Urteil des OLG Köln vom 03.11.1995
OLG Köln (bundesrepublik deutschland, tätigkeit, 1995, strafkammer, organisation, staatsanwaltschaft, strafanzeige, unterstützung, inland, hauptverhandlung)
Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 463/95
Datum:
03.11.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 463/95
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 101-73/95
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Anklage der
Staatsanwaltschaft Köln vom 20. März 1995 (120 Js 55/95) wird zur
Hauptverhandlung zugelassen. Das Hauptverfahren wird vor der 1.
großen Strafkammer des Landgerichts Köln als Staatsschutzkammer
eröffnet.
G r ü n d e
1
I.
2
Die Staatsanwaltschaft Köln legt dem Angeschuldigten in der Anklageschrift vom 20.
März 1995 zur Last, am 10. Dezember 1994 in K. gemeinschaftlich mit gesondert
verfolgten Mittätern im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes durch eine darin
ausgeübte Tätigkeit einem vollziehbaren Verbot nach § 18 S. 2 VereinsG zuwider
gehandelt zu haben (strafbar nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG, § 25 Abs. 2 StGB). Er soll
am Tattag bei einer Demonstration, die von 12.00 Uhr bis 13.15 Uhr in Köln von der
Domplatte zum Sachsenring führte, und bei der Symbole der "ERNK" und Bilder des
"PKK"-Führers Ö. gezeigt und Sprechchöre intoniert wurden, eine Fahne der "ERNK"
(roter Stern auf gelben Grund im grünen Kreis auf roten Untergrund) getragen und nach
Abschluß des Aufzuges insgesamt fünf solcher Fahnen mit sich geführt haben.
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Der Anklageschrift liegt eine Strafanzeige des Polizeipräsidenten Köln (gefertigt von
PHK D.) vom 10. Dezember 1994 zugrunde, wonach bei der fraglichen Demonstration
"fast alle Teilnehmer des Demo-Zuges" kleine Fähnchen mit dem ERNK-Symbol
schwenkten. Ferner enthält die Ermittlungsakte einen Vermerk des KOK St. vom 21.
Februar 1995, wonach seitens der Demonstrationsteilnehmer "eine Vielzahl von
Fahnen" mit dem Symbol der ERNK gezeigt wurde.
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Nach Eingang der Anklage hat der Vorsitzende der Strafkammer einen Vermerk
desselben KOK St. vom 14. Dezember 1994 (aus einem anderweitigen Verfahren 101-
48/95 LG Köln) zu den Akten genommen, wonach am 10. Dezember 1994 während des
Aufzuges und der Abschlußveranstaltung "vereinzelt" Fahnen der ERNK und Bilder des
PKK-Führers Ö. gezeigt wurden.
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Mit Beschluß vom 20. Juni 1995 hat es die Strafkammer abgelehnt, das Hauptverfahren
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zu eröffnen. Zu Begründung ist ausgeführt, ausweislich des polizeilichen Vermerks des
KOK St. vom 14. Dezember 1994 seien bei dem Aufzug vom 10. Dezember 1994 nur
vereinzelt Fahnen der ERNK gezeigt wurden, so daß das Verhalten des
Angeschuldigten in Verbindung mit den sonstigen Umständen keine Unterstützung des
Organisationsgefüges der ERNK in der nach Ansicht der Strafkammer erforderlichen
meßbaren Weise darstelle.
Gegen diese Entscheidung - deren Zugang bei der Staatsanwaltschaft gem. § 41 StPO
nicht feststellbar ist - hat die Staatsanwaltschaft Köln unter dem 6. Juli 1995 sofortige
Beschwerde eingelegt.
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II.
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Die nach § 210 Abs. 2 StPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde
der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses sowie zur Zulassung der Anklage vom 20. März 1995 zur
Hauptverhandlung und zur Eröffnung des Hauptverfahrens vor der Staatsschutzkammer
des Landgerichts Köln. Denn nach dem gesamten Ergebnis der Ermittlungen erscheint
der Angeschuldigte der ihm zur Last gelegten Straftat hinreichend verdächtig (§ 203
StPO).
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1. In rechtlicher Hinsicht ist allerdings der Ausgangspunkt der angefochtenen
Entscheidung nicht zu beanstanden.
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In § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG - der einzigen vorliegend in Betracht kommenden
Strafvorschrift - ist die Zuwiderhandlung gegen ein sofort vollziehbares Verbot nach § 18
S. 2 VereinsG unter Strafe gestellt. Nachdem der Bundesminister des Innern am 22.
November 1993 (bekanntgemacht im Bundesanzeiger Nr. 222 vom 26. November 1993)
verfügt hatte, daß sich die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einschließlich ihrer
Teilorganisation Nationale Befreiungsfront KurdistansFehler! Textmarke nicht definiert.
(ERNK) im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes nicht mehr betätigen darf, und dieses
Verbot seit dem 26. März 1994 bestandskräftig ist (Bundesanzeiger Nr. 117 vom 25. Juni
1994), handelt es sich bei der ERNK um eine Organisation, die dem
Anwendungsbereich des § 18 S. 2 VereinsG und damit auch der Anwendbarkeit der
Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG unterfällt. Tathandlung im Sinne des § 20
Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 18 S. 2 VereinsG ist das Aufrechterhalten der Tätigkeit
des Vereins im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes. Das Gesetz unterscheidet dabei
nicht zwischen der Betätigung als Organisator oder als Mitglied oder der bloßen
Unterstützung; alle diese Formen der Betätigung werden von § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG
erfaßt, wenn sie ursächlich dafür sind, daß der ausländische Verein im Inland weiterhin
tätig ist (vgl. Wache in Erbs-Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 20 VereinsG
Rdnr. 19).
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Da aber eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG nur gegeben ist, wenn eine
Zuwiderhandlung gegen ein vollziehbares Verbot der Tätigkeit einer Organisation nach
(hier:) § 18 S. 2 VereinsG vorliegt, genügt es für ein strafbares Verhalten des
Angeschuldigten nicht schon, wenn er etwa nur vereinzelt (oder als einer von mehreren
Einzelnen von insgesamt 1.000 bis 1.200 Demonstrationsteilnehmern) durch das
Schwenken des ERNK-Fähnchens lediglich seine eigene Sympathie für diese
Organisation zum Ausdruck bringt. Die bloße Sympathiekundgebung ohne jegliche
Auswirkung auf die (weitere) Tätigkeit dieser Organisation in der Bundesrepublik
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Deutschland hätte keinen hinreichenden Bezug zu dem Tätigkeitsverbot nach § 18 S. 2
VereinsG; daß der Angeschuldigte etwa selbst Mitglied der ERNK ist und als solches
gehandelt hätte, ist nicht festgestellt. Demzufolge ist der Strafkammer darin beizutreten,
daß eine nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG strafbare Unterstützungshandlung nur dann
vorliegt, wenn ihr eine meßbare organisatorische Bedeutung zukommt, wenn also die
Unterstützung irgendwie zur Wirkung kommt und für die Vereinigung, der die Betätigung
verboten worden ist, in irgendeiner Weise vorteilhaft gewesen ist.
Diese Ansicht - die ein Mindestmaß von Ursächlichkeit des Verhaltens eines Einzelnen
für die (weitere) Tätigkeit des Vereins fordert - steht auch in Einklang mit dem Schreiben
des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen an das Innenministerium des
Landes Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 1994 (4021-III A. 69). Danach bestehen
Bedenken, daß schon das bloße Zeigen von Fahnen oder andere Kennzeichen der
PKK oder der ERNK bereits unter das Tätigkeitsverbot des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG
fällt, weil Tathandlung im Sinne dieser Bestimmung eben das Aufrechterhalten der
Tätigkeit des ausländischen Vereins ist und es somit im Einzelfall der Feststellung
bedarf, daß die Tathandlung für die weitere Tätigkeit des Vereins im Inland ursächlich
ist. Die hier vertretene Ansicht steht weiterhin in Einklang mit dem Urteil des
Landgerichts Nürnberg-Fürth (1 Kls 341 Js 32387/94) vom 16. Dezember 1994; in
diesem Urteil wurde bezüglich eines der damaligen Angeklagten (dem Angeklagten M.)
- dessen Revision der Bundesgerichtshof verworfen hat - gerade festgestellt, daß er
anläßlich einer Demonstration (die - anders als in dem vorliegenden Fall - den Protest
gegen das Verbot kurdischer Organisationen zum Gegenstand hatte) die Fahne mit dem
ERN-Emblem als Fahnenträger an exponierter Stelle besonders herausheben wollte,
wobei bei dem fraglichen Demonstrationszug, der nur aus ca. 160 Teilnehmern bestand,
"zahlreiche Teilnehmer" sich Fahnen der ERNK um die Schulter gebunden oder sonst
getragen hatten; in einem solchen Fall ist die Förderung der weiteren Tätigkeit der
ERNK ohne weiteres ersichtlich. Soweit demgegenüber der Bundesminister des Innern
in seinem Schreiben an die Innenministerien der Länder vom 7. Dezember 1994 (I. S. 2-
619314-27/0) sich für seine Ansicht, daß jede für das Aufrechterhalten der Tätigkeit des
Vereins förderliche Handlung (ohne Prüfung einer Kausalität) tatbestandsmäßig im
Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG sei, auf Motive des Gesetzgebers in der
Bundestags- Drucksache IV/430, Seite 25 stützt (wonach - Zitat - "§ 20 ... nunmehr als
reines Ungehorsamsdelikt ... ausgestaltet sei"), trifft diese Fundstelle nicht die
Strafvorschrift des § 20 VereinsG in der heute geltenden Fassung. § 20 VereinsG wurde
neugefaßt durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 (BGBl. I S. 741).
Die von dem Bundesminister des Innern angeführte Fundstelle aus dem Jahre 1962
betrifft hingegen die Gesetzesberatungen zu dem am 5. August 1964 in Kraft getretenen
Vereinsgesetz, und dort speziell den damaligen § 129 a StGB, der durch § 20 des
VereinsG in der seinerzeitigen Fassung neu gefaßt wurde (während
Zuwiderhandlungen gegen ein Vereinsgebot in den Gesetzesberatungen der 4.
Wahlperiode des Deutschen Bundestages in § 21 VereinsG - auch hier aber mit einem
dem heutigen § 20 VereinsG nicht vergleichbaren Wortlaut - erfaßt werden sollten).
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2. Bleibt es also dabei, daß eine Unterstützung einer verbotenen Organisation (durch
ein Nichtmitglied) nur dann vom § 20 Abs. 1 Nr. 4 erfaßt ist, wenn sie mit ursächlich
dafür ist, daß die Organisation im Inland weiterhin tätig ist, so hat aber die sofortige
Beschwerde im vorliegenden Fall dennoch aus tatsächlichen Gründen Erfolg.
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Die Strafkammer hat die Entscheidung über die Nichteröffnung des Hauptverfahrens
ausschließlich auf den Vermerk des KOK St. vom 14. Dezember 1994 gestützt, wonach
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bei dem Aufzug vom 10. Dezember 1994 nur "vereinzelt" Fahnen der ERNK (und Bilder
eines PKK-Führers) gezeigt wurden, während gleichzeitig nahezu alle Teilnehmer PKK-
Sprechchöre intoniert haben. Eine Auseinandersetzung mit dem anderslautenden
Vermerk desselben KOK St. vom 21. Februar 1995 und mit der Strafanzeige vom 10.
Dezember 1994 enthält der angefochtene Beschluß nicht. Zwar ist der Vermerk des
KOK St. vom 14. Dezember 1994 der angeklagten Tat zeitlich näher als sein weiterer
Vermerk vom 21. Februar 1995. Gerade schon die Strafanzeige vom Tattag aber hält
ebenfalls fest, daß während des Demonstrationszuges "fast alle Teilnehmer des Demo-
Zuges" die fraglichen kleinen Fähnchen mit dem ERNK Symbol schwenkten. Nach dem
Inhalt der Strafanzeige - zu der in der Anklageschrift Polizeibeamte als Zeugen benannt
sind - besteht sehr wohl hinreichender Verdacht dahin, daß der Angeschuldigte D. nicht
nur als vereinzelte Person, sondern zusammen mit einer Vielzahl ebenso handelnder
Demonstrationsteilnehmer das Symbol der dem Betätigungsverbot unterliegenden
ERNK verwendete; es kommt hinzu, daß er nicht nur ein Fähnchen trug, sondern fünf
Fähnchen mit sich führte (die sichergestellt wurden und sich in Hülle Bl. 5 der Akte
befinden). Wenn eine Vielzahl von Teilnehmern - die im übrigen auch Sprechchöre
intonierten, die die Sympathie für die PKK zum Ausdruck brachten - Fähnchen mit dem
ERNK-Symbol vorzeigten (und wenn dies auch dem Angeschuldigten D. im bewußtem
und gewolltem Zusammenwirken klar war), dann erlangt das Schwenken der Fähnchen
sehr wohl die auch von der Strafkammer ansonsten geforderte meßbare
organisatorische Bedeutung einer strafbaren Unterstützungshandlung. Ein solches
Verhalten ist dann, auch wegen seiner Pressewirksamkeit, mit ursächlich dafür, daß die
ERNK in der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland in Erscheinung getreten
ist. Es wird Sache der Hauptverhandlung sein, - etwa durch Vernehmung des Zeugen
KOK St. - zu klären, aus welchen Gründen der in dem angefochtenen Beschluß allein in
Bezug genommene Vermerk vom 14. Dezember 1994 (der allerdings vor
Anklageerhebung nicht Bestandteil der Akten gewesen war) von dem sonstigen
Akteninhalt divergiert.
Nach dem derzeitigen Sachstand kann - entgegen dem angefochtenen Beschluß - auch
nicht davon ausgegangen werden, daß es in der inneren Tatseite fehle. Zwar kann bei
einem nebenstrafrechtlichen Blankettgesetz - wie dem § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG - der
Irrtum über einen Tatumstand der das Blankett ausfüllenden Norm (hier: des § 18 S. 2
VereinsG) Tatbestandsirrtum sein (vgl. Schönke-Schröder/Cramer, StGB, 24. Aufl., § 15
Rdnr. 101). Der Angeschuldigte D. hat sich jedoch zur Sache nicht eingelassen; daher
ist auch für einen etwaigen vorsatzausschließenden Irrtum derzeit nichts ersichtlich.
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