Urteil des OLG Köln vom 07.01.1994
OLG Köln (garage, beweiswürdigung, stpo, zeuge, strafkammer, hörensagen, sache, wissen, verdacht, stgb)
Oberlandesgericht Köln, Ss 555/93 - 253 -
Datum:
07.01.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 555/93 - 253 -
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Köln zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Hehlerei (§ 259 StGB) zu einer
Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 35,00 DM verurteilt. Das Landgericht hat die
Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwalt-schaft mit der Maßgabe
verworfen, daß der Angeklag-te wegen Begünstigung (§ 257 StGB) zu einer Geld-
strafe von 90 Tagessätzen zu je 35,00 DM verurteilt worden ist.
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Nach den Feststellungen gestattete der Angeklagte seinem Freund T. auf dessen
Bitte, in seiner (des Angeklagten) Garage gestohlene Autos unter-zustellen. Nach
Entwendung durch T. und seine Komplizen L. und N. sollten die Fahrzeuge - wie
dem Angeklagten bekannt war - bis zu ihrer Verschiebung nach Griechenland dort
verborgen und dem Zugriff der Polizei entzogen werden. Dazu händigte der
Angeklagte dem T. die Garagenschlüssel aus. Für die Benutzung der Garage zahlte
T. ihm Geldbeträge bis zu 100,00 DM pro Monat. Im April 1991 wurden in der Garage
mindestens 2 entwendete Pkw abgestellt, ein Lancia-Delta-Integrale und ein VW Golf
GTi 60.
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Demgegenüber hat sich der Angeklagte eingelassen, er habe T. die Garage
zeitweise unentgeltlich für dessen Pkw überlassen. Von gestohlenen Autos habe er
damals nichts gewußt. Später habe er zufällig einen Lancia-Pkw mit Aufbruchspuren
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in der Garage gesehen und Verdacht geschöpft. Sofort habe er von T. die Rückgabe
der Garage und der Schlüssel ver-langt, weil er mit "so etwas" nichts zu tun haben
wolle, jedoch erfolglos.
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Das Landgericht hat die Einlassung für widerlegt gehalten. Seine Überzeugung hat
es folgendermaßen begründet: Der Zeuge N., ehemaliger Komplize des T., habe
glaubhaft ausgesagt, T. habe ihm erklärt, der Angeklagte sei in den Plan, gestohlene
Fahrzeu-ge in der Garage unterzustellen, eingeweiht. Ferner habe der Zeuge T.
bekundet, der Angeklagte habe für die Benutzung der Garage Geldbeträge erhalten
und "wohl auch annehmen" müssen, daß dort gestohlene Fahrzeuge untergebracht
werden sollten. Schließlich sei der Angeklagte nach den Angaben des Zeugen N. im
April 1991 dabei gewesen, als ein Lkw mit nicht mehr benötigten und zur Vernichtung
bestimmten Au-toteilen in die Halle des N. gefahren sei. Hieraus hat die Strafkammer
abgeleitet, dem Angeklagten seien bei Überlassung der Garage im April 1991 die
Machenschaften der Zeugen und die geplante Verwen-dung der Garage als
Unterbringungsort für gestohle-ne Fahrzeuge bekannt gewesen.
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Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der
Sachrüge. Er beanstandet die Beweiswürdigung der Strafkammer als rechtsfeh-
lerhaft.
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Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.
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Nach dem Sinngehalt des § 261 StPO hat der Tatrich-ter in der Regel eine
erschöpfende Beweiswürdigung vorzunehmen und in den Urteilsgründen
darzulegen. Er muß die Einlassung des Angeklagten mitteilen und sich damit unter
Berücksichtigung der erhobenen Beweise so eingehend auseinandersetzen, daß
nach-vollziehbar wird, warum er nicht den Angaben des Angeklagten gefolgt ist,
sondern denen der Zeugen (vgl. Senat VRS 82, 358/359; Kleinknecht/Meyer-Goß-
ner, StPO, 41. Aufl., § 261 Rn. 6, § 267 Rn. 12; jeweils m. w N.). Zwar darf das
Revisionsgericht die Beweiswürdigung nur auf rechtliche Fehler prü-fen und nicht
durch seine eigene ersetzen (vgl. Se-nat a. a. O.). Rechtsfehlerhaft sind die
Erwägungen jedoch, wenn die Schlußfolgerungen lückenhaft sind, gegen
Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder sich so sehr von einer festen
Tatsachengrund-lage entfernen, daß sie letztlich nicht mehr als einen schweren
Verdacht begründen (vgl. BGH NStZ 1990, 501; Senat a. a. O.). Die
Beweiswürdigung der Strafkammer hält hiernach der rechtlichen Überprü-fung nicht
stand.
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Das Landgericht stützt seine Überzeugung davor, daß der Angeklagte den
Tatbestand der Begünstigung (§ 257 Abs. 1 StGB) auch in subjektiver Hinsicht
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verwirklicht habe, vornehmlich auf die Aussage des Zeugen N., der wiederum von T.
erfahren haben will, daß der Angeklagte vor Überlassung der Garage in den Plan,
dort gestohlene Fahrzeuge unterzustellen, eingeweiht worden sei. Bei den
Bekundungen des Zeu-gen N. handelt es sich somit um die Aussage eines "Zeugen
vom Hörensagen". Zwar ist die Vernehmung eines solchen Zeugen und die
Verwertung seiner Aussage als Indiz im Rahmen der Beweiswürdigung grundsätzlich
zulässig (vgl. BVerfG NStZ 1991, 445; BGH StV 1989, 518, 519; Senat NStZ 1990,
557). Jedoch besteht bei einem "Zeugen vom Hörensagen" allgemein eine erhöhte
Gefahr der Entstellung oder Unvollständigkeit in der Wiedergabe von Tatsachen, die
ihm von demjenigen vermittelt worden sind, auf den sein Wissen zurückgeht (vgl.
BGH St. 17, 382, 385; Senat a. a. O.). Der Tatrichter ist daher gehalten, den
Beweiswert dieses weniger sachnahen Beweismittels bei seiner
Überzeugungsbildung beson-ders vorsichtig zu prüfen und zu würdigen (vgl. BGH
NStZ 1988, 144; Senat a. a. O.). Er muß sich der Grenzen seiner
Überzeugungsbildung bewußt sein, sie wahren und dies in den Urteilsgründen zum
Ausdruck bringen (vgl. BGH St. 34, 15 = NJW 1986, 1766; Se-nat a. a. O.). Dies hat
zur Folge, daß die Aussage eines "Zeugen vom Hörensagen" regelmäßig nur dann
Grundlage einer Verurteilung sein kann, wenn dessen Bekundungen durch andere,
nach der Überzeugung des Tatrichters wichtige Beweisanzeichen bestätigt wer-den
(vgl. BGH a. a. O. sowie BGH St. 34, 15, 17/18; 36, 159, 166/167; BGHR, StPO, § 261
"Zeuge" Nr. 10 und 13). Wichtige, zur Unterstützung der Aussage des Zeugen N.
geeignete Beweisanzeichen enthält das Berufungsurteil indes nicht. Der Zeuge T.,
von dem die Äußerung, der Angeklagte sei in den Plan "eingeweiht", stammen soll,
hat dies weder bestä-tigt noch einen Sachverhalt bekundet, dem entnommen werden
könnte, wer den Angeklagten informiert habe und wie das geschehen sei. Vielmehr
beschränkt sich die Darstellung des Zeugen T. im wesentlichen auf die Mutmaßung,
der Angeklagte habe "wohl auch annehmen" müssen, daß in der Garage gestohlene
Fahrzeuge untergebracht werden sollten. Worauf der Zeuge T. diese Annahme stützt,
geht aus dem Urteil nicht hervor. Infolgedessen stellt sich die Aussage des Zeugen
T., wie sie im Urteil festgehalten ist, als reine Spekulation ohne tatsächliche
Grundlage dar und ist als solche keinesfalls geeignet, die Darstellung des Zeugen N.
zu untermauern. Der Zeuge T. mag zwar, um den Angeklagten zu schonen, mit der
Wahrheit hinterm Berg gehalten und davon abgesehen haben, sein Wissen zu
offenbaren. Diese Möglichkeit ändert jedoch nichts daran, daß die Aussage des
Zeugen T. für sich genommen unergiebig und daher auch als Bestätigung der
Bekundungen des Zeugen N. ungeeignet ist. Die Strafkammer hätte den Zeugen T. -
im Weigerungsfall durch Ordnungsmaßnahmen (§ 70 StPO) - veranlassen müssen,
konkret anzuge-ben, was er über den Kenntnisstand des Angeklagten in bezug auf
die Unterstellung gestohlener Fahrzeu-ge wußte. Da dies nicht geschehen ist,
zumindest keinen Niederschlag im Urteil gefunden hat, konnte die Überzeugung des
Berufungsgerichts vom Vorliegen der subjektiven Tatseite weder auf die
Bekundungen des Zeugen T. allein noch darauf gestützt werden, daß durch dessen
Angaben die Aussage des Zeugen N. bestätigt worden sei. Auch die Aussage des
Zeugen N., der Angeklagte sei dabei gewesen, als im April 1991 ein mit Autoteilen
beladener Lkw in seine (des Zeugen) Halle gefahren worden sei, reicht weder für
sich noch in Verbindung mit den sonstigen Bekundungen der Zeugen für eine
lückenlose Überfüh-rung des Angeklagten in subjektiver Hinsicht aus. Es ist schon
nicht nachvollziehbar dargelegt, wes-halb ein Außenstehender Verdacht schöpfen
sollte, wenn ein Lkw mit Autoteilen in eine Halle fährt. Auf den Straßen werden alle
möglichen Gegenstände hin- und herbefördert, ohne daß jedermann sofort veranlaßt
wäre, sich über den Sinn und Zweck nähere Gedanken zu machen.
Dementsprechend kann aus der bloßen Anwesenheit des Angeklagten bei der
Ankunft des Transports mit Autoteilen ohne die Angabe von weiteren
verdachtsbegründenden Umständen kein hin-reichendes Indiz für den subjektiven
Tatbestand ab-geleitet werden. Abgesehen davon weist die Vertei-digung mit Recht
darauf hin, daß dem Urteil nicht entnommen werden kann, wann genau der
Angeklagte den Lkw mit den Autoteilen gesehen haben soll. Die Angabe, dies sei im
April 1991 gewesen, genügt schon deshalb nicht, weil die Überlassung der Ga-rage
an T. ebenfalls in diesem Monat stattgefunden hat und das Landgericht davon
ausgeht, man habe den Angeklagten vorher "eingeweiht". Unter diesen Umständen
hätte sich aus den Feststellungen zwei-felsfrei ergeben müssen, daß der Angeklagte
den Au-toteile-Transport vor der Übergabe der Garage an T. beobachtet hatte. Daran
fehlt es jedoch mangels ex-akter Zeitangabe.
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Insgesamt tragen somit die Schlußfolgerungen der Strafkammer die
Urteilsfeststellungen zur inneren Tatseite nicht. Die Beweiswürdigung enthält viel-
mehr die oben aufgezeigten, revisionsrechtlich bedeutsamen Lücken und beruht
letztlich auf Erwä-gungen, die nicht mehr hergeben als schwerwiegende
Verdachtsmomente auf Vermutungsbasis.
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Soweit sich das Landgericht im übrigen mit dem Hinweis begnügt hat, es gebe
keinen Anlaß, den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen in Zweifel zu ziehen, weil
Falschbelastungstendenzen nicht erkennbar und die Zeugen eher bereit gewesen
seien, ihre Aussagen für den Angeklagten günstig zu gestalten, wird diese
Würdigung der Notwendig-keit, die Beweismittel bei der gegebenen Sachlage
besonders kritisch zu überprüfen, nicht gerecht. Allein die Tatsache, daß die Zeugen
den Angeklagten offenbar weniger stark als vom Landgericht erwartet belastet haben,
spricht noch nicht ohne weiteres für ihre Wahrheitsliebe auch im übrigen. Immerhin
handelt es sich um Personen, die weit stärker als der Angeklagte nach der
Anklageschrift in kriminel-le Machenschaften verstrickt waren. Es sind des-halb keine
"klassischen" unbeteiligten Zeugen ohne Interesse am Ausgang des Verfahrens,
deren Glaub-würdigkeit mangels hinreichender Anhaltspunkte für Zweifel keine
breiten Erörterung bedarf, sondern Zeugen, deren Verläßlichkeit sowohl nach ihrer
Lebensführung als auch deshalb problematisch ist, weil ihr Wissen teilweise nur vom
Hörensagen stammt und im übrigen nach Auffassung des Landgerichts weitgehend
zurückgehalten wird. In einem solchen Fall dürfen sich die Erwägungen des
Tatrichters zur Glaubwürdigkeit der Zeugen und zur Glaubhaftigkeit ihrer
Bekundungen nicht in formelhaften Wendungen erschöpfen. Vielmehr muß eine
ausführliche, alle Zweifelsfragen umfassende Beweiswürdigung vorgenom-men
werden, an der es hier ersichtlich fehlt.
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Wegen der aufgezeigten Mängel der Beweiswürdigung kann das angefochtene Urteil
keinen Bestand haben und ist mit seinen Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO).
Die Sache ist gemäß § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung
unter Be-achtung der oben dargelegten Grundsätze an die Vorinstanz
zurückzuverweisen. Eine Sachentscheidung (§ 354 Abs. 1 StPO) ist dem Senat
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verwehrt, weil die Beweiswürdigung (wie oben erwähnt) allein Sache des Tatrichters
ist.