Urteil des OLG Köln vom 16.11.1992
OLG Köln (treu und glauben, antragsteller, vereinbarung, falle, lasten, buch, anfechtung, untersuchung, auslegung, austausch)
Oberlandesgericht Köln, 16 Wx 144/92
Datum:
16.11.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 Wx 144/92
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 30 T 214/91
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß der 30.
Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 24. Juni 1992 - 30 T 214/91 -
wird zurückgewiesen. Die in diesem Beschwerdeverfahren
entstandenen Gerichtskosten trägt der Antragsteller. Außergerichtliche
Kosten werden nicht erstattet.
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G r ü n d e
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Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers ist zulässig (§§ 43 Abs. 1, 45
Abs. 1 WEG, 22 Abs. 1, 27, 29 FGG). In der Sache hat das Rechts-mittel keinen
Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht im Anschluß an die erstinstanzliche
Entscheidung die vom Antragsteller allein noch verfolgte Anfech-tung des
Beschlusses der Eigentümerversammlung vom 5. Juni 1991 zu Tagesordnungspunkt
3 für unbegrün-det erachtet.
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Der Antragsteller muß die zu Tagesordnungspunkt 3 genehmigte Jahresabrechnung
für das Wirtschaftsjahr 1991 gegen sich gelten lassen, obwohl die darin enthaltene
Verteilung der Kosten und Lasten des Ge-meinschaftseigentums auf die einzelnen
Wohnungsei-gentümer, abweichend von dem in § 11 der Teilungs-erklärung
festgelegten Verteilungsschlüssel, nach dem von der Eigentümerversammlung am
27. November 1974 zu Tagesordnungspunkt 11 beschlossenen Ver-
teilungsschlüssel erfolgt ist. Allerdings ist dem Antragsteller darin Recht zu geben,
daß es sich bei dem zu § 11 der Teilungserklärung geregelten Verteilungsschlüssel
um eine Vereinbarung im Sinne des § 10 Abs. 2 WEG handelt, deren Abänderung
oder Aufhebung grundsätzlich ebenfalls nur durch eine Vereinbarung erfolgen kann,
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der alle Wohnungseigen-tümer zustimmen müssen (BayObLG WuM 1989, 344 f; OLG
Frankfurt WE 1986, 141; Weitnauer WEG 7. Aufl., § 10 Rdnr. 17 a;
Bärmann/Pick/Merle, WEG, 6. Aufl., § 16, Rdnr. 19).
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Richtig ist auch, daß der am 27. November 1974 zu Tagesordnungspunkt 11 gefaßte
Beschluß, wonach künftig ein von § 11 der Teilungserklärung abwei-chender
Verteilungsschlüssel gelten sollte, keine Vereinbarung im Sinne des § 10 Abs. 2
WEG darstellt und auch im Falle der einstimmigen Beschlußfassung grundsätzlich
nicht in eine Vereinbarung umgedeutet werden kann (OLG Köln NJW-RR 1992, 598).
Hinzu kommt im vorliegenden Falle, daß einer dahingehen-den Auslegung § 15 VI
der Teilungserklärung entge-gensteht, wonach auch einstimmige Beschlüsse nicht
als Vereinbarungen im Sinne von § 10 Abs. 2 WEG gelten.
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Gleichwohl kann die Unwirksamkeit des am 27. Novem-ber 1974 beschlossenen
Verteilungsschlüssels wegen seiner Unvereinbarkeit mit der Teilungserklärung nicht
mehr geltend gemacht werden, weil er unange-fochten geblieben ist (§ 23 Abs. 4
WEG). Erfolgt keine Ungültigkeitserklärung im Anfechtungsverfah-ren, so ist ein
solcher Beschluß rechtswirksam und bindet sämtliche Wohnungseigentümer (BGHZ
54, 65/69). Das Gesetz will mit dieser Vorschrift klare Verhältnisse schaffen und
verhindern, daß noch nach längerer Zeit der Einwand erhoben werden kann, ein
Mehrheitsbeschluß sei unwirksam.
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Der Beschluß vom 27. November 1974 ist auch nicht nichtig. Dies ist nach dem
Wortlaut des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG der Fall, wenn ein Beschluß gegen
Rechtsvorschriften verstößt, auf deren Einhaltung nicht rechtswirksam verzichtet
werden kann. Dahin-gehende zwingende Vorschriften sieht das WEG für die
Beteiligung an den Lasten und Kosten (§ 16 Abs. 2 WEG) nicht vor. Vielmehr ist der
im Gesetz genannte Verteilungsschlüssel, die Umlage nach Miteigentumsquoten
abdingbar und kann im Wege der Vereinbarung an die besonderen Bedürfnisse der
jeweiligen Gemeinschaft angepaßt werden (Weitnauer a.a.O., § 16 Rdnr. 13 c).
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Allerdings wird die Nichtigkeit eines Beschlusses ausnahmsweise auch dann
angenommen, wenn der Gegen-stand der Beschlußfassung grundsätzlich entzogen
ist und die Eigentümertversammlung deshalb über etwas beschließt, für das sie
absolut unzuständig ist (BayObLGZ 1985, 345, OLG Köln a.a.O., m.w.N.).
Angenommen worden ist dies für Mehrheitsbeschlüsse, wonach auf rückständige
Beiträge zu den Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums ein der Höhe
nach erheblicher pauschalierter Verzugsschaden erhoben werden konnte (BGH NJW
1991, 2637 f; Bay-ObLG a.a.O).
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Das OLG Karlsruhe (WE 1991, 110) und der beschlie-ßende Senat (a.a.O.) haben
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eine Anerkennung der Bestandskraft eines unangefochten gebliebenen Be-
schlusses, die die Einräumung eines ausschließli-chen Sondernutzungsrechts an
Gemeinschaftseigentum betrafen, mit der Begründung abgelehnt, die nach-trägliche
Zuweisung von alleinigen Sondernutzungen an Gemeinschaftseigentum in
Abweichung von der Tei-lungserklärung berühre das Grundverhältnis der Woh-
nungseigentümer untereinander und regele nicht nur die Ausübung der sich aus dem
bereits festgelegten Grundverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten. Es kann in
diesem Zusammenhang offen bleiben, ob diese Auffassung mit der
höchstrichterlichen Recht-sprechung in Einklang steht (a.A. Röll, WE 1992, 244,
248), wonach einem Mehrheitsbeschluß über den Austausch eines im
Sondereigentum stehenden Kel-lerraum gegen einen im Gemeinschaftseigentim ste-
henden Trockenraum Bestandskraft zugebilligt wurde (BGHZ 54, 65 ff), wobei nicht
übersehen werden darf, daß der vom Senat seinerzeit entschiedene Sachverhalt sich
erheblich von dem unterscheidet, den der BGH zu entscheiden hatte. Ging es im vom
BGH entschiedenen Fall nur um den "Austausch" von Gemeinschafts- und
Sondereigentum, so war in dem vom Senat zu entscheidenden Falle eine erhebliche
Fläche des Gemeinschaftseigentums ersatzlos einem Wohnungseigentümer zur
ausschließlichen Sondernut-zung zugewiesen worden.
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Jedenfalls stellt die mehrheitlich beschlossene Än-derung des in der
Teilungserklärung bestimmten Ver-teilungsschlüssels keinen Beschlußgegenstand
dar, für den die Gemeinschaft absolut unzuständig ist. Die Änderung stellt auch
keinen der Entziehung des Eigentumsrechts durch die Einräumung eines Sonder-
nutzungsrechts vergleichbaren schweren Eingriff in die von der Teilungserklärung
über die gesetzliche Regelung hinaus bestimmte Grundordnung dar. Es erscheint
hier deshalb richtig, der Annahme, dem Beschluß vom 27. November 1974 komme
Bestandskraft zu, im Interesse der Rechtssicherheit den Vorzug zu geben.
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Eine zeitliche Begrenzung der Bestandskraft des Ei-gentümerbeschlusses vom 27.
November 1974 ist auch durch die vom Antragsteller verfolgte Anfechtung des
Beschlusses vom 5. Juni 1991 nicht eingetreten. Zwar ist regelmäßig ein gemessen
an dem Inhalt der Teilungserklärung fehlerhafter Verteilungsschlüssel nur für die
jeweilige Abrechnung verbindlich, der er zugrundegelegt worden ist. Die
Wohnungseigentü-merversammlung ist mithin grundsätzlich nicht ge-hindert, bei
einer späteren Folgeabrechnung wieder auf einen anderen - den "richtigen" -
Abrechnungs-modus zurückzugreifen (BayObLG NJW 1986, 385). Es bedarf in
diesem Zusammenhang allerdings keiner weiteren Untersuchung dazu, ob aus der
Befugnis der Gemeinschaft, einen anderen Verteilungsschlüssel zu wählen, die
Rechtspflicht hergeleitet werden könn-te, wieder zu dem "richtigen"
Verteilungsschlüssel zurückzukehren, weil (nur) dies einer ordnungsgemä-ßen
Verwaltung entspräche. Dem stünde im vorliegen-den Falle ebenfalls die
Bestandskraft des Beschlus-ses vom 27. November 1974 entgegen, weil seinem
insoweit zweifelsfreien Wortlaut nach das beschlos-sene Abrechnungsverfahren
nicht nur für das Wirt-schaftsjahr 1974, sondern auch für die zukünftigen
Wirtschaftsjahre maßgeblich sein sollte.
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Der Antragsteller muß dehalb als Sonderrechtsnach-folger den danach
bestandskräftigen Beschluß vom 27. November 1974 gemäß § 10 Abs. 3 WEG
gegen sich gelten lassen, obwohl die mit ihm verbundene Änderung des in der
Teilungserklärung aufgenommenen Verteilungsschlüssels dem Grundbuch nicht zu
ent-nehmen ist.
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In diesem Zusammenhang kann er auch nicht geltend machen, der in Rede stehende
Beschluß sei nicht ordnungsgemäß in das Beschlußbuch aufgenommen wor-den.
Selbst wenn dies nach der Beschlußfassung im Jahre 1974 zunächst noch nicht
erfolgt sein sollte, berührt dies die Bestandskraft des Beschlusses nicht. Zum einen
ist die tatrichterliche Auslegung des Landgericht, daß das Gebot der Abheftung und
Nummerierung von Eigentümerbeschlüssen vor allem der Beweissicherung und
Klarstellung diene, nicht zu beanstanden, so daß lediglich ein Anspruch auf
Nachholung der Form besteht. Zum anderen war der Beschluß jedenfalls bei der
Beschlußfassung vom 5. Juni 1991 dem Beschlußbuch beigeheftet. Dem steht die
Behauptung des Antragstellers, bis zum Ausscheiden des Vorverwalters im Jahre
1990 sei ein derartiges Beschlußbuch nicht angelegt worden, nicht entgegen. Ob die
Verletzung dieses Gebotes im Einzelfall zu einer Schadensersatzpflicht etwa des
Verwalters führen kann, wenn die lückenhafte Führung des Beschlußbuches zu einer
unvollständigen Kenntnis des Sonderrechtsnachfolgers zur Beschluß-lage führt und
diesem hierdurch Nachteile entste-hen, bedarf hier keiner näheren Untersuchung.
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Danach kann auch offenbleiben, ob die auf die Nichtigkeit des Beschlusses vom 27.
November 1974 gestützte Anfechtung der Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr
1991 noch mit den Grundsätzen von Treu und Glauben in Einklang steht, nachdem
der An-tragsteller, der der Gemeinschaft 1984 beigetreten ist, dies zuvor längere Zeit
hingenommen hat, wäh-rend sein Bruder Verwalter der Wohnungseigentümer-
gemeinschaft war.
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Wegen der im übrigen vom Landgericht erörterten Gesichtspunkte wird zur
Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen
Beschlusses Bezug genommen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG. Es erscheint billig, daß der
Antragsteller als der Un-terlegene die Gerichtskosten des weiteren Beschwer-
deverfahrens zu tragen hat.
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Im übrigen bestand schon im Hinblick auf die nicht zweifelsfreie Rechtslage kein
Anlaß, vom Kosten-grundsatz des § 47 WEG abzuweichen, wonach die
Verfahrensbeteiligten die ihnen entstanden außerge-richtlichen Kosten selbst zu
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tragen haben.
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Beschwerdewert: 40.000,-- DM
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