Urteil des OLG Köln vom 29.11.1995

OLG Köln (sinn und zweck der norm, abschiebung, anordnung, verfassungskonforme auslegung, 1995, umstände, abschiebungshaft, behörde, aufenthaltsort, entziehen)

Oberlandesgericht Köln, 16 WX 208/95
Datum:
29.11.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 WX 208/95
Normen:
AUSLG § 57 ABS. 2;
Leitsätze:
Die Erfüllung der tatbestandlichen Merkmale des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr.
1, Nr. 2 oder Nr. 5 AuslG allein ist nicht ausreichend, um zwingend die
Rechtsfolge der Anordnung der Sicherungshaft auszulösen. Die
verfassungskonforme Auslegung der Norm erfordert immer zusätzlich
die Feststellung von Umständen, die den Verdacht begründen, der
Betroffene werde, wenn seine Abschiebung ansteht, für die Behörde
nicht ohne besondere Umstände sogleich erreichbar sein. Es stellt keine
besondere Erschwernis für die Behörde dar, wenn sie den Aufenthaltsort
des Betroffenen bei dem Rechtsanwalt, der den Betroffenen schon in der
Vergangenheit ständig gegenüber der Behörde vertreten hat, sogleich
und ohne Umstände erfahren kann.
Rechtskraft:
Die Entscheidung ist unanfechtbar
G r ü n d e
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Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß §§ 3, 7 FEVG, 103 Abs. 2 AuslG, 27, 29
FGG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
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Die Anordnung der Abschiebungshaft war aufzuheben, da ein Haftgrund gemäß § 57
Abs. 2 AuslG nicht vorliegt.
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Die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG sind nicht gegeben. Der
Betroffene hat zwar seinen Aufenthaltsort gewechselt, ohne der Ausländerbehörde eine
Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Dies reicht jedoch vorliegend nicht aus.
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Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 13. Juli 1994 - 2 BvL 12/93
- 45/93 - ausgeführt hat, ist die Vorschrift unter Berücksichtigung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Sinn und Zweck der Norm verfassungskonform
auszulegen. Intension des Gesetzgebers sei es gewesen, zur Erleichterung der
Anordnung von Sicherungsabschiebungshaft konkrete zwingende Haftgründe
aufzuzählen. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Satz
1 AuslG müsse Abschiebungshaft angeordnet werden, sofern die Haft nicht unzulässig
sei. § 57 Abs. 2 AuslG sehe jedoch in allen tatbestandlichen Alternativen der Nummern
1-5 die Abschiebungshaftanordnung als Mittel ,zur Sicherung der Abschiebung" vor.
Wolle sich der Ausländer im Einzelfall offensichtlich nicht der Abschiebung entziehen,
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erscheine allein die Erfüllung der tatbestandlichen Merkmale der Nummern 1-5 des § 57
Abs. 2 Satz 1 AuslG nach dem - hier in der Benennung des Haftzwecks zum Ausdruck
gebrachten - verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht
ausreichend, um zwingend die Rechtsfolge der Anordnung der Sicherungshaft
auszulösen.
Das Bundesverfassungsgericht hat weiter ausgeführt, zu einer Prüfung, ob die
Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung erforderlich sei, bestehe jedenfalls dann
Anlaß, wenn ein - mit dem deutschen Behördenaufbau nicht vertrauter - Ausländer allein
deswegen in Abschiebungshaft genommen werden soll, weil er seinen
Aufenthaltsortswechsel zwar der zuständigen Meldebehörde, nicht aber der
Ausländerbehörde angezeigt hat oder wenn er jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung
über den Haftantrag seine ordnungsbehördliche Anmeldung veranlaßt hat und
zusätzliche Umstände gegen die Notwendigkeit einer Sicherung der Abschiebung durch
Anordnung von Haft sprechen.
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Nach den vorstehenden Grundsätzen besteht auch im vorliegenden Fall Anlaß zu der
Annahme, daß eine Haftanordnung im Hinblick auf den Wechsel des Aufenthaltsortes
des Betroffenen nicht erforderlich ist. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände
ergibt sich, daß sich der Betroffene vorliegend offensichtlich nicht der Abschiebung
entziehen wollte, so daß allein die Erfüllung der tatbestandlichen Merkmale des § 57
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG nicht ausreichend erscheint, um zwingend die Rechtsfolge der
Anordnung der Sicherungshaft auszulösen.
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Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Betroffene sich einer Abschiebung
entziehen und untertauchen wollte. Er hat zwar der Ausländerbehörde seinen neuen
Aufenthaltsort nicht mitgeteilt und unter Verletzung ausländerrechtlicher Vorschriften
den ihm zugewiesenen Wohnort verlassen. Der Betroffene hat sich aber im
Beschwerdeverfahren unwiderlegt dahingehend eingelassen, daß er über den Anwalt
für die Behörde sogleich erreichbar gewesen wäre, von dem er gegenüber dem
Beteiligten zu 2) seit Februar 1995 vertreten wird.
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Der Senat hat bereits in seinem Beschluß vom 26. Februar 1992 - 16 Wx 36/92 -
entschieden, daß allein die Tatsache, daß der Betroffene der Behörde einen
Wohnungswechsel nicht angezeigt hatte, dann nicht für ein beabsichtigtes Untertauchen
spricht, wenn der Betroffene seine Anschrift seinem Anwalt mitgeteilt hatte und über
diesen ohne Umstände sogleich zu erreichen war.
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Entsprechendes muß auch nach der Neufassung des § 57 Abs. 2 durch Gesetz vom 26.
Juni 1992 gelten. Steht die Ausländerbehörde in Verbindung zu einem den Betroffenen
vertretenden Rechtsanwalt, so muß sie jedenfalls, bevor sie einen Antrag auf
Abschiebungshaft stellt, Ermittlungen nach dem Aufenthaltsort des Betroffenen bei
dessen Verfahrensbevollmächtigten anstellen. Erst wenn diese ergebnislos verlaufen
bzw. ergeben, daß der Betroffene nicht ohne Umstände sogleich zu erreichen ist, kann
im Hinblick auf den unangemeldeten Wechsel des Aufenthaltsortes bzw. ein
Untertauchen des Betroffenen Haftanordnung beantragt werden.
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Sind solche Ermittlungen nicht angestellt und dem Gericht nicht mitgeteilt worden, ist der
Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft nicht hinreichend begründet. Auch
vorliegend ist offen, wo sich der Betroffene aufgehalten hat, nachdem er am 19.10.1995
das Ausländeramt überstürzt verlassen hatte. Dies ist nicht aktenkundig und auch - wie
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eine entsprechende Nachfrage bei dem Beteiligten zu 2) ergeben hat - nicht ermittelt
worden.
Allein aus dem ,fluchtartigen" Verlassen des Ausländeramtes am 19. Oktober 1995 kann
nicht auf die Absicht geschlossen werden, sich der Abschiebung zu entziehen,
ebensowenig aus dem Verhalten des Betroffenen bei seiner mündlichen Anhörung
durch das Amtsgericht am 31. Oktober 1995.
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Die indizielle Bedeutung des ,fluchtartigen" Verlassens der Räume der
Ausländerbehörde relativiert sich durch die Tatsache, daß der Betroffene - wie eine
Nachfrage bei dem Beteiligten zu 2) ebenfalls ergeben hat - in den Räumlichkeiten des
Kreishauses des Erftkreises festgenommen worden ist, als er auf Anraten seines
Anwaltes nochmals vorsprach, um eine Verlängerung der Bescheinigung über seinen
Asylfolgestatus zu erhalten. Aus den Erklärungen des Betroffenen bei seiner Anhörung
folgt lediglich, daß er alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpft, um in der
Bundesrepublik bleiben zu können und die drohende Ausweisung zu vermeiden. Dies
rechtfertigt jedoch die Haft nicht (vgl. etwa Kloesel/Christ/Häuser, Deutsches
Ausländerrecht, Stand März 1995, § 57, Rdnr. 32).
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Nach dem Vorstehenden sind auch die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
AuslG nicht gegeben.
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Es kann dahinstehen, ob sich ein Abschiebungshindernis ergäbe, wenn der Betroffene
staatenlos wäre. Staatenlos ist nach dem Gesetz zu dem Übereinkommen vom 28.
September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12. April 1976 eine
Person, die kein Staat aufgrund seines Rechtes als Staatsangehörigen ansieht. Wie die
Auskunft der Deutschen Botschaft in Makedonien zeigt, sieht der makedonischen Staat
den Betroffenen als seinen Staatsangehörigen an. Zudem hatte der Antrag auf
Anerkennung als Staatenloser, den der Betroffene unter dem 28. Oktober 1995 gestellt
hat, bislang keinen Erfolg.
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Die notwendigen Auslagen des Betroffenen waren dem Beteiligten zu 2) aufzuerlegen,
da aus den vorgenannten Gründen ein begründeter Anlaß zur Stellung des Antrags auf
Anordnung der Aschiebungshaft nicht vorlag, § 16 FEVG.
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Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren: 5.000,-- DM
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