Urteil des OLG Köln vom 31.08.2001
OLG Köln: produkt, verkehr, arzneimittel, begriff, verbraucher, irreführung, vollstreckung, medikament, berechtigung, behandlung
Oberlandesgericht Köln, 6 U 21/01
Datum:
31.08.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 21/01
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 81 O 171/00
Tenor:
1.) Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12.1.2001 verkündete
Urteil der ersten Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81
O 171/00 - abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die Klage wird
abgewiesen. 2.) Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die
Klägerin zu tragen. 3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe von 55.000 DM abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. Der
Beklagten wird auf ihren Antrag nachgelassen, die Sicherheit auch
durch Stellung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen
Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen. 4.) Die
Beschwer der Klägerin wird auf 550.000 DM festgesetzt.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien sind Wettbewerber als Vertreiber von Arzneimitteln.
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Die Klägerin vertreibt das gem. § 105 AMG fiktiv zugelassene Arzneimittel "C.". Das
Mittel enthält den Wirkstoff Chlorhexidindigluconat und gilt in Deutschland als
zugelassen für die Anwendungsgebiete:
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Behandlung von Gingivitis (das ist eine Entzündung des Zahnfleisches);
Desinfektion der Mundhöhle nach chirurgischen Eingriffen;
Verhütung von Infektionen bei orthodontischen (kieferorthopädischen)
Behandlungen.
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Eine Konzerngesellschaft der Klägerin, die S.B. C. H., bietet das Mittel in Großbritannien
an.
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Die Beklagte vertreibt das von dort parallelimportierte Produkt in Deutschland.
Umverpackung und Tube enthalten die Aufschrift "C. Dental Gel" sowie die
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Mengenangabe "50 g". Dabei gibt die Beklagte - wie dies die Klägerin für ihr Produkt tut
- hinter dem Wort C. das "R im Kreis" ((r))an.
Gegen den Vertrieb dieses parallelimportierten Produktes durch die Beklagte richtet sich
das vorliegende Verfahren, dem das auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung
gerichtete Verfahren 81 O 43/00 LG Köln vorausgegangen ist.
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Die Beklagte hat der Klägerin und gem. § 29 Abs.2 AMG der Aufsichtsbehörde den
Parallelvertrieb angezeigt. Gegenstand ihrer Anzeige war die aus der Anlage K 5 (=
Bl.17 f) in schwarz/weiß Kopie ersichtliche Aufmachung der Umverpackung. Auf eine
Abmahnung der Klägerin hat die Beklagte sich hinsichtlich des dort auf der zweiten
Seite zu findenden englischsprachigen Textes ("Uses: ...") wie aus der Anlage K 5 (= Bl.
25 f) ersichtlich zur Unterlassung verpflichtet. Sodann ist sie mit der Aufmachung auf
den Markt gekommen, die den im Berufungsrechtszug von der Klägerin als Anlagen B 1
und B 2 (Bl.171 f) vorgelegten Abbildungen entspricht. Je ein Exemplar von Tube und
Umverpackung in dieser Aufmachung befinden sich als Anlage AG 1 in der Akte des
erwähnten vorangegangenen Verfügungsverfahrens. In beiden Ausstattungen - und
auch den noch darzustellenden aktuelleren Verpackungsversionen - verwendet die
Beklagte eine blaue Schrift auf weißem Grund. Dabei sind einzig das erste "O" in "C."
und (bei den ersten Versionen) die Mengenangabe in roter Farbe geschrieben.
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Die Klägerin hat unter Berufung auf ein als Anlage K 10 (Bl. 27 ff) vorgelegtes Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 13. 4.1989 die Auffassung vertreten, für das von der
Beklagten vertriebene Produkt bedürfe es trotz der Wirkstoffidentität einer eigenen
Zulassung, weil die Beklagte mit dem Zusatz "Dental Gel" die ursprüngliche
Bezeichnung geändert habe und deswegen kein zulassungsfreier Parallelimport
vorliege. Außerdem bewirke der Zusatz eine Irreführung, weil das Produkt für Zähne
keine Heilwirkung habe.
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Die Klägerin hat b e a n t r a g t,
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1. die Beklagte zu verurteilen,
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1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 500.000 DM, zu unterlassen,
das Arzneimittel "C.(r)" unter der Bezeichnung "C. Dental Gel" in den Verkehr zu
bringen;
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1. ihr - unter Wirtschaftsprüfervorbehalt - Auskunft darüber zu erteilen, in welchem
Umfang sie Handlungen der unter I 1.) bezeichneten Art vorgenommen hat, und
zwar unter Vorlage eines Verzeichnisses, das die Werbemittel und/ oder die
Adressaten, die Daten des Erscheinens und/oder der Auslieferung und/oder der
Abgabe und die Höhe der Auflage und/oder Stückzahl enthält.
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1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen Schaden zu ersetzen, der
ihr aus Handlungen der unter I 1.) beschriebenen Art entstanden ist und noch
entstehen wird.
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Die Beklagte hat b e a n t r a g t,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat sich bezüglich der Berechtigung zum Parallelimport auf die Entscheidung
"Tiapridal" des BGH (GRUR 98,407 ff) gestützt und zudem die Meinung vertreten, durch
den Zusatz "Dental Gel" werde der Verkehr nicht irregeführt.
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Das L a n d g e r i c h t hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
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Im Unterschied zu der Entscheidung "Tiapridal" werde durch den streitgegenständlichen
Zusatz "Dental Gel" der unzutreffende Eindruck erweckt, das von der Beklagten
vertriebene Produkt weise einen weitergehenden Wirkungsbereich, nämlich auch für
Zahnerkrankungen, auf.
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Ihre B e r u f u n g gegen dieses Urteil begründet die Beklagte wie folgt:
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Aus der Entscheidung werde schon nicht deutlich, welche Bestimmungen das Gericht
als verletzt ansehe. Außerdem stellten die Worte "Dental Gel" nur eine
Sachbeschreibung und nicht einen Teil der Bezeichnung dar. Im übrigen seien aber
auch die Grundsätze der Entscheidung "Tiapridal" des BGH erfüllt. Denn entgegen der
Annahme des Landgerichts habe das Produkt auch eine Heilwirkung auf Zähne, weil es
durch seine antibakterielle Wirkung Plaque-Bildung bekämpfe. Aus diesem Grunde
werde durch die Verwendung des streitgegenständlichen Zusatzes der Verkehr nicht in
die Irre geführt. Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass das
Konzernunternehmen der Klägerin in Großbritannien selbst den Zusatz "Dental"
verwende, und sich aus bestimmten Formulierungen der Gebrauchshinweise, mit denen
die Klägerin ihr Produkt versehe, die antibakterielle Wirkung auch für Zähne ergebe.
Diesbezügliche Irreführungen seien jedenfalls deswegen ausgeschlossen, weil eine
Blickfangwerbung nicht vorliege und es sich um ein apothekenpflichtiges Medikament
handle.
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Für Annexansprüche sei kein Raum. Denn der Klägerin sei auch bei unterstellter
Berechtigung der Vorwürfe ein Schaden nicht entstanden, weil sie selbst dann ebenfalls
die Angabe "Dental Gel" nicht hätte anbringen dürfen. Im übrigen erhebt die Beklagte
hinsichtlich der Annexansprüche die Einrede der Verjährung.
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Die Beklagte hat die Aufmachung des Produktes erheblich geändert. Die neue
Produktgestaltung ist aus der Anlage B 3 zur Berufungserwiderung (Bl.173) und aus S.8
dieses Urteils ersichtlich. Diese Fassung ist nach dem unwidersprochenen Vortrag der
Klägerin nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils nochmals geändert worden: durch
Überkleben sind jetzt die streitgegenständlichen Worte "Dental Gel" ganz eliminiert
(Anlage B 4 = Bl.174).
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Die Beklagte b e a n t r a g t,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils der ersten Kammer für Handelssachen
des Landgerichts Köln vom 12.1.2001 - 81 O 171/00 - die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin b e a n t r a g t,
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die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte unter I 1.) des Tenors
unter Ordnungsmittelandrohung verurteilt wird, ein den (alleinigen) Wirkstoff
Chlorhexidindigluconat enthaltendes Arzneimittel wie nachstehend in schwarz/weiß
Kopieen wiedergegeben mit der Angabe "Dental Gel" in den Verkehr zu bringen:
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Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil.
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Die aus der vorstehenden Seite 8 dieses Urteils ersichtliche Version sei als "Dental Gel
C." zu lesen. Ob sie als solche dem Kern des Unterlassungstenors unterfalle, sei
zweifelhaft, es liege aber umso eher ein Verstoß gegen § 8 Abs.1 Nr.2 a AMG und § 3
Satz 2 Nr.1 HWG vor.
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In der Sache bestünden erhebliche Unterschiede zu dem Sachverhalt, der der
Entscheidung "Tiapridal" zugrundegelegen habe, weswegen die Kammer zutreffend
entschieden habe.
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Der Verkehr messe dem Zusatz auch eine Bedeutung zu und werde die Worte "Dental
Gel" aufgreifen, um das "richtige" Produkt zu erhalten.
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Im übrigen führe die Bezeichnung auch in die Irre. Die Behandlung von
Zahnerkrankungen gehöre nicht zu den Indikationen ihres fiktiv zugelassenen Mittels.
Gegenteiliges lasse sich auch aus den Produktinformationen nicht entnehmen, die sie,
die Klägerin, ihrem Produkt beifüge. Aus diesem Grunde dürfe dem wirkstoffgleichen
Medikament der Beklagten keine therapeutische Wirkung für Zähne zugesprochen
werden, was durch die Verwendung des Wortes "dental" indes geschehe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Akten des
vorangegangenen Verfahrens 81 O 43/00 LG Köln sowie die gewechselten Schriftsätze,
die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klage ist auf das Rechtsmittel der
Beklagten abzuweisen, weil die Gefahr einer Irreführung, auf die die Klägerin sich noch
stützt, nicht gegeben ist.
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Der Senat hat nicht darüber zu befinden, ob dem von der Beklagten vertriebenen
Produkt die Zulassung fehlt. Denn der in der mündlichen Verhandlung gestellte
Unterlassungsantrag der Klägerin bezieht sich - anders als in erster Instanz - hierauf
nicht. Der Antrag, der Beklagten zu untersagen, das Arzneimittel mit der Angabe "Dental
Gel" in den Verkehr zu bringen, greift diese Angabe an und hat nicht (mehr) zum
Gegenstand, dass das Arzneimittel eine von dem Klägerprodukt abweichende
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Gegenstand, dass das Arzneimittel eine von dem Klägerprodukt abweichende
Bezeichnung aufweise und deswegen der eigenen Zulassung bedürfe. Das dürfte im
übrigen angesichts der in der erwähnten Entscheidung "Tiapridal" des BGH judizierten
Grundsätze auch nicht der Fall sein.
Der Angriff gegen die Angabe "Dental Gel" geht fehl. Entgegen der Auffassung der
Klägerin ist sie unter keinem in Betracht kommenden Gesichtspunkt gem. § 8 Abs.1
Ziff.2 a AMG oder auch § 3 S.2 Ziff.1 HWG irreführend. Die Angabe legt dem Produkt
keine therapeutische Wirkung bei, die es tatsächlich nicht hat.
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Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Verkehr in nicht unerheblichem Umfange
die Angabe "Dental Gel" dahin versteht, dass das Produkt Auswirkungen auf den
Gesundheitszustand der Zähne habe. Es kann daher offen bleiben, ob das Arzneimittel -
wie die Beklagte unter Hinweis auf die Werbeaussagen der britischen
Schwestergesellschaft der Klägerin behauptet - tatsächlich auch derartige
Auswirkungen hat. Der Verkehr versteht die Angabe wegen des Begriffes "Gel" -
zutreffend - dahin, dass es sich um ein aufzutragendes halbfestes Produkt handelt. Der
vorangestellte Begriff "Dental" vermittelt dem Verbraucher zusätzlich die Erkenntnis,
dass dieses Gel im Zusammenhang mit Zähnen steht. Er wird daher annehmen, dass es
- vergleichbar einer Zahnpasta - auf die Zähne aufgetragen, oder doch im Bereich der
Zähne angewendet wird. Eine weitergehende Bedeutung dahin, dass das Produkt auch
bestimmte arzneiliche Auswirkungen gerade auf die Zähne habe, wie es für einen
Verstoß gegen die genannten Bestimmungen erforderlich wäre, kommt der Angabe
nicht zu. Der Begriff "Dental" wird von denjenigen Verbrauchern, die seinen lateinischen
Bestandteil überhaupt erkennen, als "auf die Zähne bezogen" verstanden. Das allein
nimmt indes eine therapeutische Wirkung auf die Zähne nicht in Anspruch. Der diffus
und ohne konkrete ergänzende Aussage verwendete Begriff "Dental" vermittelt nicht
eine heilende Auswirkung auf bestimmte Erkrankungen der Zähne. Der Verbraucher
wird daher solche auch nicht erwarten. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, dass
der Begriff nicht vermittelt, auf welche Zahnerkrankung das Gel sich angeblich günstig
auswirken soll. Die Öffentlichkeit ist nämlich auch im Bereich der Heilmittelwerbung
gerade an Hinweise auf konkrete medizinische Wirkungen gewöhnt. Der Verkehr wird
daher der Angabe weder eine bestimmte therapeutische, noch auch nur eine
vorbeugende Wirkung auf die Zähne entnehmen.
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Der Verbraucher erwirbt mit dem Produkt ein im Bereich der Zähne anzuwendendes
Arzneimittel, das die oben aufgeführten Indikationen aufweist, also insbesondere bei
Zahnfleischentzündungen und nach kieferorthopädischen Behandlungen eingesetzt
werden soll. Er wird daher dem undifferenzierten Begriff "Dental" keine weitergehende
Bedeutung zumessen als diejenige, dass das Produkt auf die Zähne aufgetragen wird.
Eine unzutreffende Vorstellung über therapeutische Wirksamkeiten oder Wirkungen
gerade auf Zähne liegt darin nicht.
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Diese Feststellungen vermag der Senat aus eigener Sachkunde zu treffen, weil seine
Mitglieder zu den angesprochenen Verbrauchern gehören.
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Kommt es daher zu Fehlvorstellungen über den Umfang der Indikationen für das von der
Beklagten vertriebene C. nicht, so kann die Frage offen bleiben, inwieweit im Rahmen
der §§ 8 und 105 AMG und § 3 a HWG hierauf ein Verbot gestützt werden könnte.
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Schließlich kann die Irreführung auch nicht damit begründet werden, dass der Verkehr
wegen der gegenüber dem Produkt der Klägerin weitergehenden Angabe "Dental Gel"
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ein inhaltlich anderes und möglicherweise qualitativ besseres Produkt erwarte. Dabei
kann dahinstehen, ob der Verbraucher wirklich eine dahingehende Vorstellung
entwickelt. Nach der Entscheidung "Tiapridal" (BGH GRUR 98,407 ff) macht eine
abweichende Bezeichnung eines importierten Arzneimittels eine Vollzulassung nicht
erforderlich, sofern Stoffidentität besteht. Ist es danach aber zulässig, das eingeführte
Produkt mit einer abgewandelten Bezeichnung zu versehen, so kann auch die bloße
Verwendung von zusätzlichen Angaben, die - wie die streitgegenständliche - für sich
genommen inhaltlich nicht zu beanstanden sind, den Vorwurf der Irreführung nicht
rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
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Die gemäß § 546 Abs.2 ZPO festgesetzte Beschwer der Klägerin entspricht dem Wert
ihres Unterliegens im Rechtsstreit.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 550.000 DM.
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