Urteil des OLG Köln vom 21.04.1998

OLG Köln (in dubio pro reo, gegenstand des verfahrens, einstellung des verfahrens, stpo, 1995, haschisch, anklage, anklageschrift, betäubungsmittel, inhalt)

Oberlandesgericht Köln, Ss 150/98 - 97 -
Datum:
21.04.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 150/98 - 97 -
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Abtei-lung des Amtsgerichts G.
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 9. Dezember 1997 wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen
zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt.
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Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte seit mindestens Anfang
November 1994 bis Ende Dezember 1994 einmal wöchentlich mindestens 0,5 kg
Haschisch zum Grammpreis von 3,50 DM von dem gesondert Verfolgten K. erworben
und von Anfang Januar 1995 bis Ende Februar 1995 wöchentlich von dem gesondert
Verfolgten L. mindestens 0,5 kg Haschisch zu dem bereits genannten Preis. Der
Angeklagte hat die Betäubungsmittel jeweils erworben, um sie später weiter zu
veräußern.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung
formellen und materiellen Rechts rügt.
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Auf die Verfahrensrüge hin hat das Rechtsmittel (vorläufigen) Erfolg, so daß ein
Eingehen auf die Sachrüge nicht erforderlich ist.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme ausgeführt:
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"Entgegen der Auffassung der Verteidigung stellen Anklage und Eröffnungsbeschluß
allerdings eine hinreichende Verfahrensgrundlage dar. Ein Verfahrenshindernis, das
gemäß § 206 a StPO zur Einstellung des Verfahrens zwingen würde, liegt insoweit nicht
vor.
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Die Anklageschrift hat gemäß § 200 Abs. 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte
Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, daß die Identität des
geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat
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gemeint ist und wodurch sie sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen
desselben Täters unterscheidet (vgl. SenE vom 20. Januar 1995 - Ss 577/94 - 224 -
m.w.N.). Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem
Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Fehlt es hieran, ist die Anklage unwirksam,
was ebenso für den Eröffnungsbeschluß gilt, der diesen Mangel übernimmt (vgl. SenE
a.a.O. m.w.N.). Welche Angaben zur ausreichenden Bestimmung des
Verfahrensgegenstandes erforderlich sind, kann nicht allgemein festgelegt werden (vgl.
BGH NStZ 1984, 469). An die Konkretisierung der Tat und den Inhalt der Anklageschrift
dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden, was insbesondere zu
beachten ist, falls bestimmtere Angaben nicht möglich sind (vgl. SenE a.a.O. m.w.N.).
Die mangelnde Individualisierbarkeit der einzelnen Handlungen nach genauer Tatzeit
und genauem Geschehensablauf darf bei der Begehung einer Vielzahl gleichartiger
Taten einer Anklage nicht entgegenstehen, will man gewichtige Lücken in der
Strafverfolgung vermeiden; insoweit reicht es aus, daß in der Anklage die Grundzüge
der Art und Weise der Tatbegehung, die Zahl der vorgeworfenen Straftaten, die
Gegenstand des Verfahrens sein sollen, sowie die Tatbeteiligten mitgeteilt werden (vgl.
OLG Düsseldorf JMBl. 1995, 237, 238).
Diesen Anforderungen wird die Anklageschrift vom 12. August 1996 noch gerecht. Der
Anklageschrift läßt sich eindeutig entnehmen, daß der Angeklagte im Zeitraum von
November 1994 bis Februar 1995 von bestimmten namentlich benannten gesondert
verfolgten Personen wöchentlich, also jedenfalls 16 mal, 1 Kilogramm Haschisch für
3.500,00 DM in G. zum Zwecke des Weiterverkaufs im dortigen Raum erworben hat.
Damit sind die angeklagten Taten auch ohne eine genaue zeitliche Eingrenzung jedes
Einzelfalls hinreichend von anderen etwaigen Betäubungsmittelkäufen des Angeklagten
unterscheidbar.
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Bereits die Rüge der Verletzung der §§ 261, 249 StPO greift jedoch durch, so daß es
eines Eingehens auf die weiteren Verfahrensrügen und die Sachrüge nicht bedarf.
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Das Gericht ist davon ausgegangen, daß der Angeklagte von Anfang 1995 bis Ende
Februar 1995 weiterhin wöchentlich von dem gesondert Verfolgten K.-E. L. mindestens
0,5 kg Haschisch zum Grammpreis von 3,50 DM bezogen hat, wobei die Verkäufe
teilweise bei dem gesondert Verfolgten L. aber auch in der Wohnung des Angeklagten,
der die Betäubungsmittel weiterzuverkaufen beabsichtigte, erfolgten. Die Urteilsgründe
ergeben aber, daß das Gericht diese Feststellungen nicht aufgrund der Bekundungen
des Zeugen L. - bezüglich der Bekundungen des Zeugen Gerhardus, der den gesondert
Verfolgten K. vernommen hatte, ist den Urteilsgründen zum konkreten Ablauf der
behaupteten Rauschgiftgeschäfte zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen L.
nichts zu entnehmen - getroffen hat. Denn dieser Zeuge hat auch nach Vorhalt seiner
polizeilichen Aussage vom 14. März 1995 erklärt, "daß er sich an Einzelheiten heute
zwar nicht mehr erinnern könne, die damals bei der Polizei gemachten Aussagen aber
richtig sein müßten". Nur das, was die Auskunftsperson äußert, nicht jedoch das
Schriftstück als solches, die Urkunde, darf bei einem Vorhalt verwertet werden, so daß §
261 StPO verletzt ist, wenn sich nicht ausschließen läßt, daß die Überzeugungsbildung
nicht nur auf den Bekundungen der Auskunftsperson, sondern auch auf der Auswertung
des - nach der Sitzungsniederschrift nicht förmlich verlesenen - Schriftstücks beruht (vgl.
KK - Hürxthal, StPO, 3. Aufl., § 261 Rdn. 24 m.w.N.).
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Eine Verlesung gemäß § 253 Abs. 1 StPO zum Zwecke des Urkundenbeweises
jedenfalls des Teils des Protokolls über die frühere polizeiliche Vernehmung des
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Zeugen, der die ihm nicht mehr erinnerlichen Tatsachen beinhaltete, ist ausweislich der
Sitzungsniederschrift vom 9. Dezember 1997, die einen entsprechenden Vermerk nicht
enthält, nicht erfolgt, mit der Folge, daß sich das Gericht darauf im Urteil nicht stützen
durfte. Der Urkundenbeweis nach § 253 StPO ist "letzter Ausweg", nachdem der - auch
mit Hilfe von Vorhalten, die durch Verlesung von Vernehmungsprotokollen erfolgen
können, unternommene - Versuch, den Zeugenbeweis zu erreichen, erfolglos geblieben
ist (vgl. BGH NStZ 1986, 277). Daher muß für alle Verfahrensbeteiligten der Übergang
vom Zeugenbeweis und den hierbei angewendeten Vernehmungsbehelfen zur
Verlesung zum Zwecke des Urkundenbeweises deutlich werden (vgl. BGH a.a.O.
m.w.N.). Selbst wenn der Inhalt der Niederschrift schon vorher im Rahmen des Vorhalts
bekannt geworden ist, muß das Gericht den Inhalt der Niederschrift durch nochmaliges
wörtliches Verlesen den Mitgliedern des Gerichts und den Verfahrensbeteiligten zur
Kenntnis bringen (vgl. OLG Köln NJW 1965, 830; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO,
24. Aufl., § 253 Rdn. 7). Die Eintragungen über die dem Zeugen gemachten Vorhalte,
selbst unter Berücksichtigung des Zusatzes "zur Unterstützung seines Gedächtnisses"
und der Bezugnahme auf bestimmte Blattzahlen der Akte, lassen nicht die Auslegung
zu, daß eine Verlesung nach § 253 StPO zum Zwecke des Urkundenbeweises gemeint
sei. Die Eintragungen in der Sitzungsniederschrift ergeben vielmehr, daß es sich dabei
um Vernehmungsbehelfe im Rahmen einer Zeugenvernehmung gehandelt hat. Dies
folgt zudem aus den Urteilsgründen, nach denen das Gericht die Feststellungen
aufgrund der glaubhaften Bekundungen der vernommenen Zeugen getroffen hat.
Im Hinblick auf die vom Tatrichter den Bekundungen des Zeugen L. beigemessene
Bedeutung ist nicht ausgeschlossen, daß das Urteil auf diesem Verfahrensfehler
beruht."
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Dem schließt sich der Senat unter ergänzenden Hinweisen auf die Rechtsprechung des
BGH in NStZ 86, 276 = NJW 86, 2063; StV 90, 485 und StV 94, 413 an.
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Für die erneute Hauptverhandlung wird auf folgendes hingewiesen:
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Zur Feststellung der nicht geringen Menge im Sinne des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtmG sind
grundsätzlich Angaben über die Qualität der tatrelevanten Betäubungsmittel erforderlich.
Dies ergibt sich bereits daraus, daß in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die
Bestimmung der nicht geringen Menge anhand des jeweiligen Wirkstoffgehalts erfolgt.
Wenn eine Untersuchung der Betäubungsmittel nicht vorgenommen werden konnte,
muß das Tatge- richt unter Berücksichtigung anderer hinreichend sicher feststellbarer
Tatumstände und des Grundsatzes " in dubio pro reo" die für den Angeklagten
günstigste Wirkstoffkonzentration bestimmen (vgl. Körner, BtmG, 4. Aufl., § 29 a Rdnr.
68).
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