Urteil des OLG Köln vom 20.12.1996
OLG Köln (arbeitgeber, stgb, arbeitnehmer, sozialversicherung, nettolohn, zeitpunkt, höhe, unmöglichkeit, zahlung, betrag)
Oberlandesgericht Köln, 19 U 30/96
Datum:
20.12.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 30/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 20 O 466/95
Schlagworte:
Schadensersatzpflicht Arbeitgeber
Normen:
BGB § 823 Abs. 2; StGB § 266 a; RVO § 533
Leitsätze:
1. Ein Arbeitgeber hat Beitragsanteile regelmäßig auch dann
einbehalten, wenn er den Arbeitnehmern nur den Nettolohn auszahlt.
Ein Arbeitgeber, der den Nettolohn zu 100% auszahlt, behält die
Arbeitnehmeranteile zu 100% ein und muß diese zu 100% abführen. 2.
Vorenthalten werden Arbeitnehmerbeiträge im Sinne des § 266 a StGB
dann, wenn dem Arbeitgeber im Fälligkeitszeitpunkt die Abführung der
Sozialversicherungsbeiträge möglich ist. Das ist schon dann der Fall,
wenn dem Arbeitgeber noch Mittel zur Verfügung stehen, um ganz
konkret die fälligen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (und nur
diese) abzuführen. Der Umstand, daß er darüberhinaus zahlungsunfähig
ist, steht dem nicht entgegen.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 20. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 10.01.1996 - 20 O 466/95 - wird auf dessen
Kosten zurückgewiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
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Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht den Beklagten gemäß §
823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266 a StGB zur Zahlung von 31.991,74 DM als
Schadensersatz für nicht an die Klägerin abgeführte Arbeitnehmerbeiträge verurteilt.
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Der Beklagte hat den Tatbestand des § 266 a StGB erfüllt. Nach dieser Bestimmung
haftet der Arbeitgeber, der Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung der
Einzugsstelle vorenthält. Der Beklagte hat der Klägerin als Einzugstelle für die Zeit von
April 1992 bis zum September 1992 insgesamt 54.246,36 DM vorenthalten. Die Klägerin
hat diesen Betrag bereits in der Klageschrift dargelegt, ohne daß der Beklagte
widersprochen hätte. Auch im Berufungsrechtszug hat die Klägerin zur Ermittlung des
Betrages näher ausgeführt, ohne daß der Beklagte dem substantiiert entgegen getreten
wäre. Das wäre dem Beklagten aber möglich und zumutbar gewesen, denn die
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Zahlungen der späteren Gemeinschuldnerin an ihre Arbeitnehmer kennt der Beklagte
und weiß folglich auch, welche Arbeitnehmerbeiträge darauf entfallen. Ein Bestreiten mit
Nichtwissen ist deshalb unzulässig.
Hinzu kommt, daß dieser Betrag und seine Berechnung eingehend im rechtskräftigen
Urteil des Amtsgericht Köln vom 19.11.1993 - 583 Ls 307/93 - festgestellt worden ist.
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Der Beklagte war Geschäftsführer der späteren Gemeinschuldnerin und ist deshalb für
die Verwirklichung des Tatbestandes des § 266 a StGB gemäß § 14 StGB
verantwortlich.
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Entgegen der Ansicht der Berufungsbegründung hat der Beklagte auch den subjektiven
Tatbestand der Strafnorm verwirklicht. Der Senat folgt nicht der Ansicht des 22.
Zivilsenats des OLG Düsseldorf(GmbHR 1994, 404 f.), wonach der Tatbestand des §
266 a StGB nicht verwirklicht sein soll, wenn dem Geschäftsführer die Beitragsleistung
am Fälligkeitstag unmöglich gewesen sei, und daß diese Unmöglichkeit auf
Zahlungsunfähigkeit am Tage der Fälligkeit beruhen kann. Das OLG Düsseldorf hat sich
in dieser Entscheidung nicht mit der bisherigen Rechtsprechung zu dieser Frage
auseinander gesetzt.
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Vorenthalten werden Arbeitnehmerbeiträge im Sinne des § 266 a StGB dann, wenn dem
Arbeitgeber im Fälligkeitszeitpunkt die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge
möglich ist. Unmöglichkeit kann gegeben sein, wenn dem Arbeitgeber im maßgeblichen
Zeitpunkt die Zahlungsfähigkeit fehlt. Das ist aber dann nicht der Fall, wenn der
Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt noch so liquide ist, daß er jedenfalls die einbehaltenen
Beiträge zahlen kann. Der Umstand, daß daneben noch andere Verbindlichkeiten
bestanden und daß der Arbeitgeber auf diese geleistet hat, so daß er am Fälligkeitstag
zahlungsunfähig war, hindert die Verwirklichung des Tatbestandes des § 266 a StGB
nicht (so BGH VI ZR 327/95, Urteil vom 15.10.1996, noch unveröffentlicht). Eine
Unmöglichkeit ist nicht schon dann gegeben, wenn der Arbeitgeber überschuldet und
nicht mehr in der Lage ist, seinen Verbindlichkeiten Gläubigern gegenüber generell
nachzukommen. Unmöglichkeit ist nur dann gegeben, wenn dem Arbeitgeber die Mittel
nicht mehr zur Verfügung stehen, um ganz konkret die fälligen Arbeitnehmeranteile zur
Sozialversicherung (und nur diese) abzuführen. Das war hier nicht der Fall, weil der
Beklagte bis einschließlich September 1992 die Nettolöhne gezahlt und weil das
Konkursverfahren eröffnet worden ist.
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Der BGH (VersR 1975, 739 ff.) hat bereits früher zur Frage, ob der Arbeitgeber
Sozialversicherungsbeiträge einbehalten hat, u.a. ausgeführt:
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"Einbehalten" i. S. von § 533 RVO und § 213 AVAVG sind die Beitragsteile regelmäßig
dann, wenn der Arbeitgeber die vertragliche Vergütung der Arbeitnehmer im Hinblick auf
deren Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsleistungen um die
entsprechenden Beträge gekürzt auszahlt (vgl. RGSt 40, 43; BayObLGSt 52, 178).
Wenn ein Arbeitgeber den Arbeitnehmern nur den Nettolohn auszahlt, so wird es vom
Gesetz so angesehen, als hätten diese den Bruttolohn erhalten, ihre Beitragsanteile zur
Sozialversicherung aber dem Arbeitgeber zur Weiterleitung an die Kasse der
Sozialversicherung zurückgezahlt (Senatsurteil vom 7.6.1963 - VI ZR 144/62 = VersR
63, 1034 (1035).
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Diese Feststellung ist wichtig im Hinblick darauf, ob der Beklagte sich darauf berufen
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kann, bei der Auszahlung der Nettolöhne an die Arbeitnehmer sei der Anspruch der
Klägerin nicht fällig gewesen, weil die Sozialversicherungsbeiträge erst am 15. des
Folgemonats zu zahlen seien. Für die Frage der Unfähigkeit zur Abführung der
Sozialversicherungsbeiträge komme es auf den späteren Zeitpunkt an. Wenn dann
Zahlungsunfähigkeit vorliege, handele der Verpflichtete jedenfalls nicht schuldhaft. Dies
ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht zutreffend.
Vielmehr hat der BGH (VersR 1980, 647 ff.) dazu ausgeführt:
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a) Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 28.6.1960 (VI ZR 146/59 = VersR 60, 748)
ausgeführt, daß das Vorhandensein oder die Aussicht anderweitiger Deckung
grundsätzlich nicht von der gesetzlichen Verpflichtung befreit, diejenigen Beträge zur
fälligkeitsgemäßen Abführung an die berechtigte Kasse i. S. von § 533 RVO
bereitzuhalten,
die den Arbeitnehmern bei der Lohnauszahlung einbehalten
wurden
Abführung der freien Verfügung des Arbeitgebers unterliegen; dieser ist vielmehr gleich
einem Treuhänder seiner Arbeiter in seiner Verfügungsbefugnis beschränkt und darf nur
in der Weise die einbehaltenen Beiträge verwenden, daß er sie an den
Sozialversicherungsträger (SVT) abführt. Damit erfüllt der Arbeitgeber nicht eine in
ihrem Ursprung eigene Schuld; er leistet vielmehr einen wirtschaftlich dem Einkommen
seiner Arbeiter zuzurechnenden Betrag an deren Stelle und vermindert daher nicht sein
eigenes Vermögen, sondern führt ab, was er aus Gründen der
Verwaltungsvereinfachung vorher nicht als Lohnteil ausgezahlt hat (vgl. hierzu
Senatsurteile vom 7.6.1963 - VI ZR 144/62 = VersR 63, 1034 und vom 29.2.1972 - V1
ZR 199/70 - BGHZ 58, 199 = VersR 72, 554).
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Demzufolge waren die beiden Bekl. gehalten, die auf die zum 30.6.1973 ausgezahlten
Löhne entfallenden Arbeitnehmerbeträge so bereitzuhalten, daß sie am 10.7., dem
Fälligkeitstag, unabhängig von ausstehenden Zahlungseingängen und von der
Möglichkeit, über entsprechenden Bankkredit zu verfügen, in der Lage waren, diese an
die Kl. abzuführen. Dagegen aber haben die Bekl. nach ihrem eigenen Vorbringen
offensichtlich verstoßen. Sie vermögen sich daher nicht auf ein plötzlich eintretendes
Ereignis zu berufen, das unerwartet zu finanziellen Schwierigkeiten ihrer Gesellschaft
und zu einer Kreditsperre geführt hat mit der Folge, daß sie außerstande gesetzt
wurden, die einbehaltenen Beitragsanteile abzuführen. Daß sie bereits im Zeitpunkt der
letzten Lohnauszahlung wegen zu geringer flüssiger Mittel nicht in der Lage gewesen
seien, die einbehaltenen Arbeitnehmeranteile in gesicherter Weise bereitzustellen, ohne
die Fortführung des Unternehmens zu gefährden, haben die Bekl. nicht geltend
gemacht. Aber auch dann durfte von einer solchen Bereitstellung der zu Lasten der
Arbeitnehmer auch bereits lohnsteuerlich erfaßten Anteile nicht abgesehen werden, um
diese Mittel im Unternehmen anderweitig zu nützen, wie es die Bekl. offensichtlich getan
haben.
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b) Demnach stellen die Bekl. ein vorsätzliches Handeln vergeblich in Abrede. Sie
kannten ihre Verpflichtung zur Abführung der eingehaltenen Beitragsanteile und kamen
dieser bewußt nicht nach; sie haben daher diese Beträge der Kl. vorenthalten
(Senatsurteil vom 28.6.1960 aaO). Für ihre Ersatzpflicht gem. § 823 Abs. 2 BGB i. Vbdg.
m. §§ 533, 536 Nr.2 RVO genügt es, daß sie sich dieses Verstoßes gegen die Pflicht zur
Beitragsabführung bewußt gewesen sind. Auf eine Schädigung der Klage. brauchte sich
ihr Vorsatz nicht zu erstrecken. Deshalb ist es unerheblich, wenn sie darauf vertraut
haben, die Beitragsschuld zum Fälligkeitstag mit Mitteln aus einem Kredit erfüllen zu
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können. Wie schon ausgeführt wurde, waren sie zur unbedingten Sicherstellung der
einbehaltenen Beitragsanteile verpflichtet und können sich nicht auf ein
unverschuldetes Unvermögen berufen, wenn nach der Verletzung dieser Pflicht die
erwartete Möglichkeit der Wiederbeschaffung der abzuführenden, jedoch
zwischenzeitlich anderweitig verwendeten Gelder - ganz gleich aus welchen Gründen -
nicht eintrat.
Aus dieser und der vorhergehend zitierten Entscheidung folgt, daß der Beklagte auch
dann Arbeitnehmerbeiträge einbehalten hat, wenn er den vollen Nettolohn an die
Arbeitnehmer auszahlte. (So BGH VersR 1979, 247):
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Ein Arbeitgeber, der den Nettolohn zu 100% auszahlt, behält die Arbeitnehmeranteile zu
100% ein und muß diese zu 100% abführen."
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Wenn der Beklagte jetzt vorträgt, die Gemeinschuldnerin sei schon vor April 1992
zahlungsunfähig gewesen, so hätte er eben nicht den vollen Nettolohn auszahlen
dürfen, sondern hätte von diesem die Arbeitnehmerbeiträge einbehalten müssen. Da er
dies nicht tat, wird es vom "Gesetz so angesehen, als hätten die Arbeitnehmer den
Bruttolohn erhalten, ihre Beitragsanteile zur Sozialversicherung aber dem Arbeitgeber
zur Weiterleitung an die Kasse der Sozialversicherung zurückgezahlt (VersR 63, 1034
(1035).
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Daraus folgt, daß entgegen der Ansicht des OLG Düsseldorf die Strafnorm des § 266 a
StGB keinen absoluten Vorrang der Beitragsansprüche gegenüber allen anderen
fälligen Forderungen anderer Gläubiger begründet. Der Arbeitgeber zahlt eben nicht aus
seinem Vermögen, sondern aus den treuhänderisch überlassenen Lohnanteilen seiner
Arbeitnehmer. Ist er am Fälligkeitstag zahlungsunfähig, ist dies immer schuldhaft, wenn
seit der Lohnzahlung an die Arbeitnehmer überhaupt noch Gelder ausgegeben worden
sind. Daß dies der Fall war ergibt sich zwingend daraus, daß die Nettolöhne bis
September 1992 geflossen sind.
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Vergeblich wendet sich der Beklagte gegen die Schadenshöhe mit der Begründung, die
Klägerin habe in der Vergangenheit die Gesamthöhe der Sozialversicherungsbeiträge
in unterschiedlicher Höhe angegeben. Das ist so nicht richtig. Den Anspruch gegen den
Beklagten hat sie stets gleich berechnet.
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Aus dem Schreiben der Klägerin vom 27.03.1995, in dem sie mitteilt, daß der
Konkursverwalter die Masseforderung in voller Höhe gezahlt hat, zieht die Klägerin die
falsche Schlußfolgerung, daß damit der Schaden der Klägerin entfallen sei. Von der
Zahlung des Konkursverwalters entfiel nur ein Teil auf die rückständigen Zahlungen des
Beklagten, was die Klägerin zutreffend berücksichtigt hat.
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Schließlich hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 28.11.1996 unter Bezugnahme auf die
gleichzeitig überreichten Anlagen begründet ausgeführt, daß die Rückstände für April
und Mai 1992 (bis auf den 31.05.1992) nicht in die Monatsfrist des § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO
fallen, so daß der Konkursverwalter auf diesen Zeitraum nur 663,62 DM gezahlt hat. Für
die Monate Juni und August 1992 macht die Klägerin die Hälfte der Beträge geltend, die
das Arbeitsamt nach § 141 n AFG geleistet hat. Da das Arbeitsamt für September die
vollen Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerbeiträge nach § 141 n AFG leistete, kann die
Klägerin für diesen Monat die Arbeitnehmerbeiträge in voller Höhe vom Beklagten
verlangen, weil die Leistungen des Arbeitsamtes als Sozialleistungen dem Beklagten
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nicht zugute kommen.
Die Leistungen des Arbeitsamtes muß die Klägerin sich nicht anrechnen lassen. Auf die
zutreffend Begründung des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen. Ergänzend
wird verwiesen auf BGH VersR 1979, 247 f.:
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Der Klägerin ist auch ein Schaden in der errechneten Höhe entstanden, obwohl die
Konkursausgleichskasse die Beiträge an die Klägerin gezahlt hat. Auf den
Schadensersatzanspruch braucht sich die Klägerin diese Zahlungen nicht anrechnen zu
lassen. ...
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Der Beklagte als zum Schadensersatz Verpflichteter kann sich nicht auf diese
Zahlungen berufen, die dem Geschädigten zugute kommen und nicht den Schädiger
entlasten sollen (ebenso wie bei der Lohnfortzahlung).
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert und Wert der Beschwer der Beklagten: 31.991,74 DM
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