Urteil des OLG Köln vom 23.01.2001

OLG Köln: schiffsführer, kurs, nebel, geschwindigkeit, unfall, kollision, abgabe, mitverschulden, gefahr, wetter

Oberlandesgericht Köln, 3 U 155/00 BSch
Datum:
23.01.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 155/00 BSch
Vorinstanz:
Amtsgericht Duisburg-Ruhrort, 5 C 5/00 BSch
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. Juli 2000 verkündete Urteil
des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort - 5 C 5/00 BSch - wird auf
Kosten der Klägerin zurückgewiesen. Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung der Klägerin
hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Klägerin als Versicherer des Eigners des MS "R." steht gegen die Beklagte als
Eigentümerin des TMS "L." kein Schadensersatzanspruch gem. §§ 3, 92 ff, 114
Binnenschiffahrtsgesetz zu. Zu Unrecht rügt die Klägerin, dass das
Rheinschiffahrtsgericht die erstinstanzlich erhobenen Beweise falsch gewürdigt habe
und somit zu Unrecht von einem Alleinverschulden ihres Versicherungsnehmers an der
streitgegenständlichen Schiffskollision ausgegangen sei, vielmehr treffe die Beklagte
ein hälftiges Mitverschulden, da die Schiffsführung der Beklagten § 6.03 Nr. 3
Rheinschifffahrtspolizeiverordnung nicht beachtet habe.
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Ein Verstoß der Schiffsführung von TMS "L." gegen § 6.03 Nr. 3
Rheinschiffahrtspolizeiverordnung kann nicht festgestellt werden. Nach dieser Vorschrift
dürfen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen,
beim Begegnen ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit nicht in einer Weise ändern, die
die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. Einen solchen, von der
Klägerin zumindest erstinstanzlich behaupteten Kurswechsel hat TMS "L." unmittelbar
vor dem Unfall nicht gemacht. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem
Rheinschiffahrtsgericht aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme
davon überzeugt, dass sich der Unfall deshalb ereignet hat, weil MS "R." im Nebel
verfallen und dadurch mit dem Bug in den Kurs der rechtsrheinisch zu Tal fahrenden
TMS "L." geraten ist. Umfassend hat das Rheinschiffahrtsgericht die erhobenen
Beweise gewürdigt und insbesondere auch den Inhalt der Verklarungsakte im Wege
des Urkundenbeweises ausgewertet und ist mit überzeugender Begründung zu einem
Alleinverschulden der Schiffsführung des Versicherungsnehmers der Klägerin
gekommen. Entscheidend ist, dass das nicht mit Radar ausgerüstete Motorschiff "R." bei
auftretendem starken Nebel nicht sofort angehalten hat, sondern die Fahrt zunächst
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fortsetzte. Als MS "R." dann nach Backbord in den Kurs des talfahrenden Schiffes der
Beklagten verfiel, konnte dieses nicht mehr rechtzeitig gestoppt werden. Dieses fuhr mit
einer nicht höheren Geschwindigkeit als 15 km/h. Für eine behauptete höhere
Geschwindigkeit von jedenfalls 25 km/h ergeben sich keine Anhaltspunkte. Vielmehr
ergibt die Zeugenaussage S. allenfalls eine zum Unfallzeitpunkt gefahrene
Geschwindigkeit von 15 km/h, die nicht zu beanstanden ist.
Entscheidende Bedeutung kam bei der Sachverhaltsfeststellung zunächst der Aussage
des Zeugen H. zu, weil es sich um einen unbeteiligten Zeugen handelt, der zudem das
Geschehen aus einer guten Beobachtungsposition und aufmerksam verfolgt hat. Der
Zeuge H. war Lotse auf dem TMS "H.". TMS "H." befand sich wie MS "R." in der
Bergfahrt und fuhr unmittelbar hinter MS "R.". Der Zeuge H. beobachtete den Unfall auf
seinem Radargerät. Er hat mit Bestimmtheit bekundet, dass die Schiffsführer der beiden
unfallbeteiligten Schiffe zunächst eine Begegnung Backbord an Backbord
abgesprochen hatten, dass die Kurse der beiden Schiffe zunächst auch entsprechend
lagen und dass schließlich der Bug von MS "R." nach Backbord in den Kurs der Talfahrt
verfallen ist. Weiter hat der Zeuge mit Bestimmtheit ausgesagt, dass TMS "L." in dem
Moment, als MS R. verfiel, keine Möglichkeit mehr hatte, die Kollision zu vermeiden,
weil die Entfernung der beiden Schiffe zu gering war. Der Zeuge schätzte die
Entfernung auf nur noch ca. 200 m. Bestätigt wurde diese Darstellung des Geschehens
durch die Zeugen S. und B., beides Schiffsführer auf TMS "L.". Der gegenteiligen
Aussage des Beklagten im Verklarungsverfahren, im Moment der Kollision habe MS
"R." gestreckt linksrheinisch im Strom gelegen, kann demgegenüber nicht gefolgt
werden. Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil der Beklagte dies im wesentlichen
nur aus einem Funkgespräch ableitet, welches sein Lotse H. mit der Schiffsführung von
TMS "H." geführt hatte. Das Beweisergebnis wird schließlich auch nicht wiederlegt
durch die Aussage des Zeugen H., auch wenn dieser nach seiner Darstellung bis zum
Zeitpunkt der Kollision der Auffassung war, dass MS "R." korrekt und gestreckt im Strom
lag. Denn der Zeuge räumte bei seiner Vernehmung ein, dass er "kurzzeitig die
Orientierung verloren" hatte. Im Ergebnis beruhte diese Auffassung des Zeugen H.
ebenfalls nicht auf sicheren eigenen Feststellungen, sondern nur darauf, dass die
Schiffsführung von TMS "H." ihm vorher gesagt hatte, er liege gestreckt und gut und
dass dies im weiteren nicht korrigiert worden sei. Tatsächlich aber hatten sowohl der
Schiffsführer des TMS "L." als auch der Zeuge H. von TMS "H." die Schiffsführung von
MS "R." aufgefordert, den Kurs nach Steuerbord auszurichten, weil MS "R. gerade nicht
mehr gestreckt im Strom lag. Dabei kann unentschieden bleiben, ob diese beiden
Funksprüche sich überlagerten und deshalb für den Zeugen H. nicht hörbar waren.
Jedenfalls steht fest, dass MS "R." nach Backbord verfallen war und dadurch die
Kollision verursacht hat.
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Dagegen trifft den Schiffsführer der Beklagten kein Mitverschulden an dem Unfall.
Dieser durfte vielmehr zunächst darauf vertrauen, dass der Schiffsführer von MS "R."
den abgesprochenen Kurs beibehielt bzw. bei zu starkem Nebel die Fahrt einstellte.
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Dieses Vertrauen entband zwar den Schiffsführer der MTS "L." als Talfahrer nicht
generell von der Pflicht, auch seinerseits alles zu tun, um Kollisionen mit
Gegenkommern zu vermeiden (vgl. soweit BGH VersR MDR 1974, 188). Er musste
daher gegebenenfalls die Geschwindigkeit vermindern und falls nötig, Bug zu Tal
anhalten oder aufdrehen, sobald Standort oder Kurs des Gegenkommers eine
Gefahrenlage verursachen konnte. Dabei ist unter Kurs nicht lediglich die Lage und
Fahrtrichtung des Gegenkommers bei seiner Wahrnehmung auf dem Radarschirm zu
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verstehen. Vielmehr ist auch zu beachten, welchen Weg dieser voraussichtlich nehmen
wird. Deshalb kann der Radartalfahrer u.a. dort, wo die Bergfahrt wegen der
Fahrwasserverhältnissen einen Übergang zu machen pflegt, erst dann sicher sein, dass
ein Gegenkommer den Uferwechsel unterlässt, wenn es zwischen ihnen - sei es durch
Schallzeichen oder auf andere Weise - zu einer Verständigung gekommen ist oder sich
aus sonstigen Umständen eindeutigen ergibt, dass der Gegenkommer auf der bisher
eingehaltenen Seite bleiben wird. Er wird auch zu beachten haben, dass die
Wahrnehmbarkeit von Dreitonzeichen beeinträchtigt sein kann.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich ein Mitverschulden der Beklagten
als Talfahrer nach Auffassung des Senates nicht erkennen. Bei der gegebenen
Sachlage brauchte ihre Schiffsführung mit einem Kurswechsel bzw. Verfallen des MS
"R." nicht zu rechnen, so dass die eingehaltene Fahrweise den besonderen
Witterungsverhältnissen in ausreichendem Maße Rechnung trug.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wurde allenfalls mit einer Geschwindigkeit
von 15 km/h gefahren. Eine höhere vom Beklagten-Schiff gefahrene Geschwindigkeit ist
in keiner Weise konkret belegt. Die Angaben der Klägerin hierzu sind reine Vermutung.
Insoweit sieht der Senat es aufgrund der Aussage des Zeugen S. als erwiesen an, dass
die TMS "L." mit einer Geschwindigkeit von ca. 15 km/h im Kollisionszeitpunkt gefahren
ist.
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Auch kann dem talfahrenden Schiffsführer nicht vorgeworfen werden, dass er zu weit
"Strommitte" gefahren ist. Denn die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der
Schiffsführer S. nahe am rechten Rheinufer gefahren ist. Der entscheidende Fehler lag
vielmehr auf der Beklagtenseite darin, dass ihr nicht radarausgerüstetes bergfahrendes
Schiff bei auftretendem Nebel nicht rechtzeitig die Fahrt einstellte. Der Schiffsführer war
frühzeitig gewarnt. Es herrschte am Unfallmorgen in jenem Abschnitt nebeliges Wetter.
Mit Nebelbänken war jederzeit zu rechnen. Die Wetterverhältnisse waren auch
Gegenstand des Funkverkehrs.
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Ein Mitverschulden der Beklagten kann auch nicht deswegen angenommen werden,
weil ihre Schiffsführung das Dreitonsignal nicht abgab. Dieses Unterlassen war - wie
das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend und für den Senat überzeugend ausführt - nicht
schadensursächlich. Über Funkverkehr war dem Schiffsführer des Beklagten S.
bekannt, dass sich das klägerische Schiff in Talfahrt näherte. Als das Beklagten-Schiff
verfiel, war das klägerische Schiff schon so nahe heran, dass der Unfall nicht mehr zu
vermeiden war. Zu diesem Zeitpunkt war das Abgeben des Dreitonsignales zur
Warnung unsinnig geworden.
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Im Gegenteil war eher die Schiffsführung des MS "R." gem. § 1.04
Rheinschiffahrtspolizeiverordnung gehalten selbst ein Tonsignalzeichen zu setzen (vgl.
Bemm/von Waldstein, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, 3. Aufl. 1996, § 6.31 Rdnr. 1 ff;
Rdnr. 3). Fahrzeuge, die wegen unsichtigen Wetters im Fahrwasser oder indessen
Nähe oder außerhalb von Häfen und Liegeplätzen still liegen oder zum Stillstand
kommen sollen, bilden für die durchgehende Schifffahrt, die durch das unsichtige Wetter
nicht behindert ist, eine potentielle Gefahr. Es ist deshalb eine gesteigerte Sorgfalt
geboten, damit nicht Signale anderer Fahrzeuge überhört werden. Bei besonders
ungünstiger Liegestelle im Fahrwasser sind gesteigerte Vorsichtsmaßnahmen geboten.
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§ 6.31 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung regelt heute nur noch den Fall, in dem ein
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Stilllieger bei unsichtigem Wetter zur Abgabe von Schallzeichen verpflichtet ist.
Schallzeichen nach Nr. 1 dieser Vorschriften müssen gegeben werden, sobald und
solange die Schallzeichen eines in Fahrt befindlichen Fahrzeuges vernommen werden.
Ob die zum Hinweis auf die eigene Liegestelle vorgeschriebenen Schallzeichen auch
gegeben werden sollen, ohne dass zuvor das Nebelzeichen eines in Fahrt befindlichen
Fahrzeugs wahrgenommen ist, besagt die Verordnung nicht. Aus der allgemeinen
Sorgfaltspflicht des § 1.04 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung muss eine solche
Verpflichtung aber entnommen werden, wenn mit dem Herankommen von Fahrzeugen
zu rechnen ist.
Ob die Verpflichtung zur Abgabe eines Tonsignals für die Schiffsführung des MS "R."
bestand, kann letztlich dahinstehen, da eine mögliche Pflichtverletzung nicht
schadensursächlich war. Der Kurs von MS "R." war bekannt und als das Schiff in den
Kurs von TMS "L." verfiel, was dessen Schiffsführung über Radar erkannt hatte, war es
zur Abwendung der Kollision bereits zu spät.
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Die Schiffsführung des MS "R." trifft damit ein Alleinverschulden an der Kollision. Der
Schiffsführung von MS "R." ist es anzulasten, dass das Schiff verfiel. Dieses ist dem
Versicherungsnehmer der Klägerin und damit auch dieser gem. § 3
Binnenschiffahrtsgesetz zuzurechnen. Das Verschulden des Zeugen H. - Schiffsführer
der MS "R." - folgt daraus, dass er gegen das Gebot aus § 6.30 Nr. 3
Rheinschiffahrtspolizeiverordnung die Fahrt bei aufziehendem Nebel nicht so rechtzeitig
eingestellt und die MS "R." nicht so rechtzeitig durch Setzen des Ankers gesichert hatte,
dass das Schiff nicht verfallen konnte. Bei voraussehbarer Sichtbehinderung muss die
Fahrt so rechtzeitig eingestellt werden, dass das Ankerwerfen beendet ist, solange die
Sicht ausreicht (vgl. Bemm/von Waldstein, a.a.O., § 6.30 Rdnr. 14 m.w.N.). Gegen den,
der erst zu einem Zeitpunkt seine Fahrt einstellt, zu dem das rechtzeitige Ankerwerfen
nicht mehr möglich ist, spricht der Anscheinsbeweis, dass sein objektiv fehlerhaftes
Verhalten auch schuldhaft ist (vgl. Bemm/von Waldstein, a.a.O., Rdnr. 24 m.w.N.).
Diesen Anscheinsbeweis hat die Klägerin nicht entkräftet. Im Gegenteil kann nach der
auch zu diesem Punkt entscheidende Aussage des Zeugen H. festgestellt werden, dass
MS "R." bei aufziehendem Nebel zunächst noch weitergefahren ist, bevor das Schiff
dann in Höhe der grünen Tonne bei Rheinkilometer ... weitgehend stilllag und dort vor
Anker gehen wollte. Der Zeuge H. hat nachvollziehbar und - wie ausgeführt -
aufmerksam aus guter Beobachtungsposition bekundet, dass das rote Hecklicht von MS
"R." etwa 500 m vor dieser grünen Tonne im Nebel verschwunden ist. Sodann habe MS
"R." die Geschwindigkeit verlangsamt. MS "R." ist nach dieser Aussage in Nebel noch
ca. 500 m weitergefahren, anstatt unverzüglich die Fahrt einzustellen und das Schiff
durch Ankersetzen zu sichern. Dazu bestand dringende Veranlassung, weil dichter
Nebel aufzog und für die Schiffsführung von MS "R." die dringende Gefahr bestand, die
Orientierung im Nebel zu verlieren. Der Zeuge H. konnte und durfte sich nicht darauf
verlassen, die Schiffsführung von TMS "H." werde ihm schon bei der Orientierung
behilflich sein.
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Dagegen ist jedenfalls ein möglicher Anscheinsbeweis für ein (Mit)Verschulden der
Schiffsführung der Klägerin an dem Unfall wegen Nichtsetzen des Dreitonsignales
aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme widerlegt. Danach kann zur
Überzeugung des Senates - wie oben ausgeführt - festgestellt werden, dass auch bei
Abgabe des Dreitonsignales der Unfall nicht hätte vermieden werden können. Zunächst
bestand nämlich kein Anlass für die Schiffsführung des Beklagten-Schiffes, das
Dreitonsignal zu setzen. Zwischen den späteren Unfallschiffen bestand zunächst
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Funkkontakt. Man hatte den Begegnungskurs abgesprochen. Die Schiffsführung des
Beklagten-Schiffes konnte darauf vertrauen, dass dieser Kurs eingehalten wurde. Ein
Kurswechsel war bei den gegebenen Örtlichkeiten nicht zu erwarten. Insbesondere
brauchte die Schiffsführung des TMS "L." nicht davon auszugehen, dass MS "R."
aufgrund eines Fahrfehlers ihrer Schiffsführung nach Backbord in ihren Talfahrtkurs
verfiel. Für eine Abgabe des Dreitonsignales bestand demnach erst Veranlassung in
dem Zeitpunkt, als die Schiffsführung der Beklagten Anhaltspunkte dahin hatte, dass
eine Gefahrensituation drohte. In diesem Moment war es aber - wie bereits oben
ausgeführt - schon zu spät, um eine Kollision noch zu vermeiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist begründet aus §§ 708 Nr. 10,
713 ZPO.
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Berufungsstreitwert und Beschwer der Klägerin: 7.558,08 DM.
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