Urteil des OLG Köln vom 21.09.2007
OLG Köln: erwerbsfähigkeit, bgf, rente, gefahr, vergleich, diabetes mellitus, bfa, nachzahlung, akte, vollstreckung
Oberlandesgericht Köln, 3 U 114/06
Datum:
21.09.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 114/06
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 29 O 200/05
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 30.3.2006 verkündete Urteil
der 29. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 29 O 200/05 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung
des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
G R Ü N D E:
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I.
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Der Kläger wurde im Jahre 1990 bei einem Autounfall in Süd-Frankreich schwer
verletzt. Bis zum 11.3.1991 erhielt er Verletztengeld, hernach zahlte die
Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF) eine Unfallrente nach einer Quote
von 80%, ab dem 1.7.1992 nach einer Quote der Erwerbsminderung von 70 %. In
Frankreich erstritt der Kläger sodann vor dem D. e. P. gegen den Unfallverursacher die
Zahlung eine Rente auf Grundlage der Annahme der Minderung der Erwerbsfähigkeit
um
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100 %, wobei das Geld an die BGF floss. Ferner erhält der Kläger seit 1996 eine
Erwerbsunfähigkeitsrente der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA).
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Zunächst vertreten von Rechtsanwalt N. C. aus X. erhob der Kläger gegen die BGF vor
dem Sozialgericht Köln Klage auf Zahlung einer Verletztenrente und eines Pflegegeldes
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auf der Basis der Annahme einer unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit um
100 % ab dem 11.3.1991.
Im September 2001 unterbreitete die BGF einen Vergleichsvorschlag, nach dem ab dem
1.1.2000 eine Verletztenrente auf der Basis einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um
100 % gezahlt werden sollte, was der Kläger durch Rechtsanwalt C. zunächst ablehnen
ließ. In der Folgezeit entzog der Kläger Rechtsanwalt C. das Mandat und beauftragte
den Beklagten mit der Interessenwahrnehmung vor dem Sozialgericht Köln.
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In der von dem Zeugen E. als vorsitzendem Richter geleiteten mündlichen Verhandlung
vom 20.12.2002, an welcher der Kläger persönlich in Begleitung der Zeugen S. und G.
teilnahm, wurde auf Vorschlag des Gerichts der oben umrissene Vergleich zwischen
dem Kläger und der von dem Zeugen T. vertretenen BGF ohne Widerrufsvorbehalt mit
folgendem Text geschlossen :
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"1. Die Beklagte ist entsprechend dem Schriftsatz vom 21.9.2001
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bereit, dem Kläger unter Anrechnung der bisher gezahlten
Rentenleistungen eine Verletztenrente nach einer MdE von 100 % ab dem
1.1.2000 zu zahlen.
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2. Die Beklagte ist ferner bereit, eine neue verwaltungsmäßige Überprüfung dahin
vorzunehmen, ob ab dem 1.1.2000 die Voraussetzungen für den Zuschuß für
Kleider und Wäscheverschleiß sowie die Zahlung von Pflegegeld vorliegen.
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3. Der Kläger nimmt dieses Angebot der Beklagten an und sieht den gesamten
Vorgang als erledigt an.
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4. Die Beklagte übernimmt 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers."
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Unter Berücksichtigung der sich hieraus ergebenden Rentenansprüche gegen die BGF
erließ die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte am 24.2.2003 einen Bescheid
über die Neuberechnung der Rente, wonach die Rente der BGF für die Zeit ab 1.1.2000
teilweise angerechnet wurde und hierauf gestützt von dem Kläger die Erstattung eines
Überzahlungsbetrages verlangt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den
Akten gereichte Kopie des Rentenbescheides der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte vom 24.2.2003 (Anlage zum Klägerschriftsatz vom 24.4.2007, Bl. 369-377
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d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger teilte mit Schreiben vom 2.3.2003 (Bl. 185 der Akte des Sozialgerichts S 18
U 64/98) dem Sozialgericht mit, er widerrufe den Vergleich. Er sei von der BGF falsch
unterrichtet worden und müsse erhebliche finanzielle Nachteile in Kauf nehmen, wenn
er auf eine Nachzahlung für die früheren Jahre verzichte. Der Zeuge E. teilte daraufhin
dem Beklagten mit, eine Anfechtung komme nicht in Betracht; er habe in der mündlichen
Verhandlung darauf hingewiesen, dass zur Klärung des Sachverhalts noch weitere
fachärztliche Gutachten einzuholen sein, die durchaus auch zu einem für den Kläger
ungünstigen Ergebnis hätten führen können (Bl. 193 f. der Akte des Sozialgerichts).
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Der Kläger hat behauptet, er sei von dem Zeugen E. in der mündlichen Verhandlung
falsch informiert worden, indem ihm gesagt worden sei, dass etwaige Rentenzahlungen
der BGF für die Vergangenheit ohnehin voll auf die Zahlungen der BfA angerechnet
würden, so dass sich für ihn der Prozess wirtschaftlich nicht lohne. Der Beklagte habe
diese Auffassung auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt. Nur vor diesem Hintergrund
habe er sich zum Abschluss des Vergleichs entschlossen. Daran, dass alle Gutachten
zu für ihn günstigen Ergebnissen führen würden, habe er keine Zweifel gehabt, denn so
seien auch alle anderen von ihm geführten Prozesse ausgegangen. Aus diesem Grunde
habe er auch zunächst den Vergleichsvorschlag der BGF zurückweisen lassen.
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Durch diese fehlerhafte Beratung habe er die Nachzahlungsansprüche für den Zeitraum
1991 – 2000 in Höhe von 46.003,95 € und Pflegegeld in Höhe von 25.498,84 € verloren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie der erstinstanzlich gestellten
Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts
Köln vom 30.3.2006 (Bl. 129-132 d.A.) Bezug genommen
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Unabhängig von der Frage der
Anrechenbarkeit der Rentenzahlungen der BGF auf diejenigen der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sei der Abschluss des Vergleichs für den
Kläger vorteilhaft gewesen, weil die Gefahr bestanden habe, dass eine weitere
fachmedizinische Abklärung zu dem Ergebnis komme, dass auch für die Zeit ab
1.1.2000 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um weniger als 100 % gegeben sei.
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Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Eine Anrechnung der Rente
der BGF erfolge nach § 93 SGB-VI nur, soweit der Grenzbetrag überschritten werde,
was aber bei ihm nicht der Fall sei.
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Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 % habe im gesamten Zeitraum nach dem
Unfall vorgelegen, was bei weiteren medizinischen Begutachtungen auch beweisbar
gewesen sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten in Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln
vom 30.3.2006 – 29 O 200/05- zu verurteilen, an ihn 71.502,79 €
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus 46.003,95 € seit 21.12.2002 und aus 25.498,84 €
seit 7.5.2003 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Das Zuraten zu dem Vergleich sei nicht
fehlerhaft gewesen. Der Vergleich sei vorteilhaft für den Kläger gewesen, da dieser als
Unternehmensberater, als Betreiber eines Feriengäste-Domizils und bei einem
Lohnsteuerhilfeverein beruflich tätig sei. Deswegen habe durchaus die Gefahr
bestanden, dass bei einer weiteren Begutachtung auch für die Zukunft eine Minderung
der Erwerbsfähigkeit um weniger als 100 % ermittelt worden wäre.
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Ferner sei die Kausalität zwischen der behaupteten Pflichtverletzung und dem
behaupteten Schaden zu verneinen. Zum einen habe auch in der Vergangenheit eine
Minderung der Erwerbsunfähigkeit um weniger als 100 % vorgelegen. Zum anderen
könne der Kläger nicht beweisen, dass er sich bei einer aus seiner Sicht zutreffenden
Beratung anders verhalten hätte. Eine Beweiserleichterung komme ihm nicht zugute, da
nicht davon ausgegangen werden könne, dass vernünftigerweise nur eine
Entscheidung nahe gelegen hätte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten
Schriftstücke Bezug genommen.
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Die Akten des Sozialgerichts Köln betreffend den Rechtsstreit zwischen dem Kläger und
der BGF, Az. S 18 U 64/98, wurden zu Informationszwecken beigezogen und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 27.3.2007 (Bl. 331 f. d.A.)
durch Vernehmung der Zeugen E., T., S. und G. sowie der Zeuginnen D. und U.. Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10.8.2007
(Bl. 423- 430 d.A.) Bezug genommen.
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II.
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Die formell einwandfreie, insgesamt zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache
keinen Erfolg, weil die Klage unbegründet ist.
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Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz wegen einer vom
Beklagten zu vertretenden schuldhaften Verletzung von Pflichten aus dem
Anwaltsvertrag zwischen den Parteien aus §§ 280, 675 BGB nicht zu. Es kann bereits
nicht von einer Pflichtverletzung des Beklagten ausgegangen werden.
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Eine Pflichtverletzung des Beklagten wäre zu bejahen, wenn der Beklagte dem Kläger
einen falschen Rechtsrat erteilt hätte, indem er die Auffassung vertreten oder bekräftigt
hätte, dass im Fall eines Obsiegens im sozialgerichtlichen Verfahren die
Rentennachzahlungen nicht dem Kläger zugute kämen, sondern vollständig mit den
Zahlungen der BfA verrechnet würden und dies der wirklichen Rechtslage nicht
entsprochen hätte. Das ergibt sich daraus, dass der Beklagte als Rechtsanwalt
zutreffende Rechtsauskünfte schuldete, um den Kläger so in den Stand zu setzen,
eigenverantwortlich eine Entscheidung zu treffen.
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Eine Rechtsauskunft dahingehend, etwaige Rentenzahlungen der BGF würden
vollständig auf die von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gezahlte Rente
angerechnet und könnten dem Kläger keinen finanziellen Vorteil bringen, wäre
unzutreffend gewesen. Zutreffenderweise war vielmehr davon auszugehen, dass bei
Auszahlung einer erhöhten Verletztenrente eine Verminderung des Rentenanspruchs
gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte drohte, wobei für eine
zuverlässige Beantwortung der Frage, ob und in welcher Höhe im Falle des Klägers
eine solche Verminderung eintreten würde, umfangreiche Berechnungen anzustellen
gewesen wären. Gleichwohl musste die Gefahr einer Auswirkung auf die Rente der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vorliegend als naheliegend bewertet
werden, weil der Kläger eine Erhöhung der Rente aus der Unfallversicherung auf die bei
Annahme einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 % sich ergebende Rente
begehrte, wogegen bei Berechnung des Grenzbetrages lediglich von 70 % des
maßgeblichen Jahreseinkommens auszugehen war. Dies fand letztlich auch
Bestätigung dadurch, dass die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit
Rentenbescheid vom 24.2.2003 eine teilweise Anrechnung der Verletztenrente für die
Zeit seit 1.1.2000 vornahm.
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Das Zusammentreffen einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer
Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist in § 93 SGB-VI geregelt. §
93 Abs. 1 SGB-VI sieht ausdrücklich vor, dass die Zahlung einer Verletztenrente, sofern
sie den nach § 93 Abs. 3 SGB-VI zu bestimmenden Grenzbetrag überschreitet, ganz
oder teilweise zum Entfallen des Anspruchs auf eine Rente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung führt. Der Grenzbetrag, bei dessen Überschreiten eine Anrechnung
vorzunehmen ist, beträgt nach § 93 Abs. 3 SGB-VI 70 % eines Zwölftels des
Jahreseinkommens, welches der Berechnung der Rente aus der
Unfallversicherungsrente zugrunde liegt, multipliziert mit dem Rentenartfaktor für
persönliche Entgeltpunkte der allgemeinen Rentenversicherung. Zu berücksichtigen ist
bei der Berechnung zudem § 93 Abs. 2 SGB-VI, wonach bei der Ermittlung der Summe
der zusammenfallenden Rentenbeiträge bestimmte, gegebenenfalls im einzelnen zu
berechnende Teilbeträge außer Betracht zu bleiben haben.
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Davon, dass der Beklagte den Kläger abweichend von der vorstehend dargelegten
wirklichen Rechtslage dahin beriet, er könne im Falle einer Nachzahlung von
Verletztenrente bei streitiger Verfahrensfortsetzung wegen einer vollständigen oder
auch nur überwiegenden Anrechnung auf die BfA-Rente mit keinem oder keinem
nennenswerten finanziellen Vorteil rechnen, kann indes nicht ausgegangen werden.
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Der Kläger hat den Beweis für einen dahingehenden Rat des Beklagten nicht zu führen
vermocht.
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Die Bekundungen des Zeugen T., des damaligen Sitzungsvertreters der BGF sowie der
Zeuginnen U. und D., die an der Verhandlung vom 20.12.2002 als ehrenamtliche
Richter teilnahmen, waren hinsichtlich des Beweisthemas unergiebig.
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Der selbst informatorisch befragte Kläger und der Zeuge S. haben den Klägervortrag
bestätigt, wonach sowohl der Zeuge E. als auch sodann der Zeuge T. und der Beklagte
dem Kläger gegenüber angegeben haben sollen, der Kläger werde von einer
Nachzahlung der BGF für die Vergangenheit aufgrund der Anrechnung auf die Rente
der BfA ohnehin keine finanziellen Vorteile zu erwarten haben. Die Bekundungen waren
für sich genommen plausibel.
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Gleichwohl kann der erforderliche Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen
gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen, nicht gewonnen werden. Es bestehen
nämlich nach wie vor gravierende Zweifel daran, dass es sich so zutrug, wie der Kläger
und der Zeuge S. bekundeten.
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Derartige Zweifel ergeben sich zunächst aus den Bekundungen des Zeugen G., da
diese den Angaben des Zeugen S. und des Klägers teilweise widersprechen. Der
Zeuge G. hat eine authentische Schilderung des Ablaufs der Verhandlung abgegeben,
die in sich stimmig war und nicht weniger glaubhaft war als die Darstellung des Klägers
und des Zeugen S..
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So hat der Zeuge G. übereinstimmend mit den Bekundungen des Klägers angegeben,
der Richter habe zuerst auf das Erfordernis der Einholung weiterer Gutachten
hingewiesen und erst sodann auf das Problem der Anrechenbarkeit. Demgegenüber
gab der Zeuge S. an, es sei zunächst die Anrechenbarkeit thematisiert worden und erst
im weiteren Verlauf der Verhandlung das Erfordernis der Einholung weiterer Gutachten
angesprochen worden.
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Weiterhin bekundete der Zeuge G., der Richter habe lediglich gesagt, dass eine
Fortführung des Verfahrens wegen der Aufrechnung der Rentenansprüche nicht viel
bringen würde, wogegen der Kläger und der Zeugen S. angegeben hatten, der Richter
habe gesagt, es könnten wegen der Anrechenbarkeit überhaupt keine finanziellen
Vorteile erwartet werden.
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Ferner widersprach der Zeuge G. der Bekundung des Zeugen S., indem er angab, nicht
vom Kläger um Rat gebeten worden zu sein. Demgegenüber hatte der Zeuge S.
bekundet, der Kläger habe sowohl ihn als auch den Zeugen G. nach ihrer Meinung
gefragt und beide hätten ihm vom Vertragsschluss abgeraten.
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Weitere Zweifel ergeben sich aus den Bekundungen des Zeugen E., der zwar an
konkrete Einzelheiten der mündlichen Verhandlung keine Erinnerung mehr hatte, nach
Einsichtnahme in die seinerzeit von ihm zur Sitzungsvorbereitung gefertigten Notizen
aber angeben konnte, dass aus seiner Sicht das entscheidende Argument für einen
Vergleichsschluss nicht die Gefahr einer Anrechnung war sondern das Risiko, dass bei
Einholung weiterer Gutachten auch für die Zeit nach dem 1.1.2000 eine Minderung der
Erwerbsfähigkeit von weniger als 100 % anzunehmen gewesen wäre. Zudem hat er die
Möglichkeit, im Rahmen der Verhandlung gesagt zu haben, die Anrechnung nach der
ihm bekannten Regelung des § 93 SGB-VI führe dazu, dass für den Kläger im Ergebnis
gar kein finanzieller Vorteil herauskomme, mit Bestimmtheit ausgeschlossen.
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Wenn es aber so war, dass der Richter lediglich von der Gefahr einer im Einzelnen noch
nicht spezifizierbaren Anrechnung ausging und im Übrigen eher die Gefahr eines
ungünstigen Ausgangs weiterer Begutachtungen als Argument für den
Vergleichsschluss ansah, so stellt dies ein Indiz dafür dar, dass diese Sichtweise auch
so in mündlicher Verhandlung dargestellt worden ist. Hierauf deutet auch der Inhalt des
Schreibens des Zeugen E. an den Beklagten vom 26.8.2003 (Bl. 193 der Akte des
Sozialgerichts Köln S 18 U 64/98) hin, in welchem der Zeuge angesichts des Widerrufs
des Klägers ausführte, den Vergleichsvorschlag mit der Gefahr eines für den Kläger
nachteiligen Ergebnisses weiterer Ermittlungen begründet zu haben. Dies wiederum
lässt sich als Indiz dafür werten, dass auch der Beklagte entgegen dem Klägervortrag im
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Termin vom 20.12.2002 lediglich auf die Gefahr einer teilweisen Anrechnung
hingewiesen und im Übrigen vorwiegend zur Meidung weiterer Begutachtungen und der
damit verbundenen Risiken zum Vergleichsschluss geraten haben könnte.
Gestützt wird dies zudem dadurch, dass nach der damaligen Aktenlage in dem
sozialgerichtlichen Verfahren entgegen der Ansicht des Klägers die vorhandenen
Erkenntnisse nicht nur nicht ausreichten, um eine unfallbedingte Minderung der
Erwerbsfähigkeit von 100 % festzustellen, sondern sich aus ihnen auch Anhaltspunkte
dafür ergaben, welche die von dem Zeugen E. geschilderte Gefahr eines im weiteren
Verlauf für den Kläger ungünstigen Ergebnisses weitergehender Begutachtungen
durchaus nahelegten.
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Diese betrafen vor allem die Möglichkeit, dass ein Teil der die Annahme der
Erwerbsunfähigkeit begründenden Umstände nicht als unfallbedingt würde bewertet
werden können.
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So kam der Sachverständige Dr. M. K. in seinem Gutachten vom 23.10.2000 (Bl. 90 ff.
der Akten des Sozialgerichts, im Folgenden : BA) zwar zu dem Ergebnis einer
hundertprozentigen Minderung der Erwerbsfähigkeit, allerdings fehlten differenzierte
Ausführungen zu der für das Sozialgericht relevanten Frage, ob die einzelnen
Beeinträchtigungen unfallbedingt waren oder nicht. Insbesondere angesichts der nicht
unfallbedingten Erkrankungen Adipositas, Diabetes mellitus, Gicht und periphere
arterielle Durchblutungsstörung wären hierzu aber nähere Darlegungen erforderlich
gewesen wäre. Auch die Frage, ob die Schließmuskelstörung unfallbedingt ist, blieb in
diesem Gutachten unbeantwortet.
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Die im Gutachten des Sachverständigen Dr. E. H. vom 18.12.2000 (Bl. 120-125 BA)
festgestellte Verschlimmerung deutete ferner darauf hin, dass der Zustand des Klägers
in der Zeit vor 2000 besser war, weswegen für die Vorjahre die Feststellung einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit unterhalb von 100 % drohte.
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Auch aus dem Gutachten der Sachverständigen H. S.-M. vom 27.9.2000 (Bl. 86 ff. BA)
ergaben sich Anhaltspunkte für die Gefahr der Feststellung einer unfallbedingten
Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 100 %. So gab sie an, der Kläger habe schon seit
jungen Jahren Übergewicht (Bl. 88 unten BA) und führte in ihrem Schreiben vom
2.8.2001 (Bl. 135 BA) aus, dem Kläger gehe es bedeutend schlechter als vor 5 Jahren.
Auch wies sie auf eine auffällige Ambivalenz hin, wonach der Kläger einerseits die
Diabetes loswerden und abnehmen wolle, andererseits aber das Rauchen und den
Verzehr von Süßigkeiten als einzige verbliebene Lebensfreude bewerte (Bl. 88 BA). Es
musste hiernach als fraglich bewertet werden, ob aus dem Übergewicht und der
geschilderten Ambivalenz resultierende psychische Beeinträchtigungen vollständig als
unfallbedingt bewertet werden können. Ferner deutete auch hier die Angabe, es gehe
dem Kläger schlechter als vor fünf Jahren, darauf hin, dass vor 2000 eine Minderung der
Erwerbsfähigkeit unterhalb von 100 % vorlag. Die Reisen des Klägers sowie die
Angabe "Unternehmensberater" auf seinem Schreiben vom 3.7.2002 (Bl. 165 BA)
deuteten zudem die Möglichkeit einer Verbesserung des Zustandes des Klägers seit
2002 an.
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Mithin fehlte es zum damaligen Zeitpunkt nicht an Anhaltspunkten für die Annahme des
Risikos, dass bei präziser Abgrenzung der Unfallfolgen im Rahmen zusätzlicher
Begutachtungen sowohl für die Zeit vor 2000 als auch für die Zeit danach eine
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unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit unterhalb von 100 % festgestellt werden
könnte.
Aus diesem Grund, nämlich wegen der bei Verfahrensfortsetzung drohenden Gefahr
eines für den Kläger deutlich ungünstigeren Ergebnisses kann selbst bei
Außerachtlassung der Frage der Anrechnung in dem Rat zum Abschluss des Vergleichs
auch unter Würdigung des darin enthaltenen Verzichtes auf eine Nachzahlung von
Verletztenrente und Pflegegeld für die Zeit vor 2000 keine Pflichtverletzung des
Beklagten gesehen werden. Zu dieser Frage hat das Landgericht in den
Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils (dort S. 6, Bl. 132 d.A.) zutreffend
ausgeführt, dass der Rat des Anwaltes zu einem günstigen Vergleich keine
Pflichtverletzung
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darstellt, wobei für die Frage der Günstigkeit die zu prognostizierenden
Prozessaussichten bezogen auf die Zeit des Vergleichsschlusses maßgeblich sind –
der Anwalt hat abzuwägen, inwieweit bei Fortsetzung des Prozesses ein gegenüber
dem Vergleich günstigeres Ergebnis erzielbar ist und hat von einem Vergleich
abzuraten, wenn sich der Vergleich gegenüber den Aussichten bei streitiger
Entscheidung als ungünstiger darstellt (OLG Hamm, Urteil vom 25.9.1998, 33 U 19/98,
FamRZ 1999, 1423; KG Berlin, Urteil vom 23.8.2004, 12 U 218/03, juris Rn. 7; OLG
Dresden, Urteil vom 3.7.2002, 8 U 628/02, juris Rn. 17).
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Vorliegend waren die Aussichten für die Erreichbarkeit einer für den Kläger günstigen
streitigen Entscheidung überaus kritisch zu bewerten. Dies ergab sich aus der
dargelegten Erforderlichkeit weiterer Begutachtung in Zusammenhang mit den sich aus
der Akte ergebenden Anhaltspunkten für die Gefahr ungünstiger
Begutachtungsergebnisse, insbesondere hinsichtlich der Frage, inwieweit die
festzustellenden Beeinträchtigungen als Unfallfolge bewertet werden können.
Demgegenüber sicherte der Vergleich dem Kläger für die Zeit ab 2000 und für die
Zukunft den Bezug der begehrten Rente auf Grundlage der Annahme einer
unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 % und legte zudem fest, dass
diese unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit auch für die
Pflegegeldberechnung maßgeblich zu sein hat. Bei dieser Sachlage ist der Rat zum
Vergleichsschluss als pflichtgemäß zu bewerten.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs.1, 97 Abs. 1, 708
Nr.10, 711 ZPO.
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Ein Anlass, gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht
nicht. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern Belange
der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 71.502,79 €
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