Urteil des OLG Köln vom 30.05.1994

OLG Köln (zpo, nettoeinkommen, höhe, miete, anlage, nebenkosten, schneider, auflage, belastung, partei)

Oberlandesgericht Köln, 13 W 31/94
Datum:
30.05.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 W 31/94
Schlagworte:
PKH; NETTOEINKOMMEN; BELASTUNGEN; MIETE;
MIETNEBENKOSTEN
Normen:
ZPO §§ 114, 115
Leitsätze:
Anerkennung besonderer Belastung im PKH-Verfahren
PKH, Nettoeinkommen, Belastungen, Miete, Mietnebenkosten
1. An der Anwendbarkeit der Tabelle der Anlage 1 zu § 115 ZPO wird
festgehalten. 2. Bei der Berechnung des der Lebensführung
zuzurechnenden Anteils der Mietbelastung einer bedürftigen Partei ist
von dem um die berücksichtigungsfähigen Belastungen bereinigten
Nettoeinkommen auszugehen, sofern die Belastungen besonders hoch
sind. 3. Die neben der Miete erhobenen Nebenkosten können
einkommensmindernd berücksichtigt werden, wenn sie aufgrund
besonderer Umstände die übliche Höhe deutlich übersteigen.
G r ü n d e
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Der Anregung der Klägerin, eine Entscheidung über ihre Verpflichtung zu einer
Ratenzahlung auf die Prozeßkosten bis zu einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Tabelle der Anlage 1 zu
§ 114 ZPO zurückzustellen, kann nicht gefolgt werden. Der Klägerin ist zuzugeben, daß
einer der Nachteile der Tabelle darin zu sehen ist, daß sie inflationäre Entwicklungen
nicht berücksichtigt und eine Anpassung an die veränderten Lebenshaltungskosten seit
1979 unterblieben ist (vgl. hierzu Zöller-Schneider, ZPO, 16. Auflage 1990, § 115 Rn.
76). Dies kann jedoch nicht dazu führen, daß die Festsetzung von Raten auf die
Prozeßkosten auf nicht absehbare Zeit unterbleibt, zumal das
Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Tabelle der Anlage 1 zu § 114
ZPO 1988 bestätigt hat (NJW 1988, Seite 2231). Vielmehr ist den wirtschaftlichen
Nachteilen, die dem Hilfsbedürftigen infolge der Untätigkeit des Gesetzgebers entstehen
können, dadurch Rechnung zu tragen, daß im Einzelfall die besonderen Belastungen
des Bedürftigen gebührend berücksichtigt werden. Dieses Vorgehen entspricht auch
dem Sinn und Zweck der Vorschriften der §§ 76, 88 BSHG, auf die § 115 Abs. 1 und 2
ZPO verweist und die eine Feststellung der Bedürftigkeit im Einzelfall ermöglichen.
Vereinzelten Versuchen der Rechtsprechung, sich generell von der Tabelle der Anlage
1 zu § 114 ZPO zu lösen, kann nicht gefolgt werden. Die Anpassung der
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Tabellenbeträge an die tatsächliche Entwicklung ist Aufgabe des Gesetzgebers, d.h.
eine allgemeine Loslösung von der Tabelle zu Gunsten des bedürftigen Antragstellers
ist gesetzwidrig (vgl. Thomas-Putzo, ZPO, 17. Auflage 1991, § 114 Anm. 2). Dem
Vorgehen einzelner Gerichte, die Tabelle in den unteren Einkommensbereichen nicht
anzuwenden (so OLG Celle, Fam RZ 1988, Seite 1076) oder wegen der eingetretenen
Steigerung der Lebenshaltungskosten einen Vorwegabzug vom Einkommen in Höhe
von 300,00 DM vorzunehmen (Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom
01.06.1993, Aktenzeichen: 14 Ta 220/92, zitiert nach dem von der Klägerin vorgelegten
Beschluß des Arbeitsgerichts Aachen vom 5. Oktober 1993, 2 Ca 1411/89; weitere
Nachweise bei Zöller-Schneider a.a.O.), kann daher ebenfalls nicht zugestimmt werden.
Andererseits darf die Belastung der Partei mit den auf die Prozeßkosten zu zahlenden
Raten nicht so hoch sein, daß die Partei sozialhilfebedürftig wird. Dem läßt sich durch
eine angemessene Berücksichtigung der monatlichen Belastungen hinreichend
Rechnung tragen, wobei eine kleinliche Berechnung zu vermeiden ist (vgl. Zöller-
Schneider, a.a.O., Rn. 12; BaumbachLauterbach-Hartmann, ZPO, 48. Auflage 1990, §
114 Anm. 5 B).
Zutreffend - und auch von der Klägerin nicht angegriffen - geht das Landgericht in dem
angefochtenen Beschluß unter Berücksichtigung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld von
einem durchschnittlichen Einkommen der Klägerin in Höhe von 2.132,62 DM aus.
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Auch die berücksichtigten Abzüge für Hundesteuer und Versicherungen (90,61 DM),
Abzahlungen (455,20 DM) und Kraftfahrzeugkosten (120,00 DM) begegnen keinen
Bedenken. Dagegen wird die Berücksichtigung der Kaltmiete mit einem Betrag von
lediglich 110,12 DM dem durch die vorgenannten Belastungen der Klägerin
geminderten Einkommen nicht gerecht. Der Senat folgt zwar dem Ansatz der Kammer,
daß die Miete als einkommensmindernder Faktor nur zu berücksichtigen ist, soweit sie
18 % des Einkommens übersteigt. Jedoch ist jedenfalls dann, wenn die sonstigen
Belastungen des Bedürftigen - wie im vorliegenden Fall - besonders hoch sind, von dem
um diese Absetzungen bereinigten Nettoeinkommen auszugehen (vgl. hierzu Zöller-
Schneider a.a.O., Rn. 76). Daher ist bei der Ermittlung der zumutbaren Mietbelastung
ein Nettoeinkommen von 1.466,81 DM zugrunde zu legen.
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Desweiteren hat der Senat die Mietnebenkosten, die die Klägerin monatlich mit 220,00
DM zu entrichten hat, im vorliegenden Fall berücksichtigt. Mag es sich dabei auch
generell um Kosten der Lebensführung handeln, die in die Tabelle der Anlage 1 zu §
114 ZPO eingearbeitet sind, so kann dies doch nicht im vorliegenden Fall gelten, in dem
die Nebenkosten die bei einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung üblichen Kosten aufgrund
besonderer Umstände (z.B. Kosten der Gartenpflege) erheblich übersteigen. Bei einer
monatlichen Belastung der Klägerin mit Miete und Nebenkosten in Höhe von 714,00 DM
und einem bereinigten Nettoeinkommen von 1.466,81 DM beträgt der der allgemeinen
Lebensführung zuzurechnende Anteil der Miet- und Nebenkosten 264,00 DM, so daß
weitere 450,00 DM einkommensmindernd von dem Nettoeinkommen der Klägerin
abzuziehen sind. Bei dem somit zugrunde zu legenden Nettoeinkommen der Klägerin
von 1.016,00 DM rechtfertigen sich unter Interpolation der Tabellenbeträge von 60,00
DM und 90,00 DM monatlichen Raten für die Klägerin in Höhe von 65,00 DM.
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