Urteil des OLG Köln vom 26.02.1998

OLG Köln (rollstuhl, unfall, verkehrsunfall, teilnahme, fahrzeugführer, ehegatte, anordnung, verhalten, fahrer, grund)

Oberlandesgericht Köln, 7 U 178/97
Datum:
26.02.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 178/97
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 5 O 381/96
Schlagworte:
Verkehrsunfall
Normen:
GG Art. 34, BGB § 839, SGB X § 116, StVO § 21 ff
Leitsätze:
Ein Unfall im Straßenverkehr liegt auch dann vor, wenn durch eine
unvorsichtige Fahrweise ein Wageninsasse verletzt wird (hier:
Umkippen eines nicht ordnungsgemäß befestigten Rollstuhlfahrers).
Macht der Geschädigte deswegen einen Amtshaftungsanspruch nach §
839 BGB geltend, braucht er sich nicht auf eine etwaige anderweitige
Ersatzmöglichkeit nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB verweisen zu lassen.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln
vom 29.4.1997 (5 O 381/96) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1
Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat
das Landgericht einen Anspruch der Klägerin aus Art. 34, § 839 BGB, § 116 SGB X
bejaht.
2
Der Zivildienstleistende F. hat objektiv und schuldhaft die ihm gegenüber dem
Geschädigten Sch. obliegende Amtspflicht verletzt, einen Dritten nicht an der
Gesundheit zu beschädigen. Indem er den Rollstuhl des Geschädigten nicht
ordnungsgemäß befestigte, hat er den Sturz des Geschädigten mit dem Rollstuhl und
dessen Verletzung an der Schulter verursacht. Daß der Rollstuhl nicht an allen vier
Rädern am Boden des Fahrzeugs gesichert war, ist inzwischen unstreitig. Ohne
Bedeutung ist, ob der Rollstuhl an drei oder nur an zwei Rädern befestigt war, denn nur
eine vollständige Befestigung war ordnungsgemäß. Daß auch eine nur an drei Rädern
vorgenommene Befestigung nicht ausreichte, zeigt der Unfall augenfällig. Jedenfalls im
Wege des Anscheinsbeweises muß davon ausgegangen werden, daß die objektiv
unzureichende Befestigung auch schadensursächlich war, denn für eine andere
Ursache (etwa dadurch, daß der Verletzte selbst eine der Schnallen während der Fahrt
gelöst hätte, oder daß sich eine Schnalle unvorhersehbar aus der Verankerung gelöst
hätte) ist nichts vorgetragen.
3
Das Verhalten des Zivildienstleistenden war auch schuldhaft. Die Gefahr des
Umkippens eines Rollstuhls in Kurven lag auf der Hand, die daraus resultierende
Notwendigkeit, den Rollstuhl vorschriftsmäßig zu sichern, ebenso. Daß der Fahrer
angeblich die Anweisung erhalten hatte, drei Behinderte zu transportieren, entschuldigt
ihn nicht. Unabhängig davon, daß der Zivildienstleistende seinerseits den
Fahrdienstleiter des D. auf etwaige Sicherhietsbedenken hätte hinweisen müssen,
wenn das Fahrzeug tatsächlich für den Transport von vier Behinderten nicht geeignet
gewesen sein sollte (denn es liegt nahe, daß es sich hier erkennbar um ein schlichtes
Versehen des Fahrdienstleiters handelte und dieser auf seiner Anordnung nicht
unbedingt bestanden hätte), ändert sich durch die angebliche Anordnung des
Fahrdienstleiters nichts an der Tatsache, daß der Rollstuhl jedenfalls zu Beginn der
Fahrt, als sich der Unfall ereignete und der Geschädigte einziger Fahrgast war,
hinreichend hätte gesichert werden können. Einen Grund, auch schon zu diesem
Zeitpunkt die gebotene sichere Befestigung zu unterlassen, gab es nicht. Auch das
Argument, der Unfall sei nur geschehen, weil der Geschädigte so gewichtig gewesen
sei, fällt auf die Beklagte zurück, denn die dadurch begründeten etwaigen Gefahren
waren für den Fahrer erkennbar, und ihnen war gerade durch besonders sichere
Befestigung und notfalls durch eine besonders vorsichtige Fahrweise zu begegnen.
4
Es handelte sich auch um Tätigkeit in Ausübung eines öffentlichen Amts. Nach der
ständigen BGH-Rechtsprechung ist die Ersatzpflicht für Schäden, die ein
Zivildienstleistender in Ausübung des Ersatzdienstes Dritten zufügt, regelmäßig auch
dann nach Amtshaftungsgrundsätzen zu beurteilen, wenn die anerkannte
Beschäftigungsstelle, in deren Dienst der Schädiger tätig geworden ist, privatrechtlich
organisiert ist und privatrechtliche Aufgaben wahrnimmt (BGHZ 118, 304; BGH NJW
1997, 2109; BGH Beschl. vom 26.3.1997 III ZR 295/96). Auf die Frage, ob der
Behindertenfahrdienst öffentlich-rechtlich oder privat-rechtlich organisiert ist, kommt es
also nicht an.
5
Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit
berufen (§ 839 Abs.1 Satz 2) BGB). Es entspricht ständiger höchstrichterlicher
Rechtsprechung, daß die Verweisung auf eine gegenüber einem Dritten bestehende
Ersatzmöglichkeit nicht möglich ist, wenn ein Amtsträger ohne die Inanspruchnahme
von Sonderrechten nach §§ 35 Abs.1 und 6 StVO einen Verkehrsunfall verursacht
(grundlegend BGHZ 68, 217; NJW 1979, 1602). Hier gilt vielmehr der Grundsatz der
haftungsrechtlichen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer.
6
Dabei macht es keinen Unterschied, ob der durch die schuldhafte Amtspflichtverletzung
Geschädigte sich außerhalb des Fahrzeugs befindet oder - wie hier - Wageninsasse ist.
Auch gegenüber dem Wageninsassen stellt sich das Handeln des Amtsträgers als
Teilnahme am Straßenverkehr dar und die dem Wageninsassen gegenüber
bestehenden Pflichten sind solche straßenverkehrsrechtlicher Art. Dies gilt schon für die
Grundregel des § 1 Abs.2 StVO, wonach sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten
hat, daß kein Anderer geschädigt wird. "Anderer" im Sinne dieser Vorschrift ist aber
auch der Nichtverkehrsteilnehmer, zum Beispiel der Insasse oder Mitfahrer (BGHSt 12,
282; OLG Köln VM 1988, 61). Die Vorschriften der StVO enthalten darüber hinaus auch
spezielle Verbote und Gebote an den Fahrzeugführer, die sich auf die Sicherheit der
Fahrzeuginsassen beziehen und keineswegs nur nach außen gerichtet sind, nämlich
die §§ 21 ff. StVO. So regelt § 21 Abs.1 a StVO detailliert, wie mitfahrende Kinder zu
sichern sind, und nach § § 23 Abs.1 Satz 2 StVO muß der Fahrzeugführer dafür sorgen,
daß sich das Fahrzeug sowie die Ladung und die Besetzung vorschriftsmäßig sind.
7
Eine - wie von der Kammer offenbar angenommene - Verengung des aus der Teilnahme
am Straßenverkehr resultierenden Pflichtenkreises auf Pflichten, die andere
Verkehrsteilnehmer betreffen, ist nicht geboten. Das Straßenverkehrsrecht selbst gibt,
wie dargelegt, hierfür gerade keine Grundlage. Aber auch Sinn und Zweck des
Verweisungsprivilegs rechtfertigen es nicht, die Fahrzeuginsassen anders zu behandeln
als andere Verkehrsteilnehmer. Die Motivation des historischen Gesetzgebers, die
Entschlußkraft des Beamten dadurch zu stärken, daß sein persönliches Haftungsrisiko
in seiner besonderen amtlichen Beziehung zum Bürger vermindert wird, ist schon durch
die Schaffung des Art. 34 GG fragwürdig geworden, weshalb die Rechtsprechung eher
die Tendenz hat, den Anwendungsbereich der Vorschrift des § 839 Abs.1 Satz 2 BGB
einzuschränken, als ihn auszudehnen. Bei der Teilnahme am Straßenverkehr kann und
darf der Aspekt der "gestärkten Entschlußkraft" erst recht keine Bedeutung haben. Hier
muß sich der Amtsträger besonnen und vorsichtig, nicht aber entscheidungsfreudig und
mutig zeigen. Einen Grund, hierbei zwischen den Pflichten gegenüber anderen
Verkehrsteilnehmer und denen gegenüber den Fahrzeuginsassen zu differenzieren, gibt
es nicht. Es entspricht im übrigen auch ansonsten allgemein anerkannter Auffassung,
daß Haftungsprivilegien keine Bedeutung haben, wenn ein Fahrzeuginsasse bei einem
Verkehrsunfall geschädigt wird, etwa im Bereich des Gesellschaftsrechts und des
Familienrechts. So kann sich weder ein Gesellschafter auf die Haftungserleichterung
des § 708 BGB noch ein Ehegatte auf diejenige des § 1359 BGB berufen, wenn ein
Mitgesellschafter oder Ehegatte als Beifahrer verletzt wird (BGH NJW 1967, 558 f.; 73,
1654 f.) oder wenn dessen Eigentum durch einen Verkehrsunfall beschädigt wird (BGH
NJW 1970, 1271 f.).
8
Auf die Frage, ob sich der Transport des Geschädigten als "geschäftsmäßige
Personenbeförderung" im Sinne von § 8 a StVG darstellt, kommt es damit nicht an.
9
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
10
Streitwert und Beschwer für die Beklagte: 4.477,10 DM.
11