzgeberischen Wertentscheidung ist entgegen der Auffassung des OLG Celle
(aaO) neben § 91 Abs. 4 Satz 2 BSHG für einen Rückgriff auf die Vorschrift des § 669 BGB
schon im Ansatz kein Raum.
Kann hiernach der Antragstellerin die beantragte Prozesskostenhilfe nicht wegen fehlender
Bedürftigkeit versagt werden, so ist des weiteren die von ihr beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinsichtlich der Unterhaltsrückstände auch weder rechtsmissbräuchlich
noch mutwillig im Sinne von § 114 ZPO.
Angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung der Rückübertragung durch § 91
Abs. 4 Satz 1 BSHG kann von einem Rechtsmissbrauch durch Vorschieben des
Hilfebedürftigen allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmesituationen, für die hier nichts
ersichtlich ist, die Rede sein (vgl. OLG Köln FamRZ 1997, 297, 298; OLG Stuttgart FamRZ
1994, 384, 385; FamRZ 1996, 1019, 1020). Darüber hinaus erscheint schon im
Ausgangspunkt zweifelhaft, ob und ggfls. unter welchen näheren Umständen die
Verfolgung eigener (Unterhalts-)Ansprüche, mag es sich auch um rückübertragene
handeln, angesichts der gesetzlichen Subsidiarität der Sozialhilfe überhaupt als mutwillig
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angesehen werden kann (vgl. OLG Köln FamRZ 1997, 297, 298; OLG Stuttgart FamRZ
1996, 1019, 1020; FamRZ 1994, 384, 385; vgl. hierzu auch OLG Hamm FamRZ 1994,
1530, 1531). Letztlich bedarf diese Frage vorliegend keiner abschließenden Entscheidung.
Jedenfalls dann, wenn - wie hier - zugleich der laufende Unterhalt geltend gemacht wird,
sprechen nach allgemeiner Auffassung Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit dafür, dass
die Unterhaltsansprüche insgesamt, d. h. also auch hinsichtlich des Rückstands, in einem
einzigen Rechtsstreit und von einer Partei geltend gemacht werden dürfen (vgl. OLG
Stuttgart FamRZ 1996, 1019, 1020; OLG Hamm FamRZ 1994, 1530, 1531;
Oestreicher/Schelter/Kunz aaO). Das muss umso mehr gelten, als es gerade Sinn der
gesetzlichen Neuregelung in § 91 Abs. 4 BSHG war, die einheitliche Prozessführung in
bezug auf übergegangene, weitgehende eigene Ansprüche für die Vergangenheit und in
bezug auf zukünftige Ansprüche zu ermöglichen (vgl. OLG Köln FamRZ 1997, 297, 298;
zur Maßgeblichkeit des Gesichtspunkts der Prozeßökonomie in diesem Zusammenhang
vgl. auch schon OLG Köln - 14. ZS - FamRZ 1994, 970, 971; OLG Köln - 27. ZS - FamRZ
1995, 179, 180).
Der Senat verkennt dabei nicht, daß jedenfalls die Geltendmachung sog. "echter"
Unterhaltsrückständen, also solchen aus der Zeit vor Anhängigkeit der Unterhaltsklage,
gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 GKG zu einer unter Umständen Erhöhung des (Gesamt-)
Streitwerts führen kann. Dabei ist allerdings gleichfalls zu berücksichtigen, dass die
Aufteilung des laufenden Unterhalts einerseits und der Rückstände andererseits auf zwei
Prozesse (mit unterschiedlichen Klägern) sich wegen der grundsätzlich degressiven
Struktur der allgemeinen Gebühren wie auch der besonderen Struktur der PKH-Gebühren
(§ 123 BRAGO) im Ergebnis nicht zwangsläufig nachteilig für den Prozessgegner des
Hilfebedürftigen auswirken muss. Das gilt umso mehr, als auch der Sozialhilfeträger, würde
er wegen der Rückstände selbst klagen, sich zumindest hinsichtlich der Gerichtskosten auf
seine Privilegierung durch § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X berufen könnte (vgl. Künkel FamRZ
1996, 1506, 1515). Ob vor diesem Hintergrund die Gewährung von Prozesskostenhilfe
hinsichtlich der Geltendmachung rückabgetretener Unterhaltsrückstände unter dem Aspekt
der Mutwilligkeit in der Regel zumindest dann ausscheiden muss, wenn ausschließlich
oder aber im wesentlichen übergegangene und zurückübertragene Unterhaltsrückstände
eingeklagt werden sollen (vgl. OLG Nürnberg aaO; Hinweise des OLG Hamm zu § 91
BSHG und § 7 UVG, FamRZ 1997, 275; Wendl/Staudigl/Scholz aaO) und dies auch nur im
Umfang der geleisteten Sozialhilfe geschieht (vgl. Musielak/Fischer aaO; s. hierzu schon
OLG Köln FamRZ 1995, 820), bedarf für den Streitfall keiner abschließenden
Entscheidung. Jedenfalls dann, wenn die erbrachten Sozialhilfeleistungen in
nennenswertem Umfang unter der nach dem Vorbringen des Hilfeempfängers in Betracht
kommenden Unterhaltsforderung liegen, erscheint der Weg einer einheitlichen
Geltendmachung der Ansprüche durch den Hilfeempfänger grundsätzlich sinnvoll und
prozeßökonomisch.
Von dieser Voraussetzung ist aber vorliegend nach der durch die bisherigen Ausführungen
des Antragsgegners nicht substantiell in Zweifel gezogenen Darstellung der Antragstellerin
auszugehen. Soweit demgegenüber das Amtsgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung
vom 6. Dezember 2001 ergänzend zur Begründung des angefochtenen Beschlusses
ausgeführt hat, es könne derzeit hinsichtlich der Unterhaltsrückstände nicht von einem über
der gewährten Sozialhilfe liegenden Unterhaltsanspruch ausgegangen werden, findet
diese Einschätzung im bisherigen Sachvortrag der Parteien keine hinreichende Stütze.
Nach der Berechnung der Antragstellerin in der Beschwerdeschrift belief sich der
durchschnittliche Sozialhilfebezug in der Zeit von Dezember 1999 bis einschließlich
September 2001 auf monatlich 845,96 DM. Dagegen betrug das bereinigte
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Nettoeinkommen des Antragsgegners in den Jahren 1996 bis 1998 nach der von der
Antragstellerin im Verfahren über ihren Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
vorgelegten Berechnung der Stadt H. (Bl. 28 der Unterakte) monatlich durchschnittlich
3.529,99 DM. Ob sich daraus - wovon die Antragstellerin ausweislich ihrer
Beschwerdebegründung offenbar ausgeht - nicht nur für den laufenden Unterhalt, sondern
auch für die Rückstände aus der Zeit ab Dezember 1999 ein monatlicher
Unterhaltsanspruch in Höhe von 2.000,00 DM ermittelt, bedarf an dieser Stelle keiner
abschließenden Beurteilung. Jedenfalls gestattet die im wesentlichen pauschal gehaltene
und insgesamt unzureichende bisherige Erwiderung des Antragsgegners nicht den
Schluss, der geschuldete Unterhalt habe in der Vergangenheit nicht bzw. allenfalls
unerheblich über 845,96 DM gelegen. Bei dieser Sachlage kann vorliegend der Umstand
allein, dass die Unterhaltsrückstände einen nicht unerheblichen Zeitraum betreffen, die
Versagung von Prozesskostenhilfe nicht rechtfertigen (vgl. auch OLG Stuttgart FamRZ
1996, 1019). Denn unabhängig vom zeitlichen Umfang der Rückstände kann die der
Antragstellerin nach ihrer Darstellung zustehende Unterhaltsspitze nicht losgelöst von der
Höhe des übergegangenen Anspruchsteils festgestellt werden. Es wäre daher mit den
Geboten prozesswirtschaftlicher Verfahrensweise nicht zu vereinbaren, wenn über zwei
Teile desselben Anspruchs für denselben Zeitraum gleichwohl in zwei getrennten
Prozessen entschieden werden müsste. Vielmehr entspricht es in einem solchen Fall dem
legitimen Bedürfnis des Hilfebedürftigen, die Rechtsverfolgung koordiniert in seiner Hand
zu behalten (vgl. bereits OLG Köln FamRZ 1994, 970, 971).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO a. F.