Urteil des OLG Köln vom 07.05.1991

OLG Köln (stpo, strafkammer, bilanz, beschwerde, beschlagnahme, zeuge, entbindung, protokoll, zeugnisverweigerungsrecht, schweigepflicht)

Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 149/91
Datum:
07.05.1991
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 149/91
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 112-10/88
Tenor:
Auf die Beschwerde hin wird der angefochtene Beschluß aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen
des Beschwerdeführers hat die Landeskasse zu tragen.
Gründe:
1
I.
2
Dem Angeklagten H., gegen den derzeit die Hauptverhandlung vor der 12. großen
Strafkammer des Landgerichts Köln stattfindet, wird in der Anklageschrift vom 15. April
1988 u.a. vorgeworfen, im Hinblick auf ein drohendes Konkursverfahren
Vermögenswerte durch Übertragung auf seinen Sohn F. H. in
Gläubigerbenachteiligungsabsicht beiseitegeschafft zu haben; dies u.a. bezüglich
seiner Gesellschaftsanteile an der Fa. L. B. KG. Zu den Vermögensverhältnissen der Fa.
L. B. KG im fraglichen Zeitraum hat die Anklage den Zeugen S. benannt, der als
Wirtschaftprüfer den Jahresabschluß dieser Firma gefertigt hat.
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Im Hauptverhandlungstermin am 8. Februar 1991 ist ungeklärt geblieben, inwieweit der
Zeuge S. von der Verschwiegenheitspflicht befreit worden ist. Nachdem daraufhin der
Zeuge S. mit Schreiben vom 14. Februar 1991 eine Stellungnahme seines
Rechtsanwalts vom 13. Februar 1991 vorgelegt hat, äußerte sich der Vorsitzende der
Strafkammer im Hauptverhandlungstermin vom 20. Februar 1991 dahin, daß nach
Auffassung des Gerichts dem Zeugen S. ein "Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 53
StPO" zusteht. Zugleich wurde der Beschluß verkündet, wonach die Beschlagnahme
der im Besitz des Zeugen W. S. befindlichen Bilanz der L. B. KG zum 31.12.1983
angeordnet wird (Anlage 1 zum Protokoll vom 20. Februar 1991); ergänzend hat die
Strafkammer beschlossen, daß sich der Beschlagnahmebeschluß auch auf den
dazugehörigen Prüfbericht beziehe (Anlage 2 zum Protokoll vom 20. Februar 1991).
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Der Zeuge S. legte im Gerichtssaal schriftlich Beschwerde gegen den
Beschlagnahmebeschluß ein und händigte sodann die beschlagnahmte Bilanz nebst
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Prüfbericht aus.
Mit Verfügung vom 21. Februar 1991 hat der Vorsitzende der Strafkammer nach
Fertigung von Kopien "den beschlagnahmten Prüfbericht" an den Zeugen S.
zurückgesandt.
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Der mit Anwaltsschriftsatz vom 26. Februar 1991 begründeten Beschwerde hat die
Strafkammer durch Beschluß vom 20. März 1991 nicht abgeholfen.
7
II.
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Die Beschwerde - über die der Senat nunmehr entscheiden kann, nachdem ergänzend
die zunächst noch fehlende Stellungnahme vom 13. Februar 1991 vorgelegt worden ist -
ist zulässig und begründet. Die Beschlagnahme des Prüfungsberichts nebst Bilanz aus
dem Gewahrsam des Zeugen S. verstieß gegen § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO.
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1.
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Die Beschwerde ist gemäß § 304 StPO zulässig.
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Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht nicht seine etwaige Erledigung durch
prozessuale Überholung (vgl. hierzu Kleinknecht-Meyer, StPO, 39. Aufl., Rdn. 17 vor §
296) nach Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände entgegen. Dabei kann
dahinstehen - was nicht aktenkundig ist -, ob mit der Rücksendung des Prüfberichts
unter dem 21. Februar 1991 zugleich auch die Bilanz zurückgegeben worden ist. Selbst
wenn dies der Fall gewesen sein sollte, so läßt doch - wie die
Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt - die Rückgabe der Originale der
beschlagnahmten Unterlagen an den Beschwerdeführer nach Anfertigung von
Ablichtungen, die zu den Akten genommen worden sind, die Zulässigkeit der
Beschwerde nicht entfallen. Das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO soll eine
Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts nach §§ 52, 53, 53 a StPO verhindern
(Kleinknecht-Meyer, § 97 Rdn. 1; Löwe-Rosenberg/Schäfer, StPO, 24. Aufl., § 97 Rdn.
1). Insoweit ist der Zeuge in seinem eigenen Recht beschwert, wenn und soweit
Ablichtungen der beschlagnahmten Unterlagen bei den Akten verbleiben und somit die
Möglichkeit ihrer Verwertung besteht.
12
2.
13
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Beschlagnahmeanordnung vom 20.
Februar 1991 stand § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO entgegen; Prüfbericht und Bilanz unterlagen
nicht der Beschlagnahme, weil es sich um Aufzeichnungen handelt, auf die sich das
Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO erstreckt.
14
a)
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Vorab ist festzuhalten, daß die Beschlagnahme nicht etwa schon deswegen ungeachtet
der Voraussetzungen des § 97 StPO zulässig gewesen ist, weil sie ausschließlich die
Bilanz betroffen hätte (wovon noch der Beschluß Anlage 1 zum Protokoll vom 20.2.1991
ausgeht, ehe dann der Beschluß Anlage 2 zum Protokoll die Beschlagnahme auch auf
den Prüfbericht erstreckte).
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Jedenfalls der Prüfbericht - mit dem die Bilanz als Anhang eine Einheit bildete - stellt
(worauf die Beschwerdebegründung zutreffend hinweist) gerade das typische Produkt
der vertraulichen Berufstätigkeit eines Wirtschaftsprüfers dar. In ihn gehen nicht nur die
objektiven Fakten der Buchhaltungsunterlagen ein, sondern auch die im
Vertrauensverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem
Zeugnisverweigerungsberechtigten ausgetauschten Angaben. Gerade diese
Vertraulichkeit ist aber vom Schutzzweck des § 53 StPO umfaßt, der seinerseits wieder
durch § 97 ZPO ergänzend abgesichert werden soll (vgl. im übrigen zur Problematik
speziell bei dem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer Karlsruher Kommentar/Laufhütte,
StPO, 2. Aufl., § 97 Rdn. 11).
17
b)
18
Durch die angefochtene Maßnahme ist eine Umgehung des von der Strafkammer selbst
angenommenen Zeugnisverweigerungsrechts zu besorgen. Die Beschlagnahme
verstößt gegen § 97 Abs. 1 StPO und kann daher keinen Bestand haben.
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Die Anwendbarkeit des § 97 Abs. 1 (hier: Nr. 2, jedoch würde für Nr. 3 nichts anderes
gelten) StPO steht nicht etwa deswegen in Zweifel, weil Auftraggeber des Zeugen S. als
Wirtschaftsprüfer nicht der Angeklagte, sondern die Fa. L. B. KG war. Auch das (in § 97
Abs. 1 StPO in Bezug genommene) Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO
resultiert nämlich im Falle des Zeugen S. nicht aus einem Mandatsverhältnis zwischen
dem Zeugen und dem Angeklagten, sondern aus den Rechtsbeziehungen zwischen
dem Zeugen und der Fa. L. B. KG, für die der Zeuge den beschlagnahmten
Prüfungsbericht nebst Bilanz erstellte.
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Soweit die Wirtschaftsstrafkammer insbesondere in dem Nichtabhilfebeschluß vom
20.3.1991 darauf abstellt, daß die Unterlagen schon wegen des Mandatsverhältnisses
zwischen der Fa. L. B. KG und dem Beschwerdeführer nicht der Beschlagnahmefreiheit
nach § 97 StPO unterliegen würden, wird der Umstand verkannt, daß gerade durch
dieses Mandatsverhältnis erst das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO
begründet worden ist, von welchem auch die Strafkammer ausgeht.
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Wie der im Hauptverhandlungstermin vorliegenden und mittlerweile auch dem Senat
zugänglich gemachten Stellungnahme des Rechtsanwalts Dr. S. vom 13.2.1991 zu
entnehmen ist, hatte der Angeklagte H. in der Fa. L. B. KG die Stellung des persönlich
haftenden Gesellschafters inne. Ungeachtet der Frage, inwieweit auch durch den
Angeklagten die Entbindung des Zeugen S. von der Schweigepflicht erfolgt ist, hat doch
jedenfalls - dies ergibt sich aus dem Vermerk der Generalstaatsanwaltschaft vom
12.4.1991 nach Rückfrage bei der Staatsanwaltschaft - der Sohn des Angeklagten (als
Rechtsnachfolger in der Stellung des Komplementärs) eine solche Entbindung von der
Schweigepflicht nicht vorgenommen.
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Wegen der Stellung des Angeklagten als ehemaliger Komplementär und
Rechtsvorgänger des jetzigen Komplementärs der KG geht es vorliegend auch gar nicht
um die Frage, in welchem Umfang § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO (auch) Drittgeheimnisse
schützt; die Fa. L. B. KG ist insoweit nicht als - wie es der Nichtabhilfebeschluß der
Strafkammer formuliert - "beliebiger Dritter" anzusehen. Ohnehin aber ist schon vom
Wortlaut der Bestimmung her der Ansicht der Beschwerdebegründung zuzustimmen,
daß die zweite Alternative des § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht nur "vom Beschuldigten" in
Erfahrung gebrachte "andere Umstände" erfaßt, sondern sich auf alle Umstände
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bezieht, "auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt". Hierzu gehören
Geschäftsvorgänge, die der Zeuge S. von der KG in Erfahrung gebracht hat und in
seinem Bericht als Wirtschaftsprüfer möglicherweise hat einfließen lassen.
Schließlich kann es auch auf sich beruhen, ob die von der Strafkammer angeführte
Ansicht von Schäfer (in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl. § 97 Rdn. 80) zu Ausnahmen
von Beschlagnahmeverbot bei Straftaten in Zusammenhang mit der Vertretung einer
juristischen Person zutreffend ist oder nicht. Zum einen hatte, der Angeklagte H. die ihm
zu Fall 10 Buchstabe e der Anklageschrift (S. 10) vorgeworfene Tat nicht als Organ und
in Vertretung der KG im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen, sondern um sein
eigenes Vermögen im Sinne des § 283 StGB beiseite zu schaffen; gerade auf die
Fallgestaltung des § 14 StGB bezieht sich aber die von Löwe-Rosenberg-Schäfer a.a.O.
geäußerte Ansicht zu Straftaten in Zusammenhang "mit der Vertretung" einer (dort:)
juristischen Person. Zum anderen betraf die von Löwe-Rosenberg-Schäfer a.a.O.
(Fußnote 143) in Bezug genommene Entscheidung OLG Nürnberg OLGZ 77, 370, 373
die Fallgestaltung, daß die Gesellschaft (bzw. deren Konkursverwalter) die Entbindung
von der Schweigepflicht aussprach und lediglich der (ehemalige) Geschäftsführer diese
Entbindung verweigerte; vorliegend - soweit vergleichbar - liegen die Dinge umgekehrt,
da die Entbindung von der Schweigepflicht schon durch den jetzigen Komplementär der
KG nicht erfolgt ist.
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3.
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Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung der §§ 464, 467 StPO.
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