Urteil des OLG Köln vom 01.02.2000

OLG Köln: verdunkelungsgefahr, haftgrund, verdacht, wahrscheinlichkeit, behörde, abrede, untersuchungshaft, einwirkung, haftbefehl, durchsuchung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 35/00
01.02.2000
Oberlandesgericht Köln
2. Strafsenat
Beschluss
2 Ws 35/00
Landgericht Köln, 109 Qs 14/99
Die weitere Beschwerde wird verworfen. Die Kosten des Verfahrens über
die weitere Beschwerde und die dem Beschuldigten hierin entstandenen
notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Köln hat gegen den Beschuldigten am 1. Dezember 1999 einen auf den
Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gestützten Haftbefehl wegen des Verdachts der
Bestechlichkeit in 20 Fällen, Vergehen, strafbar gemäß § 332 StGB, erlassen.
Die Strafkammer hat den Haftbefehl auf die Beschwerde des Beschuldigten mit dem
angefochtenen Beschluss aufgehoben.
Mit der weiteren Beschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Auffassung der
Kammer, der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr liege nicht vor.
II.
Die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aufhebung des Haftbefehls
durch die Beschwerdekammer ist gemäß § 310 Abs.1 StPO zulässig (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44.Aufl., § 310 Rdn.8 m.w.N.). In der Sache hat sie
keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs.2 Nr.3 StPO)
liegen nicht nicht vor.
1.
Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr besteht, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen das
Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde in unlauterer
Weise auf sachliche oder persönliche Beweismittel einwirken, und wenn deswegen die
Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde. Die Anordnung der
Untersuchungshaft setzt voraus, dass mit großer Wahrscheinlichkeit
Verdunkelungshandlungen für den Fall zu erwarten sind, dass der Beschuldigte nicht in
Haft genommen wird. Die bloße Möglichkeit, dass solche Handlungen vorgenommen
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werden, genügt nicht (vgl. SenatsE vom 26.1.1999 -2 Ws 29/99- = StV 1999,323 f; und vom
8.5.1998 -2 Ws 229/98-= StV 1999,37, ferner: Senat StV 1992, 37; Kleinknecht/Meyer-
Goßner, § 112 Rdn. 27; Boujong in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4.Aufl., § 112 Rdn. 26).
Das nach § 112 Abs.2 Nr.3 StPO aufgrund bestimmter Tatsachen zu beurteilende
Verhalten des Beschuldigten, das zur Feststellung des dringenden Verdachts auf
Verdunkelung einer einzelfall-bezogenen Würdigung zu unterziehen ist, kann der Person,
dem Verhalten, den Beziehungen und den Lebensumständen des Beschuldigten
entnommen werden (SenatsE v.26.1.1999 -2 Ws 29/99 m.w.N.).
Als Folge von Verdunkelungshandlungen muss mit Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr
drohen, dass die Sachaufklärung erschwert werde (Senat a.a.O., Kleinknecht/Meyer-
Goßner, § § 112 Rdn.31, KK-Boujong, § 112 Rdn.37).
2.
Bei Anwendung dieser Grundsätze lassen sich die Voraussetzungen für den Haftgrund der
Verdunkelungsgefahr nicht feststellen, und zwar weder aufgrund des Bestehens eines sog.
"Beziehungsgeflechts" noch aufgrund konkreter Verdunkelungshandlungen oder einer
Verbindung beider Gesichtspunkte:
a)
Die Annahme der Verdunkelungsgefahr lässt sich zunächst nicht - wie im Haftbefehl
angenommen - daraus ableiten, dass der Beschuldigte über einen längeren Zeitraum und
intensiv in ein System der Korruption einbezogen gewesen sein soll, in dem ein enges
Beziehungsgeflecht von Tätern bestand, die in ein System von Vorteilsgewährungen
eingebettet waren.
aa)
Da der dringende Verdacht auf Verdunkelung aus allen auf konkreten Tatsachen
beruhenden Indizien hergeleitet werden kann, kann grundsätzlich auch der
Deliktscharakter Rückschlüsse auf das Verhalten des Beschuldigten zulassen.
Allerdings gibt die Begehungsweise der Straftaten, die Gegenstand eines Haftbefehls sind,
als solche für den Haftgrund regelmäßig nicht genügend her, weil sie zur konkreten Straftat
gehört, wie etwa die Täuschungshandlung zum Betrug. Auch Vorsichtsmaßnahmen, mit
denen Täter typischerweise die Aufdeckung der Tat zu verhindern oder zu erschweren
suchen, begründen nicht ohne weiteres die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der
Verdunkelungsgefahr (OLG Frankfurt, NStZ 1997, 200 [201]; BayObLG NStZ 1996,403 f.).
Anerkannt ist aber, dass es Straftaten gibt, die aufgrund ihres Charakters unter besonderen
Umständen den Rückschluss auf drohende Verdunkelungshandlungen des Täters nach
Aufdeckung der Tat zulassen (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O., OLG Düsseldorf, Beschluss
v.16.11.1998, -3 Ws 543 und 584/98). Zu diesen Delikten werden auch die Straftaten nach
§§ 331 ff StGB gezählt (Senat StV 1999,37 f; OLG Frankfurt, NStZ 1997, 200f.f,; OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 16.11.1998, 3 Ws 543, 584/98).
bb)
Der Senat vermag aber schon das Bestehen eines Beziehungsgeflechtes nicht positiv
festzustellen, das diesen Rückschluss mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit - und nicht
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nur als bloße Möglichkeit - erlaubt:
Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen bestand das "Beziehungssystem" im
wesentlichen aus den Vertretern der anbietenden Firma R., den Beschuldigten R. und E.,
und dem bei dem Zollkriminalamt für die Beschaffung technischer Anlagen maßgeblich
zuständigen Beschuldigten Zollamtmann V. sowie seinem Vertreter, dem
Zollbetriebsinspektor P.. Darüber hinaus bestehen Anhaltspunkte dafür, dass Mitarbeiter
des ZKA von bestimmten Vorteilsgewährungen wussten - etwa davon, dass der
Beschuldigte E. eine Küchenzeile für den Sozialraum "gestiftet" hatte - oder von den
"Beziehungen" des Beschuldigten V. profitierten, zum Beispiel durch günstigen Einkauf
von Computerteilen -; die von der Staatsanwaltschaft erwähnte "Weihnachtsliste 1997"
bezog sich zunächst nur auf die Beschuldigten V. und P..
Damit ist aber lediglich abstrakt ein Beziehungsgeflecht beschrieben. Besondere
Umstände, die die Annahme rechtfertigten, dass dieses Geflecht von vornherein darauf
angelegt war, nicht nur die Aufdeckung der Taten zu erschweren, sondern auch nach
Aufdeckung der Tat deren Nachweis in unlauterer Weise zu erschweren oder unmöglich zu
machen, sind nicht ersichtlich.
Dabei darf nicht ausser Betracht bleiben, dass die genannten Grundsätze in erster Linie für
den Bereich der organisierten Kriminalität entwickelt worden sind. Insbesondere für
mafiöse Strukturen ist es typisch, dass Täter systematisch nicht nur vor der Aufdeckung
sondern von vornherein auch vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt werden und dass zu
diesem Zweck massiv auf Zeugen und Mittäter eingewirkt wird. In diesem Bereich ist der
Schluss auf Verdunkelungshandlungen naheliegend. Für den Bereich der gehobenen
Wirtschaftskriminalität wird ein Rückschluss auf drohende Verdunkelungshandlungen unter
besonderen Umständen im Einzelfall ebenfalls zulässig sein.
Vergleichbare Strukturen vermag der Senat für die Behörde, der der Beschuldigte V.
angehört, nicht festzustellen.
Anders als in dem vom OLG Düsseldorf - 3 Ws 543, 584/98 - entschiedenen Fall sind
zunächst keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass das Korruptionssystem auch für den
Fall der Strafverfolgung fortgeführt werden sollte. Der dieser Entscheidung zugrunde
liegende Sachverhalt wies die Besonderheit auf, dass in Kenntnis der Ermittlungen durch
schwer erkennbare Manipulationen die Vorteilsgewährung auch für die Zukunft fortgeführt
werden sollte. Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor.
Entgegen der Beschwerdebegründung sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die
Mitarbeiter der Behörde - von den Beschuldigten abgesehen, - aufgrund der gewährten
Vorteile erpressbar sein könnten. Die Vorteilsgewährung hat in der Form der Bewirtung und
der Zurverfügungstellung von Einrichtungsgegenständen für die Behörde offen
stattgefunden. Bei der Möglichkeit, günstig Geräte zu erhalten oder Geräte günstig
reparieren zu lassen, ist nicht ohne weiters ersichtlich, dass dadurch Abhängigkeiten
geschaffen worden sind, die die Einwirkung zum Zwecke der Verdunkelung ermöglichten.
Die von der Staatsanwaltschaft erwähnte "Weihnachtsliste 1997" betrifft - soweit erkennbar
- nur die Beschuldigten V. und P..
Für die bisher nicht beschuldigten Mitarbeiter des ZKA ist bei dem gegenwärtigen Stand
der Ermittlungen nicht erkennbar, das sie Vorteile in einem Umfang erhalten haben, der sie
veranlassen könnte, die Ermittlungen zu erschweren. Es handelt sich im übrigen um
Bedienstete, die der Einhaltung der Gesetze in besonderer Weise verpflichtet sind. Als
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Zollbeamte sind sie in der Erfüllung ihres Dienstes überwiegend Hilfsbeamte der
Staatsanwaltschaft. Auch sie mögen sich in gewissem Umfang einem Kollegen gegenüber
zu solidarischem Verhalten verpflichtet fühlen. Ihnen kann aber nicht ohne konkrete
gegenteilige Erkentnisse unterstellt werden, sie liessen sich dafür einspannen, den oder
die betroffenen Kollegen auch um den Preis der Falschaussage vor strafrechtlicher
Verfolgung zu schützen.
cc)
Solche konkreten Erkenntnisse bestehen aber, soweit ersichtlich, nicht. Auch die
Staatsanwaltschaft führt in ihrer Beschwerdebegründung Anhaltspunkte hierfür nicht an. In
diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass die - ersichtlich vor Aufdeckung des wahren
Sachverhalts getroffene - Abrede über den Erwerb der Küche nicht als Beispiel für ein
solches verdunkelndes Verhalten im Strafverfahren gewertet werden kann. Diese Abrede
trägt vielmehr gerade die typischen Züge einer vorbeugend für interne Nachfragen
gedachten, die bloße Existenz der Küche erklärende Übereinkunft ohne weitergehende
verdunkelnde Absichten für ein mögliches Ermittlungsverfahren.
Damit lässt sich ein Indiz für eine drohende Verdunkelungsgefahr unter keinem
Gesichtspunkt aus einem "von Anfang an auf Verdunkelung gerichteten
Beziehungsgeflecht" ableiten.
b)
Es lassen sich auch keine konkreten Verdunkelungshandlungen des Beschuldigten im
Sinne einer der Alternativen des § 112 Abs.2 Nr.3 StPO feststellen.
Verdunkelungshandlungen nach der Aufdeckung der Tat sind nicht bekannt geworden.
Der Beschuldigte hat, soweit ersichtlich, keine Versuch unternommen, nach seiner
Entlassung aus der Untersuchungshaft etwa auf Mitarbeiter einzuwirken. Der Zeuge K. hat
eine entsprechende an ihn gerichtete Frage in seiner Vernehmung vom 4.1.2000 vielmehr
ausdrücklich verneint.
Auch eine Einwirkung auf Beweismittel lässt sich nicht feststellen. Dass bei der erneuten
Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten R. ein Karton mit Computerteilen
aufgefunden worden ist, der bei der vorangegangenen Durchsuchung offenbar noch nicht
vorhanden war, stellt keine Verdunkelungshandlung dar. Allenfalls kann sich hieraus, wie
die durchsuchenden Beamten zutreffend vermerkt haben, der (Anfangs-)Verdacht auf eine
Fortsetzung der dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten ergeben.
Dass in einem anderen Raum Computerteile nicht mehr, wie zuvor, installiert auf dem
Schreibtisch standen, sondern - wie zum Abtransport vorbereitet - auseinandergebaut
waren, begründet ebenfalls nicht den Schluss auf eine Verdunkelungsabsicht. Das
Vorhandensein der Gegenstände war, wie der Beschuldigte wusste, bereits dokumentiert.
c)
Die von der Staatsanwaltschaft in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage, ob
Verdunkelungsgefahr bestehen kann, wenn sich die konkreten Tatsachen nicht auf die Zeit
nach Kenntnis der Einleitung der Ermittlungen beziehen, beantwortet sich aus dem
eingangs genannten Grundsatz.
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Da der dringende Verdacht auf Verdunkelung aus allen auf konkreten Tatsachen
beruhenden Indizien hergeleitet werden kann, können - selbstverständlich - auch solche
Tatsachen grundsätzlich die Verdunkelungsgefahr (mit) begründen. Voraussetzung ist aber
stets, dass die Art der Handlung diesen Rückschluss rechtfertigt. Und dies ist nur der Fall,
wenn die frühere Handlung die Absicht weiterer Verdunkelung belegt oder mindestens
darauf schließen lässt und die Handlung sich konkret dahin auswirkt, dass die Ermittlung
der Wahrheit erschwert wird, wenn der Beschuldigte in Freiheit bleibt. Die vor der Kenntnis
des Täters von der Einleitung der Ermittlungen vorgenommenen Handlungen müssen also
auf die weitere Verdunkelung zielen und für die Erschwerung der Ermittlungen auch kausal
sein.
Verdunkelungshandlungen in diesem Sinn lassen sich nach dem oben Gesagten nicht
feststellen.
Selbst wenn man die Abrede über den Erwerb der Küche entgegen der vorstehend
vertretenen Auffassung als potenzielle Verdunkelungshandlung werten würde, würde sich
weder sie noch die Scheinrechnung, die sich der Beschuldigte V. hat geben lassen, auf die
Ermittlungen auswirken. Denn der Beschuldigte E. hat die Bezahlung der Küche bereits
eingeräumt.
d)
Die von der Staatsanwaltschaft in der weiteren Beschwerde erhobene Rüge, die
Ausführungen der Kammer zum bisherigen Ermittlungsergebnis und insbesondere zu
dessen beweismäßiger Sicherung entbehrten jedenfalls kriminalistischer Erfahrung, liegt
neben der Sache. Zur Begründung wird ausgeführt, der Sachverhalt sei "noch nicht im
vollen Umfang aufgeklärt"; die Beweise seien "noch nicht in der Weise gesichert, dass der
Beschuldigte die Wahrheitsermittlung nicht etwa behindern könnte". Diese Begründung
stellt mithin auf die bloße Möglichkeit einer Behinderung der Wahrheitsfindung ab. Diese
bloße Möglichkeit aber rechtfertigt die Anordnung der Untersuchungshaft wegen
Verdunkelungsgefahr gerade nicht. Dabei ist bisher noch völlig unberücksichtigt geblieben,
dass die Annahme der Verdunkelungsgefahr weiter voraussetzen würde, dass die
Einwirkung des Beschuldigten in unlauterer Weise erfolgt. Eine Begründung für diesen
weiteren Gesichtspunkt enthält die weitere Beschwerde ebenfalls nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs.1, 2 Satz 1 StPO.