Urteil des OLG Köln vom 03.09.1999

OLG Köln (bundesrepublik deutschland, einstweilige verfügung, messe, unlautere nachahmung, verfügung, uwg, kenntnis, dringlichkeit, zpo, griechenland)

Oberlandesgericht Köln, 6 U 96/99
Datum:
03.09.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 96/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 31 O 156/99
Schlagworte:
Selbstwiderlegung der Dringlichkeit
Normen:
UWG § 25
Leitsätze:
Die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG ist widerlegt, wenn der
Unterlassungsgläubiger nach Kenntniserlangung vom - vermeintlichen -
Wettbewerbsverstoß ohne zwingende Gründe einen Zeitraum von mehr
als 5 Wochen bis zur Antragstellung verstreichen lässt.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 10.06.1999 verkündete
Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 156/99 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die
Antragstellerin. Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Antragstellerin hat in der Sache
keinen Erfolg. Vielmehr hat das Landgericht seine gegen die Antragsgegnerin
gerichtete, auf Antrag der Antragstellerin vom 24.02.1999 am 02.03.1999 erlassene
einstweilige Verfügung durch das angefochtene Urteil zu Recht mit der Begründung
aufgehoben, dem Verfügungsantrag fehle die nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche
Dringlichkeit, er sei deshalb unzulässig.
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Allerdings ist der Senat entgegen den vom Landgericht geäußerten Zweifeln der
Auffassung, daß die Antragstellerin mit der Geltendmachung von Ausstattungs- und
Leistungsschutzrechten bis zu der Münchener Messe "Bau 99" im Februar 1999
zuwarten durfte, ohne prozessuale Nachteile zu gegenwärtigen. Nähere Ausführungen
hierzu sind jedoch entbehrlich, weil das Landgericht im übrigen mit zutreffender
Begründung ausgeführt hat, daß und warum dem Verfügungsantrag die erforderliche
Dringlichkeit gefehlt hat. Der Senat schließt sich insoweit der Begründung der
angefochtenen Entscheidung an, nimmt sie in Bezug und sieht zur Vermeidung von
Wiederholungen von der erneuten Darstellung der die Entscheidung tragenden Gründe
ab, § 543 Abs. 1 ZPO.
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Wie im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13.08.1999 bereits ausführlich erörtert
worden ist, gibt das Berufungsvorbringen der Antragstellerin dem Senat keinen Anlaß,
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die Richtigkeit der vom Landgericht getroffenen Feststellung, dem Verfügungsbegehren
der Antragstellerin mangele es an der erforderlichen Dringlichkeit im Sinne der §§ 935,
940 ZPO, in Zweifel zu ziehen.
Die jedenfalls für die geltend gemachten Ausstattungsansprüche aus § 1 UWG, nach
wohl herrschender Meinung (vgl. hierzu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20.
Auflage 1998, § 25 UWG Rdnr. 5 einerseits und Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche
Ansprüche, 7. Aufl., Kap. 54 Rdnr. 21 andererseits, jeweils m.w.N.) auch für auf das
Markengesetz gestützte Unterlassungsansprüche geltende Dringlichkeitsvermutung des
§ 25 UWG ist im Streitfall aufgrund des eigenen Vorbringens der Antragstellerin
widerlegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats und einhelliger Auffassung in der
Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und im juristischen Schrifttum (vgl. die
Nachweise bei Baumbach/Hefermehl, a.a.O., § 25 Rdnr. 13) geht die nach Maßgabe
des § 25 UWG zu vermutende Dringlichkeit des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen
Verfügung dann verloren, wenn die antragstellende Partei trotz positiver Kenntnis der
Verletzungshandlung mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet, indem sie den Verletzer
längere Zeit weder abgemahnt hat noch gegen ihn gerichtlich vorgegangen ist. Denn
wer in Kenntnis der maßgeblichen Umstände und ihm fortdauernd drohenden Nachteile
ohne überzeugenden Grund längere Zeit untätig geblieben ist und dadurch die
Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs objektiv verzögert, hat damit offenbart, daß
es ihm mit dem erstrebten Verbot in Wirklichkeit nicht so eilig ist, als daß es ihm nicht
zugemutet werden könnte, dieses im Wege eines Hauptsacheverfahrens zu erwirken
(vgl. für viele: Baumbach/Hefermehl, a.a.O., § 25 UWG Rdnr. 13 und Teplitzky, a.a.O.,
Kap. 54 Rdnr. 24 und 28, jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung
und dem Schrifttum).
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Ein solches dringlichkeitsschädliches Zuwarten ist im Streitfall gegeben. Es kann
offenbleiben, ob der Antragstellerin unter dem Aspekt dringlichkeitsschädlichen
Verhaltens bereits anzulasten ist, daß sie nicht während des Aufbaus der Messestände
an dem Wochenende vor der Eröffnung der Messe von den unter der Bezeichnung
"fibran XPS" vertriebenen, türkisfarbenen Polystyrol-Hartschaumstoffplatten der
Antragsgegnerin Kenntnis genommen hat oder doch Kenntnis hätte nehmen können.
Denn selbst wenn man mit ihrem Sachvortrag davon ausgehen will, tatsächlich habe sie
das Produkt der Antragsgegnerin, das die Antragstellerin namentlich wegen seiner
farblichen Ausgestaltung als unlautere Nachahmung ihrer blauen Polystyrol-
Hartschaumstoff-platten ansieht, erst am 19.01.1999 auf der Münchener Messe "Bau
'99" zur Kenntnis genommen, im übrigen habe sie erst an diesem Tag auf der Messe ein
Teilstück der von der Antragsgegnerin dort angebotenen Hartschaumstoffplatten
erhalten können, hat die Antragstellerin selbst dann mehr als 5 Wochen nutzlos
verstreichen lassen, bevor sie schließlich am 24.02.1999 beim Landgericht Köln den
Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gestellt hat. Unter den besonderen
Umständen des Streitfalls erweist sich dieses Zuwarten und die damit verbundene
objektive Verzögerung der Durchsetzung des jetzt geltend gemachten
Unterlassungsanspruchs als dringlichkeitsschädlich. Am 19.01.1999 hielt die
Antragstellerin ein Anschauungsstück des von der Antragsgegnerin angebotenen und
vertriebenen Produkts in Händen. Sie hätte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Verfügung deshalb ohne weiteres binnen weniger Tage vorbereiten und bei Gericht
einreichen können, vielleicht sogar mit dem Ziel, die Zustellung einer etwa erlassenen
einstweiligen Verfügung noch auf der Münchener Messe zu erreichen. Besondere,
intensiv zu prüfende und deshalb zeitraubende rechtliche Problematiken konnten sich
aus Sicht der Antragstellerin nicht stellen, nachdem sie den wesentlichen Prozeßstoff
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bereits zweimal, und zwar in den Jahren 1985 und 1989, aufgearbeitet hatte. Denn
insoweit trägt die Antragstellerin selbst vor, sie sei bereits in den Jahren 1985 und 1989
zweimal gezwungen gewesen, gegen Unternehmen vorzugehen, die Polystyrol-
Schaumstoffplatten in der von ihr - der Antragstellerin - für ihre Produkte in Anspruch
genommenen Farbe "blau" auf den Deutschen Markt gebracht hatten, unstreitig habe sie
seinerzeit in den Verfahren 31 O 495/85 und 31 O 308/89 beim Landgericht Köln
entsprechende einstweilige Verfügungen erwirkt. Statt auch die Antragsgegnerin
zeitnah im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes in Anspruch zu nehmen, hat die
Antragstellerin mehr als 5 Wochen verstreichen lassen, ohne daß sie plausibel und
überzeugend hat erklären können, warum sie so lange zugewartet hat. Namentlich ihr
Vortrag, zwar habe sie am 19.01.1999 ein Anschauungsstück des von der
Antragsgegnerin vertriebenen Produkts in Händen gehalten, sei aber schon daran
gehindert gewesen, vor dem 27.01.1999 irgendwelche internen Schritte einzuleiten, die
zur Unterbindung des gerügten Wettbewerbsverstoßes hätten führen können, weil ihre
Justitiarin D.-R. am 21.01.1999 eine Geschäftsreise angetreten habe, von der die
Justitiarin erst am 26.01.1999 zurückgekehrt sei, entlastet sie nicht. Abgesehen davon,
daß sich die Antragstellerin nicht dazu geäußert hat, warum sie denn gehindert
gewesen sein will, die gesellschaftsintern verantwortliche Justitiarin am Dienstag, den
19.01.1999, oder am Mittwoch, den 20.01.1999, zu informieren, durfte sie nicht einfach
die Rückkehr ihrer Justitiarin abwarten, um sich dann von ihr sagen zu lassen, wie
schon in den Jahren 1985 und 1989 sei die Einschaltung der (Kölner)
Verfahrensbevollmächtigten erforderlich, sondern hätte bereits am 19.01.1999 entweder
durch direkte Einschaltung ihrer Kölner Verfahrensbevollmächtigten oder aber durch
(telefonische) Kontaktaufnahme mit ihrer Justitiarin dafür Sorge tragen müssen, daß
umgehend das Erforderliche veranlaßt wird. Dies gilt insbesondere vor dem
Hintergrund, daß das Erscheinen der Antragsgegnerin auf der Münchener Messe mit
dem angegriffenen Produkt die Antragsgegnerin nicht plötzlich und unerwartet getroffen
hat, jedenfalls nicht plötzlich und unerwartet treffen durfte. Denn ungeachtet der Frage,
ob die Antragstellerin die Anmeldung der Antragsgegnerin zur Münchener Messe
bereits im ersten Halbjahr 1998 kannte, war ihr jedenfalls aus der Veröffentlichung im
Bundesanzeiger vom 08.10.1998 bekannt, daß die Antragsgegnerin die Zulassung für
eine extrudierte Polystyrol-Hartschaumplatte für die Bundesrepublik Deutschland
beantragt hatte. Deshalb sprach - das sieht der Senat nicht anders als das Landgericht -
alles dafür, daß die Antragsgegnerin ihr türkisfarbenes Produkt in der Form und der
farblichen Ausgestaltung, wie es von der Antragsgegnerin unstreitig seit Jahren nicht
nur in Griechenland, sondern in verschiedenen anderen nichteuropäischen und
europäischen Ländern vertrieben wird, auf der Münchener Messe vorstellen würde.
Hinzu kommt, daß es einige Zeit zuvor zwischen der Antragsgegnerin und einem
konzernverbundenen Unternehmen der Antragstellerin in Griechenland zu einem
Rechtsstreit gekommen war, in dem es justament um den Vertrieb von türkisfarbenen
Hartschaumstoffplatten der jetzt mit der einstweiligen Verfügung angegriffenen Art in
Griechenland ging. Dann aber mußte es sich auch der Antragstellerin geradezu
aufdrängen, daß die Antragsgegnerin nach ihrem Obsiegen in dem in Griechenland
geführten Rechtsstreit nunmehr versuchen würde, ihre türkisfarbenen Dämmplatten
auch im bundesdeutschen Markt anzubieten. Soweit die Antragstellerin in diesem
Zusammenhang damit zu argumentieren versucht hat, sie sei ein großer Konzern,
hinsichtlich ihres Kenntnisstandes komme es deshalb allein auf die tatsächliche
Kenntnis der in ihrer in S. ansässigen Rechtsabteilung verantwortlich handelnden
Personen an, greift das im gegebenen Zusammenhang nicht. Es geht nicht darum, ob
der Antragstellerin eine Pflicht zur Marktbeobachtung oblag, ob die Antragstellerin diese
Pflicht verletzt hat und ob deshalb die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG widerlegt
ist, sondern ausschließlich darum, ob die Antragstellerin Anlaß hatte, damit zu rechnen,
die Antragsgegnerin werde ihre türkisfarbenen Dämmplatten auf der "Bau '99" in
Deutschland vorstellen. Hieran kann nach dem Vorgesagten kein Zweifel bestehen.
Gereicht es der Antragstellerin demgemäß zum Vorwurf, daß sie nicht sofort nach
Kenntnisnahme des von ihr gerügten Wettbewerbsverstoßes tätig geworden ist, sondern
die Rückkehr ihrer Justitiarin abgewartet hat, vermag der Senat noch nachzuvollziehen,
warum die Antragstellerin zwischen dem 27.01. und dem 02.02.1999 versucht hat, über
einen Mittelsmann in Erfahrung zu bringen, ob und wo die Antragsgegnerin in der
Bundesrepublik Deutschland über eine Niederlassung verfüge. Nicht nachzuvollziehen
vermag der Senat allerdings, warum sie die Überprüfung nicht sofort nach der
Entdeckung des Produkts der Antragsgegnerin auf der Messe veranlaßt hat und warum
sie im Anschluß daran immerhin noch mehr als 3 Wochen hat verstreichen lassen,
bevor sie am 24.02.1999 den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung
eingereicht hat. Konkrete Tatsachen, die das (weitere) Zuwarten plausibel oder auch nur
verständlich erscheinen lassen könnten, sind nicht vorgetragen und auch nicht glaubhaft
gemacht. Insbesondere der bloße Hinweis der Antragstellerin, man habe einen
griechischen Rechtsanwalt mit der Prüfung der Frage beauftragt, ob eine ohne die
Gewährung rechtlichen Gehörs bei einem deutschen Gericht erwirkte einstweilige
Verfügung gegen die in Griechenland geschäftsansässige Antragsgegnerin überhaupt
würde vollstreckt werden können, läßt in Ermangelung der näheren Darlegung (und
Glaubhaftmachung) der einzelnen unternommenen Schritte und des hierfür nötigen
Zeitaufwands die gebotene Beschleunigung der Sache nicht erkennen.
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Ist die Antragstellerin demgemäß in Kenntnis der maßgeblichen Umstände längere Zeit
untätig geblieben, ohne überzeugend erklären zu können, warum sie zwischen der
Kenntniserlangung und der Einreichung des Verfügungsantrages insgesamt mehr als 5
Wochen gewartet hat, fehlt ihrem Verfügungsbegehren die notwendige Dringlichkeit.
Ihre Berufung gegen das angefochtene Urteil war deshalb mit der Kostenfolge des § 97
Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Das Urteil ist gemäß § 545 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
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