Urteil des OLG Köln vom 30.08.1996
OLG Köln (in dubio pro reo, 1995, heroin, schwerer fall, bundesrepublik deutschland, betäubungsmittel, kokain, beschränkung, schuldspruch, qualität)
Oberlandesgericht Köln, Ss 414/96 - 142-
Datum:
30.08.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 414/96 - 142-
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Köln zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Das Jugendschöffengericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in drei Fällen, in zwei Fällen in nicht geringer Menge, zu einer
Jugendstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilt (§§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 30 Abs. 1 Nr.
4 BtMG, § 53 StGB, §§ 1, 105 JGG). Ferner hat es die sichergestellten Betäubungsmittel
und Fixerutensilien gemäß § 33 BtMG eingezogen. Es hat festgestellt:
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"Kurz nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland lernte der
Angeklagte den Zeugen S. kennen. Beide kamen bald in Kontakt mit Betäubungsmitteln
und konsumierten zunächst Haschisch. Seit Januar 1995 spritzte der Angeklagte sich
regelmäßig Heroin, zuletzt täglich ein halbes Gramm. Für ein Gramm mußte er
durchschnittlich 200,-- DM bezahlen.
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Um preiswerter an Betäubungsmittel zu gelangen, fuhr der Angeklagte mehrmals mit
seinem PKW zusammen mit...S. in die Niederlande. Erstmalig geschah dies Ende
Januar/Anfang Februar 1995. Der Angeklagte erwarb in Heerlen acht Gramm Heroin
und ein halbes Gramm Kokain...Die Betäubungsmittel führte (er) in die Bundesrepublik
ein. Einen Teil...verbrauchte er für sich selbst, den anderen Teil verkaufte er.
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Im Juni 1995 fuhr der Angeklagte wiederum mit...S. in die Niederlande. Diesmal kaufte
er in Rotterdam...30 Gramm Heroin und ca. zweieinhalb Gramm Kokain. Auch diese
Betäubungsmittel führte er wieder in die Bundesrepublik ein und verkaufte sie teilweise.
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Mitte August 1995 fuhr der Angeklagte erneut mit ...S. nach Rotterdam. Dort erwarb er
ca. 19 Gramm Heroin und 1,5 Gramm Kokain. Er bezahlte dafür insgesamt 700,-- DM.
Auch diese Betäubungsmittel konnte der Angeklagte in die Bundesrepublik einführen
und dort teilweise in der Betäubungsmittelszene verkaufen.
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Anläßlich der Festnahme des Angeklagten am 05.09. 1995 wurden in dessen Wohnung
5,8 Gramm Heroin und mehrere Plastiktütchen, die zur Aufnahme von portioniertem
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Heroin bestimmt waren, sichergestellt."
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, die auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden ist. Das Landgericht hat die Beschränkung
für wirksam erachtet. Es hat das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, daß unter
Aufrechterhaltung der Einziehung eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs
Monaten verhängt worden ist. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung
materiellen Rechts.
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Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
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Das angefochtene Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil es nicht
insgesamt eigene Schuldfeststellungen enthält, obwohl die Beschränkung der Berufung
auf den Rechtsfolgenausspruch entgegen der Auffassung des Landgerichts unwirksam
ist. Das Berufungsurteil ist daher materiell-rechtlich unvollständig.
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Eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn
die Schuldfeststellungen des ersten Urteils derart knapp, unvollständig, unklar oder
widersprüchlich sind, daß sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht einmal in
groben Zügen erkennen lassen (vgl. Senat VRS 73, 385; 77, 452; SenE vom 21.11.
1995 -Ss 592/95-; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 318 Rn. 16 m.w.N.).
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Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Schuldspruch lassen den Schuldgehalt der
Tat nicht hinreichend erkennen.
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Bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz setzt die
zutreffende Beurteilung des Schuldumfangs in aller Regel auch Angaben zum
Wirkstoffgehalt des Rauschgifts voraus (vgl. BGH NStZ 1984, 556, 557; bei Schoreit
NStZ 1994, 327; SenE a.a.O. und vom 28.04. 1992 -Ss 192/92-; ständige
Senatsrechtsprechung). War eine Untersuchung der Qualität des Betäubungsmittels
nicht möglich, muß der Tatrichter unter Berücksichtigung der anderen hinreichend sicher
festgestellten Tatumstände und des Grundsatzes "in dubio pro reo" mitteilen, von
welcher Mindestqualität er ausgegangen ist (vgl. BGH bei Schoreit NStZ 1986, 56;
Senat StV 1989, 21; SenE a.a.O.). Das gilt umso mehr, wenn davon abhängt, ob der
Angeklagte den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG (unerlaubte Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) verwirklicht hat oder lediglich den
Tatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Zwar gelten bei Anwendung des
Jugendstrafrechts die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts nicht (§ 18 Abs. 1 Satz 3
JGG). Grundsätzlich ist jedoch die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen
Strafrechts zum Ausdruck gelangte Bewertung des in einer Straftat hervorgetretenen
Unrechts bei der Strafbemessung zu berücksichtigen (vgl. BGH StV 1989, 545; bei
Böhm NStZ 1992, 528; Eisenberg, JGG, 6. Aufl., § 18 Rn. 15 m.w.N.). Deshalb ist die
Bestimmung des Wirkstoffgehalts von Betäubungsmitteln zur Umgrenzung des
Schuldumfangs auch geboten, soweit Jugendstrafrecht zum Zuge kommt.
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Den Gründen des erstinstanzlichen Urteils sind Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der
eingeführten Betäubungsmittel Heroin und Kokain nicht zu entnehmen. Es werden nur
die absoluten Gewichtsmengen der einzelnen Rauschgiftzubereitungen mitgeteilt, ohne
daß sich das Amtsgericht nachvollziehbare Gedanken zur Mindestqualität gemacht
hätte. Weder hat es aus der in einem Fall mitgeteilten Preisgestaltung Schlüsse
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gezogen noch läßt sich dem Urteil entnehmen, daß der Angeklagte selbst oder die
vernommenen Zeugen für die Überzeugungsbildung ausreichende Angaben zur
Qualität der eingeführten Betäubungsmittel gemacht haben. Ebensowenig ergibt sich
aus der erstinstanzlichen Entscheidung, daß -und ggf. mit welchem Ergebnis- die am 5.
September 1995 in der Wohnung des Angeklagten sichergestellten 5,8 Gramm Heroin
auf ihren Wirkstoffgehalt hin untersucht worden sind, obwohl es naheliegt, daß es sich
um den Rest der im August 1995 eingeführten Menge von ca. 19 Gramm Heroin
handeln könnte. Ist aber eine Untersuchung des Wirkstoffgehalts möglich, muß diese in
der Regel durchgeführt und das Ergebnis der Sachverständigenuntersuchung des
vorgefundenen Betäubungsmittels im Urteil dargelegt werden (vgl. BGH bei Schoreit
NStZ 1986, 56; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, Rn. 350 m.w.N.).
Da das erste Urteil hiernach den Schuldumfang der Taten nicht mit einer für die
Rechtsfolgenbemessung genügenden Deutlichkeit erkennbar macht, insbesondere
nicht nachprüfbar darlegt, daß in zwei Fällen "nicht geringe Mengen" Heroin (also
solche mit einem Wirkstoffgehalt von 1,5 Gramm Heroinhydrochlorid oder mehr: vgl.
BGHSt. 32, 162) eingeführt worden sind, ist die Berufungsbeschränkung unwirksam und
das nicht den Schuldspruch umfassende Berufungsurteil materiell-rechtlich
unvollständig. Die ergänzenden Feststellungen des Landgerichts zum Wirkstoffgehalt
auf der Grundlage des nunmehr verlesenen Behördengutachtens zur Qualität des
sichergestellten Heroins und weiterer Angaben des Angeklagten dazu, wie er als
Konsument und seine Kunden die Qualität der Betäubungsmittel beurteilt haben,
konnten den Mangel des ersten Urteils in diesem Punkt nicht beheben. Wenn
ergänzende Feststellungen zur Schuldfrage erforderlich sind, ist die Beschränkung
unwirksam mit der Folge, daß das Berufungsgericht zur Schuldfrage insgesamt eigene
Feststellungen treffen muß (SenE a.a.O. und vom 26.05. 1992 -Ss 189/92-). Das ist hier
ersichtlich nicht geschehen, denn die Strafkammer weist selbst ausdrücklich darauf hin,
daß sie an die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen des Amtsgerichts
"gebunden" sei.
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Wegen des angegebenen Mangels kann das angefochtene Urteil keinen Bestand
haben. Die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung über Schuldspruch und
Rechtsfolgenseite an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO).
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Ergänzend wird bemerkt:
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Für die Entscheidungen, ob "wegen der Schwere der Schuld" Jugendstrafe verhängt
werden soll (§ 17 Abs. 2 JGG) und wie sie im einzelnen Fall zu bemessen ist (§ 18
JGG), sind in erster Linie das Wohl des Jugendlichen und damit vorrangig der
Erziehungsgedanke maßgebend (vgl. BGH bei Böhm NStZ 1995, 536; Senat StV 1991,
426; SenE vom 20.12. 1995 -Ss 470/95-), wobei dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat
(nur) insoweit Bedeutung zukommt, als aus ihm Schlüsse auf das Persönlichkeitsbild
des Täters und die Schuldhöhe gezogen werden können (BGH a.a.O.). In Erwägungen
unter dem Gesichtspunkt des Erziehungsgedankens ist der Umstand bereits verspürter
Wirkungen des Freiheitsentzugs durch Untersuchungshaft einzubeziehen (Senat
a.a.O.). Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB ist bei Drogenabhängigen
stets zu prüfen und kann bei der Zumessung einer Jugendstrafe strafmildernd wirken
(BGH a.a.O.; Senat a.a.O.). Zu den nicht im Sinne von Strafrahmen, aber bei der
Strafbemessung zu berücksichtigenden Umständen gehört auch die Bewertung als
minder schwerer Fall (vgl. Eisenberg a.a.O. § 18 Rn. 15 m.w.N.).
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