Urteil des OLG Köln vom 13.11.1996
OLG Köln (sorgfalt, unfall, zeuge, verkehr, zpo, haftung, kolonnenverkehr, bezug, ersatz, streitwert)
Oberlandesgericht Köln, 11 U 67/96
Datum:
13.11.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 67/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 18 O 292/94
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom
26.1.1996 - 18 O 292/94 - wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die
Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in förmlicher Hinsicht unbedenkliche Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Landgericht hat die Haftung nach dem hier streitigen Verkehrsunfall gemäß § 823,
254 BGB zutreffend verteilt.
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Im Hinblick auf die Ausnahmevorschriften §§ 18 Abs. 1 S. 1, 8 StVG findet das
Straßenverkehrsgesetz keine Anwendung und richtet sich die Haftung ausschließlich
nach §§ 823 ff BGB. Der vom Beklagten zu 2) gefahrene Bagger kann nämlich
bauartbedingt nicht schneller als 20 km/h fahren. Nach der Vorlage der Zulassung
wurde dies im Beweisaufnahmetermin vom 14.12.1995 vor dem Landgericht
ausdrücklich unstreitig gestellt. Dieses gerichtliche Geständnis gemäß § 288 Abs. 1
ZPO kann nur unter den Voraussetzungen der §§ 532, 290 ZPO widerrufen werden. Das
einfache Bestreiten im Schriftsatz der Klägerin vom 13.8.1996 genügt insofern nicht.
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Die danach allein interessierende Frage, ob und inwieweit der Klägerin ein
Mitverschuldensvorwurf im Sinne des § 254 BGB gemacht werden kann, hat das
Landgericht zutreffend beantwortet.
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Obwohl die Klägerin gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVO vorfahrtsberechtigt war, durfte sie bei
der gegebenen Sachlage nicht auf ihrem Recht bestehen, sondern hatte gemäß § 1
StVO auf die bei Anspannung der erforderlichen Sorgfalt erkennbaren Schwierigkeiten
des Beklagten zu 2) beim Abbiegen und Einsehen der vorfahrtsberechtigten Straße
durch Ausweichen und soweit dies nicht genügte durch Anhalten zu reagieren. Es ist
anerkannt (BGH VM 1959, 8), daß das Vorfahrtsrecht im allgemeinen
Rücksichtnahmegebot des § 1 StVO eine Grenze findet. Dies gilt insbesondere dann,
wenn sich der von rechts aus einer Einmündung kommende Wartepflichtige wegen
schlechter Einsichtsmöglichkeit in die vorfahrtsberechtigte Straße so verhält, daß für
einen aufmerksamen Verkehrsteilnehmer erkennbar mit einer Mißachtung der Vorfahrt
zu rechnen ist (OLG Celle VR 1976, 345).
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Die insofern für die Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkte hat das Landgericht im
angegriffenen Urteil überzeugend herausgearbeitet. Der Unfall war für die Klägerin bei
Anspannung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach dem zutreffend gewürdigten
Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme vermeidbar.
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Anschaulich deutlich wird die Erkennbarkeit der Unfallsituation aus den in den
Bußgeldakten befindlichen Lichtbildern. Auf Bl. 2 der Lichtbildmappe läßt sich die
Unfallstelle und der Standort des Baggers besonders gut erkennen. Die auf dem Foto
Nr. 6 festgehaltene, rekonstruierte Position des Baggers ist dabei im Hinblick auf den an
dieser Stelle befindlichen, offensichtlich unfallbedingten Reifenabrieb besonders
zuverlässig. Es wird deutlich, daß der Bagger schon etwa 30-50 cm in die
vorfahrtsberechtigte Straße hereingefahren war, als es zu dem Unfall kam. Aufgrund
seines langen Vorbaus und des über 1 m breiten Gehwegs war das Baggerfahrzeugs für
den vorfahrtsberechtigten Verkehr lange vor dem Zeitpunkt erkennbar, zu dem der
Baggerführer Einsicht die vorfahrsberechtigte Straße hatte.
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Auch durch das Fahrverhalten des Beklagten zu 2 wurde der vorfahrtsberechtigt
Querverkehr unübersehbar gewarnt. Dies steht nach den glaubhaften Bekundungen des
Zeugen Hatze fest, wonach der Beklagte zu 2) mit seinem Schaufellader langsam
tastend in die Vorfahrtsstraße bis zum Überblickspunkt hereinfuhr. Damit war das
Problem des an sich wartepflichtigen Baggerführers für den vorfahrtsberechtigten
Querverkehr bei Anspannung der erforderlichen Sorgfalt erkennbar.
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Das Ausweichmanöver des vor ihr fahrenden Zeugen war zusätzlich dazu angetan, die
Klägerin auf die Gefährdung aufmerksam zu machen. Der Zeuge H., der unmittelbar vor
der Klägerin fuhr, konnte durch ein Ausweichmanöver einen Zusammenstoß mit dem
Bagger vermeiden. Daß der Zeuge unmittelbar vor der Klägerin gefahren sein muß,
ergibt sich anschaulich aus seiner Schilderung, wonach der Kolonnenverkehr nach
seiner Begegnung mit dem Radlader plötzlich abriß. Auch der hinter der Klägerin
fahrende Zeuge E. hat nach seinen glaubhaften Bekundungen die Situation erkannt und
den von rechts aus dem Friedhofsweg kommenden Bagger wahrgenommen.
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Die Klägerin hat die Situation gleichfalls richtig erfaßt, wie sich aus ihrer
Unfallschilderung vom 26.4.1994 in den Bußgeldakten -OKD Rheinisch-Bergischer-
Kreis 362-541026-05/94- ergibt. Danach nahm die Klägerin nicht nur den Bagger wahr,
sondern erkannte auch, daß dieser zunächst anhielt. Nach ihrer eigenen Darstellung
habe sie "zur Vorsicht" ausgeholt, soweit es der Gegenverkehr zuließ, als der Bagger
erneut anzog und es zu dem Zusammenstoß kam. Die eigene Darstellung der Klägerin
bestätigt -die nach dem übrigen Beweisergebnis feststehende- Erkennbarkeit der
gefährlichen Verkehrssituation, bei der nicht auf dem Vorfahrtsrecht bestanden werden
durfte.
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Für die Bestimmung der Haftungsquote ist unerheblich, wie schnell die Klägerin genau
gefahren ist. Gerade dann, wenn -entsprechend ihrer Behauptung im Prozeß und ihrer
Schilderung in den Bußgeldakten- auf der Vorfahrtsstraße langsamer Kolonnenverkehr
herrschte, war das Hereintasten des Beklagten zu 2) gemäß § 8 Abs. 2 S. 3 StVO nicht
so gefährlich, wie bei schnellem Querverkehr. Bei langsamen Verkehr auf der
vorfahrtsberechtigten Straße durfte er nämlich eher darauf vertrauen, daß seine
Schwierigkeiten nicht nur erkannt wurden sondern auch darauf Rücksicht genommen
wurde. Andererseits bestand für die Klägerin gerade bei geringer Geschwindigkeit
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Gelegenheit auf den Bagger zu reagieren.
Schließlich berührt es die Haftungsquote nicht, daß der Beklagte zu 2) mit abgesenkter
Baggerschaufel gefahren ist. In der Berufungserwiderung hat er nämlich
nachvollziehbar darauf hingewiesen, daß bei erhobener Schaufel der Schwerpunkt des
Baggers ungünstig beeinflußt wird. Vor dem Hintergrund der ihm zweifelsfrei
vorzuwerfenden Vorfahrtsverletzung kommt der Stellung der Baggerschaufel kein die
Haftungsquote berührender Einfluß zu.
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Bei der gegebenen Sachlage trifft den Beklagten zu 2 das überwiegende Verschulden
am Unfall, der im wesentlichen durch die von ihm zu verantwortende
Vorfahrtsverletzung herbeigeführt wurde. Angesichts der für die Klägerin bei
Anspannung der erforderlichen Sorgfalt deutlich erkennbaren Hinweise auf die
gefährliche Situation, in der auf die Schwierigkeiten des schwerfälligen und
unhandlichen Schaufelladers gemäß § 1 StVO Rücksicht zu nehmen war, ist ihr
Mitverschulden mit 30 % angemessen vom Landgericht angesetzt worden.
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Im übrigen wird hinsichtlich der Feststellungen zur Schadenshöhe und zur
Zinsforderung auf die zutreffenden Ausführungen des landgerichtlichen Urteils Bezug
genommen.
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Hinsichtlich der Feststellungen zur Schadenshöhe und dem Anspruch auf Ersatz des
Zinsschadens wird auf die überzeugenden und unter Berücksichtigung des
Berufungsvorbringens nicht ergänzungbedürftigen Ausführungen des angegriffenen
Urteils Bezug genommen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer für die Klägerin: 12.237, 39 DM
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