Urteil des OLG Köln vom 31.03.2000
OLG Köln: vollmacht, treu und glauben, grundstück, verwaltung, grundbuch, form, genehmigung, belastung, vertreter, bevollmächtigung
Oberlandesgericht Köln, 19 U 128/99
Datum:
31.03.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 128/99
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 20 O 623/98
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 23.06.1999 verkündete Urteil
des Landgerichts Köln - 20 O 623/98 - wird zurückgewiesen. Die Kosten
des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt. Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den
Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,-- DM abwenden,
wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger ist seit 01.06.1995 Testamentsvollstrecker über den Nachlass der am
09.08.1994 verstorbenen C.J..
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Zum Nachlass gehört das bebaute Grundstück in K.-E., L.er Straße , S.straße ,
Grundbuch von E., Blatt 0071, Flurstück 566, 567, lfd. Nr. 1 + 2. Es ist mit einer zu
Gunsten der Beklagten eingetragenen Grundschuld in Höhe von 300.000,-- DM belastet.
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Zu dieser Eintragung kam es wie folgt:
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Am 15.05.1975 hatte die verstorbene C.J. ihrer Enkeltochter H.M. eine notarielle
Vollmacht für ihren Grundbesitz in K.-P., L.er Straße , Flur T, Flurstücke Nr. 567 und 566
erteilt. Darin heißt es wörtlich:
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"Ich erteile hiermit für mich und meine Erben Frau H.M. geborene J., Bankangestellte,
wohnhaft in E.-B., S.weg 2,
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VOLLMACHT,
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mich in allen diesen Grundbesitz betreffenden Angelegenheiten, insbesondere was die
Verwaltung dieses Grundbesitzes anbetrifft, in jeder Weise gerichtlich und
außergerichtlich zu vertreten."
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Am 26.10.1984 wurde für C.J. eine Gebrechlichkeitspflegschaft angeordnet, die mit
Wirkung vom 01.01.1992 in eine Betreuung überging. Als Pflegerin bzw. Betreuerin war
wiederum H.M. bestellt.
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Am 29.04.1992 bewilligte und beantragte H.M. - handelnd für sich und als
Bevollmächtigte ihrer Großmutter C.J. - die Eintragung einer Grundschuld auf dem o.g.
Grundstück in Höhe von 300.000,-- DM zu Gunsten der Beklagten.
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Damit sollte ein Darlehen der Eheleute H.-J. M. und H. geborene J. gesichert werden.
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Dem Antrag war die am 15.05.1975 erteilte, nicht widerrufene Vollmacht in beglaubigter
Abschrift beigefügt.
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Die Eintragung erfolgte am 03.06.1992.
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Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zustimmung zur Löschung dieser
Grundschuld.
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Er hat die Auffassung vertreten, das Grundbuch sei unrichtig. Die Bestellung der
Grundschuld durch H.M. sei durch die Vollmacht aus dem Jahre 1975 nicht gedeckt
gewesen.
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Er hat beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, ihre Zustimmung zur Löschung der im Grundbuch von E.,
Blatt 0071, Gemarkung F, Flur 14, Flurstück 566, 567 zu Gunsten der Beklagten in der
III. Abteilung eingetragenen Grundschuld über 300.000,-- DM zu erklären.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Ansicht vertreten, H.M. sei aufgrund der Vollmacht auch zum Verkauf oder
der Belastung des Grundstücks berechtigt gewesen. Das zeige bereits die in notarieller
Form vorgenommene Vollmachtserteilung.
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Durch Urteil vom 23.06.1999, auf dessen Inhalt wegen sämtlicher Einzelheiten Bezug
genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt und dies
damit begründet, dass Frau H.M. bei der Grundschuldbestellung als Vertreterin ohne
Vertretungsmacht gehandelt habe.
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Gegen das ihr am 05.07.1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 04.08.1999 bei
Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie nach Fristverlängerung
bis zum 04.10.1999 mit einem am selben Tage bei Gericht eingegangenen Schriftsatz
begründet hat.
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Sie hat zudem Herrn Notar W. den Streit verkündet.
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In der Berufungsinstanz wiederholen und vertiefen beide Parteien ihren Vortrag zum
Umfang der Vollmacht und zur Wirksamkeit der Grundschuldbestellung.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Aufhebung des am 23.06.1999 verkündeten Urteils des Landgerichts Köln,
Aktenzeichen: 20 O 623/98, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung kostenpflichtig abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst allen
eingereichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung der
Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Grundbuch ist unrichtig, da die Grundschuld nicht wirksam bestellt worden ist. Dem
Kläger steht daher gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß § 894 BGB auf Einwilligung
in die Löschung der Grundschuld zu.
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I.
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Aufgrund der am 15.05.1975 erteilten Vollmacht (Bl. 21 AH) war Frau H.M. nicht
berechtigt, das Grundstück mit einer Grundschuld zu belasten, die der Absicherung
eines ihr und ihrem Ehemann durch die Beklagten gewährten Darlehens diente.
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Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es sich bei der Vollmacht vom
15.05.1975 um eine Außenvollmacht (§ 172 BGB) handelt, die von ihrem Wortlaut her
nicht eindeutig ist. Der Umfang der Vollmacht ist daher durch Auslegung zu ermitteln,
wobei es - wie hier - im Fall der Außenvollmacht auf die Verständnismöglichkeiten des
Geschäftsgegners, hier also der Beklagten, ankommt (BGH NJW 1991, 3141; NJW
1983, 1906). Die Auslegung richtet sich danach, wie der Geschäftsgegner die Vollmacht
nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte (§§
133, 157 BGB). Der Empfänger/Geschäftsgegner darf sich daher nicht einfach den für
ihn günstigsten Sinn aussuchen. Er ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm
erkennbaren Umstände zu prüfen, was der Vollmachtgeber gemeint hat. Hierbei muss er
den Wortlaut der Erklärung, die Begleitumstände und die Entstehungsgeschichte
(soweit bekannt), den Zweck und vor allem die Interessenlage berücksichtigen. Bei
Zweifeln über den Umfang der Vollmacht ist der geringere Umfang anzunehmen (OlG
Frankfurt NJW-RR 1987, 482 m.w.N.).
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Ausgehend hiervon durfte die Beklagte nach Treu und Glauben und bei verständiger
Würdigung der Vollmacht diese nicht so verstehen, dass von dieser auch
Grundstücksbelastungen im alleinigen Interesse der Bevollmächtigten gedeckt waren.
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Anders wäre dies möglicherweise zu beurteilen, wenn die Vollmacht nur den Satz
enthielte "mich... in allen diesen Grundbesitz betreffenden Angelegenheiten... zu
vertreten". Hier enthält die Vollmacht jedoch den Einschub "insbesondere was die
Verwaltung des Grundbesitzes anbetrifft". Im Zusammenhang mit dem Einleitungssatz
"in diesen Grundbesitz betreffenden Angelegenheiten" ergibt sich bei verständiger,
interessengerechter Auslegung - auch - aus der Sicht der Beklagten, dass von der
Vollmacht alle, aber zugleich auch nur solche Angelegenheiten umfasst waren, die
entweder die Verwaltung selbst bzw. mit dieser im Zusammenhang stehende, oder
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"unterhalb" von Verwaltungsmaßnahmen angesiedelte Grundstücksangelegenheiten
betrafen, nicht aber Geschäfte, die außerhalb der Verwaltung lagen und von daher nicht
dem Grundstück im Sinne einer dieses "betreffenden" Angelegenheit dienten bzw. ihren
Grund nicht im Grundstück selbst hatten. Umfasst war von der Vollmacht daher bei
interessengerechter Auslegung - entgegen der Ansicht des Landgerichts - auch eine
Belastung des Grundstücks, allerdings nur eine solche, die für die ordnungsgemäße
Verwaltung des Grundbesitzes erforderlich war, also z.B. die Bestellung eines
Grundpfandrechtes zur Absicherung eines Darlehen, welches aufgenommen wurde, um
notwendige Renovierungsarbeiten auf dem Grundstück durchzuführen. Vor diesem
Hintergrund ist dann auch erklärlich, dass die Vollmacht in notarieller Form erteilt
worden ist, was lediglich zwingend für derartige Geschäfte erforderlich war. Denn im
übrigen ist die Erteilung einer Vollmacht an keine Form gebunden.
Angesichts der Tatsache, dass die Bestellung einer Grundschuld zur Absicherung eines
dritten Personen bewilligten Geschäftsdarlehens weder der Verwaltung des
Grundbesitzes diente, noch ihren Grund in dem Grundstück selber hatte, hätte die
Beklagte unter Berücksichtigung des Wortlauts und der Interessenlage bei verständiger
Würdigung die Vollmacht so verstehen müssen, dass von ihr die Bestellung der hier
streitigen Grundschuld nicht gedeckt war, Frau H.M. mithin als Vertreterin ohne
Vertretungsmacht handelte.
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Da daher sowohl die Einigung als auch die Eintragung (nunmehr entgültig) unwirksam
sind, ist das Grundbuch unrichtig und der Kläger hat gegen die Beklagte den Anspruch
aus § 894 BGB.
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II.
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Die Grundschuldbestellung ist aber noch aus einem anderen Grund unwirksam. Hier
war nämlich für die Grundstückseigentümerin und Vollmachtgeberin im Jahre 1984 die
Gebrechlichkeitspflegschaft angeordnet worden u.a. mit dem Wirkungskreis der
Vermögensbetreuung, und bei dieser Anordnung war aufgrund der geistigen Situation
der Grundstückseigentümerin von ihrer Anhörung gemäß § 1901 Abs. 2 BGB a.F.
abgesehen worden. Hieraus folgt, dass die Grundstückseigentümerin im Zeitpunkt der
Anordnung der Gebrechlichkeitspflegschaft geschäftsunfähig war, denn nur so konnte
die Pflegschaft ohne ihre Anhörung/Einwilligung angeordnet werden. Diese
Gebrechlichkeitspflegschaft, bei der die Vollmachtsinhaberin Frau M. zur Pflegerin
bestellt worden war, wurde mit Inkrafttreten des Betreuungsrechts übergeführt in eine
Betreuung u.a. mit dem Wirkungskreis Vermögenssorge (§ 1896 BGB). Es trifft zwar zu,
dass eine rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht im allgemeinen nicht dadurch erlischt,
dass der Vollmachtgeber nach ihrer Erteilung geschäftsunfähig wird. Flume (Das
Rechtsgeschäft II § 51, 6 m.w.N.) vertritt jedoch mit überzeugenden Argumenten für den
Fall, dass der Vollmachtgeber geschäftsunfähig geworden ist, die Ansicht, dass von
diesem Zeitpunkt an die für den gesetzlichen Vertreter geltenden
Handlungsbeschränkungen auch für den rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten gelten
müssen. In ihrer Eigenschaft als Betreuerin hätte Frau M. für die Belastung des
Grundstücks mit einer Grundschuld gemäß § 1821 in Verbindung mit § 1908 i BGB der
vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft, mit der Folge, dass die
Grundschuldsbestellung unwirksam ist, da die Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts nicht nachgeholt worden ist und auch nicht mehr nachgeholt
werden kann. Zwar wird gegen die von Flume vertretene Ansicht eingewandt,
Gefährdungen für den Vollmachtsgeber müsse durch Bestellung eines
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Vollmachtsbetreuers, notfalls durch Kündigung des zugrundeliegenden
Rechtsverhältnisses oder durch Widerruf der Vollmacht begegnet werden (siehe z.B.
MüKo/Schwab, BGB, 3. Aufl. § 1896 Rnr. 152). Dies mag nach Ansicht des Senats ein
zulässiger Einwand sein entweder für den Fall der Vorsorgevollmacht oder für den Fall,
dass der gesetzliche Vertreter personenverschieden ist von der Person des
Gebrechlichkeitspflegers/Betreuers. Gerade aber für den Fall des Zusammenfallens
dieser beiden Funktionen ist der Ansicht von Flume uneingeschränkt zu folgen. In
diesem Fall ist nämlich nicht damit zu rechnen, und dies zeigt auch gerade der hier
vorliegende Fall, dass den Interessen des mittlerweile geschäftsunfähigen
Vollmachtgebers, der wegen seiner Geschäftsunfähigkeit selbst seinen gesetzlichen
Vertreter nicht mehr beaufsichtigen und auch die Vollmacht nicht mehr widerrufen kann,
nur durch die Annahme einer Beschränkung auch der rechtsgeschäftlich erteilten
Vollmacht auf den Umfang der Betreuervollmacht ausreichend Rechnung getragen
werden kann. Denn gerade bei Personenidentität fehlt es an der im übrigen
bestehenden Möglichkeit der Überwachung, und im Zweifel ist auch, wie der
vorliegende Fall zeigt, im Falle der Personenidentität keinerlei Interesse vorhanden,
zum Schutz des Geschäftsunfähigen die rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht zu
widerrufen. Wegen der somit anzunehmenden Beschränkung der rechtsgeschäftlich
erteilten Vollmacht auf den Umfang der Betreuervollmacht der Frau H.M. ist auch aus
diesem Grund die Grundschuldbestellung mangels Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts unwirksam.
Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Rechtsfolgen bei einer von den rechtlichen
Wirkungen/Folgen her vergleichbaren Problematik im heutigen Betreuungsrecht, im
Falle der nach Einrichtung der Betreuung durch den geschäftsfähigen Betreuten
erteilten rechtsgeschäftlichen Vollmacht. Wegen der auch hier bestehenden Gefährdung
der Vermögensinteressen des Betreuten durch den bevollmächtigten Betreuer vertreten
Palandt/Diederichsen (BGB, 59. Aufl., § 1902 Rn. 2) und Erman/Holzhauer (BGB, 9.
Aufl., § 1902 Rn. 13) die Ansicht (ähnlich Seitz in Anmerkung zu OLG Frankfurt BtE
1996/97 Seite 72 f.), der der Senat sich anschließt, der Betreute könne den Betreuer
nicht dahingehend bevollmächtigen, Geschäfte nach den §§ 1821, 1822 BGB, soweit
diese - wie hier - in seinen Aufgabenkreis fallen, ohne Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts vorzunehmen (offengelassen von OLG Frankfurt FamRZ 1997,
1424). In der amtlichen Begründung zu § 1902 BGB n.F. wird eine solche "Freistellung
von zwingenden gesetzlichen Vorschriften" als mit der Rechtsstellung eines Betreuers,
bei dem die vormundschaftsgerichtliche Aufsicht das Wohl des Betreuten sichern soll,
schlechthin unvereinbar bezeichnet (BT-Drucks. 11/428, Seite 135 f.). Dieser
rechtspolitischen Vorstellung ist von keiner Seite widersprochen worden. Der
überwiegenden (wohl herrschenden) Gegenansicht (hier die Nachweise bei OLG
Frankfurt a.a.O.), die diese Einschränkung der rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung
mit der Begründung ablehnt, das nur in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck
gekommene gesetzgeberische Ziel sei in § 1902 BGB n.F. nicht hinreichend deutlich
umgesetzt worden und sei im übrigen widersprüchlich, weil die Fälle des
bevollmächtigten Dritten und des bevollmächtigten Betreuers unterschiedlich behandelt
würden, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Vor allem das letztere Argument
überzeugt nicht vor dem Hintergrund des Schutzes der Vermögensinteressen des
Betreuten. Im Falle der Bevollmächtigung eines Dritten kann den damit für das
Vermögen des Betreuten verbundenen Gefahren mit der Bestellung eines
Vollmachtsbetreuers etwa durch Erweiterung des Umfangs der bereits bestehenden
Betreuung begegnet werden. Die Gefahr, dass der bevollmächtigte Betreuer hieran kein
Interesse hat und derartiges daher nicht anregen wird, liegt auf der Hand.
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III.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren und zugleich Wert der Beschwer für die Beklagte:
300.000,-- DM.
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