Urteil des OLG Köln vom 18.01.1995
OLG Köln (ärztliche behandlung, angina pectoris, kläger, unfall, fahrer, erkrankung, höhe, prüfung, haushalt, beschwer)
Oberlandesgericht Köln, 11 U 179/94
Datum:
18.01.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 179/94
Schlagworte:
KRAFTFAHRER; SORGFALTSPFLICHT; FAHRTÜCHTIGKEIT
Normen:
BGB §§ 823, 276; STGB § 223; BVG § 81a
Leitsätze:
Pflicht des Kraftfahrers zur Beobachtung seiner Fahrtüchtigkeit
Die Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrzeugführers setzen nicht erst bei
dem Führen des Fahrzeugs ein, sondern bereits vor Antritt der Fahrt. Ein
Fahrer hat daher stets genau zu prüfen, ob er noch zur sicheren Führung
eines Kraftfahrzeugs in der Lage ist. Ein Fahrer, der sich ein Nachlassen
seiner Leistungsfähigkeit nicht zu Bewußtsein bringt, obwohl er es bei
sorgfältiger kritischer Selbstbeobachtung und -kontrolle hätte bemerken
können, verstößt gegen die ihm nach § 276 Abs. 1 BGB obliegenden
Sorgfaltspflichten. Dazu genügt es, wenn er bei pflichtgemäß
selbstkritischer Prüfung Ausfälle erkennen kann, die Anlaß zu Zweifeln
daran geben, ob er den Anforderungen an die Führung eines
Kraftfahrzeuges gewachsen ist.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet.
2
Dieser kann von der Beklagten die Erstattung seiner Aufwendungen gemäß §§ 823
Abs.1, 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 223 StGB, § 276 Abs.1 BGB,§ 81 a BVG verlangen.
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Der bei der Beklagten haftpflichtversicherte Kraftfahrzeugführer W. hat den Unfall vom 4.
März 1990 schuldhaft verursacht. Dies steht zur Überzeugung des Senats nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Zugrundelegung des Obduktionsbefundes
fest.
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Der Fahrzeugführer W. hat die ihm nach § 276 Abs.1 BGB obliegenden
Sorgfaltspflichten nicht beachtet. Für die Prüfung, ob ein fahrlässiges Verhalten vorliegt,
ist ein objektivierter Beurteilungsmaßstab anzulegen.Es kommt daher darauf an, ob die
Sorgfalt beobachtet wurde, die nach den Erfordernissen des Verkehrs in der konkreten
Lage erwartet werden muß.Die Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrzeugführers setzen
dabei nicht erst bei dem Führen des Fahrzeuges ein, sondern bereits vor Antritt der
Fahrt.Ein Fahrer hat daher stets genau zu prüfen, ob er noch zur sicheren Führung eines
Kraftfahrzeuges in der Lage ist (vgl.BGH NJW 1988,909f (910);BGHZ 23,90ff (92)).
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Nach der schriftlichen Aussage des Arztes Dr. T. vom 22.12.1993 befand sich Herr W.
bereits seit 1980 bei ihm wegen Bluthochdrucks in Behandlung .1986 trat nach seinen
Angaben eine Angina pectoris auf, die zu einer Langzeithandlung mit Digitalis- und
Bluthochdruckpräparaten führte. Wenngleich der Zeuge auch keine konkreten Angaben
dazu machen konnte, ob er Herrn W. auf eine mögliche Verkehrsuntüchtigkeit
hingewiesen hat, so zeigt doch das Krankheitsbild, daß nicht lediglich eine
vorübergehende geringfügige Erkrankung vorlag.Immerhin führte Herr W. zusätzlich
ständig ein koronarerweiterndes Spray bei sich.Eine solche Maßnahme ist indes nur
veranlaßt, wenn entsprechende gesundheitliche Beeinträchtigungen zu befürchten
sind.Hinzu kommt, daß nach den Angaben des Zeugen Dr. T. nicht nur eine
vorübergehende Erkrankung, sondern Dauerbeschwerden vorlagen, die entsprechend
zu einer Dauerbehandlung führten.
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Diese Angaben werden unterstützt durch den Obduktionsbefund vom 6.März 1990.
Danach hatte Herr W. ein stark übergewichtiges Herz. Es wurde eine starkgradige
stenosierende Arteriosklerose der Herzkranzgefäße und Narben in der Muskulatur des
vorderen Segelstellmuskels festgestellt.Nach diesen Untersuchungen ist davon
auszugehen, daß bei dem Fahrzeugführer bereits eine fortgeschrittene Herzerkrankung
bestand, wie dies durch die langjährige ärztliche Behandlung auch dokumentiert ist.
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Angesichts dieser Umstände lagen für den Kraftfahrzeugführer genügende
Anhaltspunkte vor, sich über seine Fähigkeit, auch weiterhin ein Fahrzeug zu führen,
Gedanken zu machen und von dem Führen eines Kraftfahrzeuges Abstand zu nehmen.
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Der Vorwurf mangelnder Sorgfalt knüpft dabei daran an, daß ein Fahrer sich ein
Nachlassen seiner Leistungsfähigkeit nicht zu Bewußtsein bringt, obwohl er es bei
sorgfältiger kritischer Selbstbeobachtung und -kontrolle hätte bemerken können.Dazu
genügt es, wenn er bei pflichtgemäß selbstkritischer Prüfung Ausfälle erkennen kann,
die Anlaß für Zweifel daran geben,ob er den Anforderungen an die Führung eines
Kraftfahrzeuges gewachsen ist ( vgl. BGH DAR 1958,194 ). Die bestehende Erkrankung
, die zu einer ärztlichen Dauerbehandlung führte, sowie das hohe Alter hätten Herrn W.
veranlassen müssen, auf das Führen eines Kraftfahrzeuges zu verzichten,denn mit
Ausfallerscheinungen während einer Fahrt war bei ihm erkennbar auch für einen
medizinischen Laien zu rechnen.
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Der von ihm verursachte Unfall vom 4.März 1990, der zu den Verletzungen seiner
Beifahrerin führte, ist daher von ihm zumindest fahrlässig verschuldet.
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Die Pfegebedürftigkeit seiner Beifahrerin ist entgegen der Auffassung der Beklagten
auch auf den Unfall zurückzuführen. Die bereits zuvor bestehende Hüfterkrankung steht
dem nicht entgegen.Bis zu dem Unfall war Frau W. in der Lage, noch selbst einen
Haushalt, wenn auch mit Hilfe Dritter, zu führen. Sie war in der Lage, sich selbst zu
versorgen.Dies geht aus dem sozialmedizinischen Gutachten vom 25.1.1991 sowie
auch aus den Angaben der Zeugen W. ,L. und G. F. hervor, die bekundet haben, daß
Frau W. einen eigenständigen Haushalt führte.Zweifel an der Kausalität zwischen ihrer
Pflegebedürftigkeit und den Unfallfolgen bestehen angesichts dessen nicht.Die
Vermutung, daß bei dem bestehenden Hüftleiden auf jeden Fall irgendwann eine
Pflegebedürtfigkeit eingetreten wäre, reicht nicht aus, die Kausalität zu verneinen.
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Soweit die Höhe der von dem Kläger erbrachten Aufwendungen streitig ist, ist eine
weitere Aufklärung notwendig.Der Kläger hat dazu bislang lediglich eine Aufstellung
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über die Einnahmen von Frau W. sowie über die Pflegekosten eingereicht. Belege zu
den Einkünften aus Renten- und Unterhaltszahlungen wurden nicht vorgelegt. Ebenso
fehlen Rechnungen der Pflegeeinrichtung ,des Marienklosters D..Insoweit ist gemäß §
538 Abs.1 Ziffer 3 ZPO das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen, das zur
Höhe des geltendgemachten Anspruches noch keine Entscheidung getroffen hat.
Der Feststellungsantrag ist demgegenüber nicht begründet.Ein Feststellungsinteresse
gemäß § 256 ZPO ist von dem Kläger nicht dargetan.Der Kläger macht Aufwendungen
für einen bestimmten begrenzten Zeitraum geltend. Nach dem Hinweis in der
Gesamtaufstellung des Klägers vom 25.Oktober 1993 sollte eine nachträgliche
Änderung der Pflegekosten noch möglich sein. Dies rechtfertigt aber nicht den
Feststellungsantrag, denn es ist nicht erkennbar, aufgrund welcher konkreten Umstände
hier eine nachträgliche Änderung eingetreten sein könnte.
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Über die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens
kann derzeit nicht entschieden werden, da noch nicht abzusehen ist, wieweit die Klage
auch der Höhe nach Erfolg hat. Die Entscheidung ist deshalb dem Landgericht
vorzubehalten.
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Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit entfällt mangels
vollstreckungsfähigen Inhalts des Urteils.
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Berufungsstreitwert: für den Klageantrag zu 1. 53.193,10 DM für den Klageantrag zu 2.
3.000,-- DM
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Beschwer für den Kläger: 3.000,-- DM Beschwer für die Beklagte: 53.193,10 DM
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