Urteil des OLG Köln vom 15.09.1997

OLG Köln (kläger, eintritt des versicherungsfalles, ablauf der frist, vernehmung von zeugen, eintritt des versicherungsfalls, rücktritt vom vertrag, behandlung, vvg, finanzielles interesse, ursächlicher zusammenhang)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 228/96
Datum:
15.09.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 228/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 23 O 469/95
Normen:
AVB § 6; VVG §§ 16, 20
Leitsätze:
Tritt binnen der Frist des § 6 Abs. 1 AVB n. F. der Versicherungsfall i. S.
der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ein, so ist der Versicherer
unbeschadet des Rechts, von der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung
zurückzutreten, nicht berechtigt, auch nach Ablauf von 3 Jahren nach
Vertragsschluß von der Lebensversicherung zurückzutreten.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 30. Okto-ber 1996 verkündete
Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 23 O 469/95 - unter
Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert
und insgesamt wie folgt neu gefaßt: Es wird festgestellt, daß die vom
Kläger bei der Beklagten unterhaltene Kapitallebensversicherung vom
01. Oktober 1991, Versicherungs-Nr.: X., weder durch Rücktritt noch
durch Anfechtung aufgehoben ist, sondern zu unveränderten
Bedingungen fortbesteht. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die
Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge tragen der Kläger zu 66 %
und die Beklagte zu 34 %. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der
Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung von 12.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Beklagte kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von
7.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Den Parteien bleibt nachgelassen,
die Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft
einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder
Genossenschaftsbank zu erbringen.
Tatbestand
1
Der 1952 geborene Kläger litt nach Auskunft des ihn behandelnden Facharztes für
Orthopädie Sch. seit langem unter einem chronisch rezidivierenden Lumbalsyndrom
nach einem 1985 festgestellten lumbalen Bandscheibenvorfall bei L4/5 (Blatt 31 d. A.).
In der Zeit von November 1987 bis Ende Januar 1988 unterzog der Orthopäde nach
seinen Angaben den Kläger einer physikalischen Therapie sowie einer
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Spritzenbehandlung und informierte ihn über die Diagnose (Blatt 33 d. A.). Etwa 1990
kam es zu einer rechtsseitigen ischialgieformen Schmerzsymptomatik, die sich unter
konservativer Therapie vollständig zurückbildete (Blatt 29 d. A.). Im September 1991
beantragte der Kläger bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine
Kapitallebensversicherung unter Einschluß einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.
In den vom Zeugen P. aufgenommenen und ausgefüllten und sodann vom Kläger
unterschriebenen Anträgen sind die Fragen 5 e) (Sind sie in den letzten fünf Jahren
ärztlich beraten, untersucht, nachuntersucht, behandelt, bestrahlt oder operiert worden?
Wann (Tag, Monat, Jahr), weshalb, von welchen Ärzten, in welchem Krankenhaus?) und
f) (Leiden Sie oder haben sie an Krankheiten oder Gebrechen gelitten? ...) verneint,
desgleichen die Frage nach erlittenen oder bestehenden Krankheiten gemäß Nr. 4.11 a)
bis o) (Blatt 27 d. A.). Die Beklagte nahm die Anträge durch Übersendung des
Versicherungsscheins mit Wirkung am 01. Oktober 1991 an (Blatt 5 d. A.). Danach
beträgt die Versicherungssumme 70.944,00 DM und die Jahresrente im Falle einer
Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % 17.027,00 DM. Ferner ist Beitragsbefreiung im
Falle der Berufunfähigkeit vereinbart. Wegen der den Versicherungen zugrunde
liegenden Bedingungen wird auf Blatt 126 - 129 d. A. verwiesen.
Im September 1993 kam es beim Kläger zu einem Bandscheibenvorfall bei L5/S1 rechts
mit Kompression der Nervenwurzel S1 bei einem 2/3-Verschluß des Spinalkanals.
Wegen der Folgen dieser Erkrankung beantragte der Kläger 1995 Leistungen aus der
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Im Zuge der Bearbeitung des Antrags erhielt die
Beklagte Kenntnis davon, daß der Kläger wegen eines chronisch rezidivierenden
Lumbalsyndroms mindestens seit 1987 in ärztlicher Behandlung gewesen war.
Daraufhin trat sie mit Schreiben vom 14.06.1995 mit Wirkung zum 01.06.1995 vom
Versicherungsvertrag zurück, weil der Kläger die ihm obliegenden vorvertraglichen
Anzeigepflichten schuldhaft verletzt habe, §§ 16 ff VVG. Der Kläger habe nicht
angezeigt, daß er an Rückenleiden bzw. Bandscheibenleiden erkrankt gewesen sei
(Blatt 8 d. A.).
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage, mit der außerdem die Feststellung
begehrt, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm ab 01. Oktober 1996
Berufsunfähigkeitsrente in Höhe 4.256,75 DM vierteljährlich zu zahlen. Er hat behauptet,
daß er dem Agenten bei Antragsaufnahme gesagt habe, daß er unter Rückenschmerzen
leide. Jener habe dies für unerheblich gehalten (Blatt 3 d. A.). Außerdem könne nicht
davon ausgegangen werden, daß er unter einem Bandscheibenschaden gelitten habe.
Er habe sich diesbezüglich in der Vergangenheit auch nicht in ärztlicher Behandlung
befunden. Seit ca. vier Jahren vor Beantragung der Versicherung habe er sich nicht
mehr in irgendeiner ärztlichen Behandlung befunden. Ihm sei deshalb auch nicht
bewußt gewesen, an einer auf Dauer behandlungsbedürftigen Krankheit zu leiden (Blatt
3 d. A.). Er bestreite einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Vorerkrankung
und der die Berufsunfähigkeit auslösenden Erkrankung. Schließlich hätte die Beklagte
die Versicherung auch bei Kenntnis eines Bandscheibenleidens zu unveränderten
Bedingungen angenommen (Blatt 4 d. A.). An im Jahre 1987 vorgenommene ärztliche
Behandlungen habe er sich bei Antragsaufnahme nicht erinnert (Blatt 40 d. A.).
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Im Termin vor dem Landgericht hat der Kläger erklärt, er habe sehr wohl bei der
Antragstellung erklärt, daß er wegen seines Rückenleidens in ärztlicher Behandlung
gewesen sei. Er habe sich nur nicht mehr an den Zeitpunkt erinnern können. Wenn in
der Klageschrift und im Schriftsatz vom 27. März 1996 etwas anderes stehe, so habe ihn
sein Anwalt falsch verstanden. Ihm, das heißt dem Anwalt, gegenüber habe er auch
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erklärt, daß er in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Er habe auch dem Agenten
gesagt, daß er wegen der Rückenschmerzen Massagen und Spritzen bekommen habe.
Seit einigen Jahren vor dem Versicherungabschluß habe er keine Schmerzen mehr
gehabt. Er hat beantragt,
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festzustellen, daß das Vertragsverhältnis der Parteien bezüglich des
Lebensversicherungsvertrages nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherung vom 01.
Oktober 1991 zu Versicherungs-Nr.: X. durch den Rücktritt der Beklagten vom
14.06.1995 nicht aufgehoben worden sei, sondern fortbestehe,
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festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, an ihn aus dem vorbezeichneten
Versicherungsverhältnis die vertraglichen Berufsunfähigkeitsrentenleistungen zu
erbringen, indem sie beginnend mit dem 01. Oktober 1996 vierteljährlich im voraus
die vereinbarte Berufngsunfähigkeitsrente in Höhe von je 4.256,75 DM zum 01.01.,
01.04, 01.07 und 01.10 eines jeden Jahres zahle.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat sich darauf berufen, daß der Rücktritt wegen falsch Beantwortung der
Gesundheitsfragen und Verschweigens relevanter Vorerkrankungen gerechtfertigt sei.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Beklagte vom
Versicherungsvertrag wirksam zurückgetreten sei.
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Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel unverändert weiter. Er behauptet,
daß er dem Agenten bei Antragstellung mitgeteilt habe, daß er unter Rückenschmerzen
gelitten habe und deswegen in ärztlicher Behandlung gewesen sei (Massagen und
Spritzen). Seit einigen Jahren vor Abschluß der Versicherung habe er keine
Rückenschmerzen mehr gehabt. Die Behandlung im Jahre 1987 sei ihm zur Zeit der
Antragsaufnahme nicht mehr erinnerlich gewesen (Blatt 89 d. A.). Die ischialgieforme
Schmerzsymptomatik des Jahres 1990 sei vollständig zurückgegangen, so daß er
davon ausgegangen sei, ein Rückenleiden sei nicht vorhanden, Schmerzen würden
nicht mehr auftreten. Er habe deshalb davon abgesehen, dies mitzuteilen, weil eine
Mitteilungspflicht sich seiner Ansicht nach aus den Antragsfragen nicht ergebe (Blatt
89/90 d. A.). Schließlich bestreitet er nach wie vor die Kausalität zwischen dem
angeblich verschwiegenen Rückenleiden und dem Eintritt des Versicherungsfalls. Er
beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen in erster Instanz zuletzt
gestellten Anträgen zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tritt der Berufung entgegen, verweist darauf, daß der Kläger widersprüchlich
vorgetragen habe und beruft sich auf § 528 Abs. 3 ZPO wegen der Beweisantritte. Sie
erklärt die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (Schriftsatz vom 13. März 1997). Sie
meint, die Gefahrerheblichkeit eines verschwiegenen Bandscheibenvorfalls liege auf
der Hand. In bezug auf § 21 VVG sei der Kläger darlegungs- und beweisbelastet.
Bloßes Bestreiten genüge nicht.
21
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
22
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Wegen der
Beweisanordnung wird auf den Beschluß vom 14. Mai 1997, wegen des Ergebnisses
auf die Sitzungsniederschrift vom 27. August 1997 Bezug genommen.
23
Entscheidungsgründe
24
Die form- und fristgerecht eingelegte und prozeßordnungsgemäß begründete Berufung
ist in der Sache teilweise gerechtfertigt.
25
I.
26
Die Kapitallebensversicherung ist weder durch Rücktritt noch durch Arglistanfechtung
erloschen.
27
1.
28
Nach § 6 Nr. 3 der hier maßgebenden allgemeinen Bedingungen für kapitalbildende
Lebensversicherungen (AVB) ist im Falle einer vorvertraglichen
Anzeigenpflichtverletzung ein Rücktritt vom Vertrag nur binnen drei Jahren seit
Vertragsschluß, bei Eintritt des Versicherungsfalles während der ersten drei Jahre auch
noch nach Ablauf der Frist zulässig. Da der Versicherungsfall nicht eingetreten ist, war
die Rücktrittsfrist im Streitfall im Oktober 1994 abgelaufen. Der erst im Juni 1995 erklärte
Rücktritt war damit verspätet.
29
Die Beklagte meint zu Unrecht, als Versicherungsfall sei auch der Eintritt der
Berufsunfähigkeit zu verstehen. Diese Ansicht erschließt sich der genannten Klausel
nicht und folgt auch nicht aus dem Bedingungswerk im übrigen. Für die
Lebensversicherung gelten eigenständige, aus sich heraus verständliche Bedingungen.
An keiner Stelle ist darauf verwiesen, daß ergänzend die Bedingungen für die
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gelten sollen. Dem durchschnittlichen
Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnismöglichkeit es ankommt (vgl. BGH
VersR 1991, 919), erschließt es sich danach nicht, daß als Versicherungsfall auch ein
Ereignis gelten soll, das keinen Bezug zum durch die Lebensversicherung abgedeckten
Risiko hat. Der aufmerksame Versicherungsnehmer wird bei eingehendem Studium
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auch des für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltenden Bedingungswerks
eher zu dem Ergebnis kommen, daß der Eintritt der Berufsunfähigkeit gerade
unerheblich sein soll, denn nach § 9 Nr. 1 der AVB-BUZ kann die Zusatzversicherung
nicht ohne die Hauptversicherung fortgesetzt werden, wohl aber umgekehrt.
Soweit das OLG Koblenz (vgl. VersR 1996, 1222) in dieser Frage gegenteiliger Ansicht
ist, folgt der Senat dem nicht. Ob der Versicherer oder der Versicherungsnehmer im
Einzelfall aus anderen Gründen (etwa wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, aus
dem Rechtsgedanken des § 139 BGB oder anderes) die Aufhebung auch des
Lebensversicherungsvertrags verlangen könnten, wenn die Zusatzversicherung erlischt,
kann offen bleiben. Derartiges wird hier nicht geltend gemacht.
31
2.
32
Der Bestand der Lebensversicherung bleibt auch von der im März 1997 erklärten
Arglistanfechtung unberührt. Diese ist ebenfalls verspätet. Nach § 124 Abs. 1, 2 BGB
kann sie nur binnen Jahresfrist ab Kenntnis der Täuschung erklärt werden. Kenntnis von
der behaupteten Täuschung hatte die Beklagte aber bereits seit Mitte des Jahres 1995.
33
II.
34
Im übrigen hat das Landgericht die Klage mit recht abgewiesen, weil die Beklagte
wirksam vom Zusatzvertrag zurückgetreten ist (§§ 20, 16 VVG).
35
1.
36
Nach § 16 Abs. 2 VVG kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, wenn der
Versicherungsnehmer bei Schließung des Vertrages ihm bekannte gefahrerhebliche
Umstände nicht angezeigt hat. Nach § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG gilt ein Umstand im Zweifel
als gefahrerheblich, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt
hat.
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Im Streitfall sind die schriftlichen Gesundheitsfragen 5. e) und f) sowie 4.11 h) falsch
beantwortet. Die Fragen sind verneint, obwohl der Kläger von November 1987 bis
Januar 1988 wegen der Folgen eines lumbalen Bandscheibenvorfalls in ärztlicher
Behandlung des Facharztes für Orthopädie Sch. war, ferner 1990 wegen
ischialgieformer Schmerzsymptomatik ebenfalls konservativ therapiert worden ist.
Ferner ist der 1985 erlittene Bandscheibenvorfall, bei dem es sich um eine Krankheit
bzw. Gesundheitsstörung im Sinne der Frag 4.11 h) handelt, verschwiegen.
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Der Senat ist nach dem gesamten Inhalt der Verhandlung und dem Ergebnis der
Beweisaufnahme überzeugt, daß die Falschbeantwortung auf unrichtigen Angaben des
Klägers bei Antragsaufnahme beruht. Der Kläger behauptet selbst nicht, den Zeugen P.
seinerzeit über den 1985 festgestellten Bandscheibenvorfall unterrichtet zu haben,
desgleichen nicht, daß er deswegen 1987 und 1988 ärztlich behandelt worden ist.
Seiner Behauptung, er habe dem Agenten mitgeteilt, er sei wegen eines Rückenleidens
in ärztlicher Behandlung gewesen, habe wegen Rückenschmerzen Massagen und
Spritzen bekommen, kann nicht gefolgt werden. Nach dem Schreiben seines
vorprozessual beauftragten Rechtsanwalts vom 25.08.1995 hat er diesem gegenüber
auf Befragen erklärt, er könne ausschließen, in den Jahren 1985, 87, 89 wegen eines
Rückenleidens in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein (Blatt 109 d. A.). In der
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Klageschrift ist (folgerichtig) denn auch keine Rede davon, daß er dem Agenten
ärztliche Behandlungen wegen eines Rückenleidens mitgeteilt habe (Blatt 3 d. A.),
desgleich nicht in der Replik vom 27. März 1996, in der das Verschweigen der ärztlichen
Behandlungen (sogar) damit erklärt worden ist, daß er sich damals daran nicht erinnert
habe, weil die Erkrankung ausgeheilt und er beschwerdefrei gewesen sei (Blatt 40 d.
A.). Vor diesem Hintergrund ist die in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht
vorgebrachte anderweitige Behauptung nicht glaubhaft. Es mag sein, daß einem Anwalt
bei Abfassen der Klageschrift schon einmal ein Irrtum unterlaufen kann, weil er den
Mandanten "falsch verstanden" hat. Hier handelt es sich aber nicht um ein bloßes
einmaliges Versehen, sondern um einen wiederholten und substantiierten Vortrag, der
zudem den Kern des Streits betrifft. Es ist auch nicht dargetan, wieso es zu diesem
Mißverständnis gekommen sein soll. Es hätte nahe gelegen, die näheren Umstände der
Informationserteilung darzulegen und durch Zeugnis des Rechtsanwalts unter Beweis
zu stellen, damit der behauptete Irrtum wenigstens plausibel erscheint, dies vor allem
auch deshalb, weil der Kläger vor dem Landgericht persönlich behauptet hat, seinen
Anwalt "richtig" unterrichtet zu haben.
Vor diesem Hintergrund sind auch die Aussagen der Zeuginnen L. und H. Z. zu
würdigen, denen der Senat nicht folgt.
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Zwar haben die Zeuginnen, bei denen es sich um die Mutter bzw. Ehefrau des Klägers
handelt, bekundet, daß der Kläger dem Agenten bei Antragsaufnahme auf Befragen
erklärt habe, er sei wegen Rückenschmerzen in ärztlicher Behandlung gewesen. Dies
steht indessen in einem unauflöslichen Gegensatz zur Rechtsverteidigung des Klägers,
er habe sich damals an die ärztlichen Behandlungen nicht erinnert. Darüber hinaus
bestehen auch sonst durchgreifende Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben
der Zeuginnen. Die Zeugin L. Z. hat auf die eingangs der Befragung geäußerte Bitte des
Gerichts, die Vorgänge der Antragsaufnahme im Zusammenhang zu schildern, sogleich
und recht präzise den Kern des Streits, nämlich die Frage der Mitteilung von ärztlichen
Behandlungen wegen Rückenbeschwerden, geschildert und betont, daß sie sich daran
erinnere. An weitere Einzelheiten hat sie sich - abgesehen von der Frage der Höhe der
Lebensversicherung - dagegen nicht zu erinnern vermocht, auch auf Nachfrage nicht.
Ihre Aussage wirkte wie "einstudiert". Ihre genaue Erinnerung daran hat sie damit
erklärt, sie, ihr Sohn und dessen Ehefrau hätten nach Ablehnung des Antrags auf
Versicherungsleistungen noch einmal über den Inhalt der Gespräche bei
Antragsaufnahme gesprochen, dabei sei ihr "die Frage nach den Schmerzen im Kreuz"
wieder in Erinnerung gekommen. Das überzeugt nicht, weil in der Einlassung des
Klägers gegenüber der Ablehnung des Beklagten gerade keine Rede davon ist, dem
Agenten seien die ärztlichen Behandlungen mitgeteilt worden. Wenn diese Frage
tatsächlich im Mittelpunkt der "Erörterungen im Familienkreis" gestanden haben sollte,
was auch die Zeugen H. Z. betont hat, ist nicht nachvollziehbar, warum dies der
Beklagten nicht sogleich entgegengehalten worden ist. Ferner hat die Zeugin in
offensichtlich übertriebener Weise ihre Anwesenheit bei der Antragsaufnahme damit
erklärt, sie sei "bei all den Gesprächen, die in der Wohnung geführt worden seien, dabei
gewesen, sie sei immer bei solchen Gesprächen dabei gewesen, weil es sie interessiert
habe und sie ihr Deutsch habe verbessern wollen", offenbar um nachhaltig plausibel zu
machen, warum sie sich ausgerechnet an den wesentlichen Gesprächsinhalt erinnern
konnte. Das steht allerdings nicht voll im Einklang mit den Angaben der Zeugin H. Z.,
wonach die Mutter des Klägers lediglich zufällig im Büro anwesend gewesen sei.
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Die Angaben der Zeugin H. Z. vermögen dem Senat schon deshalb nicht zu
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überzeugen, weil nicht recht einsichtig ist, warum der Kläger "verschiedentliche
Rückenschmerzen" angegeben haben soll, wenn der Agent nach schweren
Erkrankungen - wie die Zeugin mehrfach betont hat - und Schmerzen gefragt hat. Nach
ihrer Schilderung hat es sich bei den Rückenschmerzen indessen nur um "Episoden
von ein paar Tagen oder einer Woche" gehandelt. Es hätte näher gelegen, auf den
Bandscheibenvorfall hinzuweisen, der ohne Zweifel ein gravierendes körperliches
Gebrechen darstellt, insbesondere wenn er, wie beim Kläger, häufige und nachhaltige
ärztliche Behandlungen erforderte. Hiervon mußte die Zeugin als Ehefrau des Klägers
Kenntnis gehabt haben. Zwar lag die Feststellung des Bandscheibenvorfalls länger als
fünf Jahre zurück; das darauf beruhende Leiden hatte sich indessen fortgesetzt und war
in der Folgezeit mehrfach ärztlich behandelt worden. Plausibel wäre es gewesen, diese
Umstände zu schildern. Wenn dann der Agent erklärt hätte, die Erkrankung brauche
nicht aufgenommen zu werden, weil die Feststellung des Bandscheibenvorfalls länger
als fünf Jahre zurückliege, würde die Darstellung der Zeugen nachvollziehbar
erscheinen. So soll es aber gerade nicht gewesen sein.
Dagegen ist die Aussage des Zeugen P. durchaus plausibel. Er hat erklärt, sich wegen
der Vielzahl ähnlicher Antragsverfahren nicht an das damalige Gespräch erinnern zu
können. Er pflege die Formularfragen in der Regel dem Antragsteller vorzulesen und die
Antworten zu vermerken. Ärztlich behandelte Rückenbeschwerden würde er vermerkt
haben. Ihm sei bewußt, daß bei einem handwerklich Tätigen Rückenbeschwerden bei
der Berufsunfähigkeit eine Rolle spielen könnten. Danach ist bei Würdigung der
Gesamtumstände davon auszugehen, daß dem Zeugen bei Antragsaufnahme das
Rückenleiden einschließlich der ärztlichen Behandlungen verschwiegen worden ist.
Dabei fällt auch ins Gewicht, daß auf Seiten des Agenten damals kein gesteigertes
finanzielles Interesse an dem Abschluß einer, dazu noch möglichst hohen Versicherung
bestanden hat, weil er nach seinem unwidersprochen gebliebenen Angaben als
festangestellter Außendienstmitarbeiter der Beklagten nicht "nach den Abschlüssen
entlohnt worden" ist. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum er ein mehrfach
ärztlich behandeltes, auf einem Bandscheibenvorfall beruhendes chronisch
rezidivierendes Lumbalsyndrom nicht im Antrag vermerkt haben sollte, wenn ihm
solches mitgeteilt worden wäre.
43
2.
44
Die Gefahrerheblichkeit des verschwiegenen Rückenleidens folgt bereits aus § 16 Abs.
1 Satz 3 VVG. Überdies liegt die Gefahrerheblichkeit auch auf der Hand. Gerade bei
körperlich erheblich belasteten Berufstätigen führt eine Schädigung der Wirbelsäule
häufig zu Einschränkungen in der Berufsausübung und damit zur Berufunfähigkeit.
45
3.
46
Darauf, daß die Anzeige der gefahrerheblichen Umstände ohne sein Verschulden
unterblieben sei (§ 16 Abs. 3 VVG), hat sich der Kläger im Berufungsrechtszug nicht
mehr berufen.
47
III.
48
Der Kläger macht schließlich ohne Erfolg geltend, die Beklagte sie jedenfalls nach § 21
VVG verpflichtet, Leistungen wegen Berufsunfähigkeit zu erbringen. Er hat nicht
schlüssig dargelegt, daß zwischen dem verschwiegenen Rückenleiden und dem Eintritt
49
des Versicherungsfalles kein ursächlicher Zusammenhang besteht. Sein bloßes
Bestreiten, daß die Kausalität gegeben sei, genügt nicht, worauf die Beklagte bereits
schriftsätzlich hingewiesen hat, so daß es eines erneuten Hinweises des Gerichts nicht
bedurfte. Der Senat ist zwar der Auffassung, daß an die Darlegungslast bei
medizinischen Zusammenhängen keine all zu strengen Anforderungen zu stellen sind,
weil es dabei um Fragen geht, die ärztlicher Beurteilung unterliegen; drängt sich aber
aufgrund der in der Sache anderweitig erfolgten medizinischen Begutachtung ein
Zusammenhang im dargelegten Sinne gerade zu auf, muß der Kläger seinen Vortrag
näher substantiieren. So liegt es hier. In der Stellungnahme der
Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz vom 13.09.1993 ist gerade auf die
Krankheitsvorgeschichte verwiesen und ausgeführt, daß die Schmerzsymptomatik
wieder progredient sei, so daß es zur Kompression der Nervenwurzel S1 gekommen
sei. Der Bandscheibenmassenvorfall ist bei L5/S1 festgestellt worden, also in dem
Bereich, in dem bereits im Jahre 1985 ein Vorfall festgestellt worden ist, nämlich bei
L4/5. Bei dieser Sachlage hätte es näher Erläuterungen bedurft, warum gleichwohl kein
Zusammenhang, auch nicht im Sinne einer Mitursächlichkeit, die genügen würde,
gegeben ist.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
50
Wert der Beschwer für den Kläger: über 60.000,00 DM,
51
für die Beklagte: unter 60.000,00 DM.
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