Urteil des OLG Köln vom 28.10.2009
OLG Köln (ne bis in idem, zulässigkeit der auslieferung, auslieferung, strafe, verurteilung, eugh, ordre public, strafrechtliche verfolgung, staat, vertragsstaat)
Oberlandesgericht Köln, 6 AuslA 77/09
Datum:
28.10.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 AuslA 77/09
Tenor:
1. Die Auslieferung des niederländischen Staatsangehörigen H Q nach
Belgien zur Vollstreckung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl
des Appelationshofs Antwerpen, Berufungsgericht vom 17.3.2008 (Az.
47 P 2004) enthaltenen Verurteilung durch die 9. Kammer das
Berufungsgericht in Antwerpen vom 28.6.2007 (Az. 47 P 2004,
Kanzleinummer 1301/2007) wird für zulässig erklärt.
2. Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird angeordnet.
G r ü n d e
1
I.
2
Der Verfolgte ist aufgrund einer Ausschreibung der belgischen Behörden im
Schengener Informationssystem - SIS - vom 31.3.2009 (SIDN: BC xxx001) am 6.8.2009
in Heinsberg festgenommen worden.
3
Gegen ihn liegt ein Europäischer Haftbefehl des Appellationshofs Antwerpen,
Berufungsgericht vom 17.3.2008 (Az. 47 P 2004) vor – ausgestellt von Generalanwalt M.
T –.
4
In dem Europäischen Haftbefehl ersuchen die belgischen Behörden um die
Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung des rechtkräftigen Urteils
des Berufungsgerichts in Antwerpen – 9. Kammer - vom 28.6.2007 (Az. 47 P 2004,
Kanzleinummer 1301/2007), durch das der Verfolgte zu einer Freiheitsstrafe von 6
Jahren verurteilt worden ist, von der noch 1814 Tage zu verbüßen sind.
5
Die Verurteilung ist – wie es wörtlich in dem Europäischen Haftbefehl heißt - wegen
folgender Straftaten erfolgt:
6
"G J , Buchhalter M E, D S gemeinsam und unter
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der Leitung von G M (der hierfür nicht verurteilt wurde)
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organisierten im Zeitraum von Januar 1999 bis Dezember 2000 einen MwSt.-
9
Karussellbetrug.
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Auch J L war dabei beteiligt, bei den Nichtanzeigenden.
11
Die Organisation kaufte direkt neue Mercedes-Benz-Wagen, die mit Bargeld
12
bezahlt wurden.
13
Auf Papier (Rechnungsfluss) lief von einer niederländischen Gesellschaft
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K AUTOCAR zu einer luxemburgischen Gesellschaft N (P
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C war deren Geschäftsführer zusammen mit D S,) die
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weiterverkaufte an 15 (aufeinanderfolgende) belgische Gesellschaften =
17
Nichtanzeigende, die an die F (GmbH belgischen Rechts) K verkauft
18
(selbstverständlich verlustträchtig), die schließlich an Privatverkäufer faktuiert.
19
Der Kreis um die K war parallel zu einem organisierten MwSt.-
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Karusselbetrug um die O Trading Marketing Group Belgium im Zeitraum vom 1.
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März 1998 bis 1. Januar 2000.
22
Nach der Verhaftung von G wird der MwSt.-Betrug um die O R
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V Belgium fortgesetzt. Der Betrug gilt jetzt brauner Ware (= Radio, TV, DVD,
24
…) und Rechnerteilen.
25
Die Ware wurde direkt bei einem deutschen Lieferanten W
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eingekauft, der direkt an Belgien lieferte, unter anderem auf dem Platz
27
"X " in Antwerpen.
28
Die Fakturierung wurde von Q H organisiert. Sie lief über eine
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luxemburgische Gesellschaft zu dem Nichtanzeigenden und anschließend zwei
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Puffergesellschaften.
31
Er kontrollierte die Gesellschaften über Strohmänner, darunter Y VAN
32
Z und Ss D."
33
Der Verfolgte ist am 7.8.2009 von dem Amtsgericht Geilenkirchen zu dem
Auslieferungsersuchen angehört worden. Er hat sich weder mit der Auslieferung im
vereinfachten Verfahren eiO erstanden erklärt, noch hat er auf die Einhaltung des
Grundsatzes der Spezialität verzichtet.
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Der Senat hat durch Beschluss vom 14.8.2009 die Auslieferungshaft angeordnet.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Köln hat dem Senat die Akten nunmehr mit dem Antrag
übersandt, die Auslieferung für zulässig zu erklären.
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Der Verfolgte beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären und den
Auslieferungshaftbefehl aufzuheben. Die Verurteilung sei unter Verletzung des
Spezialitätsgrundsatzes ergangen. Außerdem stehe der Auslieferung der Grundsatz "ne
bis in idem" entgegen, denn er sei wegen des identischen Tatkomplexes in den
Niederlanden bereits zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 11 Monaten verurteilt
worden.
37
II.
38
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist zu entsprechen. Die Auslieferung des
Verfolgten ist zulässig. Auslieferungshindernisse bestehen nicht.
39
1.
40
Der Europäische Haftbefehl des Appellationshofs Antwerpen vom 17.3.2008 (Az. 47 P
2004) ist nach §§ 79 Abs. 1, 83 a Abs. 1 IRG als Auslieferungsersuchen einer
zuständigen Stelle anzusehen.
41
Er enthält alle nach § 83 a Abs. 1 IRG notwendigen Angaben. Insbesondere sind die
dem Verfolgten zur Last gelegten Taten nach Zeit und Ort unter Angabe der nach dem
belgischen Recht einschlägigen Gesetzesbestimmungen hinreichend konkretisiert.
42
2.
43
Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten sind strafbar nach Art. 73 MWSt-
Gesetzbuch, Art. 324 ter, 323, 505, 40, 65 und 66 des belgischen Strafgesetzbuchs. Auf
die - ebenfalls gegebene - Strafbarkeit nach deutschem Recht kommt es gemäß § 81
Ziff. 4 IRG nicht an, weil die dem Ersuchen zu Grunde liegende Tat der Beteiligung an
einer kriminellen Vereinigung und der Geldwäsche in den Katalog gemäß Art. 2 Abs. 2
des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl
und die Übergabeverfahren (Abl. EG Nr. L 190 S. 1) fällt.
44
4.
45
Die Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 Ziff. 2 IRG sind ebenfalls erfüllt, denn es ist eine
Freiheitsstrafe zu vollstrecken, deren Maß mehr als 4 Monate beträgt.
46
5.
47
Die Einwände des Verfolgten stehen der Zulässigkeit der Auslieferung nicht entgegen.
48
a.
49
Soweit der Verfolgte geltend macht, bei seiner Verurteilung durch die belgischen
Gerichte sei nach Auslieferung durch die niederländischen Behörden der
Spezialitätsgrundsatz verletzt worden, braucht dem nicht näher nachgegangen zu
werden, denn ein solcher Verstoß würde nicht gemäß § 73 IRG den wesentlichen Kern
der Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens berühren. Dieser beinhaltet das
zwingende Gebot, dass der Beschuldigte im Rahmen der von der Verfahrensordnung
aufgestellten angemessenen Regeln die Möglichkeit haben und auch tatsächlich
ausüben können muss, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen
ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen und deren
umfassende und erschöpfende Nachprüfung und gegebenenfalls Berücksichtigung zu
erreichen. Der wesentliche Kern dieser Gewährleistungen gehört von Verfassungs
wegen zum uO erzichtbaren Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung wie auch zum
völkerrechtlichen Mindeststandard (BVerfGE 63, 332; NJW 1991, 1411). Ein diesen
Anforderungen genügendes rechtsstaatliches Verfahren ist vorliegend aber durchgeführt
worden: Dem Verfolgten stand es frei, die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatz im
Verfahren vor den belgischen Gerichten, bei dem er anwesend und durch Verteidiger
vertreten war, geltend zu machen, so dass seine Möglichkeit zu einer effektiven
Verteidigung und damit ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet waren.
50
b.
51
Auch steht der Zulässigkeit der Auslieferung nicht de Grundsatz "ne bis in idem"
entgegen.
52
aa.
53
Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 75, 1 ff) besteht keine allgemeine
Regel des Völkerrechts des Inhalts, dass eine Person wegen desselben
Lebenssachverhalts, dessentwegen sie bereits in einem anderen Staat zu einem
Freiheitsentzug verurteilt worden ist und diese Strafe auch verbüßt hat, in einem
anderen Staat nicht neuerlich angeklagt oder verurteilt werden darf, oder jedenfalls die
Zeit der in dem dritten Staat erlittenen Freiheitsentziehung im Falle einer neuerlichen
Verurteilung angerechnet oder berücksichtigt werden muss.
54
Art. 103 Abs. 3 GG verwehrt nur die mehrmalige Verurteilung eines deutschen
Straftäters durch deutsche Gerichte. Das verfassungsrechtliche Verbot der
Doppelbestrafung steht daher auch der Mitwirkung der BRD an der Vollstreckung eines
zweiten Strafurteils einer in einem fremden Staat abgeurteilten Straftat durch
Auslieferung des Täters an einen anderen fremden Staat nicht entgegen. Diese
Mitwirkung verstößt als solche nicht gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.
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Allerdings gehört es zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, dass die Schwere der Straftat und das Verschulden des Täters zu
der angedrohten und verhängten Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen muss.
Eine Strafandrohung oder Verurteilung darf daher nach Art und Maß dem unter Strafe
stehenden Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein. Der Kernbereich dieser
Anforderungen zählt zu dem unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen
Ordnung der BRD und ist auch im Auslieferungsverkehr – hier gemäß § 73 Satz 2 IRG
(europäischer – ordre public) - zu beachten.
56
Den zuständigen deutschen Organen wäre es verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern,
wenn die Strafe, die gegen ihn im ersuchenden Staat verhängt wurde, unerträglich hart,
mithin unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt unangemessen erschiene.
Entsprechendes gilt, wenn die im ersuchenden Staat verhängte Strafe mit Blick auf eine
Nichtanrechnung oder Nichtberücksichtigung der in einem Drittstaat wegen derselben
Tat erlittenen Strafe diese äußerste Grenze überschreiten würde. Anderes gilt, wenn die
zu vollstreckende Strafe nur als in besonderem Maße hart anzusehen ist und bei einer
strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts bereits nicht mehr als
angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des
von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus. Es
gebietet daher zugleich, fremde Rechtsordnungen und Rechtsanschauungen
grundsätzlich zu achten (BVerfG E 108,129, 136). Als unerträglich hart oder
unmenschlich im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG kann die in Belgien verhängte
Strafe auf unter Berücksichtigung der in den Niederlanden ausgeurteilten Strafe nicht
angesehen werden nur weil die Höchststrafe nach deutschem Recht von 10 Jahren (§
263 Abs. 3 StGB) für eine Tat um knapp 2 Jahre überschritten wäre. Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit würde der Auslieferung aber auch deshalb nicht entgegenstehen,
weil die in den Urteilen der Rechtsbank Roermond vom 16.7.2004 (Az. 04/610027 - 01),
des Gerichtshof’s -Hertogenbosch vom 18.4.2006 (Az. 20 - 003149 - 04) und des Hoge
Raad der Nederlanden vom 18.3.2008 (Az. S. 03306/06) auf niederländischer Seite und
den Urteilen der Correctionele Rechtbank Tongeren vom 19.9. 2003 (Az. TG:20.CP.596-
99), des Hof van Beroep in Antwerpen vom 28.6.2007 (Az. 1301) und des Hof van
Cassatie van Belgié vom 27.11.2007 ( Az. P.07.1191.N/1) auf belgischer Seite
abgeurteilten Straftaten nicht dieselben Taten betreffen.
57
bb.
58
Aus demselben Grund greift innerhalb der Anwendungsbereichs des Europäischen
Haftbefehls auch das Auslieferungsverbot nach § 83 Ziff. 1 IRG nicht. Nach dieser
Artikel 3 Ziff. 2 RbEuHb umsetzenden Vorschrift ist die Auslieferung unzulässig, wenn
der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegt,
bereits von einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, soweit die
Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nicht mehr vollstreckt
werden kann.
59
Es ist schon fraglich, ob die Vorschrift den Fall erfasst, dass ein Mitgliedstaat um die
Auslieferung zur Vollstreckung ersucht, nachdem in einem anderen Mitgliedstaat
ebenfalls eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist, die die - vermeintlich - selbe Tat
betrifft. Art. 54 SDÜ verbietet es, jemanden, der wegen einer Tat durch eine
Vetragspartei rechtskräftig verurteilt worden ist, durch eine andere Vertragspartei wegen
derselben Tat zu verfolgen. Gegen dieses Verbot haben die belgischen Behörden nicht
verstoßen, denn das in Belgien ergangene Urteil ist - wie dargelegt - vor der
niederländischen Verurteilung rechtskräftig geworden. Es ist allgemein anerkannt, dass
das Art. 54 SDÜ beinhaltende transnationale Verbot doppelter Strafverfolgung in dem
entsprechend gestalteten § 83 Ziff. 1 IRG umgesetzt ist. Die Voraussetzungen der
Vorschriften korrespondieren und sind deshalb einheitlich auszulegen (von Bubnoff,
Das EuHB-Gesetzt 2006 S. 12; Böse in Grützner/Ptötz/Kress, Internationaler
Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, § 83 Rdn. 2). Ist eine strafrechtliche
Verfolgung in dem ersuchenden Mitgliedstaat nach Art. 54 SDÜ ausgeschlossen,
scheidet auch eine Auslieferung zu diesem Zweck aus (Böse a.a.O. Rdn. 4). Würde man
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demgegenüber § 83 Abs. 1 Ziff. 1 IRG nicht nur auf die Auslieferung wegen
Verfolgungsersuchen anwenden, sondern auch auf den Fall des
Auslieferungsersuchens zur Vollstreckung eines Urteils, wäre es Sache des ersuchten
Staates, das rechtskräftige Urteil eines Mitgliedstaates unter Heranziehung der in einem
anderen Vertragsstaat ergangenen Entscheidung auf die Einhaltung des Grundsatzes
"ne bis in idem" zu überprüfen, obwohl der Verfolgte - wie er vorliegend selbst darlegt -
diesen Einwand in den Verfahren beider Mitgliedstaaten erhoben hat. Das würde dem
im Auslieferungsverfahren geltenden Grundsatz widersprechen, den anderen
Mitgliedstaaten Vertrauen entgegenzubringen und andere Rechtsordnungen
weitestgehend zu tolerieren. Dementsprechend führt auch der Europäische Gerichtshof
in ständiger Rechtsprechung zu § 54 SDÜ aus, es sei Sache der zuständigen
nationalen Instanzen zu prüfen, ob der Grad der Identität und des Zusammenhangs aller
zu vergleichender tatsächlicher Umstände den Schluss zulässt, dass es sich um
dieselbe Tat handelt (vgl. nur EuGH Urteil vom 18.7.2007 - C- 367/05 Rs. Kraaijenbrink
NJW 2008, 164).
Der Senat hat davon abgesehen, die Frage des Anwendungsbereichs von Art. 3 Ziff. 2
RbEuHb dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, da sich kein Anhaltspunkt dafür
ergibt, dass vorliegend in den Verfahren beider Länder auch nur teilweise dieselbe
Taten abgeurteilt worden sind.
61
Nach der Definition des Europäischen Gerichtshofs ist das einzige maßgebende
Kriterium für die Anwendung von Art. 54 SDÜ das der Identität der materiellen Tat,
verstanden als eines Komplexes konkreter, unlösbar miteinander verbundener
Tatsachen. Die materiellen Taten müssen in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie
nach ihrem Zweck einen unlösbaren Komplex bilden, unabhängig von der rechtlichen
Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten rechtlichen Interesse
(EuGH, Urteil vom 9.3.2006 - Rs. C-436/04 Van Esbroeck Jz 2006, 1018; EuGH Urteil
vom 28.9.2006 - C - 467/04 Rs. Gasparini NJW 2006, 3403; Urteil vom 28.9.2006 RS. C-
150/05 van Straaten NJW 2006, 3406; Urteil vom 18.7.2007 - C- 367/05 Rs.
Kraaijenbrink NJW 2008, 164; EuGH Urteil vom 18.7.2007 - C - 288/05 Kretzinger NJW
2007, 3412).
62
Diese Voraussetzungen können beispielsweise erfüllt sein bei der Ausfuhr von
Betäubungsmitteln aus dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates und der Einfuhr
derselben Betäubungsmittel in einen anderen Vertragsstaat (EuGH, Urteil vom
9.3.2006- Rs. C-436/04 van Esbroeck Jz 2006, 1018; Urteil vom 28.9.2006 RS. C-
150/05 van Straaten NJW 2006, 3406), bei der Übernahme geschmuggelten
ausländischen Tabaks in einem Vertragsstaat sowie der Einfuhr in einen anderen
Vertragsstaat und der dortige Besitz, wobei der Beschuldigte von Anfang an vorhatte,
den Tabak nach der Verbringung in den ersten Vertragsstaat zu einem endgültigen
Bestimmungsort zu transportieren (EuGH Urteil vom 18.7.2007 Rs. C-288/05 Kretzinger
NJW 2007, 3412). Im Falle des Drogenhandels in einem Vertragsstaat und der
Geldwäsche von Gewinnen aus dem Drogenhandel in einem anderen Vertragstaat ist
für die Annahme einer einheitlichen Tat erforderlich, dass eine objektive Verbindung
zwischen den Geldbeträgen nachgewiesen wird. Es handelt sich nicht schon deshalb
um dieselbe Tat i.S.d. Art. 54 SDÜ, weil die Taten durch einen einheitlichen Vorsatz
verbunden sind (EuGH Urteil vom 18.7.2007 - C- 367/05 Rs. Kraaijenbrink NJW 2008,
164). Die Vermarktung geschmuggelter Ware in einem Mitgliedstaat im Anschluss an
ihre Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat kann Bestandteil derselben Tat i.S.d. Art. 54
SDÜ sein (EuGH Urteil vom 28.9.2006 - C - 467/04 Rs. Gasparini NJW 2006, 3403).
63
Gemeinsam ist diesen Fällen, dass es sich um dieselben Waren handelt bzw. um Erlöse
aus dem illegalen Verkauf bestimmter Waren. Dass vorliegend die Kaufverträgen, die
Gegenstand der in Belgien und den Niederlanden ergangenen Urteile sind, dieselben
Waren betreffen, hat der Verfolgte trotz entsprechender Auflage des Senats nicht näher
dargelegt. Aus den in den Urteilen aufgeführten Namen der jeweiligen Vertragspartner
ergibt sich eine solche Übereinstimmung nicht. Soweit im Urteil der Rechtsbank
Roermond vom 16.7.200 die Firma Ww Bb Jj B.V. und im Urteil der Dd Tt Uu vom
19.9.2003 eine Firma Ww B. V. aufgeführt wird, mag trotz unterschiedlichen
Firmenbezeichnung, wie der Verfolgte geltend macht, dieselbe Firma gemeint sein.
Dass besagt aber nicht, dass sich die in den Urteilen jeweils erfassten Kaufverträge auf
dieselben Waren beziehen. Zudem vertritt der Senat die Auffassung, dass der
Abschluss und die Abwicklung der einzelnen Kaufverträge, die Gegenstand der
jeweiligen Urteile sind, gesonderte Taten darstellen, die jede für sich für sich der
Realisierung eines gesonderten wirtschaftlichen Vorteils dient. Der BGH hat im Urteil
vom 9.6.2008 (NStZ 2009, 457) eine einheitliche, zäsurlose Schmuggelfahrt durch
mehrere Länder als eine Tat i.S.d. Art. 54 SDÜ angesehen, allerdings einschränkend
ausgeführt, eine wesentliche Unterbrechung im Rahmen der Fahrt könne bereits eine
Zäsur bilden, die dazu führe, dass die Tat aus zwei voneinander trennbaren
Tatsachenkomplexen bestehe. Auch könne ein längeres Zwischenlagern dazu führen,
dass die Ware "zur Ruhe gekommen" sei und deshalb eine einheitliche Schmuggelfahrt
nicht mehr angenommen werden könne. Ähnliches soll gelten, wenn der genaue Ablauf
des Transports bei Beginn der Fahrt noch nicht feststehe und noch weitere
Entscheidungen über das weitere Vorgehen oder die zu wählende Transportroute vor
Fortführung des Transports Weisungen von Hinterleuten eingeholt werden müssten.
Wie ausgeführt reicht es auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof
zur Annahme einer einheitlichen Tat im Sinne eines unlösbar miteinander verbundenen
Tatsachenkomplexes nicht aus, dass die Taten durch einen einheitlichen Vorsatz
verbunden sind (EuGH Urteil vom 18.7.2007 - C- 367/05 a.a.O.). Dementsprechend
kann eine Kette selbständiger Lieferverträge, in die durchaus auch gutgläubige Dritte
eingeschaltet sein können, nicht schon zur Annahme einer Tat führen.
64
Soweit dem Verfolgten in beiden Verfahren die Beteiligung an einer kriminellen
Vereinigung zur Last gelegt worden ist, lässt sich eine Personenidentität nicht
feststellen, denn in den Urteilsgründen beider Verfahren werden verschiedene
Personen benannt. Im Übrigen kann die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur
Klammerwirkung der Organisationsdelikte nicht uneingeschränkt auf den Tatbegriff
i.S.d. § 83 Ziff. 1 IRG, Art. 54 SDÜ übertragen werden, da es sich bei diesem um einen
eigenständigen, autonom europarechtlich auszulegenden Begriff handelt (BGH NStZ
2009, 457; von Bubnoff, a.a.O. S. 12). Zudem hat der 3. Strafsenat des
Bundesgerichtshofs in den beiden Entscheidungen vom 30.3.2001 (Az. 342/00 = NStZ
2001, 346 und StB 4/01 und 5/01 = NStZ 2002, 328) ausgeführt, er neige dazu, auch bei
einem Organisationsdelikt mehrere prozessuale Taten anzunehmen, wenn nur einzelne
Betätigungen des Beschuldigten als Mitglied einer solchen Organisation Gegenstand
der früheren Anklage und der früheren gerichtlichen Untersuchung war und der
Angeklagte nicht darauf vertrauen durfte, dass durch das zuerst eingeleitete Verfahren
alle Betätigungsakte für die Vereinigung erfasst wurden.
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Da der Verurteilte niederländischer Staatsangehöriger ist und vor seiner Festnahme in
dieser Sache keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, sind auch keine
Bewilligungshindernisse ersichtlich.
66
III.
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Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird aus den Gründen der Senatsentscheidung
vom 14.08.2009 angeordnet. Es besteht weiterhin Fluchtgefahr.
68