Urteil des OLG Köln vom 24.04.1998
OLG Köln (treu und glauben, fehlen einer zugesicherten eigenschaft, schnittstelle, wider besseres wissen, rücktritt vom vertrag, zugesicherte eigenschaft, nachbesserung, wandelung, lieferung, widerklage)
Oberlandesgericht Köln, 19 U 212/97
Datum:
24.04.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 212/97
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 20 O 70/97
Schlagworte:
Gewährleistung Anspruch Verzug Verkäufer Nachbesserung
Normen:
BGB §§ 326, 634
Leitsätze:
1) Haben sich die Parteien eines Kaufvertrags auf Nachbesserung als
Gewährleistung geeignet, so kann der Käufer entsprechend §§ 326, 634
BGB von dieser Vereinbarung zurücktreten, wenn sich der Verkäufer mit
der Erfüllung der Nachbesserung in Verzug befindet und ihm vergeblich
eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung gesetzt worden ist. Erst
danach stehen dem Käufer wieder die Ansprüche auf Wandlung oder
Minderung offen. 2) Eine vorübergehende Unmöglichkeit (bzw.
Unvermögen) steht der dauernden Unmöglichkeit nur gleich, wenn sie
die Erreichung des Geschäftszwecks in Frage stellt und dem anderen
Teil die Einhaltung des Vertrags bis zum Wegfall des
Leistungshindernisses unter Berücksichtigung aller Umstände sowie der
Belange beider Parteien nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 6. August 1997 verkündete
Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 20 O 70/97 - wird auf
ihre Kosten zurückgewiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
1
Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung der Klägerin hat in der Sache selbst
keinen Erfolg.
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Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen und der Widerklage überwiegend
stattgegeben. Weder die Voraussetzungen eines Rechts der Klägerin zur Wandelung
des Kaufvertrags vom 13.12.1995, welches sie mit der Berufung in erster Linie geltend
macht, noch eines Rechts zum Vertragsrücktritt wegen Unmöglichkeit oder Verzugs des
Beklagten mit einer Hauptleistungspflicht sind erfüllt. Dies gilt unabhängig von der vom
Beklagten erstmals im Berufungsverfahren angesprochenen Frage, ob er überhaupt zur
Lieferung der S.-Schnittstelle "Sm." vertraglich verpflichtet war oder ob er sich hierzu
lediglich aus Kulanz zusätzlich bereit erklärt hatte, obwohl er die im Angebot und im
Vertrag erwähnte Schnittstelle "S.-O." ordnungsgemäß geliefert und installiert hatte.
Denn selbst wenn der Beklagte aufgrund der getroffenen Vereinbarungen auch die
Entwicklung und Lieferung eines "Sm." geschuldet haben sollte, würde dies aus den
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nachfolgenden Gründen das Begehren der Klägerin nicht rechtfertigen.
a) Soweit die Klägerin mit ihrer Berufung rügt, das Landgericht habe zu Unrecht die
allgemeine Verzugsvorschrift des § 326 BGB angewendet, ist darauf hinzuweisen, daß
sie in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 17.12.1996 noch die gegenteilige
Auffassung vertreten hat, der Beklagte sei mit der Lieferung der besagten Schnittstelle,
also mit der Erfüllung einer vertraglichen Hauptleistungspflicht in Verzug gewesen, so
daß nach Fristsetzung und Ablehnungsandrohung ihre Klage begründet sei. Wenn die
Klägerin nunmehr geltend macht, das Fehlen der Schnittstelle und die daraus
resultierende Unmöglichkeit des Transfers und der Einbindung der Daten aus ihrem
bereits vorhandenen Programm S. in das erworbene Programm J.-Profiversion sei als
Sachmangel bzw. als Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft gemäß § 459 BGB zu
werten, und daraus ihre Berechtigung zur Wandelung des Kaufvertrages herleiten will,
so erscheint zweifelhaft, ob dieser Ansicht gefolgt werden kann. Letztlich braucht diese
Frage aber nicht abschließend geklärt zu werden.
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b) Denn selbst wenn das Fehlen der Schnittstelle und damit der
Datentransfermöglichkeit ein Sachmangel wäre bzw. eine zugesicherte Eigenschaft
gem. § 459 BGB fehlte, wäre im Ergebnis ein Wandelungsrecht der Klägerin gemäß §
462 BGB ebenso zu verneinen wie ein Rücktrittsrecht aus § 326 BGB. Denn auch in
diesem Falle hätte es vor Erklärung der Wandelung einer Fristsetzung zur
Mängelbeseitigung verbunden mit einer Ablehnungsandrohung bedurft; eine solche ist,
wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat und was die Klägerin auch nicht
abweichend darlegt, indes nicht erfolgt. Denn der zwischen den Parteien erfolgte
Schriftwechsel wäre bei Anwendung von Gewährleistungsrecht als nachträgliche
Vereinbarung einer Nachbesserung in Form der Nachlieferung der Schnittstelle
anzusehen. Die Klägerin bat nämlich im Schreiben vom 30.01.1996 (Anlage K6) um
Mitteilung, wann genau die Einbindung ihrer Daten aus dem S.-Programm erfolgen
könne, und wies gleichzeitig darauf hin, sie sei vorher nicht zur Leistung einer Zahlung
bereit. Damit brachte sie - zumindest konkludent - zum Ausdruck, daß sie dem
Beklagten Gelegenheit zur Nachlieferung der Schnittstelle einräumen wollte.
Dementsprechend wies der Beklagte in seinem Telefax-Schreiben vom 01.02.1996
(Anlage K7, das Datum 01.01.1996 ist dort irrtümlich angegeben) darauf hin, die
Dateischnittstelle sei von S. noch nicht freigegeben, was aber in Kürze ebenso erfolgen
werde wie die Realisierung des Programms zur Übernahme der Datei durch ihn; ab
dann könne die Klägerin mit der entsprechenden Schnittstelle arbeiten. Diesem
Schreiben hat die Klägerin nicht widersprochen. Daß zwischen den Parteien zunächst
Einvernehmen dahin bestand, daß der Beklagte Gelegenheit zur Nachlieferung der
Schnittstelle haben sollte, ergibt sich auch aus dem Rücktrittsschreiben der Klägerin, in
dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, "trotz wiederholter Zusagen" sei es bis
zum betreffenden Zeitpunkt nicht möglich, die Daten von S. auf J. zu übernehmen.
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Ein Anspruch auf Wandelung des Kaufvertrages würde der Klägerin nur dann zustehen,
wenn sie sich von der Nachbesserungs- bzw. Nachlieferungsvereinbarung wirksam
gelöst hätte, was allerdings ebenfalls der vorherigen Setzung einer Nachfrist mit
Ablehnungsandrohung bedurft hätte. Haben sich nämlich Parteien auf Nachbesserung
als Gewährleistung geeinigt, kann der Käufer hiervon (nicht vom Kaufvertrag als
solchem) entsprechend §§ 326, 634 BGB zurücktreten, wenn der Verkäufer sich mit der
Erfüllung der Nachbesserung in Verzug befindet und der Käufer ihm vergeblich eine
Nachfrist mit Ablehnungsandrohung gesetzt hat. Erst dann stehen dem Käufer wieder
die Ansprüche auf Wandelung oder Minderung offen (vgl. den Senatsbeschluß vom
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29.03.1995 - 19 W 5/95 -, abgedruckt in NJW-RR 1996, 1463; Palandt/Putzo BGB, 57.
Aufl., § 462 Randnr. 6; vgl. auch BGH NJW 1976, 234, 235, wonach die
werkvertraglichen Vorschriften der §§ 633 ff. BGB entsprechend anzuwenden sind,
wenn im Kaufvertrag der Verkäufer dem Käufer die Nachbesserung als einzigen
Gewährleistungsanspruch eingeräumt hat).
c) Soweit die Klägerin in ihrer Berufung erstmals ihr Recht zur Wandelung des
Kaufvertrags - unabhängig von der nicht gelieferten Schnittstelle - auf angebliche
Mängel des Buchführungsprogramms stützt, kann sie damit ebenfalls keinen Erfolg
haben. Ihr Vortrag, auch nachdem am 24.06.1996 eine neue Version des
Buchhaltungsprogramms angeliefert worden sei, seien noch Fehler aufgetreten - offene
Posten in der Kontenaufstellung seien irrtümlich doppelt aufgeführt worden, die
Löschung ausgeglichener Posten sei nicht gelungen, die für die Auswertung der Daten
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notwendigen Programmabläufe seien gestört oder nicht vorhanden gewesen - ist
insgesamt nicht hinreichend konkret und substantiiert, um den Rückschluß zu
ermöglichen, es habe sich um Programmfehler, also nicht um Bedienungsfehler
gehandelt. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin - entgegen ihrer Darstellung in der
Berufungsbegründung - in ihrem Rücktrittsschreiben vom 21.08.1996 nicht auf immer
noch vorhandene Mängel des Buchhaltungsprogramms hingewiesen hatte. Dort hieß es
vielmehr, nach Vornahme verschiedener Änderungen sei es Mitte Juni möglich
gewesen, mit dem Programm im Teilbereich Buchhaltung zu arbeiten. Welche
"Überarbeitungen" und "Anpassungen" aus ihrer Sicht letztlich noch unerledigt
geblieben sein sollen, ergibt sich auch nicht konkret aus den ergänzenden
Ausführungen auf Seite 6 der Replik der Klägerin vom 09.02.1998.
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d) Nicht gefolgt werden kann auch der Ansicht der Klägerin, selbst bei Anwendung der
allgemeinen Vorschriften über Leistungsstörungen, sei ihr Recht zum Rücktritt vom
Vertrag wegen der Nichtlieferung der Schnittstelle zu bejahen.
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Soweit sie diese Rechtsfolge aus § 325 BGB herleiten möchte unter Hinweis darauf,
das vorübergehende Unvermögen des Beklagten zur Lieferung der Schnittstelle sei
einem dauernden Unvermögen gleichzustellen gewesen, vermag sich der Senat dieser
Auffassung nicht anzuschließen. Eine vorübergehende Unmöglichkeit (bzw.
Unvermögen) steht der dauernden Unmöglichkeit nämlich nur gleich, wenn sie die
Erreichung des Geschäftszwecks in Frage stellt und dem anderen Teil die Einhaltung
des Vertrags bis zum Wegfall des Leistungshindernisses nicht zuzumuten ist (vgl. BGHZ
83, 197, 200; OLG München NJW-RR 1996, 48, 49; Palandt/Heinrichs a. a. O. § 275
Randnr. 18). Ob dies zutrifft, ist unter Berücksichtigung aller Umstände und der Belange
beider Parteien nach Treu und Glauben zu entscheiden (vgl. BGH LM Nr. 4 zu § 275
BGB; Palandt/Heinrichs a. a. O.). Im Rahmen der Abwägung ist auch das Verhalten der
Parteien mitzuberücksichtigen (vgl. Palandt/Heinrichs a. a. O.). Hier kann jedenfalls
nicht davon ausgegangen werden, daß der Klägerin die Einhaltung des Vertrags bis
zum Wegfall des Leistungshindernisses nicht zuzumuten war. Mag auch der Zeitpunkt
der Freigabe der Schnittstelle durch S. nicht verläßlich absehbar gewesen sein, so hatte
sich doch die Klägerin zunächst auf die Ankündigung des Beklagten eingelassen, dies
werde "in Kürze" erfolgen, so daß die Übernahme der Datei realisiert werden könne.
Wenn sich die Freigabe länger als vom Beklagten vorhergesehen hinauszögerte, so
wäre es der Klägerin jedenfalls zumutbar gewesen, dem Beklagten nochmals eine
kurze Nachfrist mit Ablehnungsandrohung zu setzen, um sich nach deren
ergebnislosem Ablauf gemäß § 326 BGB vom Vertrag zu lösen. Dadurch wären auch
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die berechtigten Interessen des Beklagten hinreichend zur Geltung gekommen. Es
bestehen nämlich keine Anhaltspunkte dafür, daß dieser wider besseres Wissen darauf
hingewiesen hatte, die Freigabe der Schnittstelle werde "in Kürze" erfolgen.
e) Schließlich war entgegen der Ansicht der Klägerin die Setzung einer solchen
Nachfrist nicht entbehrlich, insbesondere nicht gemäß § 326 Abs. 2 BGB. Insoweit hat
das LG zutreffend darauf hingewiesen, daß sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht
ergibt, daß sie gerade "infolge des Verzuges" kein Interesse mehr an der Lieferung der
Schnittstelle gehabt habe. Vielmehr hat die Klägerin im erstinstanzlichen Schriftsatz
vom 11.11.1996 eingeräumt, daß ihr Interesse an der Lieferung inzwischen aus anderen
Gründen entfallen war, nämlich weil sie Teile des Reisebüros veräußert hatte. Der für
die Anwendung von § 326 Abs. 2 BGB erforderliche Kausalzusammenhang zwischen
dem Verzug und dem Interessewegfall (vgl. hierzu Palandt/Heinrichs, a. a. O., § 326
Randnr. 21 m. Nachw.) ist deshalb nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO vorläufig vollstreckbar.
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Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer der Klägerin:
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Klage a) 4.277,00 DM
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b) 500,00 DM
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Widerklage a) 9.610,00 DM
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b) 460,00 DM
18
c) 500,00 DM
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insgesamt: 15.347,00 DM.
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Der Streitwert für das landgerichtliche Verfahren wird unter Abänderung der Festsetzung
im angefochtenen Urteil auf
21
19.745,00 DM
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festgesetzt.
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Soweit das Landgericht bei seiner Streitwertfestsetzung unter Hinweis auf § 19 Abs. 1 S.
3 GKG lediglich die Werte der 3 Widerklage-Anträge berücksichtigt hat, kann dem nicht
gefolgt werden. Denn Klage und Widerklage betreffen nicht "denselben Gegenstand" im
Sinne dieser Vorschrift. Das ergibt sich schon daraus, daß die Klägerin im wesentlichen
Rückzahlung der von ihr erbrachten Zahlungen begehrt, während der Beklagte mit der
Widerklage weitere Zahlungen verlangt. Auch die wechselseitigen Feststellungsanträge
betreffen verschiedene Gegenstände. Die vom Landgericht für Klage und Widerklage
zutreffend angesetzten Einzelwerte sind somit zu addieren.
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