Urteil des OLG Köln vom 16.12.2003

OLG Köln: erpressung, auflage, kriminalpolizei, ermittlungsverfahren, drohung, rüge, belgien, ermessen, energie, strafzumessung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 530/03
16.12.2003
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 530/03
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über
die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Köln zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Amtsgericht hat den Angeklagten S. I. wegen versuchter Erpressung und den früheren
Mitangeklagten I. I. wegen Beihilfe dazu verurteilt, und zwar den Angeklagten S. I. zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren mit Bewährung.
Das Amtsgericht hat zum Schuldspruch festgestellt:
"Aufgrund eines gemeinsamen Tatplans am 02.05.2002 und in bewusstem und gewolltem
Zusammenwirken bedrohten die Angeklagten den ehemaligen Oberstadtdirektor Kölns M.
S. mit der Veröffentlichung von Unterlagen aus Ermittlungsverfahren der Staatanwaltschaft
Köln, um eine Zahlung von 400.000,00 € zu erreichen. Der geschädigte S. erhielt zu
diesem Zweck 3 Tatschreiben, in denen er von den Angeklagten aufgefordert wurde, sich
zum Ankauf von 10 Disketten mit internen Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft
Köln und der Kriminalpolizei für 400.000,00 € zu entscheiden, ansonsten würden die
Disketten einer Boulevard-Zeitung verkauft. Für den Fall, dass der Geschädigte S. (Senat:
Interesse) am Kauf der Disketten habe, solle er dieses bis spätestens 28.05.2002 mittels
einer Kurzmitteilung an die Mobil-Rufnummer ... bekunden. Im dritten Tatschreiben vom
04.06.2002 kündigten die Angeklagten überraschend die Ablage der Disketten an einem
noch bekannt zu gebenden Ort an einem Grenzpunkt in Belgien an. Die Disketten sollten
gegen Übergabe des Geldes noch am selben Tage spätestens bis 18.00 Uhr am Ablageort
abgeholt werden. Zu einer Geldübergabe kam es letztlich aufgrund der durch den
Geschädigten eingeschalteten Kriminalpolizei nicht."
Gegen das amtsgerichtliche Urteil hat die Staatsanwaltschaft Strafmaßberufung eingelegt,
soweit es den Angeklagten S. I. betrifft. Das Landgericht hat die Berufungsbeschränkung
für wirksam gehalten und das Urteil des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass es den
Angeklagten S. I. zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt hat.
Die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts führt zur
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Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Das angefochtene Urteil hat keinen Bestand, weil das Landgericht zum Schuldspruch
keine eigenen Feststellungen getroffen hat.
Zwar sind vom Berufungsgericht solche Feststellungen nicht zu treffen, wenn der
Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel wirksam auf den Strafausspruch beschränkt hat. Eine
solche (wirksame) Berufungsbeschränkung liegt hier aber – was vom Revisionsgericht von
Amts wegen zu prüfen ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 318 Rdn. 8 mit
Nachweisen) – nicht vor. Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Schuldspruch sind
nicht geeignet, als Grundlage der Rechtsfolgenentscheidung zu dienen (zu diesem
Erfordernis vgl. BGH NStZ 1994, 130; BayObLG NStZ – RR 2003, 117 und 310;
Senatsentscheidung VRS 73, 395; NStZ – RR 2000, 49; VRS 98, 122 und 140; vom
21.10.2003 – Ss 434/03). Dazu ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das
Berufungsgericht trotz erklärter Rechtsmittelbeschränkung zum Schuldspruch in eigener
Verantwortung Feststellungen treffen muss, wenn die Feststellungen des Amtsgerichts zum
Tatgeschehen derart knapp, unvollständig, unklar oder widerspruchsvoll sind, dass sie den
Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht einmal in groben Zügen erkennen lassen (vgl. nur
BGH a.a.O.; bei BayObLG a.a.O.; st. Senatsrechtsprechung, vgl. nur Senatsentscheidung
VRS 98, 140).
Im vorliegenden Fall lassen die Feststellungen des Amtsgerichts zum Schuldspruch den
Schuldumfang (vgl. BayObLG NStZ – RR 2003, 117; Senatsentscheidung vom 21.10.2003
– Ss 434/03) der Taten nicht hinreichend erkennen.
Der Schuldumfang einer Erpressung (§ 253 StGB) – oder wie hier versuchten Erpressung –
durch Drohung mit einem empfindlichen Übel wird maßgeblich geprägt durch Art und
Ausmaß des angedrohten Übels. Bei einer – wie hier – Drohung mit
Zeitungsveröffentlichung (vgl. dazu BGH NJW 1993, 1484 = NStZ 1993, 282) von
Unterlagen aus Ermittlungsverfahren sind daher zur Bestimmung des Schuldumfanges
nähere Angaben im Urteil über den Gegenstand/Inhalt der Unterlagen unverzichtbar. So
kann es für die Strafzumessung – unter den Gesichtspunkten: kriminelle Energie des
Täters, Auswirkungen der Tat auf den Geschädigten; vgl. § 46 StGB – einen erheblichen
Unterschied machen, ob die Tatsachen, die z. B. in einem Massenblatt veröffentlicht
werden sollen, dem Opfer etwa bloß – wenn auch in hohem Maße – peinlich sind oder ob
sie geeignet sind, ihn im privaten und/oder beruflichen Bereich zu ruinieren.
Hier lassen sich dem Urteil des Amtsgerichts solche den Schuldumfang näher
bestimmenden Angaben nicht entnehmen.
Für die neue Hauptverhandlung wird das Landgericht daher zur Schuldfrage eigene
Feststellungen treffen müssen.
Für die neue Hauptverhandlung ist darüber hinaus anzumerken:
Ob bei der Strafrahmenwahl auf den milderen Sonderstrafrahmen des § 23 Abs. 2 StGB in
Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB überzugehen ist, hat der Tatrichter nach pflichtgemäßem
Ermessen zu entscheiden, wobei die Urteilsgründe erkennen lassen müssen, dass er diese
Möglichkeit erwogen hat (Senatsentscheidung vom 28.06.1996 – Ss 281/96;
Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage, § 23 Rn. 3 mit weiteren Nachweisen). Die
Entscheidung ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller Tatumstände und der
Täterpersönlichkeit zu treffen (vgl. BGHSt 35, 355; Senatsentscheidung a.a.O.).
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Bleibt es unter Absehen von einer Milderung nach § 23 Abs. 2 StGB beim
Regelstrafrahmen, muss die Tatsache des bloßen Versuchs jedenfalls strafmildernd
berücksichtigt werden (Senatsentscheidung a.a.O.; Tröndle/Fischer a.a.O., § 23 Rn. 23 am
Ende).