Urteil des OLG Köln vom 08.06.1982
OLG Köln: eheliche wohnung, nettoeinkommen, armenrecht, ermessen, dispositionen, sozialstaatsprinzip, verfassungskonform, durchschnitt, behandlung, darlehen
Oberlandesgericht Köln, 21 WF 78/82
Datum:
08.06.1982
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
21. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
21 WF 78/82
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 303 F 330/80 PKH
Schlagworte:
Änderung der Prozeßkostenhilfebewilligung bei geänderter rechtlicher
Beurteilung
Normen:
§§ 121, 124 ZPO
Leitsätze:
Hat das Gericht aufgrund einer zunächst fehlerhaften Beurteilung
Prozeßkostenhilfe ohne Raten bewilligt, so kann es die Entscheidung
bezüglich der Hilfsbedürftigkeit des Antragstellers nachträglich
abändern.
Diese Abänderung untersteht dabei seinem pflichtgemäßen Ermessen,
wobei zu beachten ist, ob der Antragsteller im Vertrauen auf die
zunächst erfolgte Prozeßkostenhilfebewilligung finanzielle
Dispositionen getroffen hat.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluß des
Amtsgerichts - Familiengericht - Köln vorn 11. Dezember 1981 und der
Abhilfebeschluß
dieses Gerichts vom 5. Mai 1982 - 303 F 330/80 PKH - unter
Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen teilweise abgeändert und
insgesamt wie folgt neu
gefaßt:
In teilweiser Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts -
Familiengericht - Köln vom 24. April 1981 - 303 F 330/80 PKH - werden
die von dem Antragsteller zu zahlenden Monatsraten auf 40,-- DM,
beginnend mit dem 1. Juli 1982, festgesetzt.
G r ü n d e:
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Die Parteien, beide deutsche Staatsangehörige, haben am 30. April 1970 die Ehe
geschlossen, aus der als einziges Kind der am 23. November 1970 geborene Sohn G.
hervorgegangen ist. Seit Januar 1980 leben die Parteien getrennt, nachdem der
Antragsteller damals die eheliche Wohnung verlassen hatte. Der Sohn G. lebt seit der
Trennung der Parteien bei der Antragsgegnerin.
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Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1980 hat der Antragsteller bei dem Amtsgericht Köln
die Scheidung seiner Ehe beantragt.
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Zugleich hat der Antragsteller um Bewilligung des Armenrechts für das
Scheidungsverfahren nachgesucht.
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Nachdem der Antragsteller mit Schriftsatz vom 3. April 1981 die formularmäßige
Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie eine
Gehaltsbescheinigung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1981 vorgelegt hatte, ist
ihm durch Beschluß vom 24. April 1981 unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. I.
Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlungen bewilligt worden.
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Durch den hiermit in Bezug genommenen Beschluß vom 11. Dezember 1981 hat das
Amtsgericht in Abänderung des Beschlusses vom 24. April 1981 gemäß § 120 Abs. 1
ZPO angeordnet, daß der Antragsteller ab 1. Januar 1982 monatliche Raten von 240,--
DM zu zahlen hat.
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Gegen diesen Beschluß hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom3. März 1982
Beschwerde eingelegt mit dem Antrag,
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unter Aufhebung des Beschlusses vom 11. Dezember 1981 dem Antragsteller die
Rückzahlung der gewährten Prozeßkostenhilfe zu erlassen.
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Durch Beschluß vom 5. Mai 1982, auf den ebenfalls Bezug genommen wird, hat das
Amtsgericht der Beschwerde des Antragstellers nur insoweit abgeholfen, als die von
dem Antragsteller zu zahlenden Monatsraten auf 120,-- DM ermäßigt worden sind.
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Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
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Nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers ist es
gerechtfertigt, den Beschluß des Amtsgerichts vom 24. April 1981, durch welchen dem
Antragsteller Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlungen bewilligt worden ist, gemäß §
124 Nr. 3 ZPO dahin abzuändern, daß der Antragsteller nunmehr monatliche Raten von
40,-- DM, beginnend mit dem 1. Juli 1982, zu zahlen hat.
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Nach § 124 Nr. 3 ZPO kann die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe aufgehoben oder zu
Lasten der Partei abgeändert werden, wenn die persönlichen oder wirtschaftlichen
Voraussetzungen für die Prozeßkostenhilfe nicht vorgelegen haben. Dieser Tatbestand
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ist hier erfüllt.
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Wie sich aus der bereits mit Schriftsatz vom 3. April 1981 vorgelegten
Verdienstbescheinigung des Antragstellers für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1981
ergibt (BI. 11 d.A.), hat der Antragsteller damals im Monatsdurchschnitt rd. 2.155,-DM
netto verdient. Daraus errechnet sich ein Einkommen im Sinne der Vorschrift des § 115
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Abs. 1 ZPO in Höhe von 1.163,-DM, selbst wenn man die monatlichen Raten von rd.
567,-- DM, die der Antragsteller zur Tilgung des bei der W. AG in J. aufgenommenen
Darlehens zu zahlen hat (BI. 27 d.A.), in vollem Umfang einkommensmindernd
berücksichtigt (2.155,-- DM Nettoeinkommen ./. 255,-- DM Kinderunterhalt ./. 170,-- DM
Ehegattenunterhalt ./. 567,-- DM Darlehensrate) . Dem Antragsteller hätte also von
vornherein Prozeßkostenhilfe nur unter Festsetzung von monatlichen Raten in Höhe
von mindestens 120,-- DM bewilligt werden dürfen. Die Bewilligung in dem Beschluß
vom .24. April 1981 entspricht demnach nicht den wirklichen persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers.
Allerdings waren dem Amtsgericht die wirklichen Einkommensverhältnisse des
Antragstellers bei Erlaß des Beschlusses vom 24. April 1981 bekannt, da der
Antragsteller seine Verdienstbescheinigung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1981
bereits mit Schriftsatz vom 3. April 1981 (BI. 11 der Scheidungsakten) vorgelegt hat.
Obwohl sich deshalb eine Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung als eine
Abänderung wegen bloßer Veränderung in der rechtlichen Beurteilung darstellt, ist eine
solche Abänderung gemäß § 124 Nr. 3 ZPO zulässig, weil diese Vorschrift nach ihrem
Wortlaut und Zweck auch die Fälle erfaßt, in denen das Gericht Prozeßkostenhilfe
aufgrund einer rechtlich fehlerhaften Beurteilung der objektiven Sachlage bewilligt hat
(vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Anm. 1 zu § 124). Die gegenteilige
Auffassung von Schneider, der ohne nähere Begründung meint, dem Gericht bei
Bewilligung von Prozeßkostenhilfe bekannte, aber nicht zu Lasten des Hilfsbedürftigen
berücksichtigte
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Bewertungsumstände könnten eine Aufhebung der Bewilligung nicht rechtfertigen (vgl.
Zöller-Schneider, ZPO, Anm. III, 3 e zu § 124), findet im Gesetz keine hinreichende
Stütze. Soweit es um die Hilfsbedürftigkeit der Partei im Zeitpunkt der Bewilligung
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geht, stimmt die Vorschrift in § 124 Nr. 3 ZPO fast wörtlich mit der Vorschrift des § 121
ZPO a.F. überein. Nach dieser Vorschrift konnte das Armenrecht zu jeder Zeit entzogen
werden, wenn sich ergibt, "daß eine Voraussetzung der Bewilligung nicht vorhanden
war ... "Dabei war nicht zweifelhaft, daß das Armenrecht auch entzogen werden konnte,
wenn das Gericht bei einer neuerlichen Prüfung des gleichgebliebenen Sachverhalts
die
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Voraussetzungen für die Bewilligung des Armenrechts nunmehr anders beurteilte als
zur Zeit der ursprünglichen Bewilligung (vgl. Stein-Jonas-Leipold, ZPO, RdNr. 1 und 6).
Daß sich an dieser Rechtslage durch die insoweit fast gleichlautende Vorschrift in § 124
Nr. 3 ZPO etwas ändern sollte, ist nicht ersichtlich. Unzuträglichkeiten bei der
Entziehung des Armenrechts wegen einer anderweitigen rechtlichen Beurteilung haben
sich auch unter
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der Geltung des § 121 ZPO a.F. nur ergeben, soweit die Voraussetzung der
Erfolgsaussicht oder der fehlenden Mutwilligkeit infrage stand (vgl. hierzu Stein-Jonas-
Leipold, ZPO, RdNr. 5 und 6). Diese Unzuträglichkeiten hat der Gesetzgeber dadurch
beseitigt,
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daß eine Aufhebung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wegen Fehlens ihrer
sachlichen Voraussetzungen jetzt nur noch zulässig ist, wenn die Partei durch
unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der
Prozeßkostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat (§ 124 Nr. 1 ZPO).
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Die hiernach zulässige Abänderung des Beschlusses vom 24. April 1981 führt nach
Lage des Falles zur Festsetzung von monatlichen Raten von 40,-- DM, beginnend mit
dem 1. Juli 1982.
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Nach § 124 ZPO "kann" das Gericht unter den in dieser Vorschrift im einzelnen
beschriebenen Voraussetzungen die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe aufheben.
Damit wird die Aufhebung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Bei
seiner Entscheidung hat das Gericht die Besonderheiten des jeweiligen Falles zu
beachten und insbesondere die schutzwürdigen Interessen der hilfsbedürftigen Partei
zu berücksichtigen (vgl. Schuster, Prozeßkostenhilfe, RdNr. 3 zu § 124 ZPO; Zöller,
ZPO, Anm. IV, 1 zu § 124). Der davon abweichenden Auffassung, wonach das Wort
"kann" in § 124 ZPO ebenso wie in § 121 ZPO a.F. nicht die Einräumung eines
Ermessens, sondern bloße Zuständigkeitsregelung bedeutet (so
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Anm. 2 zu § 124), vermag der Senat
nicht zu folgen. Abgesehen davon, daß schon die Vorschrift in § 121 ZPO a.F. auch im
Sinne einer Ermessensvorschrlft verstanden worden ist (vgl. SteinJonas-Leipold, ZPO,
RdNr. 4 zu § 121), ergibt sich die Deutung der Vorschrift in § 124 ZPO als einer
Ermessensvorschrift unzweifelhaft aus der mit dem Gesetzeswortlaut
übereinstimmenden amtlichen Begründung des Gesetzes (vgl. BT-Drucksache 8/3068
Seite 31). Wenn Hartmann (a.a.O.) demgegenüber darauf hinweist, daß die Auslegung
der Vorschrift in § 124 ZPO als Ermessensvorschrift den berechtigten Belangen des
Prozeßgegners und insbesondere der Staatskasse zuwiderlaufe, muß er sich
entgegenhalten lassen, daß in den Fällen des § 124 ZPO nur eine Ermesserisvorschrift
den Richter in die Lage versetzt, im jeweiligen Einzelfall den Belangen aller Beteiligten
gerecht zu werden. Nur wenn der Richter bei seiner Entscheidung auch die
schutzwürdigen Interessen der hilfsbedürftigen Partei angemessen berücksichtigen
kann, wird der Zweck der Prozeßkostenhilfe im Einzelfall gewährleistet. Dieser Zweck
besteht darin, die prozessuale Stellung von Bemittelten und Unbemittelten weitgehend
anzugleichen und auf diese Weise den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3
Abs. 1 GG) sowie das Sozialstaatsprinzip der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 GG) zu
verwirklichen (vgl. BVerfG in NJW 1959/715 und 1960/331). Angesichts dessen gebietet
auch der Grundsatz, Gesetze verfassungskonform auszulegen, die Vorschrift in § 124
ZPO als eine Ermessensvorschrift zu verstehen.
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Hier ist zu Gunsten des Antragstellers zunächst zu berücksichtigen, daß sich seine
Einkommensverhältnisse seit Bewilligung der Prozeßkostenhilfe verschlechtert haben.
Während der Antragsteller in den ersten drei Monaten des Jahres 1981 noch nach der
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Lohnsteuer-Klasse III/1 besteuert worden ist, ist er im späteren Verlauf des Jahres 1981
rückwirkend in die Lohnsteuer-Klasse I eingestuft worden. Das hat dazu geführt, daß
sein monatliches Nettoeinkommen im Durchschnitt des gesamten Kalenderjahres 1981
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nur rd. 1.898,-- DM betragen hat, wie sich im einzelnen aus seinem Lohnzettel für das
Kalenderjahr 1981 ergibt (BI. 34 d.A.). Im übrigen kann nicht unberücksichtigt bleiben,
daß der Familienrichter dem Antragsteller zunächst Prozeßkostenhilfe ohne
Ratenzahlungen bewilligt und damit einen Tatbestand geschaffen hat, auf den der
Antragsteller nach Lage des Falles vertrauen durfte. Denn wenn einer hilfsbedürftigen
Partei, die - wie hier der Antragsteller - ihre persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse vollständig und wahrheitsgemäß angegeben hat, Prozeßkostenhilfe
bewilligt worden ist, darf die Partei grundsätzlich auf den Bestand der erfolgten
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Bewilligung vertrauen und ihre finanziellen Dispositionen darauf einrichten. Angesichts
dessen hält es der Senat für angemessen, die von dem Antragsteller zu entrichtenden
Darlehensraten in vollem Umfang
als besondere Belastung in Rechnung zu stellen (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 ZPO),
zumal der Antragsteller das zugrundeliegende Darlehen in dem bereits mit seinem
Schriftsatz vorn 3. April 1981 überreichten Vordruck nach § 117 ZPO angegeben hatte
(BI. 9 d.A.). Demnach verfügt der Antragsteller gegenwärtig über ein gemäß § 115 Abs.
1 ZPO zu berücksichtigendes Einkommen von 906,-- DM (1.898,-- DM Nettoeinkommen
./. 255,-- DM Kinderunterhalt ./. 170,-- DM Ehegattenunterhalt ./. 567,-- DM
Darlehensrate) , so daß er nach der Tabelle in Anlage 1 zu § 114 ZPO an sich
monatliche Raten von 60,-- DM zahlen müßte. Mit Rücksicht darauf, daß der
Antragsteller sich inzwischen einer zahnärztlichen Behandlung unterziehen mußte und
von den Kosten dafür einen Betrag von 1.400,-- DM selbst zu tragen hat, erscheint eine
Herabsetzung der monatlichen Raten auf 40,-- DM geboten.
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Demnach mußte der angefochtene Beschluß in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang abgeändert werden.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht vera:n.laßt (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
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Wert der Beschwerde, soweit sie zurückgewiesen worden ist: 100,-- DM.
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