Urteil des OLG Köln vom 13.11.2000

OLG Köln: gebühr, irrtum, gefahr, ordnungswidrigkeit, wiederholung, unzumutbarkeit, fahrzeugführer, autobahnraststätte, rechtsverordnung, absicht

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 73/01 (Z) - 43 Z -
13.11.2000
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 73/01 (Z) - 43 Z -
I. Der Zulassungsantrag wird als unbegründet verworfen. II. Die
Rechtsbeschwerde gilt damit als zurückgenommen (§ 80 Abs. 4 S. 4
OWiG). III. Die Kosten des Verfahrens vor dem Beschwerdegericht trägt
der Betroffene.
G r ü n d e
I.
Das Amtsgericht hat durch Urteil vom 13. November 2000 gegen den Betroffenen wegen
einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 4 Abs. 1 Nr. 1 a, 1 Abs. 1 u. 3 ABBG eine
Geldbuße von 500,00 DM verhängt. Nach seinen Feststellungen hatte der Betroffene am
20. Dezember 1999 die Bundesautobahnen mit seinem zur Güterbeförderung bestimmten
Lastzug befahren, der ein zulässiges Gesamtgewicht von 39.700 kg hatte. Als er um 8.30
Uhr in D. kontrolliert wurde, konnte er eine gültige Gebührenbescheinigung nicht
vorweisen. In rechtlicher Hinsicht hat es ausgeführt, die Einlassung des Betroffenen, er
habe kurzfristig die Beförderung eiligen Terminguts übernommen und mangels Kenntnis
einer anderen Verkaufsstelle die Gebührenbescheinigung an der nächstgelegenen
Raststätte bzw. Tankstelle erwerben wollen, sei nicht geeignet, den Vorwurf der
Ordnungswidrigkeit zu entkräften. Es sei jedoch von einem Irrtum des Betroffenen
hinsichtlich der Notwendigkeit der Gebührenentrichtung vor dem Auffahren auf die
Autobahn und damit von einem fahrlässigen Verhalten auszugehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der geltend
gemacht wird, wegen der Unzumutbarkeit des rechtmäßigen Alternativverhaltens fehle es
in Bezug auf den objektiv bestehenden Verstoß am Verschulden. Denn der Betroffene hätte
einen Umweg von ca. 20 km fahren müssen, um die Vignette anderweitig zu besorgen; dies
hätte "denknotwendig zur Folge gehabt, daß der ihm erteilte Auftrag nicht hätte ausgeführt
werden können, wobei die Gefahr bestand, daß der Kunde in Anbetracht der
Nichtdurchführung des Auftrags oder aber der Verspätung die Aufträge in Zukunft anders
vergibt".
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 300 StPO, 46 Abs. 1 OWiG als das allein statthafte
Rechtsmittel des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu behandeln, da in dem
angefochtenen Urteil ausschließlich eine Geldbuße von nicht mehr als 500,00 DM
festgesetzt worden ist. Die Rechtsbeschwerde ist daher nicht nach § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG
statthaft, sondern bedarf gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG der Zulassung.
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Die gesetzlichen Voraussetzungen einer solchen Zulassung sind hier allerdings nicht
gegeben.
Nach § 80 Abs. 1 OWiG kann die Rechtsbeschwerde bei weniger bedeutsamen
Ordnungswidrigkeiten, bei denen sie grundsätzlich ausgeschlossen ist, nur
ausnahmsweise zugelassen werden, wenn dies im allgemeinen Interesse zur Fortbildung
des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist; Sinn der
Bestimmung ist nicht die Herstellung der rechtlich richtigen Entscheidung im Einzelfall (vgl.
SenE v. 24.01.2000 - Ss 191/99 Z -; SenE v. 02.05.2000 - Ss 198/00 Z -; Göhler, OWiG, 12.
Aufl., § 80 Rdnr. 16 f.; Steindorf, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Aufl., § 80 Rdnr. 1 m.
w. Nachw.).
Im Einzelnen sieht die Regelung des § 80 Abs. 1 OWiG vor, dass die Rechtsbeschwerde
nur zugelassen werden kann, wenn dies entweder zur Fortbildung des Rechts oder zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (Nr. 1) oder wenn die
Aufhebung des Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs geboten ist (Nr. 2).
Keine der Voraussetzungen, die danach die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde eröffnen,
liegt hier nicht vor.
a)
Eine Versagung des rechtlichen Gehörs, die mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2
S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend zu machen war (vgl. SenE 04.02.1999 - Ss
45/99 Z - = NZV 1999, 264 = VRS 96, 451; SenE v. 15.04.1999 - Ss 144/99 Z - = VRS 97,
187 = NZV 1999, 436), kann nicht festgestellt werden (vgl. zur Notwendigkeit der
Feststellung einer Gehörsverletzung als Zulassungsvoraussetzung: SenE v. 17.07. 1998 -
Ss 351/98 Z = NStZ-RR 1998, 345 = NZV 1998, 476 = VRS 95, 383; SenE 04.02.1999 - Ss
45/99 Z = NZV 1999, 264 = VRS 96, 451; SenE v. 15.04.1999 - Ss 144/99 Z = VRS 97, 187
= NZV 1999, 436). Das Rechtsbeschwerdegericht ist an das, was im Urteil als Inhalt der
Einlassung festgestellt worden ist, gebunden (BGH NJW 1992, 252; BGH NJW 1992, 2840
[2841]). Auch im Fall der Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist das
Rechtsbeschwerdegericht an die Feststellungen im Urteil gebunden und nicht berechtigt,
durch Rekonstruktion der Beweisaufnahme zu klären, was in der tatrichterlichen
Verhandlung ausgesagt worden ist (SenE v. 11.07.2000 - Ss 293/00 Z -; SenE v.
01.03.1996 - Ss 104/96 -). Nach den Urteilsgründen hat der Betroffene sich dahin
eingelassen, er habe mangels Kenntnis einer anderen Verkaufsstelle die Vignette an der
nächsten Autobahnraststätte oder Tankstelle erwerben wollen. Diese Einlassung hat das
Amtsgericht ebenso wie die Eilbedürftigkeit und die kurzfristige Erteilung des
Frachtauftrags ausreichend gewürdigt.
b)
Der vorliegende Fall gibt darüber hinaus auch keine Veranlassung, allgemeine Leitsätze
für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken
rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. BGH VRS 40, 134 [137]). Zulassungsbedürftige
Fragen in dieser Hinsicht wirft die Sache nicht auf.
Ordnungswidrig handelt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 a ABBG, wer vorsätzlich oder fahrlässig
als Fahrzeugführer eine Bundesautobahn mit einem Kraftfahrzeug im Sinne des § 1 Abs. 1
ABBG benutzt, obwohl die nach diesem Gesetz geschuldete Gebühr nicht entrichtet und
nicht gestundet worden ist. Nach dem eindeutigen Regelungsgehalt der §§ 4 Abs. 1 Nr. 1 a,
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1 Abs. 1 ABBG, die insoweit der Auslegung nicht bedürfen, ist der Tatbestand der
Ordnungswidrigkeit erfüllt, wenn bei Beginn der Autobahnbenutzung die Gebühr nicht
gezahlt (oder gestundet) ist (st. Senatsrechtsprechung; vgl. SenE v. 31.07.2000 - Ss 310/00
Z -; SenE v. 22.02.2001 - Ss 62/01 Z -). Die Absicht, im Verlauf der Autobahnbenutzung an
der nächsten dort befindlichen Verkaufsstelle für Vignetten die Gebühr zu entrichten, ist
dabei ohne Bedeutung. Dies wird auch mit dem vorliegenden Zulassungsantrag nicht in
Frage gestellt.
Aber auch im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Vorwerfbarkeit und Verantwortlichkeit des
Betroffenen bietet der Fall keinen Anlass zur Rechtsfortbildung.
Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der rechtlichen Überprüfung des
angefochtenen Urteils durch das Rechtsbeschwerdegericht ausschließlich die
Sachverhaltsfeststellungen des Amtsgerichts zugrunde gelegt werden können (BayObLG
VRS 99, 374 [375]; SenE v. 02.03.2001 - Ss 30/01 B -; Steindorf, in: Karlsruher Kommentar,
OWiG, 2. Aufl., § 79 Rdnr. 119); das davon abweichende tatsächliche Vorbringen des
Betroffenen in der Begründung seines Zulassungsantrags kann hingegen keine
Berücksichtigung finden. Die Umstände, aus denen der Betroffene meint, die
Unzumutbarkeit normgerechten Verhaltens herleiten zu können (Unmöglichkeit
fristgerechter Erledigung des Frachtauftrags; wirtschaftliche Nachteile), sind aber den
Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Abgesehen davon bleibt der Betroffene außerhalb etwaiger Notstandslagen für sein aktives
Fehlverhalten auch bei der Gefahr persönlicher Nachteile selbst verantwortlich. Solche
Gefahren vermögen ihn jedenfalls nicht ganz zu entschuldigen (Senat VRS 39, 76 [80];
OLG Köln VRS 59, 438 [439 f.]; Rengier, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Aufl., vor §§
15, 16 Rdnr. 64).
c)
Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen,
wenn sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder
fortbestehen würden. Das ist der Fall, sofern elementare Verfahrensgrundsätze verletzt sind
oder das Urteil mit materiell-rechtlichen Fehlern behaftet ist und entweder die Gefahr der
Wiederholung besteht oder - vor allem bei Fehlern des materiellen Rechts - der
Fortbestand der Entscheidung zu krassen und augenfälligen, nicht hinnehmbaren
Unterschieden in der Rechtsanwendung führen würde (OLG D. NStZ-RR 2000, 180 [181] =
VRS 98, 371 [372 f.] = NZV 2001, 47; OLG D. DAR 1998, 318 [319]; SenE v. 02.05.2000 -
Ss 198/00 Z -; SenE v. 05.05.2000 - Ss 131/00 Z -; Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 80 Rdnr. 4-8
m. w. Nachw.). Falls sich das Amtsgericht lediglich infolge eines Versehens nicht an
anerkannte Rechtsgrundsätze gehalten hat, liegt ein Rechtsfehler im Einzelfall vor, der eine
Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht gebietet, selbst wenn der Rechtsfehler
offensichtlich ist (SenE v. 02.05.2000 - Ss 198/00 Z -; OLG Köln VRS 57, 132; Göhler,
OWiG, 12. Aufl., § 80 Rdnr. 5 m. w. Nachw.).
Davon ausgehend ist im vorliegenden Fall auch der Zulassungsgrund der Einheitlichkeit
der Rechtsanwendung nicht gegeben.
Soweit das Amtsgericht in Bezug auf den festgestellten Irrtum des Betroffenen hinsichtlich
der Notwendigkeit der Gebührenentrichtung vor dem Auffahren auf die Autobahn die Frage
der Vermeidbarkeit im Sinne des § 11 Abs. 2 OWiG nicht erörtert hat, beruht dies nicht auf
grundsätzlichen Erwägungen, die eine Wiederholung erwarten ließen. Im übrigen sind
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Anhaltspunkte für eine Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums nicht erkennbar (vgl. zur
Unerheblichkeit des vermeidbaren Verbotsirrtums für den Vorsatz: Göhler a.a.O. § 11 Rdnr.
19 m. w. Nachw.; Rengier a.a.O. § 11 Rdnr. 51 m. w. Nachw.).
Soweit es schließlich den Rechtsfolgenausspruch betrifft, ist nicht erkennbar, dass das
Amtsgericht die Grundsätze zur Bedeutung von Bußgeldkatalogen außerhalb der
Rechtsverordnung zu § 26 a StVG zum Nachteil des Betroffenen verkannt hat (vgl. dazu
OLG D. VRS 99, 136 = NZV 2000, 425 = VM 2001, 5; SenE v. 25.10.1996 - Ss 522/96 B -;
SenE v. 30.05.2000 - Ss 225/00 B -; Göhler a.a.O. § 17 Rdnr. 32). Die Überschreitung des
herangezogenen Richtsatzes beruht, wie im Urteil ausdrücklich erklärt wird, auf einem
Irrtum und stellt mithin einen Fehler im Einzelfall dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1 StPO, 46 OWiG.