Urteil des OLG Köln vom 09.09.2003
OLG Köln: vernehmung von zeugen, arglistige täuschung, geringes verschulden, widerklage, polizei, akontozahlung, quittung, computer, versicherungsnehmer, vollstreckung
Oberlandesgericht Köln, 9 U 30/03
Datum:
09.09.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 30/03
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 436/01
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 16. Januar 2003 verkündete
Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 436/01 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
G r ü n d e
1
I.
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Der Kläger schloß für die Zeit ab dem 1. April 2000 bei der Beklagten eine
Hausratversicherung ab. Die zuvor bei der E bestehende Versicherung war vom
Versicherer in Zusammenhang mit einem Einbruch (in die anschließend bei der
Beklagten versicherte Wohnung) gekündigt worden.
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Der Kläger hat behauptet, am 22. Oktober 2000 seien Unbekannte während seines
Urlaubs in seine Wohnung eingebrochen. Es seien Gegenstände teils entwendet, teils
verwüstet worden. Die Beklagte leistete eine Akontozahlung von 50.000 DM, die sie mit
der Widerklage zuzüglich entstandener Sachverständigenkosten von 4.535,14 DM
zurückfordert. Der Kläger verlangt den vom Schadensermittler der Beklagten
errechneten Entschädigungsbetrag von 75.690 DM und klagt dementsprechend
restliche 25.690 DM ein.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 13.135,09 EUR nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz der EZB seit dem 23.3.2001 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen
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und
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den Kläger zu verurteilen, an sie 27.883,37 EUR nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz der EZB seit dem 9.4.2001 zu zahlen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Widerklage abzuweisen.
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Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen die Klage abgewiesen und der
Widerklage antragsgemäß entsprochen, weil der Kläger einen falschen Beleg vorgelegt
habe (§ 22 VHB 95). Mit der Berufung wird weiter bestritten, daß der Beleg falsch sei
und unter anderem geltend gemacht, ein Beleg über 2.900 DM rechtfertige es nicht, dem
Kläger jeglichen Anspruch zu versagen.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 13.135,09 EUR nebst 5% Zinsen über
dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.3.2001 zu zahlen,
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2. die Widerklage abzuweisen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil und den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift
vom 15. Juli 2003 Bezug genommen. Die Akten der Staatsanwaltschaft Bremen 280 Js
37793/01 sind - wie in der Sitzungsniederschrift festgehalten - Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen.
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II.
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Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
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Das Landgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nach § 22 Abs. 1
VHB leistungsfrei. Das Landgericht ist nach der Vernehmung von Zeugen zu dem
Ergebnis gelangt, daß der Kläger die Beklagte durch Vorlage des von ihm selbst
ausgefüllten "Sammelbelegs" und der ergänzend abgegebenen Erklärungen arglistig
getäuscht hat. Die Ausführungen des Landgerichts sind hierzu überzeugend. Es besteht
kein Anlaß, die Beweisaufnahme zu wiederholen oder auf den Inhalt des Gesprächs
vom 20. November 2000 auszudehnen. Die Ausführungen des Klägers zu seinen bei
diesem ersten Gespräch abgegebenen Erklärungen können als zutreffend unterstellt
werden. Sie haben keinen Einfluß auf die Würdigung des Beweisergebnisses. Der
Charakter der Quittung als "Sammelbeleg" ergab sich aus ihrem Inhalt und bedurfte
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keiner besonderen Erläuterung. Zur Herkunft der Quittung und zu den Umständen der
Entstehung hat der Kläger auch am 20. November 2000 keine "richtigeren" Angaben
gemacht als am 30. Januar 2001. Er hat insbesondere nicht erwähnt, daß er persönlich
die Quittung ausgefüllt hat und nur die Unterschrift nicht von seiner Hand stammt.
Soweit der Kläger meint, die von ihm verübte arglistige Täuschung könne nicht zur
völligen Leistungsfreiheit führen, verkennt er die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, nach der in Ausnahmefällen eine völlige Leistungsfreiheit bei
einem Sachverhalt der hier gegebenen Art unbillig sein kann. So kann ein vollständiger
Anspruchsverlust als unbillig erscheinen, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil
des geltend gemachten Anspruchs betrifft, der Anspruchsverlust zu einer
Existenzbedrohung beim Versicherungsnehmer führen würde und diesen nur ein
geringes Verschulden trifft (BGH NJW-RR 1993, 1117). Solche zusätzlichen Umstände,
die zur Bejahung der Unbilligkeit führen könnten, sind jedoch nicht vorgetragen und
nicht ersichtlich.
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Im übrigen ist die Beklagte ohnehin hinsichtlich des größten Teils der Gegenstände, für
die Ersatz verlangt wird, auch deswegen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 VHB in Verbindung
mit § 6 Abs. 3 VVG leistungsfrei geworden, weil der Kläger gegen § 21 Abs. 1 c VHB
verstoßen hat. Nach § 21 Abs. 1 c VHB (in der Fassung der vertraglich vereinbarten
"VHB 95") hatte der Kläger der zuständigen Polizeidienststelle unverzüglich ein
Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen einzureichen, und nach § 21 Abs. 2
Satz 2 VHB führt eine Verletzung dieser Obliegenheit hinsichtlich der nicht (hier: nicht
hinreichend präzise) angezeigten Sachen zur Leistungsfreiheit.
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Der Verpflichtung, die gestohlenen Gegenstände gegenüber der Polizei zu bezeichnen,
ist der Kläger nicht in der erforderlichen Weise nachgekommen. Die von ihm bei der
Behörde eingereichte Stehlgutliste ist - auch nach einer angeforderten Ergänzung -
unzureichend. Die mit Schreiben vom 31. Oktober 2000 überreichte "Auflistung der
gestohlenen und zerstörten Gegenstände" enthält keine genaue Bezeichnung der
entwendeten Gegenstände. So sind unter anderem eine Hifi-Anlage, ein Computer,
sechs Uhren, ein Uhrenbeweger, eine Fotoausrüstung, zwei Fernseher, zwei
Videorecorder und Musikboxen ohne nähere Angaben erwähnt. Lediglich das
Anschaffungsjahr wurde angegeben, im übrigen erfolgte keine weitere Präzisierung mit
einer Ausnahme, denn zu den Uhren wurden die Hersteller angegeben bzw. Angaben
zum Design gemacht (Rolex, Breitling, Junghans, Sector-, Porsche- und Ferrari-Uhr).
Der Kläger wurde anschließend von der Polizei ausdrücklich in einem Telefongespräch
aufgefordert, eine Präzisierung des Diebesguts vorzunehmen. Hierauf teilte er unter
dem 10. November 2000 mit, er habe versucht, "die Marken der gestohlenen
Gegenstände aufzulisten". Er habe keine Gerätenummern oder sonstige
Identifikationsnummern. Sämtliche Unterlagen seien beim Einbruch entwendet worden.
Beigefügt war eine kurze Liste, die zu einigen Gegenständen eine Markenbezeichnung
enthielt, so z. B. "Hifi-Anlage Sony", "Computer Compaq". Diese Angaben waren
ersichtlich nach wie vor nicht geeignet, eine Ermittlung der Gegenstände oder der Täter
zu ermöglichen. Die vom Kläger gegenüber der Polizei abgegebene Begründung,
sämtliche Belege seien gestohlen, eine Präzisierung sei deshalb nicht möglich, ist - wie
aktenkundig ist - falsch, denn gegenüber der Beklagten hat der Kläger für die meisten
Gegenstände Rechnungen vorgelegt. Er gab etwa hinsichtlich der Stereoanlage die
Gerätetypen genau an (s. Liste GA 28 ff.). Hinsichtlich der Uhren der Marken Rolex und
Breitling verfügte er über die Referenz-Nummern und hatte Belege über den Erwerb. Zur
Breitling Uhr konnte er sogar zusätzlich die Individualnummer angeben, die für die
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Rolex-Uhr noch beim Händler erfragt werden sollte.
Nach § 6 Abs. 3 VVG ist davon auszugehen, daß die dargestellte
Obliegenheitsverletzung vorsätzlich erfolgte. Der Kläger hat im Prozeß versucht, sein
Verhalten gegenüber der Polizei damit zu begründen, daß er keine Nummern kannte,
die eine Individualisierung der Gegenstände erlaubt hätte. Dieser Vortrag steht aber -
wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - in Widerspruch zu der bei der
Beklagten eingereichten Stehlgutliste und der großen Zahl von vorhandenen Belegen,
so daß nichts dargetan ist, was der Bejahung des Vorsatzes entgegenstehen könnte.
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Für folgenlose, nach dem Versicherungsfall begangene Obliegenheitsverletzungen tritt
Leistungsfreiheit des Versicherers nach der Relevanzrechtsprechung des BGH (BGH
VersR 1998, 447; BGH VersR 1969, 651) nur ein, wenn der Obliegenheitsverstoß
objektiv - d. h. generell - geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu
gefährden und subjektiv von einigem Gewicht war, d. h. den Versicherungsnehmer muß
ein erhebliches Verschulden treffen. Im vorliegenden Fall besteht jedoch kein Anlaß, im
einzelnen darzulegen, daß diese Voraussetzungen der Leistungsfreiheit gegeben sind,
denn da die Beklagte eine (nicht unerhebliche) Akontozahlung erbracht hat, kann nicht
davon ausgegangen werden, daß die Obliegenheitsverletzung folgenlos geblieben ist.
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Die Berufung hat auch keinen Erfolg, soweit die Abweisung der Widerklage beantragt
ist. Das Landgericht hat den Kläger zutreffend zur Rückzahlung der erhaltenen
Akontozahlung verurteilt, denn er hat das Geld erhalten, obwohl die Beklagte aus den
dargelegten Gründen leistungsfrei war. Der Rückzahlungsanspruch ergibt sich in dieser
Situation hinsichtlich der geleisteten Akontozahlung aus § 812 Abs. 1, Satz 1, 1. Alt.
BGB und hinsichtlich der Sachverständigenkosten - wie vom Landgericht dargelegt -
aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB.
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Weitere Ausführungen dazu, daß die Beklagte den Versicherungsvertrag nicht mit Erfolg
wegen arglistiger Täuschung bei Abschluß des Vertrages angefochten hat, erübrigen
sich.
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Die Zinsforderung der Beklagten ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§
286, 288 BGB).
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Ein Anlaß, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die
Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des
Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 41.018,46 EUR (Klage 13.135,09 EUR +
Widerklage 27.883,37 EUR)
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