Urteil des OLG Köln vom 20.03.1996
OLG Köln (arglistige täuschung, kläger, versicherung, eintritt des versicherungsfalles, antrag, täuschung, zeuge, versicherungsnehmer, auszug, vvg)
Oberlandesgericht Köln, 5 U 84/95
Datum:
20.03.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 84/95
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 1 O 486/94
Schlagworte:
Versicherungsvertrag Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Anfechtung
arglistige Täuschung Beweiswürdigung
Normen:
VVG § 22, BGB §§ 123, 142
Leitsätze:
Eine zur Vertragsanfechtung berechtigende arglistige Täuschung des
Versicherers durch den Versicherungsnehmer liegt vor, wenn der
Versicherungsnehmer bei dem Versicherungsantrag wissentlich falsche
Angaben zu gefahrerheblichen Umständen macht, um auf die
Entschließung des Versicherers Einfluß zu nehmen.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 28.3.1995 verkündete Urteil
der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aachen- 1 O 486/94 -wird
zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu
tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht
eingelegt und in der rechten Weise begründet worden. In der Sache ist das Rechtsmittel
jedoch nicht gerechtfertigt.
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Dem Kläger steht die mit der Klage geltend gemachte Barrente aus der
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung 62/440 4437 X 11 nicht zu. Denn der auf die
Zahlung einer zusätzlichen jährlichen Barrente gerichtete Abänderungsvertrag vom
27.6./9.11.1990 ist von der Beklagten wirksam mit ihrem Schreiben vom 1.6.1994 wegen
arglistiger Täuschung angefochten worden, §§ 22 VVG, 123, 142 BGB.
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Eine zur Vertragsanfechtung berechtigende arglistige Täuschung des Versicherers
durch den Versicherungsnehmer liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer bei dem
Versicherungsantrag wissentlich falsche Angaben zu gefahrerheblichen Umständen
macht, um auf die Entschließung des Versicherers Einfluß zu nehmen. Diese subjektive
Komponente setzt bei dem Versicherungsnehmer das Bewußtsein voraus, daß der
Versicherer seinen Antrag bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der an ihn gerichteten
Fragen nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde (vgl. dazu
Prölss/ Martin, VVG, 25. Aufl. § 22 VVG Anm.2 m.w.N.). Diese Vorausetzungen sind
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vorliegend erfüllt, so daß die Beklagte mit Recht die Leistung verweigert.
Nach der in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat davon
überzeugt, daß der Kläger bei dem mit dem Zeugen L. am 27.6.1990 geführten
Antragsgespräch - welches, wie zwischen den Parteien nicht mehr streitig ist, Grundlage
der am 9.11.1990 policierten Barrente ist-nicht nur die Antragsfrage 8.2. falsch
beantwortete, sondern den Zeugen auch entgegen seiner Darstellung nicht über seine
Rückenbeschwerden informierte, mit denen er unstreitig in der Zeit zwischen Dezember
1986 und Mai 1990 in ärztlicher Behandlung gewesen war; der schon in dem
Anfechtungsschreiben der Beklagten vom 1.6.1994 enthaltenen und u.a. in der
Berufungserwiderung wiederholten Behauptung, der Kläger sei in der Zeit zwischen
Dezember 1986 und Mai 1990 mit einem degenerativen WS- Leiden wiederholt in der
Behandlung des Dr. med. U. gewesen, ist der Kläger nicht mit substantiiertem Bestreiten
entgegengetreten. Der Zeuge L. hat sicher und entschieden verneint, daß der Kläger auf
sein Rückeneiden hingewiesen habe, und glaubhaft bekundet, daß er in diesem Fall
eine entsprechende Eintragung in dem Antragsformular gemacht hätte. Bei seiner
Aussage wirkte der Zeuge, der sich zum Teil auch noch an Einzelheiten der äußeren
Umstände des schon recht lange zurückliegenden Gesprächs zu erinnern wußte,
sachlich und um Obektivität bemüht. Er konnte glaubhaft auf eine langjährige Tätigkeit
in seinem Beruf hinweisen, in der es bislang zu keiner vergleichbaren Komplikation
gekommen sei. Da der Wert des Abänderungsvertrages, verglichen etwa mit dem
Neuabschluß einer Großlebensversicherung, verhältnismäßig unbedeutend war, ist
auch nicht etwa ein überragendes Interesse des Zeugen an der Provision
vorauszusetzen.
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Die Aussage des Zeugen L. erscheint insbesondere auch deshalb glaubhaft, weil der
Kläger auch die Frage 9.8 unvollständig beantwortet hat. Angegeben hat er dazu in dem
Antragsformular vom 27.6.1990 lediglich zwei in den Jahren 1981 und 1985 oder 1986
durchgeführte Nierensteinoperationen, die der Beklagten im übrigen bereits aufgrund
seines im Jahre 1986 gestellten Ursprungsantrages bekannt waren. Die in dem an die
...- Versicherung gerichteten Antrag vom 22.1.1990 noch wahrheitsgemäß erwähnte
Schulterverletzung rechts, welche im Oktober 1985 behandelt worden war, hat der
Kläger in dem Antrag vom 27.6.1990 indes ebenso verschwiegen wie die im Jahre 1986
erfolgte - ebenfalls gegenüber der ...- Versicherung seinerzeit noch offenbarte-
Nachuntersuchung im Jahre 1986. Diese Angaben waren, wie die Beklagte
unwidersprochen vorgetragen hat, von der ...-Versicherung zum Anlaß eines
Leistungsausschlusses für Funktionsstörungen der Wirbelsäule und Erkrankungen des
rechten Schultergelenks im Rahmen der bei ihr neben einer Lebensversicherung
abeschlossenen Berufsunfähigkeiszusatzversicherung genommen worden. Auch diese
Tatsache hat der Kläger in dem Antrag vom 27.6.1990 gegenüber der Beklagten nicht
angegeben, obwohl unter Ziffer 8.2 danach gefragt war, ob "eine Versicherung auf das
Leben der zu versichernden Person" von einem anderen Versicherer abgelehnt,
zurückgestellt oder mit Leistungseinschränkungen bzw. -erschwernissen angenommen
worden war. Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung ausgeführt hat, er
"meine", die Leistungseinschränkung bei der ...- Versicherung gegenüber dem
Versicherungsvertreter angegeben zu haben, stellt diese- zudem beweislose-
Darstellung keinen substantiierten Sachvortrag dar. Erstinstanzlich war hiervon auch
nicht die Rede, wie das angefochtene Uretil deutlich macht. Vielmehr hatte der Kläger
sich auf den Standpunkt gestellt, daß unter einer " Versicherung auf das Leben" nicht
auch eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu verstehen gewesen und deshalb
die Frage 8.2. von ihm nicht falsch beantwortet sei.
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Das Schweigen des Klägers bzw. seine verneinenden Antworten zu den Fragen
8.2.,9.7. und die Teilauslassung bezüglich der Frage 9.8 fügen sich zu einem
einheitlichen Bild, aus dem deutlich ersichtlich wird, daß der Kläger der Beklagten alle
die Angaben, die ihm bei ihr ähnliche Schwierigkeiten wie bei der ...- Versicherung
hätten bereiten können, vorenthalten wollte. Von daher erscheint es nur zu plausibel,
daß er auch seine Rückenbeschwerden nicht erwähnte und damit auch nicht angab,
"wegen eines Hexenschusses mehrfach in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein",
wie er in der Klageschrift behauptet hat.
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Die Aussage der Zeugin O.- H., der Ehefrau des Klägers, vermochte diese Einschätzung
nicht zu erschüttern. Ihre Bekundungen waren teilweise ungenau, zum Teil auch in sich
unstimmig und deshalb insgesamt nicht geeignet, an den Schilderungen des Zeugen L.
durchgreifende Zweifel aufkommen zu lassen.
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Auffällig ist schon, daß die Zeugin, die von sich behauptet hat, während des auf den
Antrag des Klägers bezogenen Gesprächs durchgehend anwesend gewesen zu sein,
von dem Kläger nicht als Zeugin zu dessen Inhalt benannt worden war, sondern nur zu
den Behauptungen bezüglich der näheren Umstände des von der Zeugin selbst am
gleichen Tage gestellten Versicherungsantrages. Die Zeugin hat denn auch nicht etwa
spontan die Darstellung des Klägers zu den angeblichen Erklärungen bezüglich seiner
Behandlungen wegen eines Hexenschusses bestätigt oder sonst konkrete Aussagen
hierzu gemacht. Auch ansonsten verfügte die Zeugin kaum über konkrete Erinnerungen
an das auf den Antrag des Klägers bezogene Gespräch. So wußte sie nicht mehr, in
welcher Reihenfolge die insgesamt drei Anträge aufgenommen worden waren. Mögen
auch derlei Dinge in der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit in der Erinnerung verblaßt
sein, so erscheint das getrübte Erinnerungsvermögen der Zeugin doch insoweit wenig
plausibel, als die Zeugin sich nicht mehr an die Erklärungen des Klägers zur ...-
Versicherung zu entsinnen wußte und die Auffassung vertrat, diese Versicherung sei
erst zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen worden.
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Aber auch soweit die Zeugin O. - H. entsprechend dem Beweisangebot des Klägers als
Indizzeugin über den Verlauf des auf ihren Antrag bezogenen Gesprächs bekundet hat,
der Zeuge L. habe (auch) bei ihr gemeint, Rückenschmerzen, Grippe usw. fielen nicht
unter den Fragenkatalog, haben diese Angaben nicht zu überzeugen vermocht.
Zunächst ist die Zeugin O.- H. bei der Aufzählung der angeblich von dem Zeugen L. als
unbedeutend bezeichneten Krankheiten und Beschwerden sehr unbestimmt geblieben,
indem sie außer den genannten Beispielen die angeblich weiter offenbarten
Krankheiten und Beschwerden nicht konkret benannt hat. Eine solche unbestimmte
Darstellung läßt sich kaum mit der Angabe vereinbaren, an das Geschehen noch eine
genaue Erinnerung zu haben. Zudem erweckte die Aussage der Zeugin in dieser Form
den Eindruck, als habe der Zeuge L. eine ganze Reihe von Krankheiten wahllos als
unbedeutend abgetan, was nur wenig nachvollziehbar erscheint. Der Vortrag des
Klägers war denn auch anders akzentuiert : Danach sollte die Zeugin bekunden
können, daß der Zeuge L. von ihr genannte "Muskelverspannungen" - von denen der
Kläger ebenso wie die Zeugin O.- H. ersichtlich meinen, sie seien mit einem "
Hexenschuß" vergleichbar- als nicht anzeigepflichtig bezeichnet habe. Davon, daß bei
dem Antragsgespräch etwa auch die weiteren in dem Auszug aus der Krankenkartei des
Hausarztes aufgeführten Erkrankungen der Zeugin angegeben worden seien, war in
dem Schriftsatz des Klägers vom 29.1.1996, mit dem die Zeugin benannt und auch
bereits dieser Auszug eingereicht wurde, nicht die Rede. Die in diesem Auszug für den
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Zeitraum ab 1981 dokumentierten Erkrankungen will die Zeugin indes, wie sie ihre
anfängliche Aussage auf näheres Befragen konkretisiert hat, dem Zeugen L. alle
genannt haben, ohne daß er diese für wert befunden hätte, in das Antragsformular
eingetragen zu werden. Auch hierin lag wiederum eine Pauschalierung, die nur wenig
plausibel erschien. Unter "Muskelverspannungen" hatte die Zeugin im übrigen der
Karteikarte zufolge bereits im Jahre 1982 gelitten, zu einem Zeitpunkt also, der nicht
mehr unter die Anzeigepflicht fiel, weil in Frage 9.7. nur nach ambulanten
Behandlungen innerhalb der letzten fünf Jahre gefragt war. Sollte der Zeuge L.
tatsächlich diese Verspannungen- wenn denn tatsächlich hiervon die Rede war- für
nicht bedeutsam erklärt haben, wäre dies korrekt gewesen. Von "Rückenschmerzen" ist
im übrigen in dem Auszug nichts vermerkt.
Die Summe dieser Zweifelspunkte führt dazu, daß der Aussage des Zeugen L. der
Vorzug zu geben ist.
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Ist demgemäß als erwiesen anzusehen, daß der Kläger bei dem Antragsgespräch seine
wiederholt in dem erfragten Zeitraum aufgetretenen Rückenbeschwerden und ihre
ambulante Behandlungen wie auch die Schulterverletzung, die spätere orthopädische
Untersuchung ebenso wie die mit diesem Komplex zusammenhängenden
Leistungseinschränkung bei der ...- Versicherung verschwieg, kann auch kein Zweifel
daran bestehen, daß der Kläger dies tat, um damit Einfluß auf die Entschließung der
Beklagten zu nehmen. Eine Leistungseinschränkung, wie sie die ...- Versicherung
ausbedungen hatte, womöglich noch größere Schwierigkeiten- was aus damaliger Sicht
für den Kläger kaum sicher abzuschätzen gewesen sein wird- ließen sich für den
Abänderungsvertrag bei der Beklagten von vornherein vermeiden, wenn die Beklagte
von alledem nichts erfuhr. Es ist offensichtlich, daß dies auch tatsächlich die Motivation
des Klägers war, zumal der Eindruck von dem unter teilweiser Leistungseinschränkung
erfolgten Vertragsabschluß bei der ...- Versicherung noch frisch war. Eine arglistige
Täuschung mit ihrer objektiven wie auch subjektiven Komponente liegt damit vor, so
daß die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 1.6.1994 mit Recht den Zusatzvertrag gemäß
§ 123 BGB angefochten hat. Die Anfechtung führt gemäß § 142 BGB zum
rückwirkenden Fortfall des Abänderungsvertrages mit der Folge, daß die Beklagte die
Leistung der Barrente zu Recht verweigert.
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Hieran vermag die Überlegung, daß die Beklagte den Abänderungsvertrag in Kenntnis
der Vorerkrankung des Klägers aller Wahrscheinlichkeit nach auch lediglich wie die ...-
Versicherung mit einer entsprechenden Leistungseinschränkung abgeschlossen hätte,
nichts zu ändern. Das Anfechtungsrecht des getäuschten Vertragspartners besteht nicht
nur dann vollen Umfanges, wenn er seine Willenserklärung ohne die Täuschung
überhaupt nicht abgegeben hätte, sondern auch dann, wenn sie lediglich nicht in dieser
Form erklärt worden wäre (Palandt/ Heinrichs, BGB- Komm., 52. Aufl. § 123 Rdn. 24).
Die Wirkung des Anfechtungsrechts kann im Einzelfall damit weiter gehen als ein auf
die Täuschung gestützter Schadensersatzanspruch, der sich auf den Ersatz des
negativen Interesses richten würde.
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Auch die Tatsache, daß die Berufsunfähigkeit des Klägers unstreitig nicht durch sein
Rückenleiden bedingt ist, spielt ebensowenig eine Rolle. Der Eintritt des
Versicherungsfalles ist nicht Voraussetzung des Anfechtungsrechts, sondern lediglich
oftmals erster Anlaß, die Angaben des Versicherungsnehmers im Versicherungsantrag
zu überprüfen.
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Die Beklagte war schließlich auch nicht gehalten, mit Rücksicht auf die Eintragungen im
Antragsformular vor Abschluß des Abänderungsvertrages Rückfragen zu stellen und
das ihr angetragene Risiko auf diese Weise zu einem früheren Zeitpunkt zu überprüfen.
Hierzu hätte die Beklagte nur dann Veranlassung gehabt, wenn die in dem Antrag vom
27.6.1990 enthaltenen Angaben des Klägers ersichtlich lückenhaft und unzureichend
oder widersprüchlich gewesen wären. Dies ist indes nicht der Fall, und zwar auch nicht
im Hinblick auf die Angabe unter Frage 9.11, daß nämlich Dr. U. über die
Gesundheitsverhältnisse des Klägers Auskunft geben könne. Auch angesichts der
Tatsache, daß der Kläger die Frage nach ambulanten Behandlungen innerhalb der
letzten fünf Jahre verneint hatte, machte die Nennung des Hausarztes durchaus Sinn,
hätte er doch - die Richtigkeit der Antwort vorausgesetzt- bestätigen können, daß der
Kläger in den letzten fünf Jahren keine behandlungsbedürftige Krankheit gehabt hatte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO, die sonstigen prozessualen
Nebenentscheidungen auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Wert des Berufungsverfahrens und Beschwer des Klägers:
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DM 35.361,26 ( 7.880,28 DM- Antrag zu 1)-zuzüglich - Antrag zu 2) : 3,5x 7.880,28 DM ,
§ 9 ZPO)
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