Urteil des OLG Köln vom 25.03.1999

OLG Köln (wohl des kindes, pflegeeltern, elterliche sorge, beschwerde, kind, kindeswohl, gefährdung, auswahl, ergebnis, mitwirkung)

Oberlandesgericht Köln, 21 WF 45/99
Datum:
25.03.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
21. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
21 WF 45/99
Vorinstanz:
Amtsgericht Bergheim, 61 F 276/98
Tenor:
Die befristete Beschwerde des Verfahrenspflegers des betroffenen
Kindes vom 20. Januar 1999 gegen den Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht- Bergheim vom 14. Januar 1999 (61 F 276/98) wird
zurückgewiesen.
Die Beschwerde ist gebührenfrei; eine Erstattung außergerichtlicher
Kosten findet nicht statt.
G r ü n d e :
1
Das Familiengericht hat durch den im Tenor näher bezeichneten Beschluss -auf den
wegen aller Einzelheiten in vollem Umfang Bezug genommen wird- "in Abänderung des
Beschlusses des Landgerichts Köln vom 22. Juni 1998 -6 T 124/98- das elterliche
Sorgerecht betreffend das beteiligte Kind hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung, der
Gesundheitsfürsorge sowie der Mitwirkung bei der Auswahl der Pflegefamilie auf die
Antragstellerin zurückübertragen".
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Dieser Teil der elterlichen Sorge war damals der Kindesmutter entzogen und dem
Jugendamt Bergheim als Pfleger übertragen worden.
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Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Verfahrenspflegers, die
gemäß den §§ 621 e, 516, 519 ZPO i. V. m. Art. 15 § 1 Abs. 2 S. 3 KindRG zulässig ist;
der Verfahrenspfleger ist zur Einlegung des Rechtsmittels befugt.
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In der Sache selbst hat die Beschwerde, auf deren pauschale Begründung verwiesen
wird, indessen keinen Erfolg.
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Sie richtet sich inhaltlich "ausschließlich gegen die Rechtsansicht des Amtsgerichts,
dass die Mitgliedschaft der Eheleute E.-K. zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen J.
nicht als Gefährdung des Kindeswohls angesehen werden kann".
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Die Entscheidung des Familiengerichts ist aufgrund des derzeitigen Erkenntnisstandes
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im Ergebnis nicht zu beanstanden. Eine gegenwärtige Gefahr und/oder künftige
Gefährdung für das Wohl des Kindes, die ein anderes Ergebnis begründen und
rechtfertigen würde, ist weder konkret vorgetragen worden noch aus dem weiteren
Akteninhalt ersichtlich.
Der Senat sieht deshalb im Einklang mit dem Familiengericht keine Veranlassung, die
vom Verfahrenspfleger in Zweifel gezogene Erziehungseignung der Pflegeeltern zu
verneinen.
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Allein durch die Zugehörigkeit der Pflegeeltern zu der Glaubensgemeinschaft der
Zeugen J wird nicht zwingend indiziert, dass diesen generell die Erziehungsfähigkeit
fehlt. Eine Entscheidung, die ungeachtet möglicher Gegenargumente im Wesentlichen
allein auf einer unterschiedlichen Religionszugehörigkeit als solcher beruht, kann schon
vom Grundsatz her nicht akzeptiert werden (EuGH -LS- FamRZ 1994, 1275).
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Ob die Erziehungseignung im Sinne des § 1 Abs. 1 SGB VIII deshalb in Frage gestellt
wird, bedarf einer konkreten Einzelfallprüfung; insbesondere ist, zumindest vom Ansatz
her gesehen nachvollziehbar, darzulegen, inwieweit die Grundsätze der Zeugen J von
den Pflegeeltern im vorliegenden Fall nachdrücklich angewandt werden und die
Kindererziehung somit negativ beeinflussen (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht,
3. Aufl., § 1671 Rn. 59 m. w. N.).
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Daß (selbst) die (engagierte) Zugehörigkeit zu den Zeugen J für sich allein jedoch nicht
ausreicht, eine Erziehungsunfähigkeit zu konstatieren, entspricht der herrschenden
Meinung in der Rechtsprechung (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1995, 1290 f.; OLG
Düsseldorf FamRZ 1995, 1511 f.; OLG Saarbrücken FamRZ 1996, 561; OLG Hamburg
FamRZ 1996, 684 m. Anm. Garbe).
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Soweit die Religionslehre der Zeugen J (notwendig) Einfluss auf die Entwicklung der
Persönlichkeit des Kindes nimmt oder zu nehmen geeignet ist (vgl. dazu etwa OLG
Frankfurt FamRZ 1994, 920 f.), muss es dennoch dem Einzelfall überlassen bleiben, ob
dadurch das Kindeswohl tatsächlich beeinträchtigt ist und wird. Denn sonst würde man
sich über die besondere Schutzwürdigkeit des zu betreuenden und erziehenden Kindes
hinwegsetzen.
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Für das Kind S können derzeit das Kindeswohl insoweit beeinträchtigende Faktoren
und Umstände nicht festgestellt werden.
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Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht dargelegt worden und ersichtlich, dass die
Pflegeeltern das Kind etwa zu einer unreflektierten und intoleranten Haltung gegenüber
anderen Glaubensrichtungen erziehen oder auf andere dem Kindeswohl
widersprechende Weise in eine starke Abhängigkeit von ihrer Glaubensgemeinschaft
bringen werden oder wollen.
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Die vorliegende Senatsentscheidung bedeutet allerdings für die Pflegeeltern keinen
erzieherischen "Freibrief" (so Grabe, a.a.O.). Liegen nämlich konkrete Anhaltspunkte
dafür vor, dass der von ihnen praktizierte Erziehungsstil den wohlverstandenen
Interessen des Kindes relevant zuwiderläuft, müßte ihre Erziehungseignung in der Tat
neu überprüft werden, und zwar gegebenenfalls ebenso wie die ungeteilte elterliche
Sorge zu Gunsten der Kindesmutter im Hinblick auf die Mitwirkung bei der Auswahl der
Pflegefamilie.
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Aber auch in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass allgemein gehaltene
Floskeln, das Kind würde im Rahmen der von den Pflegeeltern vorgelebten
Religionslehre (u. a.) in eine Außenseiterrolle gedrängt, nicht ausreichen, um sogleich
von einer akuten Beeinträchtigung oder gar Gefährdung des Kindeswohles
auszugehen; dies gilt auch hinsichtlich der religiösen Erziehung des Kindes.
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Es ist im übrigen abschließend auch anzumerken, dass es mit dem Grundrecht der
Glaubens- und Bekenntnisfreiheit unvereinbar ist, Pflegeeltern allein wegen ihrer
Glaubenszugehörigkeit zu den Zeugen J die Eignung zur Erziehung von Kindern
abzusprechen (vgl. so schon zutreffend BayObLG NJW 1976, 2017 f.; ferner OLG Hamm
NJW-FER 1997, 54 m. w. N.).
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Nach alledem musste die Beschwerde schon auf der Grundlage des Vorbringens des
Beschwerdeführers zurückgewiesen werden, so daß es einer Stellungnahme der
Pflegeeltern, wie von diesen im Schriftsatz deren Verfahrensbevollmächtigten vom 19.
März 1999 beantragt, nicht bedurfte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 131 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 KostO, 13 a FGG.
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Beschwerdewert: 5.000,00 DM
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