Urteil des OLG Köln vom 05.05.1999

OLG Köln (kläger, bundesrepublik deutschland, anhörung, vernehmung von zeugen, zustand, gutachten, erkrankung, ergebnis, behandlungsfehler, behandlung)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 143/96
Datum:
05.05.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 143/96
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 9 O 237/95
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 9. Zivilkammer des
Landgerichts B. vom 03.06.1996 - 9 O 237/95 - teilweise abgeändert und
die Klage insgesamt abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat der
Kläger zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt
vorbehalten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 35.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. Der Beklagten bleibt
vorbehalten, eine Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische
Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansäßigen
Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen.
T a t b e s t a n d :
1
Der am 10.03.1990 mit einem Geburtsgewicht von 3420 Gramm und einer Länge von 50
cm per Sectio geborene Kläger durchlief in den ersten 6 - 7 Lebensmonaten eine
unauffällige Entwicklung. Ab Oktober 1990 stellte die Mutter des Klägers bei ihm
Appetitlosigkeit und eine Gewichtsabnahme fest, weshalb sie den Kinderarzt Dr. M.
kontaktierte. Dieser untersuchte den Kläger am 13.11.1990. Die anlässlich dieser
Untersuchung erhobenen Laborparameter ergaben folgendes:
2
"Im Urin Eiwiß über 500 mg/ml, Glukose positiv, Blut 5,10 Mio Erythrozyten".
3
Im Hinblick auf diese Befunde veranlasste Dr. M. die stationäre Aufnahme des Klägers
in der von der Beklagten unterhaltenen Universitätskinderklinik. In der
Ernährungsanamnese wurde die fehlende Gewichtszunahme des Klägers in den letzten
3 Monaten verifiziert. Die Krankenunterlagen weisen insoweit den Vermerk "Verdacht
auf Zöliakie, zum Ausschluß; jetzt Enteritis bei Infekt? Zum Ausschluß Proteinurie" aus.
Bei der nachfolgenden Labordiagnostik ergaben sich im Blutbild Werte im Normbereich,
während der Sammelurin mit den Eiweißwerten und hinsichtlich der Erythrozyten
pathologische Befunde ergab.
4
Am 16.11.1990 erbrachte eine Ultraschalluntersuchung echodichte Nieren beidseits,
eine Ultraschalluntersuchung des Kopfes ergab einen Hydrocephalus internus mit
Erweiterung des dritten und vierten sowie der Seitenventrikel. Hirndruckzeichen fanden
sich klinisch hingegen nicht.
5
Die Krankenunterlagen der Beklagten weisen für den 16.11.1990 die Anordnung
"einmal RR messen" auf. Für diesen Tag ist gegen 14.00 Uhr ein Blutdruck von 120/80
dokumentiert. Bezogen auf den 17.11.1990 findet sich für 17.30 Uhr eine
Blutdruckmessung mit 92/77. Für die Zeit ab dem 18.11.1990 weisen die
Krankenunterlagen die Anordnung "dreimal RR messen, auf Hirndruckzeichen achten"
auf. Am 18.11.1990 sind Blutdruckmessungen für 9.30 Uhr mit 90/60 und für 16.15 Uhr
mit 157/113 - letzterer Wert mit einem Fragezeichen gekennzeichnet - dokumentiert. Für
die Zeit nach 20.00 Uhr weisen die Krankenunterlagen den Vermerk aus "RR 90/50
(oder 60) manuell". Dann erfolgte der schriftliche Zusatz "fühlt sich kühl an, Mutter will
nicht messen". Am 19.11.1990 war nach Maßgabe eines entsprechenden Vermerks in
den Krankenunterlagen für die Uhrzeit von 17.00 Uhr eine "RR-Messung nicht möglich".
Bis zum 29.11.1990, 14.00 Uhr, sind sodann keine weiteren Blutdruckmessergebnisse
niedergelegt; zum letztgenannten Zeitpunkt ergab eine Messung einen Wert von 95/73.
6
Eine Urinuntersuchung ergab am 15.11.1990 "Eiweiß zweifach positiv", am 18.11.1990
"Eiweiß dreifach positiv, Blutspur", am 19.11.1990 "Eiweiß dreifach positiv, Blut doppelt
positiv" und am 20.11.1990 "Eiweiß dreifach positiv, Blut positiv".
7
Am 20.11.1990 wurde eine EEG-Untersuchung durchgeführt, die ein "pathologisches
Schlaf-EEG der Stadien A-C, wiederholt Ausbrüche diffuser generalisierter Theta- und
Deltawellen mit extrem hoher Amplitude" ergab. Ein EKG vom gleichen Tag ergab
Zeichen einer linkS.trikulären Hyperthrophie mit einer QT-Zeit an der oberen
Normgrenze.
8
In der Zeit vom 23.11. bis 25.11.1990 wurde der Kläger zu seinen Eltern nach Hause
entlassen, unter Umständen auch bereits am 21.11.; der Anfangszeitpunkt ist unter den
Parteien streitig. Am 25.11.1990 wurde der Kläger gegen 16.30 Uhr wieder
aufgenommen, bei welcher Gelegenheit seine Mutter dem untersuchenden Arzt der
Beklagten mitteilte, dass der Kläger bis zum 24.11.1990 morgens bis 39 Grad Fieber
gehabt aber noch gut getrunken habe. Er habe zu diesem Zeitpunkt eine Flasche
getrunken und eine Stunde später den gesamten Flascheninhalt erbrochen. Am Abend
sei das Fieber nach Gabe von Ben-Uron auf 38 Grad gesunken.
9
Die Krankenunterlagen der Beklagten weisen für den 25.11.1990 einen "Nachtrag zur
Anamnese" auf, der unter anderem wie folgt lautet:
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"Seit ca. einem Monat beobachtet die Mutter, daß S. sich gelegentlich steif mache, die
Augen nach oben verdrehe, jedoch ansprechbar sei ..., Dauer ca. 1-2 Minuten ...
gestern habe S. zweimal derartige Episoden geboten, habe den Rücken steif gemacht,
die Augen verdreht, sei jedoch ansprechbar gewesen (Dauer 1 Minute) ..."
11
In den Original-Krankenunterlagen der Beklagten befindet sich dann am Ende der
Eintragungen für den 25.11.1990 folgende Zusammenfassung:
12
"Verdacht auf zerebrale Krampfanfälle (?), weitere Abklärung erfolgt bei diesem
stationären Aufenthalt, kein Anhalt für Meningitis, Meningismus, Hirndruck".
13
Bei Wiederaufnahme des Klägers am 25.11.1990 wurden bei bestehendem Durchfall
Samonellen im Stuhl nachgewiesen. Ein Blutbild vom 25.11.1990 zeigte eine HB von
14,4 g/dl Leukozyten 11.400/ul und Thrombozyten von 120.000/ul, im Urinstatus vom
14
26.11.1990 weiterhin erhöhte Erythrozyten und Eiweißausscheidungen.
Das Ergebnis einer kraniellen Computertomografie vom 27.11.1990 ergab den
folgenden Befund:
15
"Die beschriebenen Veränderungen sprechen am ehesten für eine dysmyelinisierende
Erkrankung im Sinne einer Leukodystrophie".
16
Aufgrund des CT-Befundes ist eine nähere Klassifizierung nicht möglich.
17
Am 29.11.1990 erfolgte eine Lumbalpunktion mit dem Ergebnis:
18
"Liquor klar, keine erhöhte Eiweißkonzentration, Druck vor Punktion 20 cm H2O, nach
Punktion 14 cm H2O".
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Bezogen auf den 29.11.1990 weist die Krankenakte den Vermerkt auf:
20
"Seit gestern Abend hat Patient starken Durst, gestern Abend sogar Badewasser
getrunken, Windel ist ständig feucht. Heute Morgen trockene Lippen, nur zu beruhigen,
wenn Flüssigkeit gegeben wird".
21
Eine ebenfalls am 29.11.1990 durchgeführte Farbdoppel-Echografie ergab den Befund:
22
"Bei orientierender Untersuchung hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie mit links-
ventrikulärer Vorderwanddicke von 1,5 cm".
23
Eine Kontrolle am 30.11.1990 bestätigte diesen Befund mit massiver Hypertrophie des
IVS und LV. Am 30.11.1990 verschlechterte sich der Zustand des Klägers. Das Fieber
bestand fort, es trat eine zunehmende Allgemeinverschlechterung und rasche
Bewusstseinseintrübung ein, weshalb eine Verlegung auf die Intensivstation veranlasst
wurde. Es trat eine Ateminsuffizienz auf, weshalb der Kläger intubiert werden musste,
worauf sich sein Zustand stabilisierte. In der Nacht vom 30.11. zum 01.12.1990 wurden
zunächst unblutig, sodann blutig Blutdruckwerte gemessen, die extrem hohe Werte bis
190/90 ergaben. Um 11.00 Uhr setzte eine antihypertensive Therapie mit den
blutdrucksenkenden Medikamenten Adalat und Dociton ein. In den folgenden zwei
Stunden wurden die Blutdruckwerte mit 150/102 und 100/55 gemessen. Gleichzeitig
wurde eine antibiotische Behandlung mit Paraxin und Claforan durchgeführt.
Vorausgegangen war, dass der Kläger in der Nacht zum 11.12. in ein tiefes Koma verfiel
und im Blutbild zeigte sich eine schwere Thrombopeni von 35.000/ul. Der
Fragmentozytennachweis war positiv bei nun abgefallenem Hämoglobingehalt. Das
Creatinin betrug aber 7 ml % bei normaler Serumosmonalität. Bei Kontrolle am
01.12.1990 Hb 9,3 Gramm % Leukozyten 12.000/ul, Thrombozyten 60.000/ul.
24
Ein augenärztlicher Berfund vom 30.11.1990 hat ergeben: "Mindestens seit zwei bis drei
Wochen bestehende Stauungspapille", bei Kontrolle vom 05.12.1990:
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"Stauungspapille hypertensiver Genese, Fundus hypertonicus Stadium IV, deutliche
Rückbildung der Stauungspapille im Vergleich zu letzter Woche".
26
Eine augenärztliche Kontrolle am 12.12.1990 ergab:
27
"Fundus hypertonikus Stadium IV in Rückbildung, auffällig ist die Diskrepanz der
Stauungspapille in ihrer Ausprägung zwischen rechtem und linkem Auge".
28
Kontrolle am 17.01.1991:
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"Papille beidseits prominent, keine wesentliche Seitendifferenz, ansonsten siehe
Vorbefunde".
30
Am 01.12.1990 gegen 17.00 Uhr erfolgte eine externe Liquor-Drainage zur Kontrolle
eines vermuteten erhöhten Liquor-Druckes in den erweiteren Ventrikeln. Ausweislich
der Krankenunterlagen der Beklagten zeigte der Kläger eine deutliche
Hirnstammsymptomatik und keine Pupillenreaktion. In den folgenden Tagen blieb der
Kläger in einem komatösen Zustand mit nur geringen Reaktionen auf Licht und geringen
Schmerzreaktionen.
31
Am 15.12.1990 erfolgte die endgültige Extubation nach einem fehlgeschlagenen
Extubationsversuch am 09.12.1990. Hypertone Werte wurden ausweislich der
Blutdruckprotokolle noch bis Ende Januar 1991 dokumentiert.
32
Eine am 14.12.1990 durchgeführte Nierenbiopsie wurde von Prof. W. in H. wie folgt
befundet:
33
"In einzelnen Glomeruli sind sodann geringfügige segmentale C1q-Depots erkennbar.
Alle Glomeruli zeigen überwiegend periphere, gering- bis mäßiggradige C3d-
Ablagerungen, daneben diskrete Präzipitate von fibrinogen-assoziierten Antigenen. In
den arteriolären Gefäßen sowie in kleinen Arterien sind teilweise deutliche
Ablagerungen von C1q, C4, C3c, C3d und figrinogen-assoziiertem Antigen
nachweisbar. Intratubulär einzelne IgA-, IgM- und albumin-positive Eiweißzylinder.
Properdin ist gänzlich negativ".
34
Er kommt zu folgender Bewertung:
35
"Die vorliegenden Veränderungen entsprechen einem abgelaufenen hämolytisch-
urämischen Syndrom ...".
36
Die weiterführende Diagnostik hinsichtlich einer Hypertonieabklärung umfaßte eine
Nieranangiographie am 10.01.1991:
37
"Unauffällige Kontrastierung der Nieren nach i.V. DSA, wobei das Kontrastmittel zum
größten Teil bereits in der Harnblase ist".
38
Eine Beurteilung der arteriellen Gefäßversorgung der Nieren ist dem Entlassungsbrief
nicht zu entnehmen. MIBG-Szintgraphie und Urin-Katecholminbestimmung im Urin
ergaben keinen Anhalt für ein Phäochromozytom. Unter dem Verdacht auf erhöhten
Hirndruck erfolgte am 01.12.1990 eine externe Liquordrainage. Die engültige
Ventiloperation wurde am 14.12.1990 vorgenommen, in gleicher Sitzung führte man
eine Nierenbiopsie durch. Die Histolgie erbrachte folgenden Befund:
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"Die vorliegenden Veränderungen entsprechen einem abgelaufenen hämolytisch
urämischen Syndrom (Thrombo-tische Mikroangiopathie) mit noch nachweisbarer
Beteiligung einzelner Glomeruli sowie insbesondere der Arteriolen und kleinen
40
Arterien. Herdförmige tubuläre Atrophie und interstitielle Fibrose".
MRT-Befund des Gehirns vom 18.12.1990:
41
"Flache rechts fronto-temporal gelegene Flüssigkeitsansammlung epidural.
Sedimentation im Bereich der abhängigen Partien der Seitenventrikel (Blutbestand-
teile). Regelrechte und altersentsprechende Myelinisierung. Die Erweiterung der
inneren Liquorräume ist nicht wesentlich verändert. Ein Verschluß des Aquäducts oder
des 4. Ventrikels ist nicht nachweisbar. Kein Anhalt für Myelinisierungsstörung. Keine
sichere Druckwirkung vorhanden".
42
Nach Extubation des Klägers und Verlegung auf die Normalstation stellte sich heraus,
dass als neurologischer Restschaden eine Blindheit infolge Optikusatrophie und eine
spastische Diparese der unteren Extremitäten zurückgeblieben war.
43
Das EKG vom 25.02.1990 ergab einen Normalbefund, die
Farbdopplerechocardiographie vom 05.01.1990:
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"Zustand nach obstruktiver Cardiomyopathie, Aorteninsuffizienz Grad I/III."
45
Trotz Rückbildung der Endorganschäden blieb die Hypertonieeinstellung schwierig und
bedurfte laut Entlassungsbericht einer medikamentösen Vierfach-Kombination.
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So wurde der Kläger Anfang 1991 aus dem Zentrum für Kinderheilkunde der Universität
B. mit folgenden Diagnosen entlassen:
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- Zustand nach hämolytisch urämischem Syndrom
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- Zustand nach ventilpflichtigem Hydrocephalus
49
- Zustand nach hypertrophischer Cardiomyopathie
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- Renale Hypertonie
51
- Zustand nach Harnwegsinfekt
52
- Zustand nach Herniotomie rechts.
53
Nach seiner Entlassung befand sich der Kläger mehrfach in stationärer Behandlung, so
vom 16.06. bis 18.06.1991 wegen einer Harnwegsinfektion, vom 02. bis 08.11.1991
wegen Atempausen von bis zu 30 Sekunden, vom 26. bis 29.04.1993 zur stationären
Untersuchung in der Universitätskinderklinik W., wo folgende Diagnose gesetllt wurde:
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"Zustand nach hämolytisch-urämischem Syndrom mit hypertensiver Enzephalopathie,
schwerer cerebraler Schädigung und inkomplettem Querschnitt-Syndrom mit
spastischer Diparese".
55
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Behandlung durch die Ärzte und das
Pflegepersonal der Beklagten in der Zeit vom 15. bis 29.11.1990 sei fehlerhaft gewesen.
Insbesondere seien entgegen ausdrücklicher ärztlicher Anordnung keine regelmäßigen
Blutdruckkontrollen durchgeführt worden, weshalb der bei ihm aufgetretene
56
Bluthochdruck medikamentös zu spät behandelt worden sei. Außerdem hätte eine
Untersuchung des Augenhintergrundes früher durchgeführt werden müssen. Es hätten
schon frühzeitig Hinweise auf das Vorliegen einer Hirndrucksymptomatik vorgelegen,
welche zusammen mit den pathologischen Urinwerten den Verdacht auf eine renale
Grunderkrankung (Erkrankung im Nierenbereich) hätten erwecken müssen. Die
vorübergehende Entlassung nach Hause in der Zeit vom jedenfalls 23. bis 25.11.1990
sei fehlerhaft gewesen, da schon zu diesem Zeitpunkt die Diagnose eines
Hydrocephalus unklarer Genese zu stellen gewesen sei. Sein heutiger Zustand mit
manigfachen Folgebeschwerden sei ursächlich auf die fehlerhaft unterlassene
Befunderhebung und die nicht rechtzeitige Therapieeinleitung zurückzuführen.
Der Kläger hat beantragt,
57
1.
58
die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts
gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber in Höhe von 150.000,00 DM, nebst 4 %
Zinsen ab dem 13.06.1995 (Datum der Rechtshängigkeit) zu zahlen;
59
2.
60
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen zukünftigen materiellen und
nicht voraussehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, der auf die fehlerhafte
ärztliche Behandlung in der Zeit vom 15. bis 29.11.1990 zurückzuführen ist, soweit die
Ansprüche nicht auf öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger oder sonstige
Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
61
Die Beklagte hat beantragt,
62
die Klage abzuweisen.
63
Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Behandlung sei, sowohl was die Diagnostik
als auch was die Therapie anbetreffe, fehlerfrei gewesen. Auch Blutdruckmessungen
seien in ausreichendem Maße erfolgt. Der am 30.11.1990 plötzlich eintretende
Bluthochdruck sei medikamentös nicht mehr zu beherrschen gewesen. Die
eingetretenen Folgeschäden seinen schicksalhaft.
64
Nach Vernehmung von Zeugen sowie Einholung eines schriftlichen und mündlich
erläuterten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. B. hat das Landgericht der Klage
im wesentlichen, bis auf einen Teil des auf immaterielle Zukunftsschäden bezogenen
Feststellungsantrages stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, den Ärzten und
dem Pflegepersonal der Beklagten seien für die Folgeschäden kausal gewordene
Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Ab dem 16.11.1990 sei es geboten gewesen, bei
dem Kläger dreimal täglich den Blutdruck zu messen. Dies sei nicht geschehen, obwohl
zahlreiche Symptome auf diese Notwendigkeit zusätzlich hingewiesen hätten, die
außerdem ärztlich ausdrücklich angeordnet aber nicht auf ihre Durchführung hin
überprüft worden sei. Bei rechtzeitiger umfänglicher Blutdruckmessung wären die
erhöhten Werte rechtzeitig festgestellt worden und hätten medikamentös frühzeitig
angegangen werden können. Das Unterlassen der gebotenen regelmäßigen
Blutdruckmessung sei als schon schwerer Behandlungsfehler zu werten. Die beim
Kläger festzustellende schwere Verlaufform einer hypertonischen Hirngefäßerkrankung
65
sei nach dem Inhalt des Sachverständigengutachtens auf das Vorliegen einer länger
dauernden schweren Hypertonie mit zum Teil extremen Blutdruckspitzen
zurückzuführen. Zwar sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit letzter
Gewissheit festzustellen, dass bei gebotener Diagnostik durch sachgerechte
Blutdruckkontrolle zu einem frühen Zeitpunkt das Auftreten theraphiebedürftiger
Blutdruckwerte so rechtzeitig erkennbar geworden wären, dass das Eintreten der akuten
Notfallsituation vom 30.11./01.12.1990 durch die Gabe blutdrucksenkender
Medikamente hätte verhindert werden können; diese Unsicherheit gehe jedoch zu
Lasten der Beklagten, da dieser durch die Nichterhebung der Blutdruckwerte ein grober
Behandlungsfehler anzulasten sei, weshalb eine Beweislastumkehr gerechtfertigt sei.
Den Mitarbeitern der Beklagten seien elementare Befunderhebungsfehler vorzuwerfen.
Die eingetretenen dauerhaften Folgeschäden beim Kläger beruhten auch auf diesen der
Beklagten anzulastenden Behandlungsfehlern. Die vollständige Erblindung und die
Lähmung beider Beine bedeuteten für den Kläger eine lebenslange gravierende
Beeinträchtigung seiner Lebensqualität. Deshalb sei ein Schmerzensgeld in Höhe von
250.000,00 DM gerechtfertigt. Sinnvollerweise sei dieser Betrag in einen Fixbetrag
sowie eine monatliche Rente aufzuteilen.
Gegen dieses am 13.06.1996 zugestellte Urteil richtet sich die am 12.07.1996
eingegangene und am 09.01.1996 - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
bis zum 14.11.1996 - begründete Berufung der Beklagten, mit welcher diese
umfassende Klageabweisung verfolgt.
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Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht
ergänzend geltend, den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. könne schon
deshalb nicht gefolgt werden, weil dieser anlässlich seiner mündlichen Anhörung vor
dem Landgericht weit über die Feststellungen hinausgegangen sei, die er in seinem
schriftlichen Gutachten getroffen habe, wobei dies möglicherweise auf der eingehenden
bzw. subjektiven Befragung durch das Landgericht beruhe, wobei im übrigen das
Landgericht bei seinen Feststellungen sogar noch über die mündlichen Ausführungen
des Sachverständigen hinausgegangen sei. Tatsächlich habe im Zeitraum vom 19. bis
29.11. keine Veranlassung zu häufigen Blutdruckmessungen bestanden und hätten
solche im Falle ihrer Durchführung auch keine pantologischen Bluthochdruckwerte
ergeben. Im Ergebnis beruhe die Schädigung des Klägers auch nicht auf solchen
Bluthochdruckwerten, jedenfalls nicht auf solchen, die sich erst im fraglichen Zeitraum
entwickelt hätten. Denn ein Zeitraum von 10 bis 14 Tagen reiche nicht aus, um einen
Fundus hypertonikus (Stadium IV) zu verursachen, wie beim Kläger bei der zweiten
Augenuntersuchung vom 05.12.1990 befundet worden sei. Ein solcher Fundus
hypertonikus hätte sich nur in einem Zeitraum von mindestens drei bis vier Wochen
bilden können.
67
Auch eine derart massive Vergrößerung des Herzmuskelgewebes wie am 29.11.1990
festgestellt könne nicht binnen weniger Tage eintreten. Die beim Kläger schon vor
stationäre Aufnahme von der Mutter beobachtete Entwicklungsstörung mit
Gewichtsstillstand bzw. Gewichtsrückgang sowie kurzfristigen Krampfanfällen wiesen
auf eine vorstationäre Hirnschädigung des Klägers hin, was das Landgericht nicht
ausreichend berücksichtigt habe. Es müsse also am 29./30.11.1990 eine zweite
Erkrankung des Klägers hinzugetreten sein; zusätzlich habe eine seit Monaten,
zumindest seit Wochen vor dem 15.11.1990 unbemerkt abgelaufene Hypertonie
bestanden, die zu Gefäßveränderungen geführt habe. Auch sonstige
Grunderkrankungen wie eine Schädigung der Niere kämen als Vorerkrankung schon
68
vor dem 15.11.1990 in Betracht. Auf diese denkbaren Grunderkrankungen habe sich am
30.11.1990 die plötzliche Hochdruckkrise aufgepfropft. Zum Zeitpunkt des auf der
Intensivstation erstmals erhöht gemessenen Blutdruckwertes sei es innerhalb weniger
Stunden zu einer hypertensiven Encephalotopathie gekommen, die in der Nacht vom
30.11. auf den 01.12.1990 zur Lähmung der Beine und zur Blindheit des Klägers geführt
habe.
Die Beklagte beantragt,
69
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils der 9. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 03.06.1996 - 9 O 237/95 - die (restliche) Klage kostenpflichtig
und vorläufig vollstreckbar abzuweisen,
70
der Beklagten als Gläubigerin Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische
Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Großbank oder
öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu gestatten.
71
Der Kläger beantragt,
72
die Berufung zurückzuweisen.
73
Auch er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und bezieht sich
ergänzend auf die Ausführungen des Landgerichts sowie insbesondere des
Sachverständigen Prof. Dr. B., denen er sich in allen Punkten anschließt.
74
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die beiderseitigen in der
Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
75
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 05.02.1997, 18.12.1997,
07.09.1998.
76
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. Sch. vom 07.08.1997 sowie das Protokoll seiner mündlichen
Anhörung vom 19.11.1997, das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom
27.03.1998, dessen Anhörung vor dem Senat vom 31.08.1998 und sein
Ergänzungsgutachten vom 07.10.1998 Bezug genommen.
77
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
78
Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur umfassenden Klageabweisung.
79
Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten keine Ansprüche aus der
streitgegenständlichen Behandlung zu.
80
Nach dem gesamten Ergebnis der Beweisaufnahme sind den für die Beklagte tätigen
Ärzten bzw. dem Pflegepersonal keine schweren Behandlungsfehler anzulasten. Soweit
es - wie nachstehend zu erörtern sein wird - zu einfachen Behandlungsfehlern
gekommen sein sollte, haben diese jedenfalls keinen Einfluss auf das
Krankheitsgeschehen beim Kläger und die hieraus resultierenden bleibenden
Folgeschäden gehabt.
81
Im einzelnen:
82
Zwar steht nach dem Inhalt der Behandlungsunterlagen und auch nach dem
Gesamtgehalt der Einlassung der Beklagten in Übereinstimmung mit den insoweit
zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zur Überzeugung des Senats fest, dass
die ärztlich ausdrücklich angeordnete dreimal tägliche Blutdruckmessung nicht
zuverlässig durchgeführt worden ist.
83
Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann dies jedoch nicht schon als ein schwerer
Behandlungsfehler, also ein schlechterdings nicht mehr verständliches und
hinnehmbares ärztliches Fehlverhalten mit der Folge einer Beweislastumkehr zu Lasten
der Beklagten gewertet werden. Insbesondere lässt sich eine dahingehende
Qualifizierung nicht auf die Darlegungen des erstinstanzlichen Sachverständigen Prof.
Dr. B. stützen. Dessen Ausführungen in seinem schriftlichen Gutachten in Verbindung
mit seinen mündlichen Ausführungen anlässlich seiner Anhörung vor der Kammer des
Landgerichts vermöge nämlich in ihrer Gesamtheit nicht abschließend zu überzeugen.
Der Beklagten ist zuzugeben, dass das schriftliche Gutachten des Sachverständigen
und die dortigen Feststellungen sich beträchtlich von der Relevanz seiner mündlichen
Ausführungen vor dem Landgericht unterscheiden. Das schriftliche Gutachten des
Sachverständigen zeichnete sich durch sehr vorsichtige und zum Teil aussagelose
Formulierungen aus. Es sei insoweit beispielhaft auf die Darlegungen des
Sachverständigen, Seite 18 unten, seines Gutachtens hingewiesen. Dort hat er auf die
konkrete Frage, ob insbesondere die Blutdruckmessungen bei den speziellen Befunden
ausreichend oder nicht gewesen seien, ausgeführt, die Blutdruckmessungen seien in
der Tat lückenhaft gewesen. Bis zum 21.11.1990 seien wenige normale Befunde mit
einem pathologischem Befund gemessen worden. Auch hier sei festzuhalten, dass der
klinische Zustand nicht unbedingt erfordert habe, dass eine ständige Wiederholung der
Blutdruckmessung normalerweise nötig sei. Auf die Frage der Notwendigkeit nach
engmaschigeren Blutdruckmessungen hat der Sachverständige ausgeführt:
84
"Wie oben gesagt, kann man das aus den Unterlagen nicht absolut ableiten".
85
Diese Ausführungen sind wenig ergiebig, ebenso wie die weitere Antwort auf die Frage,
ob das Messergebnis vom 18.11.1990, bei dem ein absolut erhöhter Blutdruck
festgestellt worden war, durch Wiederholung hätte bestätigt oder ausgeschlossen
werden müssen. Der Sachverständige hat hierzu lediglich ausgeführt, auch hierzu sei
"dokumentiert, dass ein pathologischer Befund mit 153 gemessenem systolischen Wert
bei Kontrolle dann wieder normal gewesen" sei. Insoweit habe man sich hier
verständlicherweise beruhigt. Diese Erklärung ist wenig aussagekräftig. Auch die
weitere Frage: "Hätte dem Eintrag der Messung oder dem fehlenden Eintrag
nachgegangen werden müssen?" hat der Sachverständige in seinem schriftlichen
Gutachten nur wenig befriedigend beantwortet, wenn er dort ausgeführt hat:
86
"In der Tat ist es nicht hinzunehmen, dass protokolliert wird: Messung nicht möglich.
Hier ist gegebenenfalls anzuordnen, dass eine Wiederholung der Messung stattfindet
und eine ärztliche Rücksprache hätte erfolgen müssen. Die Nichtdurchführung dieser
Maßnahme hatte aber sicher keinen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des
Krankheitsprozesses."
87
Eine Begründung für diese eher apodiktische Feststellung lässt das Gutachten
vermissen. Erst auf ersichtlich intensive Nachfrage seitens des Landgericht anlässlich
88
seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige dann seine Feststellungen weiter
begründet, ist hierbei aber über seine Feststellungen in dem schriftlichen Gutachten weit
hinaus gegangen, ohne dass erkennbar wäre, inwiefern er von seinen
voraufgegangenen schriftlichen Erkenntnissen so weitgehend abgerückt ist. Im Rahmen
seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige ausdrücklich ausgeführt, in der
Zusammenschau der nach stationärer Aufnahme erhobenen Befunden hätte diese als
Ausdruck einer Nierenpareneymerkrankung gewertet werden können. Bei dieser
Verdachtsdiagnose seien weitere diagnostische Maßnahmen nicht notwendig, außer
eine Blutdruckkontrolle. Der Blutdruck hätte zwei- bis dreimal pro Tag kontrolliert
werden müssen. Die gesamten nachfolgenden Ausführungen erscheinen vor dem
Hintergrund der weit weniger weitgehenden Ausführungen in dem schriftlichen
Gutachten nicht schlechterdings überzeugend. Widersprüchlich erscheinen seine
Darlegungen auch insoweit, als er eine Blutdrucküberwachung auch für den Zeitraum,
in dem der Kläger nach Hause beurlaubt war, für erforderlich gehalten hat. Vor dem
Hintergrund dieses Erfordernisses ist nicht einsichtig, inwiefern der Sachverständige
gleichwohl die Ansicht vertreten hat, die Entlassung für einige Tage sei medizinisch
vertretbar gewesen, obwohl eine Blutdruckkontrolle zugestandenermaßen auf diese
Weise nicht durchgeführt werden konnte; denn wenn schon die Ärzte bzw. das
Pflegepersonal im Krankenhaus ausweislich der Behandlungsunterlagen teilweise
angeblich nicht in der Lage waren, den Blutdruck beim Kläger zu messen, so ist in
keiner Weise ersichtlich, inwiefern die Mutter des Klägers hierzu zu Hause hätte in der
Lage sein sollen.
Auch die abschließende Feststellung des Sachverständigen in seinem schriftlichen
Gutachten, wonach eine "fahrlässige oder willentliche Unterlassung von
Untersuchungen und gegebenenfalls Behandlungen des Klägers nicht festgestellt
werden kann" lässt sich nicht mit den eher gegenteiligen Ausführungen des
Sachverständigen anlässlich seiner mündlichen Anhörung vor der Kammer vereinbaren.
Insgesamt ist deshalb festzustellen, dass der Sachverständige Prof. Dr. B. entsprechend
der insoweit zutreffenden Beanstandung der Beklagten bei seiner mündlichen Anhörung
weit über seine schriftlichen Feststellungen hinausgegangen ist, ohne für diese
Diskrepanz seiner medizinischen Darlegungen eine schlüssige Erklärung zu bieten.
89
Einer ergänzenden Anhörung des Sachverständigen zwecks weiterer Aufklärung bedarf
es indessen nicht. Der Senat hat aufgrund der im Berufungsverfahren eingeholten
gutachterlichen Stellungnahmen der Sachverständigen Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. K.
nämlich die Überzeugung gewonnen, dass das Unterlassen regelmäßiger
Blutdruckmessungen als ein allenfalls einfacher Behandlungsfehler zu werten ist.
90
Zwar hat auch der Sachverständige Prof. Dr. Sch. häufigere Blutdruckmessungen in den
ersten Tagen des stationären Aufenthaltes für wünschenswert erachtet, ihr Unterlassen
mit einleuchtender Begründung jedoch nicht als derart gravierend gewertet, als dass
man dies als schweren Behandlungsfehler, also als ein schlechterdings nicht
veständliches und hinnehmbares medizinisches Fehlverhalten ansehen könnte.
91
Nach den Darlegungen dieses Sachverständigen hätte eine engermaschige
Blutdruckkontrolle im übrigen überdies ohnehin keine die Erkrankung günstig
beeinflussenden Konsequenzen gehabt, dies ebensowenig wie eine frühere
Druckentlastung des Gehirns, zu welchem Ergebnis auch der erstinstanzliche
Sachverständige Prof. Dr. B. im übrigen geneigt hat. Die durchgeführte Diagnostik hat
der Sachverständige Prof. Dr. Sch. sogar als "sehr umsichtig und sehr vollständig"
92
bezeichnet.
Insgesamt hat der Sachverständige Prof. Dr. Sch. mit überzeugender Begründung einen
weder durch Behandlungs- noch Diagnosefehler verursachten schicksalhaften
Krankheitsverlauf angenommen.
93
Nach seinen Ausführungen lag beim Kläger überhaupt kein zunächst angenommenes
hämolytisch-urämischen Syndrom, sondern vielmehr eine thrombotisch-
thrombozytopenische Purpura vor, wobei es sich nach seinen Darlegungen bei beiden
Erkrankungsformen um immunologisch bedingte, entzündliche Gefäßerkrankungen
handelt, die sich im erstgenannten Falle in der Niere, im zweitgenannten Fall
vorwiegend im Gehirn abspielen. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Krankheit schicksalhaft eine schlechte
Prognose habe und Krämpfe, Blindheit und beinbetonte spastische Diplegien die
geradezu schicksalhaften Leitsymptome dieser Erkrankung darstellen.
94
Seine Diagnose einer schweren Hirnerkrankung im Sinne einer primär das Gehirn
befallenden Mikroangiopatie hat der Sachverständige nachvollziehbar und
überzeugend mit der von ihm eingehend analysierten und referierten
Krankheitsvorgeschichte des Klägers begründet, wie zum Beispiel der fehlenden
Gewichtszunahme über einen Zeitraum von mehreren Wochen, das Erbrechen sowie
den beim Kläger von der Mutter festgestellten Spasmen, ferner den im Rahmen des
akuten Krankheitsgeschehens diagnostizierten Symptomen und Folgeschäden. Hierzu
hat er im einzelnen dargelegt, die seit drei Monaten bereits beobachtete mangelhafte
Gewichtszunahme mit Erbrechen und Übelkeit, die bereits seit vier Wochen von der
Mutter beobachteten kurzen Ausnahmezustände mit den eindeutigen Charakteristika
cerebraler Anfälle, die sich mindestens über zwei bis drei Wochen vor Aufnahme des
Klägers in die Kinderklinik entwickelten. Stauungspapillen am Augenhintergrund, die im
Ultraschall während der stationären Aufnahme nachgewiesenen Erweiterung und
Ballonierung der Hirnventrikel, das periventrikuläre Hirnödem mit dem außerordentlich
charakteristischen sogenannten Capping, die sich langsam anbahnende deutliche
Verschlechterung im Allgemeinbefinden bei Wiederaufnahme am 25.11.1990 und dann
die akut und höchst lebensbedrohlich einsetzende Dekompensation dieses Hirndrucks
mit Bewusstlosigkeit, Streckspasmen, Schreiattaken und Atemstillstand seien nicht
anders als eine Folge einer primären Hirnerkrankung mit gesteigertem intracraniellem
Druck zu deuten.
95
Bezogen auf den beim Kläger angeblich wiederholt erhöhtem Blutdruck hat der
Sachverständige in diesem Zusammenhang ausdrücklich dargelegt, dass im Prinzip
eine solche hypertensive Enzephalopatie, also eine Hirndrucksteigerung mit
Funktionsstörung des Gehirns unter anderem auch bei schwerer, maligner Steigerung
des Blutdruckes bekannt sei. In diesem Zusammenhang hat er jedoch weiter darauf
hingewiesen, dass eine längerfristige maligne Blutdruckerhöhung beim Kläger nicht
belegt sei und eine relevante Nierenfunktionsstörung nicht vorgelegen habe.
Weitergehend hat der Sachverständige ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es im
Rahmen derartiger Hirndruckkrisen wie beim Kläger aufgetreten und im Rahmen der
sich aus diesen Hirndruckkrisen entwickelnden Hirnschäden ganz typischerweise
Blutdruckerhöhungen gebe, so dass die Frage gerechtfertigt sei, ob nicht sogar auch die
dann um den 29./30.11.1990 ansteigenden Blutdruckwerte nicht etwa Ursache, sondern
Folge dieser Hirnerkrankung seien, was der Sachverständige ausdrücklich für "ungleich
wahrscheinlicher" gehalten hat. Begründet hat er dies ferner damit, er halte es für fast
96
ausgeschlossen, dass relativ mäßige Blutdrucksteigerungen in so kurzer Zeit eine derart
schwere Enzephalopatie verursachen könnten. Iim vorliegenden Fall sei eine solche
Argumentation besonders unwahrscheinlich, weil die schweren neurologischen
Symptome mit dem Zeichen des gesteigerten intracraniellen Druckes deutlich vor den
dann schließlich am 30.11.1990 deutlichen Blutdrucksteigerungen aufgetreten seien.
Erst die Kardiomyopatie, so wie sie am 29. und 30.11.1990 beschrieben worden sei, sei
sicherlich ein Alarmsymptom gewesen, welches eine sorgfältige Beobachtung des
Blutdruckes notwendig gemacht habe. Diese sei aber auch geschehen, denn ab 17.00
Uhr am 30.11. sei der Blutdruck dann auch durch eine arterielle Sonde gemessen
worden, und die stündlich dokumentierten Blutdruckwerte seien niedergelegt worden.
Vor diesem Hintergrund überzeugt die Feststellung des Sachverständigen, dass das
Unterlassen regelmäßiger Blutdruckmessungen vor dem 29.11. jedenfalls nicht als
schlechterdings nicht hinnehmbar zu qualifizieren ist und insbesondere auch keine
negativen Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf und die Krankheitsfolgen gehabt
hat, wobei der Sachverständige in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen
hat, dass die bei dem Kläger gemessenen Blutdruckwerte vor der vorübergehenden
Entlassung und die Blutdruckwerte am 29. und 30.11.1990 eine medikamentöse
antihypertensive Therapie nicht zwingend erforderlich gemacht hätten.
97
Ebenso überzeugend sind die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. zur
Verneinung auch von Diagnosefehlern in Form des Unterlassens elementar gebotener
Kontrollbefunde. Vielmehr hat er - wie bereits erwähnt - die durchgeführte Diagnostik mit
eingehender Begründung sogar als "sehr umsichtig und sehr vollständig" bezeichnet.
98
Hinzu kommt, dass nach seinen ebenfalls sorgfältig begründeten und überzeugenden
Ausführungen zu bezweifeln ist, ob Blutdruckmessungen und eventuell vorübergehend
überhöhte Blutdruckwerte zwischen dem 25. und 29.11. therapeutisch relevante
Konsequenzen für den Kläger gehabt hätten. Dies sei zwar nicht völlig unmöglich, in
Anbetracht der Tatsache, dass sich der Blutdruck bis zum 29.11.1990 ohnehin und
völlig spontan immer wieder auf normale Werte gesenkt habe und in Anbetracht der
Tatsache, dass hier überhaupt kein hämolytisch-urämisches Syndrom, sondern eine
andere Verlaufsform der weitgehend identischen Grundkrankheit, nämlich einer
immunologisch entzündlichen Vaskulopatie mit thrombotisch-thrombozytopenischer
Purpura vorgelegen habe, werde sehr zweifelhaft, dass die Blutdrucksteigerungen
überhaupt die Enzephalopatie ausgelöst hätten und andererseits noch zweifelhafter,
dass eine wenige Tage eher einsetzende antihypertensive Therapie den Verlauf
wesentlich geändert hätte. Soweit insoweit Zweifel hinsichtlich der Kausalität
verbleiben, gehen diese zu Lasten des Klägers, der - da kein schwerer
Behandlungsfehler angenommen werden kann - hinsichtlich der Kausalität die volle
Beweislast trägt.
99
Auch die ferner durchgeführte Therapie hat der Sachverständige Prof. Dr. Sch. als nicht
fehlerhaft gewertet und hierzu unter anderem ausgeführt, dass eine frühere Druck-
entlastung der Liquor führenden Hohlräume nicht angezeigt gewesen sei, weil
einerseits bei der Lumbalpunktion ein wesentlich erhöhter Liquordruck nicht gefunden
wurde und weil zweitens bei der vorliegenden Erkrankung die Druckentlastung durch
eine ableitende Shunt-Operation nur eingeschränkt hilfreich sei, weshalb verständlich
sei, dass mit dieser eingreifenden Maßnahme bis zum Auftreten akuter und dann
allerdings auch gleich bedrohliche Hirndrucksymptome gewartet worden sei. Die
schwere Hirnerkrankung des Klägers und die schweren Residuen dieser
100
Hirnerkrankung seien ganz sicher nicht notwendigerweise und nicht einmal
wahrscheinlich auf eine renal bedingte Blutdruckkrise zurückzuführen, sondern vielmeht
typische und in einem hohen Prozentsatz der Fälle schicksalhafte Folge der
thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura.
Vor dem Hintergrund der überaus gründlichen Darlegung und Begündung erscheinen
die gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen überzeugend, wenn dieser zu
dem Ergebnis gelangt ist, der sehr ungünstige Verlauf der Erkrankung sei Lehrbuchhaft
typisch, jedoch letztlich schicksalhaft.
101
An diesen Ausführungen hat der Sachverständige auch anlässlich seiner mündlichen
Anhörung vor dem Senat festgehalten und sie zusätzlich weiter begründet und
überzeugend erläutert. Im Rahmen dieser Anhörung hat er erneut die Genese sowie die
pathologischen Verlaufsformen der beiden Erkrankungen, die beim Kläger in Betracht
zu ziehen waren, mit Schwerpunkt der Alternative einer entzündlichen
Gefäßveränderung vorwiegend im Gehirn erläutert und erneut dargelegt, dass
Diagnosik und Therapie durchweg dem Krankheitsbild angemessen gewesen seien
und das Unterlassen häufiger Blutdruckkontrollen jedenfalls kein gravierendes
Versagen darstelle, im Ergebnis auch keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf gehabt
habe.
102
Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. überzeugen umso mehr, als sie
bestätigt werden durch die Darlegungen des weiteren Sachverständigen Prof. Dr. K. .
103
Auch dieser hat ausgeführt, dass es sich bei den beiden zur Debatte stehenden
Erkrankungen hämolytisch-urämisches Syndrom bzw. thrombotisch-
thrombozytopenische Purpura im wesentlichen um eine im Kern gleiche
Autoimmunerkrankung handele, die sich lediglich nach den beiden Alternativen an
unterschiedlichen Organen verifiziere, nämlich zum einen im Nierenbereich, zum
anderen im Gehirnbereich. Auch im übrigen hat dieser Sachverständige das
Vorgutachten Prof. Dr. Sch. bestätigt dergestalt, dass weder ein Diagnosefehler noch
ein Fehler im Hinblick auf therapeutische Maßnahmen festzustellen sei. Was die beim
Kläger durchgeführte Therapie anbetrifft, hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
insbesondere eine Plasmabehandlung mangels ausreichender experimenteller und
praxisbezogener Erfahrung bei Kleinkindern nicht erfolgversprechend gewesen wäre,
sich beim Kläger als Kleinkind nicht nur nicht angeboten, sondern geradezu verboten
hätte, da Erfahrungswerte hinsichtlich der Behandlung von Kleinkindern insoweit nicht
vorlägen und angeschts möglicher Nebenwirkungen diese Therapieform für Kleinkinder
ohnehin ausscheiden müsse. An diesen Feststellungen hat er auch anlässlich seiner
mündlichen Anhörung vor dem Senat festgehalten und in diesem Zusammenhang noch
einmal darauf hingewiesen, dass sich beim Kläger bei stationärer Aufnahme noch kein
Hinweis auf eine thrombotische Mikroangiopatie ergeben habe. Erst am 30.11.1990
habe das Blutbild die hierzu typischen Veränderungen gezeigt, wobei allerdings eine
wesentliche Nierenisufizienz nicht vorgelegen habe. Die dann auftretende cerebrale
Symptomatik sei Folge der mikroangiopatnischen hämolytischen Animie, die mit inneren
Blutungen und Infarzierungen hergehen könne. In mehr als der Hälfte der Fälle
entwickele sich eine Hypertonie, welchen Kausalverlauf auch der Sachverständige Prof.
Dr. Sch. für die wahrscheinlichere Alternative gehalten hat, so dass also der beim
Kläger jedenfalls ab dem 29.11. wiederholt festgestellte Bluthochdruck nicht Ursache,
sondern vielmehr Folge der cerebralen Erkrankung und Dauerschädigung war. Nach
den Ausführungen von Prof. Dr. K. treten auch zusätzlich Krämpfe und neurologische
104
Symptome in etwa 30 % der Fälle auf.
Auf ausdrückliche Befragung zu den sich anbietenden Therapieformen hat der
Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung erneut darauf hingewiesen, dass bei
den beiden Erkrankungsformen im Erwachsenenalter der therapeutische
Plasmaaustausch wie die Plasmainfusion Therapieformen erster Wahl seien; dies
relativiere sich aber bei Erkrankungen im Kindesalter. Insoweit gebe es keine
kontrollierte Studie über den Plasmaaustausch als Therapieform. Bei diesen
Erkrankungen im Kindesalter könne der Plasmaaustausch bzw. die Plasmainfusion
nach derzeitigem Kenntnisstand nicht als allgemein gültige Therapieform empfohlen
werden. Eine solche Behandlung sei bei Erkrankungen im frühen Kindesalter keine
etablierte Methode. Eine solche Behandlung hätte beim Kläger eine probatorische
Maßnahme dargestellt, die unter anderem mit nicht unbeträchtlichen Nebenwirkungen
und Risiken belastet gewesen sei. Da es sich bei der Plasmasubstitution um kein
gesichertes Therapieverfahren bei Erkrankungen im Kindesalter handele, könne auch
nicht davon ausgegangen werden, dass Folgeschäden wie zum Beispiel die Blindheit
des Klägers infolge Zerstörung des Sehnervens durch eine Plasmabehandlung
vermeidbar gewesen wären.
105
Auch nach den Ausführungen dieses Sachverständigen sind demzufolge Diagnostik-
und Therapiefehler zu verneinen und stellte insbesondere ein auch mehrtägiger
Bluthochdruck nicht etwa den Auslöser oder Verursacher des zugrundeliegenden
Krankheitsgeschehens dar, sondern manifizierte sich erst als dessen Folge, wie auch
der Sachverständige Prof. Dr. Sch. angenommen hat.
106
Erneut ist nach allem festzustellen, dass den Mitarbeitern der Beklagten jedenfalls keine
schweren Behandlungsfehler vorzuwerfen sind und das Unterlassen regelmäßiger
Blutdruckmessungen einen allenfalls leichten Behandlungsfehler darstellt. Zudem ist
nach den Ausführungen der Sachverständigen Sch. und K. schon sehr
unwahrscheinlich, dass vor dem 29.11. überhaupt Bluthochdrucke aufgetreten sind und
ferner nahezu auszuschließen, dass ein eventueller Hochdruck kausal für die beim
Kläger eingetretenen Dauerschäden, insbesondere die Blindheit ist. Vielmehr beruhen
diese auf der Grunderkrankung HUS bzw. TTP, die im übrigen jedenfalls bei Auftreten
im Kindesalter - auch kaum mit durchgreifender Erfolgsaussicht therapierbar sind.
107
Der Senat hatte vor dem Hintergrund der durchgeführten umfänglichen
Beweisaufnahme und im Hinblick auf die in jeder Hinsicht überzeugenden
Ausführungen der Sachverständigen Sch. und K. keine Veranlassung zur Durchführung
einer weiteren Beweisaufnahme. Insbesondere gibt hierzu auch die ärztliche
Stellungnahme der Ärztin Dr. A. vom 15.01.1999 keine Veranlassung. Insoweit ist
festzustellen, dass diese die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. bezüglich
der differentialdiagnostischen Erörterung des Vorliegens eines hämolytisch-urämischen
Syndroms und/oder einer thrombozytopenischen Purpura einschließlich der vom
Gutachter geschilderten Relevanz für den Krankheitsverlauf und ihrer Bedeutung
bezüglich der Frage eines Behandlungsfehlers als korrekt bezeichnet hat. Ebenfalls
bestätigt hat sie die Feststellung des Sachverständigen Sch. hinsichtlich des Auftretens
der Opticus Athrophie mit nachfolgender Erblindung und der Diplegie/Lähmung der
Beine nach den vorliegenden Befunden als verursacht durch den gesteigerten
Hirndruck mit shuntpflichtigem Hydrocephalus. Soweit sie zu der Frage des Zeitpunktes
für eine Druckentlastung der Liquor führenden Hohlräume des Gehirns eine
abweichende Ansicht vertreten hat als die Gutachter, vermag dies angesichts der
108
überzeugenden eingehend, begründeten Darlegungen der vorgenannten beiden
Sachverständigen nicht zu überzeugen. Zusätzlich geht die Privatgutachterin in diesem
Punkt auch von nicht feststehenden Tatsachen aus. Insbesondere lässt sie
unberücksichtigt, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch.
beim Kläger bereits seit mindestens zwei bis vier Wochen vor der Aufnahme eindeutige
neurologische Symptome und Hinweise auf eine schwere Hirnerkrankung vorlagen und
dass mindestens seit 14 Tagen vor der Aufnahme. Wahrscheinlich deutlich ein
erheblich gesteigerter intracranieller Druck bestanden haben muss mit der Folge, dass
eine um wenige Tage vorgezogene Druckentlastung im Ergebnis nicht geeignet
gewesen wäre, die schweren Folgeschäden zu vermeiden oder das
Krankheitsgeschehen günstig zu beeinflussen. Außerdem hat der Sachverständige in
diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es für die
behandelnden Ärzte irritierend gewesen sei, dass bei der lumbalen Liquorpunktion eine
deutliche Liquordruckerhöhung nicht habe nachgewiesen werden können.
Nach allem war auf die Berufung hin die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO
abzuweisen.
109
Die Entscheidung über vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 711
ZPO.
110
Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer des Klägers: 315.000,00 DM
111