Urteil des OLG Köln vom 20.01.1994

OLG Köln (geschäftsführung ohne auftrag, lex specialis, sozialhilfe, pflege, amtspflicht, antrag, kenntnis, geschäftsführung, form, geschäft)

Oberlandesgericht Köln, 7 U 127/93
Datum:
20.01.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 127/93
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 1 O 486/92
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.06.1993 verkündete Urteil
der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 1 O 486/92 - unter
Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und
insgesamt wie folgt neu gefaßt: Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die
Klägerin 10.413,-- DM nebst 14,75 % Zinsen seit dem 01.08.1992
abzüglich am 12.10.1993 gezahlter 1.366,64 DM zu zahlen. Im übrigen
wird die Klage abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits beider
Instanzen werden der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der
Beklagten zu 1) sowie die Hälfte der Gerichtskosten und dem Beklagten
zu 2) die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie die
Gerichtskosten je zur Hälfte auferlegt; weitere Kosten sind nicht zu
erstatten. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin betreibt ein Altenheim mit angeglie-derter Pflegeabteilung. Am
21.11.1991 nahm sie den schwer pflegebedürftigen Rentner P. F. auf. Zur Abdeckung
der Pflegekosten sollte neben der Altersrente F.'s Sozialhilfe in Anspruch genommen
werden. Ein entsprechender Antrag wurde am 11.11.1991 bei der Beklagten zu 1)
eingereicht und Ende Dezember 1992 an den Beklagten zu 2) als zuständigen
Sozialhilfeträger weitergeleitet. Dort wurde bis zum Tode F.s am 12.03.1992 nicht
über den Antrag entschieden. Danach wurde die Übernahme der Kosten unter
Hinweis auf die höchstpersönliche Natur der Sozialhilfeansprüche abgelehnt.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklag-ten auf Erstattung der ungedeckt
gebliebenen Heimpflegekosten in Höhe von 10.413,57 DM in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, der Klägerin stehe ein
Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung nicht zu,
weil die den Bediensteten der Beklagten obliegende Pflicht, den Sozialhilfeantrag
zügig zu bearbeiten, nur gegen-über dem Sozialhilfeempfänger selbst bestanden
habe, nicht aber im Verhältnis zur Klägerin, die insoweit nicht "Dritter" im Sinne des §
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839 Abs. 1 Satz 1 BGB gewesen sei. Da kein Eilfall vorgelegen habe, stehe ihr auch
kein Aufwendungsersatzan-spruch nach § 121 BSHG zu. Eine Geschäftsführung
ohne Auftrag sei deshalb zu verneinen, weil die Klägerin kein Geschäft der Beklagten
geführt habe; jedenfalls fehle es an einem entsprechenden Ge-schäftsführungswillen.
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Mit ihrer Berufung ermäßigt die Klägerin die Kla-geforderung um einen Betrag von
1.366,64 DM, der ihr zwischenzeitlich aus der Auflösung eines Spar-guthabens
zugeflossen ist. Im übrigen verfolgt sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiter. Die
Beklag-ten treten der Berufung entgegen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache auch teilweise Erfolg. Sie führt im
Ergebnis zu einer Verurteilung des Beklagten zu 2), während sie gegenüber der
Beklagten zu 1) erfolglos bleibt.
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I.
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Gegen den Beklagten zu 2) steht der Klägerin ein Anspruch aus Geschäftsführung
ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 Satz 1, 670 BGB zu.
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Mit der Beherbung und Pflege F.'s nahm die Klä-gerin auch ein Geschäft des
Beklagten zu 2) war. Daß F. ein Anspruch auf Sozialhilfe zustand, ist zwischen den
Parteien außer Streit. Auch die Beklagten stellen nicht in Abrede, daß die
Heimpflegekosten hätten übernommen werden müssen, wenn noch zu Lebzeiten F.'s
über den Antrag entschieden worden wäre. Der Auffassung des Land-gerichts, die
Beklagten hätten nur die Finanzie-rung, nicht aber die Pflege als solche geschuldet,
kann nicht gefolgt werden. Formen der Sozialhilfe sind nach § 8 BSHG persönliche
Hilfe, Geldleistung und Sachleistung. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen
stellen sich als Hilfe zur Pflege im Sinne der §§ 68 f BSHG dar, die nur im Falle der
häuslichen Pflege nach § 69 BSHG als Pflegegeld oder Erstattung von
Pflegeaufwendungen in Form von Geldleistungen gewährt wird. Im übrigen ist die
gesetzliche Form der Pflege die Sachleistung. Dem steht nicht entgegen, daß auch
Pflegeleistungen in der Regel durch Dritte erbracht werden, deren Aufwendungen der
Sozialhilfeträger in Form von Geld erstattet. Insoweit gilt für die Sozialhilfe nichts
anderes als für die Krankenpflege, die von den Kassen ebenfalls als Sachleistung
geschuldet wird, obwohl in der Praxis regelmäßig nur die Kosten erstattet werden
(BGHZ 33, 251, 254 f). Davon abgesehen ist für die Annahme einer Fremdge-
schäftsführung nicht einmal erforderlich, daß der Geschäftsführer die Leistung in
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derselben Form erbringt wie der primär Verpflichtete, da Natural- und Geldleistungen
nach ihrem Verwendungszweck und in ihrer Wirkung übereinstimmen (vgl. MK-Sei-
ler, BGB 2. Aufl., § 677 Rdnr. 25).
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Unerheblich ist auch, ob die Klägerin mit F. einen wirksamen Vertrag abgeschlossen
hatte. Es ist anerkannt, daß die Besorgung eines fremden Geschäfts nicht deshalb
ausgeschlossen ist, weil der Geschäftsführer seine Leistungen aufgrund ei-nes mit
dem Leistungsempfänger geschlossenen Ver-trags erbringt (BGHZ 101, 393, 399).
Maßgebend ist die Interessenlage, die unter den hier gegebenen Umständen
entscheidend dadurch geprägt ist, daß die in dem Vertrag vereinbarte Gegenleistung
von dem Leistungsempfänger gar nicht aufgebracht werden kann. Im Hinblick darauf
braucht sich die Klägerin auch nicht entgegenhalten zu lassen, sie habe sich ihren
Vertragspartner freiwillig ausge-sucht und damit auch ein entsprechendes Insolvenz-
risiko übernommen. Die Insolvenz ihres Vertrags-partners stand bereits mit
Vertragsabschluß fest. Das Vertragsverhältnis war deshalb von Anfang an darauf
angelegt, daß die Klägerin die vereinbarte Gegenleistung, von der Rente abgesehen,
nicht von ihrem Vertragspartner, sondern vom Beklagten zu 2) als dem zuständigen
Kostenträger erhalten würde. Hierdurch erhielt die von ihr gewährte Pflege das
Gepräge eines - teilweise - objektiv fremden Geschäfts (vgl. MK-Seiler, a.a.O. Rdnr.
26). Daß der Anspruch auf Sozialhilfe öffentlich-rechtli-cher Natur ist, steht der
Anwendung des § 677 nicht entgegen (vgl. zu ähnlich gelagerten Fällen: BGHZ 33,
251; BSGE 67, 100). Da es sich objektiv um ein teilweise fremdes Geschäft handelt,
ist ein entsprechender Geschäftsführerwille zu vermuten (BGHZ 98, 235, 340). Den
Umständen nach kann auch nicht zweifelhaft sein, daß die Übernahme des Ge-
schäfts dem Willen des Beklagten zu 2) entsprach.
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Die Anwendung der §§ 677 ff. BGB ist durch die Sonderregelung des § 121 BSHG
nicht ausgeschlos-sen. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der einem
Hilfebedürftigen in einem Eilfall Beistand leistet (sog. Nothelfer), einen Anspruch auf
Er-satz seiner Aufwendungen gegen den Sozialhilfeträ-ger. Der Anspruch setzt
voraus, daß der Nothelfer tätig geworden ist, bevor der Sozialhilfeträger von dem
Hilfefall Kenntnis erlangt (BVerwGE 77, 181, 185 f). Der hier vorliegende Fall, daß
der Sozialhilfeträger trotz Kenntnis untätig bleibt, wird von der Vorschrift nicht erfaßt.
Da die Hilfe als solche aber im Falle der Untätigkeit der Behörde nicht weniger
dringlich ist als im Falle der Unkenntnis, erscheint es sachlich nicht gerechtfertigt,
dem Hilfeleistenden Ersatz seiner Aufwendungen nur deshalb zu versagen, weil die
Be-hörde von dem Fall Kenntnis erlangt hat. Das wäre insbesondere dann unbillig,
wenn der Hilfeleisten-de noch nicht einmal weiß, daß der Fall der Behör-de bekannt
ist. Es wäre auch ein sozialpolitisch nicht wünschenswerter Effekt, wenn der
Nothelfer seine Hilfstätigkeit nur deshalb einstellt, weil die zuständige Behörde von
dem Fall erfährt, ohne sofort tätig zu werden. Im Hinblick darauf kann nicht
angenommen werden, daß der Gesetzgeber mit der Einführung des § 121 BSHG
eine lex specialis schaffen wollte, neben der für die Anwendung der allgemeinen
Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag kein Raum mehr sein sollte.
Dagegen spricht nicht zuletzt der Gesichtspunkt, daß die Rechtsstellung des
Nothelfers nicht verschlech-tert, sondern verbessert werden sollte. Insoweit gilt für
den § 121 BSHG der gleiche Gedanke wie für die Nothilferegelungen des § 539 Nr. 9
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RVO, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls nicht die
Wirkung haben, daß die allge-meinen Regeln über die Geschäftsführung ohne Auf-
trag ausgeschlossen sind (BGHZ 33, 251, 257).
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Der Anspruch richtet sich allerdings nur gegen den Beklagten zu 2), der als Kreis
nach § 96 Abs. 1 Satz 1 BSHG örtlicher Träger der Sozialhilfe ist (ein Fall des § 100
BSHG oder des § 2 AG-BSHG NW, für den der Landschaftsverband als überörtlicher
Träger der Sozialhilfe zuständig wäre, § 1 Abs. 2 AG-BSHG, liegt nicht vor). Die
Beklagte zu 1) ist allenfalls im Rahmen einer Heranziehung nach § 96 Abs. 1 Satz 2
BSHG tätig geworden (vgl. § 3 AG-BSHG). Kostenträger ist auch insoweit der
Beklagte zu 2) (§ 5 Abs. 2 AG-BSHG).
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II.
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Gegen die Beklagte zu 1) steht der Klägerin auch kein Anspruch aus
Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu.
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Insoweit ist der Auffassung des Landgerichts, daß die Klägerin nicht "Dritter" im
Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, zu folgen. Nach ständiger Rechtsprechung ist
die Frage, wer im Einzelfall zum Kreis der "Dritten" gehört, nach dem Zweck der
Amtspflicht zu entscheiden. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden
und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des
Amtsgeschäfts ergibt, daß der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen
Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsge-schäfts
geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter
Pflichtver-letzung eine Schadensersatzpflicht. Dagegen ist anderen Personen
gegenüber, selbst wenn die Amts-pflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger
nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet. Es muß mithin eine
besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten
"Dritten" bestehen. Dabei muß eine Person, der gegenüber eine Amtspflicht zu
erfüllen ist, nicht in allen ihren Belangen immer als "Dritter" anzusehen sein.
Vielmehr ist jeweils zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach
dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt werden
soll (BGHZ 100, 313, 318; 106, 323, 331).
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Nicht geschützt sind insbesondere diejenigen, die nur infolge ihrer schuldrechtlichen
Beziehungen zu dem unmittelbar Betroffenen in ihren Interessen berührt werden. Die
Amtspflicht, Hilfsbedürftige zu unterstützen, besteht ihrer Natur nach nur gegenüber
dem Hilfsbedürftigen selbst und nicht gegenüber denjenigen, die zu dem
Hilfsbedürftigen in irgendwelchen Beziehungen stehen, etwa als
Unterhaltsverpflichteter oder Vertragspartner (BGH NJW 1962, 2100, 2102). So
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besteht keine Schutz-pflicht des Sozialhilfeträgers gegenüber Personen, die dem
Hilfsbedürftigen häusliche Pflege gewähren und damit in den Genuß des
Pflegegeldes nach § 69 Abs. 3 BSHG kommen (OLG Stuttgart, VersR 1990, 276).
Eine günstigere Rechtsstellung kann der Klägerin auch nicht deshalb zugebilligt
werden, weil sie auf die Sozialhilfeleistungen angewiesen war und die Beklagten
hiervon Kenntnis hatten. In-soweit ist das Verhältnis der Klägerin zur Person F.'s
nicht grundsätzlich anders zu bewerten als etwa die im Prozeßkostenhilfeverfahren
beste-hende Beziehung zwischen der bedürftigen Partei und dem ihr
beizuordnenden Anwalt, den der Bundes-gerichtshof im Fall einer unrechtmäßigen
Verweige-rung der Prozeßkostenhilfe nicht als "Dritten" im Sinne des § 839 Abs. 1
Satz 1 BGB angesehen hat (BGHZ 109, 163). Für einen Amtsmißbrauch, der sich
auch im Verhältnis zur Klägerin als Amtspflicht-verletzung darstellen würde (weil die
Pflicht, sich des Amtsmißbrauchs zu enthalten, dem Beamten gegenüber jedermann
obliegt, vgl. BGB-RGRK-Kreft, 12. Aufl., § 839 Rdnr. 249), bietet der vorgetra-gene
Sachverhalt keine Anhaltspunkte.
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III.
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Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus § 284 Abs. 1 Satz 1, § 286 Abs. 1 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92, 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreck-barkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
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Für die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 15.12.1993 angeregte Wiedereröffnung
der mündli-chen Verhandlung besteht kein Anlaß. Die Abtre-tungserklärung des
Nachlaßpflegers kann der Klage gegen die Beklagte zu 1) nicht zum Erfolg verhel-
fen, da Sozialhilfeansprüche nicht wesentlich sind (BVerwGE 77, 181, 186/187) und
ein Schadensersatz-anspruch, der hätte vererbt werden können, zu Leb-zeiten F.'s
noch nicht entstanden war.
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Berufungsstreitwert:
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bis zum 01.12.1993 : 10.413,-- DM;
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sodann: 9.046,36 DM;
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Wert der Beschwer: 9.046,36 DM.
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