Urteil des OLG Köln vom 16.06.1999
OLG Köln: vernehmung von zeugen, behandlungsfehler, zahnarzt, zahnärztliche behandlung, schmerzensgeld, anhörung, sicherheitsleistung, vollstreckung, unterlassen, provisorisch
Oberlandesgericht Köln, 5 U 160/97
Datum:
16.06.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 160/97
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 128/94
Tenor:
Die Berufung der Klägerin und die Anschlußberufung des Beklagten
gegen das am 30. Juli 1997 verkündete Urteil des Landgerichts Köln -
25 O 128/94 - werden zurückgewiesen. Die Kosten des
Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 98% und der Beklagte zu
2% zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,- DM
abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 2.000,- DM abwenden, wenn nicht die
Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der
Klägerin wird gestattet, eine Sicherheitsleistung auch durch
selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder
öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
Tatbestand
1
Am 19. Juni 1991 suchte die Klägerin den Beklagten, einen in G. niedergelassenen
Zahnarzt, der an diesem Tag Notdienstbereitschaft hatte, auf, weil sie an starken
Zahnschmerzen im linken Oberkiefer litt. Der Beklagte diagnostizierte eine akute
Pulpitis am Zahn 26. Er führte unter Verwendung eines Wurzelkanalaufbereiters eine
Vitalextirpation durch und versorgte den Zahn nach Aufbereitung der erkrankten Wurzel
mit einer Füllung.
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Am 27. April 1992 begab sich die Klägerin wegen erneuter Beschwerden am Zahn 26 in
die Behandlung ihres Hauszahnarztes, des Zeugen Z.. Dieser entdeckte nach
Anfertigung einer Röntgenaufnahme in der Wurzel des Zahnes 26 die abgebrochene, 5
- 7 mm lange Spitze eines Wurzelkanalaufbereitungsinstrumentes. Dem Zeugen Z.
gelang es bei einer weiteren Behandlung der Klägerin am 19. Mai 1992 nicht, den
Fremdkörper zu entfernen. Er entschied sich zur Extraktion des Zahnes, die aber daran
scheiterte, daß sich die Betäubung nicht durchführen ließ. Der Oralchirurg Dr. H.
extrahierte den Zahn 26 am 16. Juni 1992 in Vollnarkose; einen Monat entfernte er in
gleicher Weise den entzündeten Zahn 25. Wegen anhaltender Beschwerden unterzog
sich die Klägerin im Oktober 1992 einer Kieferhöhlenoperation. Im September 1993
wurde eine erneute Kieferhöhlenrevision vorgenommen.
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Die Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, sie nicht darüber unterrichtet zu haben,
daß bei der Wurzelbehandlung das Wurzelaufbereitungsinstrument abgebrochen sei.
Hierzu hat sie behauptet, das Instrument sei bei der Behandlung durch den Beklagten
am 19. Juni 1991 - und nicht etwa bei einer späteren Behandlung durch einen anderen
Zahnarzt - abgebrochen. Der Beklagte habe den Abbruch auch bemerkt, ihr diesen
Umstand jedoch verschwiegen, den Zahn mit festem Zement dauerhaft verschlossen
und ihr gesagt, es sei nun alles in Ordnung. Der Beklagte habe sie nicht darauf
hingewiesen, daß sie sich in den nächsten Tagen zu einer Weiterbehandlung an ihren
Hauszahnarzt wenden müsse.
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Die Klägerin hat weiter behauptet, der Fremdkörper habe nicht nur auf das Wurzelwerk
des Zahnes 26, sondern auch auf den benachbarten Kieferknochen eingewirkt, so daß
nicht nur der Zahn 26, sondern auch der Zahn 25 habe entfernt werden müssen. Die
nach der Extraktion beider Zähne fortdauernden Beschwerden im Bereich der linken
Kieferhöhle und der linken Gesichtshälfte seien ebenfalls auf das Einwirken der
Instrumententeils auf den Kiefer zurückzuführen und hätten die nachfolgenden
Behandlungen und Operationen notwendig gemacht. Weitere Folgen seien ein Hörsturz
mit einem Hörverlust von 75 dB links, die völlige Taubheit der linken Gesichtshälfte
aufgrund der Durchtrennung des Trigeminusnervs, starke Dauerschmerzen bei
ständigem nächtlichen Speichelfluß, starke Sprachschwierigkeiten, eine
Luftundurchlässigkeit des linken Nasenloches und eine starke seelische Belastung
wegen der permanenten Schmerzen infolge der Operationen im Gesichtsbereich. Da
sich in der erkrankten Kieferhöhle immer wieder schmerzverursachende Entzündungen
bildeten, müsse sie täglich Schmerzmittel einnehmen.
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Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Ersatz der Aufwendungen für Arztbesuche,
stationäre Aufenthalte, Medikamente und Fahrtkosten, die sie auf 38.494,49 DM
beziffert, in Anspruch und verlangt ein Schmerzensgeld, das einen Betrag von 30.000,-
DM nicht unterschreiten sollte.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 38.494,49 DM nebst 4% Zinsen seit dem 11.
Mai 1994 zu zahlen,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu
zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
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1. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche Aufwendungen zu
ersetzen, die sie nach dem 31. Dezember 1993 im Zusammenhang mit dem
Behandlungsfehler vom 19. Juni 1991 und der damit verbundenen
Körperverletzung tätigen muß.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat behauptet, das Wurzelbehandlungsinstrument sei nicht bei der von ihm am 19.
Juni 1991 durchgeführten Behandlung abgebrochen. Er habe den Zahn 26 nach der
Aufbereitung des Wurzelkanals provisorisch mit Cavit verschlossen und die Klägerin
ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie in den nächsten Tagen zur Weiterbehandlung
ihren Zahnarzt aufsuchen müsse.
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Das Landgericht hat der Klägerin mit Urteil vom 30. Juli 1997 ein Schmerzensgeld von
1.500,- DM zugesprochen und die Klage im übrigen abgewiesen. Es hat sich - nach
Vernehmung von Zeugen - die Überzeugung gebildet, daß das
Wurzelkanalaufbereitungsinstrument bei der Behandlung am 19. Juni 1991
abgebrochen sei, ohne daß der Beklagte oder seine Zahnarzthelferin dies bemerkt
hätten, weil das Gerät nicht - wie es die Pflicht eines Zahnarztes sei - nach Beendigung
der Behandlung auf seine Unversehrtheit überprüft worden sei. Gestützt auf die
gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen Prof. Dr. Dr. P. und Dr. Dr. K. vom
23. Januar 1996, vom 18. September 1996 und vom 18. Juni 1997 hat das Landgericht
eine Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die von der Klägerin behaupteten
Folgeerkrankungen verneint. Die später aufgetretenen Beschwerden am Zahn 26 seien
nicht auf das abgebrochene Instrumententeil, sondern auf apikal entzündliche
Veränderungen des Zahnes zurückzuführen. Der Fremdkörper habe sich auch nicht auf
die umliegenden Strukturen ausgewirkt, insbesondere keine Entzündungen im Zahn 25
hervorgerufen; die entzündlichen Prozesse im Zahn 25 hätten sich nicht seitlich von
Zahn 26, sondern von oben entwickelt. Der Zahn 26 hätte auch dann entfernt werden
müssen, wenn der Abbruch des Instrumentes sogleich bemerkt worden wäre. Wäre die
Klägerin vom Beklagten auf diesen Umstand hingewiesen worden, sei allerdings davon
auszugehen, daß sie sich sogleich in weitere zahnärztliche Behandlung begeben hätte.
Eine Extraktion sei dann unter undramatischeren Umständen und ohne die akuten
Beschwerden, die sich bei der Klägerin wegen der grundsätzlich bestehenden
Schwierigkeiten bei der Anästesie über einen längeren Zeitraum hingezogen hätten,
möglich gewesen. Das rechtfertige ein Schmerzensgeld von 1.500,- DM.
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Eine weitergehende Haftung des Beklagten bestehe nicht. Der Beweis, daß er die
Klägerin nicht auf die Notwendigkeit einer Weiterbehandlung des nur provisorisch
versorgten Zahnes 26 hingewiesen habe, sei der Klägerin nicht gelungen.
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Gegen dieses ihr am 7. August 1997 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. September
1997 Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel mit einem am 3. November 1997, einem
Montag, eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist
bis zum 1. November 1997 verlängert worden war.
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Die Klägerin nimmt die landgerichtliche Feststellung, wonach ein Zusammenhang
zwischen dem im Wurzelkanal des Zahnes 26 verbliebenen Fragment des
Wurzelkanalbehandlungsinstruments und der nachfolgenden Extraktion des Zahnes 26
sowie der weiteren Erkrankungen nicht besteht, hin. Sie behauptet nunmehr, die zwei
übrigen Wurzelkanäle des Zahnes seien nicht verfüllt worden. Dies sei eine ständige
Infektionsquelle gewesen, die mit großer Wahrscheinlichkeit dazu geführt habe, daß der
Zahn 26 habe entfernt werden müssen.
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Einen - groben - Behandlungsfehler sieht die Klägerin ferner darin, daß der Beklagte -
nach ihrer Behauptung - den im Zeitpunkt der Notfallbehandlung entzündeten Zahn 26
trotz medikamentöser Einlage mit CHKM-Watte fest verschlossen habe.
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Weiter meint die Klägerin, auch wenn sie den Beklagten nur zur Notfallbehandlung
aufgesucht habe, sei dieser verpflichtet gewesen, die Ursache der Schmerzen
abzuklären. Dazu habe der Beklagte Röntgenaufnahmen des Zahnes 26 und der
benachbarten Zähne anfertigen müssen, um einen möglicherweise vorhandenen
Entzündungsherd zu lokalisieren. Gegebenenfalls hätte er sogleich eine Extraktion
durchführen müssen.
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Die Klägerin hält darüber hinaus an ihrer Behauptung fest, der Beklagte habe sie nicht
darauf hingewiesen, alsbald nach der Notfallbehandlung den Hauszahnarzt
aufzusuchen. Dagegen spreche insbesondere, daß der Beklagte den Zahn nicht - wie er
behaupte - mit Cavit, sondern mit festem Zement verschlossen habe. Weiter meint die
Klägerin, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, sie darüber aufzuklären, daß das
Wurzelkanalaufbereitungsinstrument bei der Behandlung abgebrochen sei; er habe
auch deswegen an sie die Aufforderung richten müssen, unverzüglich den
Hauszahnarzt aufzusuchen. Sie behauptet, wenn der Fremdkörper alsbald entfernt oder
der Zahn 26 extrahiert worden wäre, hätte sich eine Entzündung nicht entwickeln
können. Dann hätte auch der Zahn 25 nicht entfernt werden müssen und auch die
weiteren Komplikationen und Erkrankungen wären nicht eingetreten. Jedenfalls - so
meint die Klägerin - müßten ihr insoweit Beweiserleichterungen zugutekommen; daß
der Beklagte den Abbruch des Wurzelkanalaufbereitungsinstrumentes nicht bemerkt
habe, sei als grober Behandlungsfehler zu werten.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung nach ihren Schlußanträgen in 1.
Instanz zu erkennen, jedoch beim Schmerzensgeld gemäß Ziffer 2 abzüglich des
vom Landgericht zuerkannten Betrages in Höhe von 1.500,- DM,
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hilfsweise im Falle der Sicherheitsleistung ihr zu gestatten, diese durch Bürgschaft
einer deutschen Großbank oder Sparkasse beizubringen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er wiederholt sein erstinstanzlichen Vorbringen. Ergänzend behauptet er, er habe die
beiden anderen Wurzelkanäle des Zahnes 26 nicht unbehandelt gelassen; auch sie
hätten eine medikamentöse Einlage bekommen. Im übrigen habe er die Klägerin darauf
aufmerksam gemacht, daß sie ihren Hauszahnarzt aufsuchen müsse. Zu mehr sei er bei
einer notfallmäßigen Behandlung nicht verpflichtet gewesen.
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Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 13. Januar 1998 Anschlußberufung eingelegt.
Hierzu wiederholt er seine Behauptung, daß das Wurzelkanalaufbereitungsinstrument
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nicht bei der Behandlung am 19. Juni 1991 abgebrochen sei. Er führt dazu aus,
angesichts des langen Zeitraums zwischen der von ihm vorgenommenen Behandlung
und der Behandlung durch den Zeugen Z. am 27. April 1992 sei nicht auszuschließen,
daß die Klägerin in der Zwischenzeit noch einen anderen Zahnarzt aufgesucht habe.
Dafür spreche, daß der Zeuge Z. in dem Zahn 26 einen fest abbindenden Zement
festgestellt habe; er, der Beklagte, habe jedoch Cavit verwendet.
Der Beklagte beantragt,
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auf seine Anschlußberufung das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die
Klage insgesamt abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Anschlußberufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin tritt dem Vorbringen des Beklagten zur Anschlußberufung entgegen und
verteidigt das erstinstanzliche Urteil, soweit es ihr günstig ist.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und deren Anlagen
verwiesen.
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Der Senat hat gemäß dem Beschluß vom 4. März 1998 (Bl. 308-309 d.A.) Beweis
erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche
Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Z. und Dr. D. vom 2. November 1998 (Bl.
326-331 d.A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Anhörung der Sachverständigen
Dr. D. am 19. Mai 1999 (Bl. 347-349 d.A.) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässigen Rechtsmittel der Parteien bleiben in der Sache ohne Erfolg.
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I.
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Abgesehen von dem zuerkannten Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,- DM (dazu unter
II.) ist der Beklagte der Klägerin nicht aus positiver Vertragsverletzung oder aus
unerlaubter Handlung gemäß den §§ 823 Abs. 1, 847 BGB zur Leistung von
Schadensersatz verpflichtet.
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1. Der Beklagte hat keinen Behandlungsfehler dadurch begangen, daß er bei der
Notfallbehandlung am 19. Juni 1991 die beiden übrigen Wurzelkanäle des Zahnes 26
nicht verfüllt hat. Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof.
Dr. Dr. Z. und Dr. D. in ihrem Gutachten vom 2. November 1998 ist es bei der
Notfallbehandlung einer akuten Pulpitis nicht indiziert, eine sofortige Abfüllung aller
Wurzelkanäle durchzuführen. Die Notfallbehandlung verfolgt lediglich das Ziel, eine
Schmerzfreiheit des Patienten herbeizuführen. Sie umfaßt daher nur die Trepanation
des schmerzhaften Zahnes, die Entfernung des entzündeten oder gangränösen
Pulpengewebes, die Spülung der Wurzelkanäle mit einem geeigneten
Desinfektionsmittel und die Instillation eines geeigneten Medikamentes wie CHKM auf
einem Wattepallet oder Ledermixsalbe. Erst bei den nachfolgenden
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Behandlungsterminen ist es angezeigt, die Wurzelkanäle gründlich aufzubereiten und
anschließend definitiv abzufüllen.
Das Nichtabfüllen der Wurzelkanäle im Rahmen einer Notfallbehandlung stellt sich aber
nur dann nicht als fehlerhaft dar, wenn der Notfallzahnarzt den Patienten darauf
aufmerksam macht, daß eine Nachbehandlung - sei es durch ihn oder durch den
Hauszahnarzt - erforderlich ist. Ein Verstoß gegen die Pflicht, einen Patienten über die
Notwendigkeit einer weiteren Behandlung aufzuklären, ist ein Behandlungsfehler (vgl.
BGH, NJW 1991, 748, 749). Anders als bei der Eingriffsaufklärung, deren Beweis dem
Arzt obliegt, ist es Sache des Patienten zu beweisen, daß der Arzt eine erforderliche
therapeutische Sicherheitsaufklärung unterlassen hat (OLG München, VersR 1988, 523,
524; OLG Stuttgart, VersR 1996, 979; vgl. auch Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7.
Aufl., Rdn. 574).
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Es steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Beklagte es im Anschluß an
die Behandlung am 19. Juni 1991 unterlassen hat, die Klägerin auf die Notwendigkeit
einer Fortführung der Behandlung durch den Hausarzt hinzuweisen. Die Klägerin hat
bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht am 26. Juli 1995 zwar bekundet,
der Beklagte habe ihr gesagt, der Zahn sei jetzt zu, es müsse eigentlich alles in
Ordnung sein; wenn sie nochmal Schmerzen bekommen würde, solle sie ihn oder ihren
Hauszahnarzt aufsuchen. Auch hat der Ehemann der Klägerin hat bei seiner
Vernehmung bestätigt, sie habe ihm mitgeteilt, daß nach der Auskunft des Beklagten
jetzt alles wieder in Ordnung sei. Dem steht die Aussage Zeugin Ga., der
Zahnarzthelferin des Beklagten, entgegen, die bei ihrer Vernehmung bekundet hat, der
Beklagte habe der Klägerin gesagt, sie solle sich in den nächsten Tagen zu ihrem
Zahnarzt begeben oder mit dem Beklagten einen weiteren Termin ausmachen. Der
Senat sieht keinen begründeten Anlaß, den Angaben der Klägerin mehr Glauben zu
schenken als den Bekundungen der Zeugin Ga.. Die Klägerin hat immerhin einräumen
müssen, daß der Beklagte ihr geraten hat, jedenfalls dann erneut einen Zahnarzt
aufzusuchen, wenn sich wieder Schmerzen einstellen würden. Der Senat kann nicht
sicher ausschließen, daß die Klägerin, die froh darüber gewesen sein wird, daß der
Beklagte ihr durch die Behandlung die Schmerzen genommen hat, seinen Rat
mißverstanden und geglaubt hat, sie müsse sich nicht in jedem Fall nochmals bei ihrem
Hausarzt vorstellen. Dies mag sie dann so auch ihrem Ehemann vermittelt haben. Auch
ist es - wie schon das Landgericht ausgeführt hat - nicht völlig undenkbar, daß die
Klägerin den Rat des Beklagten wegen der mit einem weiteren Zahnarztbesuch
verbundenen Unannehmlichkeiten verdrängt hat, zumal sie auch ihren Hauszahnarzt
nur unregelmäßig aufgesucht hat. Jedenfalls erscheint die Aussage der Zeugin Ga.
nicht von vornherein vollkommen unglaubhaft. Ihre Angabe, daß jedem Notfallpatienten
der Hinweis gegeben werde, auch seinen Zahnarzt noch aufzusuchen, ist angesichts
der hierzu im Regelfall bestehenden Verpflichtung des Notfallzahnarztes
nachvollziehbar. Deswegen läßt sich auch ihre Bekundung, sie könne sich noch konkret
daran erinnern, daß der Klägerin ein solcher Hinweis erteilt worden sei, nicht ohne
weiteres in Frage stellen. An dieser Beurteilung würde sich auch nichts ändern, wenn
feststehen würde, daß ihre weitere Bekundung, der Beklagte habe zur Füllung Cavit
verwendet, unzutreffend war. Die Zeugin hat insoweit ihre Angabe nur noch unter
Zuhilfenahme der von ihr ausgefüllten Krankenkartei machen können. Selbst wenn
diese Eintragung unrichtig gewesen sein sollte, begründete dies keine durchgreifenden
Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer übrigen, auf eigener Erinnerung beruhenden
Bekundungen.
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Steht nach allem nicht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Beklagte es
unterlassen hat, die Klägerin auf die Notwendigkeit einer Folgebehandlung
hinzuweisen, war es nicht behandlungsfehlerhaft, die beiden anderen Wurzelkanäle des
Zahnes 26 bei der Notfallbehandlung am 19. Juni 1991 nicht zu verfüllen.
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2. Es ist auch nicht als Behandlungsfehler zu werten, daß der Beklagte im Rahmen der
Notfallbehandlung den Zahn 26 nicht geröngt hat. Die Anfertigung einer
Röntgenaufnahme ist nach der überzeugenden Darlegung der Sachverständigen Dr. D.
bei ihrer Anhörung vor dem Senat am 19. Mai 1999 bei einer Notfallbehandlung nur
erforderlich, wenn die Diagnostik nicht eindeutig ist. Das erscheint insbesondere vor
dem Hintergrund, daß die Notfallbehandlung primär der Schmerzbeseitigung dient,
ohne weiteres nachvollziehbar. Im vorliegenden Fall war die Diagnose - akute Pulpitis -
eindeutig. Eine Röntgenaufnahme mußte der Beklagte unter diesen Umständen nicht
anfertigen.
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3. Dem Beklagten kann auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, den Zahn 26 nicht
schon während der Notfallbehandlung extrahiert zu haben. Dazu hätte nach den
Ausführungen der Sachverständigen Dr. D. nur dann Anlaß bestanden, wenn der Zahn
schon so weit zerstört gewesen wäre, daß eine Schmerzbehandlung der Wurzelkanäle
nicht mehr in Betracht zu ziehen gewesen sei. Das war bei der Klägerin nicht der Fall.
Der Beklagte hat durch seine Behandlung den akuten Schmerz am Zahn 26 beseitigen
können; das stellt auch die Klägerin nicht in Abrede.
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4. Der Beklagte hätte selbst dann nicht fehlerhaft gehandelt, wenn er statt - wie er
behauptet - den Zahn nicht provisorisch mit Cavit, sondern - wie die Klägerin behauptet -
mit Phosphatzement verschlossen hätte. Eine solche Maßnahme wäre nach der auch in
diesem Punkt nachvollziehbaren und überzeugenden Ansicht der Sachverständigen Dr.
D. dann nicht zu beanstanden, wenn der Klägerin empfohlen worden wäre, sich
demnächst zur Entfernung dieser Füllung wieder bei einem Zahnarzt vorzustellen. Auch
insoweit ist mithin entscheidend, daß der Klägerin - wie bereits ausgeführt - nicht der
Nachweis des Unterlassens einer Sicherheitsaufklärung durch den Beklagten gelungen
ist. Der beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu, daß in dem
noch vorhandenen Zahn 26 eine Phosphatzementfüllung eingebracht worden ist, bedarf
es somit nicht.
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5. Soweit die Klägerin dem Beklagten weiterhin vorwirft, den Abbruch des
Wurzelkanalaufbereitungsinstrumentes nicht bemerkt und sie deshalb nicht darauf
hingewiesen zu haben, sich aus diesem Grund bei ihrem Hausarzt vorzustellen, kann
dies ihrer Klage - über den zuerkannten Betrag hinaus - nicht zum Erfolg verhelfen.
Auch wenn die Klägerin in diesem Fall sogleich ihren Hauszahnarzt aufgesucht und
dieser zur sofortigen Extraktion des Zahnes 26 geraten hätte, stünde doch nicht fest, daß
dadurch die Folgeerkrankungen der Klägerin hätten verhindert werden können. Im
Gegenteil hat der Sachverständige Prof. Dr. Dr. P. in seinem erstinstanzlich erstellten
Gutachten vom 23. Januar 1996 ausgeführt, daß es auch bei einer Entfernung des
Zahnes 26 und einem Verbleiben des apikal beherdeten Zahnes 25 aller Voraussicht
nach zu einem ähnlichen Krankheitsverlauf gekommen wäre. Der Sachverständige Dr.
Dr. K. hat bei seiner Anhörung vor dem Landgericht ergänzend bekundet, daß das
Unterlassen der sofortigen Extraktion des Zahnes 26 nicht nachteilig war und es
praktisch ausgeschlossen ist, daß der Abbau des Zahnes 25 mit dem hier streitigen
Vorgang etwas zu tun hat. Die hierauf beruhenden Feststellungen des Landgerichts,
daß die Folgeerkrankungen der Klägerin selbst dann nicht auf einen Behandlungsfehler
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des Beklagten zurückgeführt werden können, wenn sie bei entsprechender Belehrung
ihren Hauszahnarzt alsbald aufgesucht hätte (Urteil S. 14 ff.), hat die Klägerin
hingenommen; sie hat sie jedenfalls im Berufungsverfahren nicht mehr substantiiert
angegriffen.
Selbst wenn dem Beklagten insoweit ein grober Behandlungsfehler zur Last zu legen
wäre - was der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht nicht annimmt -, würden
sich daraus für die Klägerin Beweiserleichterungen nicht herleiten lassen.
Beweiserleichterungen sind auch bei einem groben Behandlungsfehler
ausgeschlossen, wenn ein Kausalzusammenhang ganz unwahrscheinlich ist (BGH,
NJW 1997, 794, 795 und NJW 1997, 796, 797). Davon ist hier nach den überzeugenden
und von der Klägerin nicht in Frage gestellten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr.
Dr. P. und Dr. Dr. K. auszugehen.
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II.
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Das Landgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von
1.500,- DM verurteilt. Der Beklagte hat dadurch einen Behandlungsfehler begangen,
daß er fahrlässig den Bruch des Wurzelkanalaufbereitungsinstrumentes nicht bemerkt
hat und deshalb die Klägerin auf diesen Umstand nicht hinweisen konnte. Ein Zahnarzt
ist verpflichtet, die Vollständigkeit und Unversehrtheit seiner Instrumente nach der
Behandlung eines Patienten zu kontrollieren, um sicherzustellen, daß keine Teile im
Körper des Patienten zurückgeblieben ist. Das gilt im besonderen bei einer Behandlung
mit einem Wurzelkanalaufbereitungsinstrument, denn ein Bruch diese Instrumentes im
Wurzelkanal, der auch bei sachgemäßer Handhabung nicht auszuschließen ist, bedarf
zumindest der Beobachtung und macht gegebenenfalls sogar die Extraktion des Zahnes
erforderlich.
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Der Senat ist aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme davon
überzeugt, daß das Wurzelkanalaufbereitungsinstrument während der von Beklagten
vorgenommenen Behandlung am 19. Juni 1991 abgebrochen ist und der Beklagte oder
seine Zahnarzthelferin, für deren Fehlverhalten er nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB
einzustehen hat (für eine Entlastung nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB fehlt es an
substantiiertem Vortrag), dies versehentlich nicht bemerkt haben. Der Senat schließt
sich insoweit in vollem Umfang der umfassenden Beweiswürdigung durch das
Landgericht, deren Ergebnis auch durch das Berufungsvorbringen nicht in Frage gestellt
wird, an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im
erstinstanzlichen Urteil (§ 543 Abs. 1 ZPO). Hätte der Beklagte seiner Verpflichtung zur
sorgfältigen Überprüfung des benutzten Instrumentes genügt, hätte er den Bruch
bemerkt und die Klägerin entsprechend unterrichten können. Dann wäre die - als solche
hier nicht zu vermeidende - Extraktion des Zahnes 26 früher vorgenommen worden, weil
die Klägerin einen Hinweis des Beklagten auf ein im Wurzelkanal zurückgebliebenes
Instrumententeil mit Sicherheit zum Anlaß genommen hätte, ihren Hauszahnarzt früher
aufzusuchen. Dann wären ihr Schmerzen erspart geblieben. Der Senat hält insoweit mit
dem Landgericht ein Schmerzensgeld von 1.500,- DM für angemessen.
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III.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Berufungsstreitwert: 73.494,49 DM
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Beschwer für die Klägerin: 71.994,49 DM
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Beschwer für den Beklagten: 1.500,00 DM
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