Urteil des OLG Köln vom 04.01.2010

OLG Köln (wiedereinsetzung in den vorigen stand, postfach, zpo, verlängerung, post, stand, wiedereinsetzung, antrag, tag, verschulden)

Oberlandesgericht Köln, 9 U 128/09
Datum:
04.01.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 U 128/09
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 20 O 223/07
Tenor:
1.Der Antrag der Beklagten vom 02.11.2009 auf Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
2.Die Berufung der Beklagten gegen das am 19.08.2009 verkündete
Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 20 O 223/07 - wird als
unzulässig verworfen.
3.Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Gründe
1
I.
2
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einem mit ihr bestehenden Teil-
Kaskoversicherungsvertrag auf Entschädigungsleistungen in Anspruch. Das
Landgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 19.08.2009 antragsgemäß zur Zahlung von
26.299,58 € verurteilt. Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten noch am 19.08.2009
zugestellte Urteil legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 08.09.2009 – fristgerecht –
Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 14.10.2009, bei dem Oberlandesgericht eingegangen
am 20.10.2009, beantragte sie die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um
einen Monat. Auf telefonischen und schriftlichen Hinweis der Senatsvorsitzenden vom
20.10.2009, dass eine Verlängerung der bereits am 19.10.2009 abgelaufenen
Begründungsfrist auf den erst am 20.10.2009 eingegangenen Antrag nicht in Betracht
kommen dürfte, beantragte die Beklagte mit Schriftsatz vom 02.11.2009, ihr wegen der
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren; sie beantragte weiter eine Verlängerung der Begründungsfrist bis zum
19.11.2009 und begründete zugleich ihre Berufung.
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Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs bringt die Beklagte unter Vorlage
eidesstattlicher Versicherungen ihres Prozessbevollmächtigten sowie dessen
anwaltlichen Urlaubsvertreters vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe den an das
Oberlandesgericht adressierten Verlängerungsantrag am 14.10.2009 (Mittwoch)
unterzeichnet und zur Gerichtspost gelegt. Am Montag, dem 19.10.2009, sei der
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Schriftsatz von dem ihn wegen seines zwischenzeitlich angetretenen Urlaubs
vertretenden Kollegen Rechtsanwalt T etwa zwischen 11 Uhr und 11.30 Uhr in das von
dem Kölner Anwaltsverein im Gebäude des Amts-/Landgerichts Köln bereitgehaltene
Postfach für das Oberlandesgericht Köln eingelegt worden. In dem Fach hätten sich
bereits mehrere Schriftstücke befunden; es entspreche zudem langjähriger
Beobachtung, dass das u.a. für das Oberlandesgericht bestimmte Fach von den
Mitarbeitern des Kurierdienstes des Kölner Anwaltsvereins frühestens in den
Mittagsstunden geleert werde. Sein Vertreter habe deshalb darauf vertrauen dürfen,
dass noch am 19.10.2009 eine Leerung des Faches und der Transport der eingelegten
Post zum Oberlandesgericht erfolgten. Die tatsächlich erst am Folgetag, dem
20.10.2009, veranlasste Weiterleitung sei nicht vorhersehbar gewesen.
II.
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Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil die Frist
des § 520 Abs. 2 ZPO zur Berufungsbegründung versäumt worden ist.
6
1.
7
Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist endete infolge der Urteilszustellung vom
19.08.2009 an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 19.10.2009. Auf den erst
am 20.10.2009 eingegangenen Antrag konnte die Begründungsfrist nicht mehr
verlängert werden, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen und einer
Verlängerung deshalb nicht mehr zugänglich war. Der eine Berufungsbegründung
enthaltende Schriftsatz vom 02.11.2009 ist folglich verspätet bei dem Oberlandesgericht
eingegangen.
8
2.
9
Der Beklagten war auf ihren Antrag vom 02.11.2009 keine Wiedereinsetzung in die
versäumte Begründungsfrist zu gewähren, und ihr neuerlicher Verlängerungsantrag vom
gleichen Tage ging ins Leere. Denn das nach Maßgabe des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO
zulässige Wiedereinsetzungsgesuch ist unbegründet, weil der verspätete Eingang des
Verlängerungsantrags vom 14.10.2009 beim Oberlandesgericht am 20.10.2009 auf ein
Verschulden des (Urlaubsvertreters des) Prozessbevollmächtigten der Beklagten i.S.
des § 233 ZPO zurückzuführen ist, welches der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO
zuzurechnen ist.
10
a)
11
Auf der Grundlage des durch eidesstattliche Versicherungen ihres
Prozessbevollmächtigten sowie seines anwaltlichen Vertreters glaubhaft gemachten
Vortrages der Beklagten ist davon auszugehen, dass der am 14.10.2009 ausgefertigte
und unterzeichnete Verlängerungsantrag am späten Vormittag des 19.10.2009 in das
von dem Kölner Anwaltsverein im Gerichtsgebäude des Amts- und Landgerichts Köln
unterhaltene Postfach für das Oberlandesgericht eingelegt worden ist. Durch diese –
noch vor Fristablauf erfolgte – Einlegung ist indes nicht bereits die Verfügungsgewalt
des Oberlandesgerichts begründet worden. Zwar kann durch das Einlegen eines
Schriftstücks in ein von der Justizverwaltung in der Wachtmeisterei eines Gerichts u.a.
für andere Instanzgerichte bereit gehaltenes Postfach die Verfügungsgewalt des
Empfängergerichts bewirkt werden, weil es sich bei den fraglichen Postfächern um
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Empfangseinrichtungen der jeweiligen Postfachadressaten handelt und der Vorgang
der Verbringung des Fachinhalts zu den anderen Gerichten dem einlegenden Absender
entzogen und als behördeninterner Geschäftsgang organisiert ist (vgl. BGH NJW-
RR 1989, 1214).
So liegt die Sache hier aber nicht. Denn bei den Postfächern, welche der Kölner
Anwaltsverein in seinen Räumlichkeiten zur Erleichterung des Schriftverkehrs der ihm
angeschlossenen Rechtsanwälte mit u.a. dem hiesigen Amts-, Land- und
Oberlandesgericht unterhält, handelt es sich nicht um Empfangseinrichtungen
derjenigen Gerichte, welchen die Postfächer namentlich zugeordnet sind. Die Fächer
werden vielmehr allein im Zuge eines privaten Kurierdienstes des Anwaltsvereins
unterhalten, ohne dass organisatorische oder sonstige Bezüge zur Justizverwaltung
bestünden.
13
b)
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Der mit der Verbringung des Verlängerungsantrags vom 14.10.2009 zum
Oberlandesgericht beauftragte Vertreter des Prozessbevollmächtigten der Beklagten
durfte nicht darauf vertrauen, dass der am späten Vormittag des 19.10.2009 in das
Postfach des Oberlandesgerichts beim Anwaltsverein im Gerichtsgebäude M.-Straße
eingelegte Schriftsatz fristwahrend noch am gleichen Tage zum Oberlandesgericht
verbracht würde.
15
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 1999,
3701, 3702; 2000, 2657, 2658 und NJW-RR 2002, 1005 f.) und des Bundesgerichtshofs
(BGH MDR 2008, 583 = NJW-RR 2008, 930 m. zahlreichen weiteren Nachweisen)
dürfen einem Prozessbeteiligten Verzögerungen der Briefbeförderung oder
Briefzustellung nicht als Verschulden angerechnet werden. Er darf vielmehr darauf
vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post
AG für den Normalfall festgelegt werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es
allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß abzugeben, dass es nach
den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den
Empfänger fristgerecht erreichen kann. Anders liegt es nur, wenn konkrete
Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Einzelfall mit längeren Postlaufzeiten zu
rechnen ist (BGH a.a.O.).
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Diese Grundsätze gelten auch für die Nutzung privater Kurierdienste wie die eines
Anwaltsvereins (BVerfG NJW 2000, 2657, 2658 und NJW-RR 2002, 1005; BGH a.a.O.).
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Nach Maßgabe dieser Kriterien hätte Rechtsanwalt T als Urlaubsvertreter des
Prozessbevollmächtigten der Beklagten zwar ohne weiteres darauf vertrauen dürfen,
dass der an das Oberlandesgericht adressierte und am Montag, dem 19.10.2009
spätestens um 11.30 Uhr in das Fach des Oberlandesgerichts eingelegte
Verlängerungsantrag jedenfalls am nächsten Werktag, dem 20.10.2009, bei dem
Oberlandesgericht eingehen werde (vgl. BGH a.a.O. für den insoweit identischen Fall
einer Inanspruchnahme des Kurierdienstes des Kölner Anwaltsvereins). Unter keinem
Gesichtspunkt gerechtfertigt war demgegenüber ein weitergehendes Vertrauen in die
Erwartung, dass das Postfach noch am 19.08.2009 geleert und der Inhalt an demselben
Tag zu dem Oberlandesgericht verbracht werde.
18
Für die Beurteilung, ob der Absender alles in seiner Verantwortung liegende getan hat,
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um das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post zu
geben, dass es bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen
kann, ist allein auf die nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei
regelmäßigem Betriebsablauf anfallenden Beförderungszeiten – hier des privaten
Kurierdienstes – abzustellen (BGH a.a.O. m.w.N.). Es ist indes nichts dafür vorgetragen
oder ersichtlich, dass bis spätestens zur Mittagszeit eingelegte Schriftstücke von dem
Kurierdienst des Anwaltsvereins noch an demselben Tag zu den Empfängergerichten
der Postfächer verbracht würden. Die auf "langjähriger Beobachtung" ihres
Prozessbevollmächtigten basierende Angabe, die Mitarbeiter des Kurierdienstes leerten
die Fächer "frühestens in den Mittagsstunden", ist in zeitlicher Hinsicht zu vage in
Ansehung des Umstands, dass im Streitfall eine Benutzung des Fachs bis ca. um 11.30
Uhr, also einer frühen Mittagsstunde, im Raum steht. Sie lässt zudem offen, ob diese
Praxis auf einem – das Vertrauen des Absenders erst rechtfertigenden – solcherart
reglementierten Betriebsablauf beruht, oder ob demgegenüber nur eine gewöhnliche,
grundsätzlich aber jederzeit abänderbare Übung der einzelnen Mitarbeiter besteht.
Auch wenn allerdings unterstellt wird, dass die fraglichen Fächer üblicherweise erst
nach 12 Uhr geleert werden, und wenn weiter – über den Sachvortrag der Beklagten
hinaus – vorausgesetzt wird, dass die von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten,
Rechtsanwalt Dr. U, aus eigener langjähriger Anschauung gewonnenen Erkenntnisse
zugleich die seines Kollegen T sein sollten, durfte letzterer nicht darauf vertrauen, dass
der Kurierdienst des Anwaltsvereins die allein fristwahrende Weiterleitung des
Schriftsatzes noch am 19.10.2009 bewirken würde. Denn der Stand der Befüllung des
für das Oberlandesgericht vorgesehenen Fachs erlaubte keine sicheren Rückschlüsse
auf den Zeitpunkt der letzten bzw. den der bevorstehenden Leerung, weil eine Vielzahl
von schon vorhandenen Schriftstücken auch Ausdruck besonders hohen
Postaufkommens sein kann und nicht notwendig einer noch bevorstehenden Leerung.
Rechtsanwalt T war deshalb nicht schutzwürdig in seiner Annahme, dass ein mit
mehreren eingelegten Schriftstücken vorgefundenes Postfach indiziell auf eine an
diesem Tag noch stattfindende Leerung hindeute. In Ansehung der aus dem
Verlängerungsantrag selbst unmittelbar ersichtlichen besonderen Eilbedürftigkeit – der
Schriftsatz vom 14.10.2009 besteht aus nur einem Blatt, und der Begründungstext
beginnt mit dem eindeutigen Satz: "Die Berufungsbegründungsfrist läuft am 19.10.2009
ab." – wäre Rechtsanwalt T zumindest gehalten gewesen, sich durch die naheliegende
Rückfrage bei den Mitarbeitern des Anwaltsvereins darüber zu vergewissern, ob noch
am 19.10.2009 ein Transport zum Oberlandesgericht erfolgen werde.
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Trifft den in Vertretung ihres Prozessbevollmächtigten tätigen Rechtsanwalt mithin
mangels eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags ein Verschulden an der
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, ist der Beklagten die begehrte
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen und ihre Berufung als unzulässig
zu verwerfen.
21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Streitwert des Berufungsverfahrens: 26.299,58 €
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