Urteil des OLG Köln vom 20.12.2005

OLG Köln: schiffsführer, angemessene geschwindigkeit, positive vertragsverletzung, angepasste geschwindigkeit, gefahr, verschulden, wasser, maschine, vollstreckung, weisung

Oberlandesgericht Köln, 3 U 165/04 BSchRh
Datum:
20.12.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 165/04 BSchRh
Schlagworte:
Schleppvertrag; Pflichtverteilung zwischen Vorspannboot und
Schleppzug
Normen:
Positive Vertragsverletzung; BB § 823, BinSchG §§ 92 ff.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 06. September 2004
verkündete Grundurteil des Amtsgerichts - Rheinschifffahrtsgericht - St.
Goar - 4 C 19/02 BSchRh - teilweise abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin gegen das oben genannte Urteil wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages
abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leisten.
G r ü n d e
1
I.
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Die Klägerin ist Versicherer des Schubleichters "E. xx", der am 16.11.2001, voll
abgeladen mit Eisenerz von dem Seehafen Rotterdam kommend, auf dem Rhein zu
Berg fahrend bei Rheinkilometer 538 gesunken ist. Die Klägerin hat den Interessenten
des Schiffes Ersatz für den bei der Havarie entstandenen Schaden geleistet und nimmt
die Beklagten aus übergegangenem und abgetretenem Recht auf Ersatz in Anspruch.
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Die Beklagte zu 1) ist Eignerin, jedenfalls Ausrüsterin von MS "P.", das zum
Unfallzeitpunkt als Vorspann des Koppelverbandes, bestehend aus MS "E. x" und SL
"E. xx", eingesetzt war. Der Beklagte zu 2) war der Schiffsführer von MS "P.".
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Tatbestand des angefochtenen
Urteils (Bl. 229 ff. GA) Bezug genommen.
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Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des
Sachverständigen K. im Verklarungsverfahren sowie eines schriftlichen Gutachtens des
Europäischen Entwicklungszentrums für Binnen- und Küstenschifffahrt (Dipl.-Ing. B.) in
diesem Rechtsstreit und Anhörung beider Sachverständiger durch Grundurteil vom
06.09.2004 den auf Zahlung gerichteten Klageantrag zu 40 % für gerechtfertigt erachtet
und der Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten in Bezug auf alle
weiteren aus der Havarie entstandenen Schäden ebenfalls zu 40 % stattgegeben.
Wegen der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
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Beide Parteien haben in zulässiger Weise gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
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Die Klägerin stützt ihren Vortrag auf das Gutachten des Sachverständigen B. vom
Europäischen Entwicklungszentrum für Binnen- und Küstenschifffahrt und behauptet,
Ursache für das Versinken des SL "E. xx" sei eine zu hohe Geschwindigkeit für das
relativ flache Wasser bei Rheinkilometer 538 gewesen. Sie meint, damit beruhe das
Versinken auf dem alleinigen Verschulden des Schiffsführers des Vorspannbootes, der
allein die detaillierte Revierkenntnis gehabt habe, die zum Erkennen der "Schwelle" bei
Rheinkilometer 538 und der daraus resultierenden Gefahr für den Schubverband
erforderlich sei. Der Beklagte zu 2) habe für die Reduzierung der Geschwindigkeit
sorgen müssen und nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Schiffsführer J. von SL "E.
xx" die Geschwindigkeit des Koppelverbandes reduzieren würde. Dem Schiffsführer J.
sei das Phänomen der "Schwelle" nicht bekannt gewesen. Er komme von der Donau
und habe erst relativ spät Rheinreisen durchgeführt; es sei seine zweite Rheinreise auf
einem Schubverband der Größe des havarierten Verbandes gewesen.
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Die Klägerin trägt ferner vor, der Beklagte zu 2) sei völlig übernächtigt und übermüdet
gewesen, was einer Fahrzeitüberschreitung gleichkomme. Im Übrigen sei das
Vorspannboot in Unterbesatzung gefahren.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Grundurteils die Beklagten als
Gesamtschuldner zur Zahlung von 178.488,86 EUR nebst 5 % Zinsen seit dem
16.11.2001, die Beklagte zu 1) zusätzlich dinglich mit dem am 16.11.2001
entstandenen Schiffsgläubigerrecht an SP "P." haftend, zu verurteilen,
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festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, für alle aus der Havarie
entstandenen Schäden auf Seiten des Schiffseigners von SL "E. xx" aufzukommen,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Sie wiederholen ihre Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen B.
und rügen die Verletzung rechtlichen Gehörs im Hinblick auf die Einholung eines
Obergutachtens, ohne die das Rheinschifffahrtsgericht dem Gutachten des
Sachverständigen B. nicht habe folgen dürfen, weil der Sachverständige K. die Ursache
für die Wasseraufnahme und das Versinken des SL "E. xx" in der mangelhaften
Ausstattung des Schubverbandes gesehen habe. Sie sind der Ansicht, nicht der
Beklagte zu 2), sondern der Koppelverband sei für die gefahrene Geschwindigkeit
verantwortlich.
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Wegen des Berufungsvorbringens im Einzelnen wird auf die von den Parteien
eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Sachverständigen K.
und B. haben ihre schriftlichen Gutachten vor dem Senat erläutert. Insoweit wird auf das
Sitzungsprotokoll vom 11.11.2005 (Bl. 415 ff. d.A.) verwiesen.
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Die Verklarungsakte 4 II 2/01 BSch AG St. Goar sowie die Strafakte
18
2040 Js 59758/01 StA Koblenz waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
19
II.
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Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, in der Sache hat nur das Rechtsmittel der
Beklagten Erfolg.
21
Die Klage ist nicht begründet. Die Beklagten haften weder aus dem Gesichtspunkt der
positiven Vertragsverletzung noch nach §§ 823 BGB, 3, 4 Binnenschifffahrtsgesetz in
Verbindung mit §§ 92 Abs. 2, 92 b, 92 c, 92 e Binnenschifffahrtsgesetz für den durch das
Versinken des SL "E. xx" entstandenen Schaden.
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Das Versinken des Schiffes beruht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auf
einem Verschulden des Beklagten zu 2) als Schiffsführer des Vorspannbootes.
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Ihren Vortrag in der Klageschrift, der Beklagte zu 2) habe den Kopf des Schubverbandes
nicht ordnungsgemäß freigefahren, vielmehr sei er so gefahren, dass der starke Strahl
der Düse des Vorspannbootes unmittelbar auf den Kopf des Schubverbandes
aufgetroffen sei, dass Wasser schwallweise über das Vordeck gelaufen und in den
Laderaum des SL "E. xx" eingedrungen sei, hat die Klägerin nicht aufrecht erhalten,
nachdem der Sachverständige B. in seinem schriftlichen Gutachten vom 21.10.2003
eine falsche Kursführung des Beklagten zu 2) vor dem Unfall auf der Grundlage der
Aussage des Schiffsführers J. vom Schleppverband "E. x" und "E. xx" ausgeschlossen
hat (vgl. Seite 18 des Gutachtens).
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Nach dem Ergebnis der Gutachten der Sachverständigen B. und K. sowie der
Erläuterung der Gutachten durch beide Sachverständigen in der mündlichen
Verhandlung vom 11.11.2005 geht der Senat davon aus, dass Unfallursache eine den
gesamten Gegebenheiten nicht angepasste Geschwindigkeit war.
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Wenngleich die beiden Sachverständigen zu den physikalischen Abläufen vor dem
Absinken im Einzelnen unterschiedliche Thesen vertreten haben, bestand doch
Einigkeit, dass die Geschwindigkeit beim Übergang aus einem Bereich mit einer
Wassertiefe von 4,18 Metern (Rheinkilometer 538, 6) in einen Bereich mit einer
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Wassertiefe von 3,66 Meter und minimal 3,44 Meter am Havarieort (Rheinkilometer 538)
angesichts der Umstände (Schiffsaufbauten, Schiffskörper, Tiefgang - gemittelt 2,42
Meter -, maximale Abladung, Dunkelheit, die verhinderte, dass der Schiffsführer J. eine
Änderung des Wellenbildes frühzeitig erkannte, um die Wellenleistung reduzieren zu
können) zu hoch war. Die Geschwindigkeit über Grund lag bei 7,86 km/h, wobei das
Vorspannboot eine Geschwindigkeitssteigerung um ca. 1,2 km/h bewirkte. Das
Einfahren mit dieser Geschwindigkeit in den Bereich mit niedrigerer Wassertiefe hat
jedenfalls zu einem Anwachsen der Bugwellen und einer Absenkung des Schiffskörpers
geführt, die schließlich so stark war, dass Wasser über den Laderaum ins Schiff
gelangen konnte und dieses zu Grund sank. Nach den Berechnungen des
Sachverständigen B. wäre das Schiff bei einer konstanten Wassertiefe von 4,18 Metern
nicht gesunken. Der Sachverständige sieht die Ursache für das Absinken in der
Geschwindigkeitsdifferenz bei Auftreten der geringeren Wassertiefe, die nach seinem
Propulsionsdiagramm 1,6 km/h beträgt. Zu Gunsten der Klägerin kann unterstellt
werden, dass Konstruktion, Höhe und Ausführung der Schwanenhälse auf dem SL "E.
xx" den Vorschriften der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung entsprachen und dass der
Leichter in noch zulässiger
Weise abgeladen war.
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Auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen B., dessen Ausführungen
allein sich die Klägerin zu eigen macht, kann ein nautisches Verschulden beim
Vorspannboot nicht festgestellt werden.
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Die Pflichtverteilung zwischen Vorspannboot und Schleppzug ist nicht ausdrücklich in
der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung geregelt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (vgl. Versicherungsrecht 1958, 760 f.), der sich der Senat
anschließt, liegt die Oberleitung beim Schleppzug und nicht bei dem nur zeitweilig
mitfahrenden Vorspannboot. Die Vorspannboote sind zwar verpflichtet, auf Gefahren der
Fahrt aufmerksam zu machen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Hauptboot
die Gefahr nicht erkennt. Der Oberbefehl des Hauptbootes wird aber hierdurch nicht in
Frage gestellt. Wenn das Hauptboot mit der rein tatsächlichen Kursbestimmung des
vorfahrenden Vorspannbootes nicht einverstanden ist, kann es eine abweichende
Weisung erteilen, der das Vorspannboot regelmäßig Folge zu leisten hat. Das
Unterlassen einer Weisung des Hauptbootes hinsichtlich des eingeschlagenen Kurses
spricht nicht für die Befehlsgewalt des Vorspannbootes, sondern beweist nur, dass das
Hauptboot mit den Maßnahmen des Vorspannbootes einverstanden ist und sie billigt.
Auch der Umstand, dass ein Vorspannboot u.U. deutlich stärker sein kann als das
Hauptboot, vermag die Befehlsgewalt des Hauptbootes nicht in Frage zu stellen. Der
Führer des Vorspannbootes hat die Anordnungen des Schleppzugführers grundsätzlich
zu befolgen. Aber auch die Schiffsführung des Vorspannbootes ist dem Gesetzesbefehl
und dem Schifffahrtsbrauch unterworfen (§ 7 Binnenschifffahrtsgesetz) und darf dem
entgegenstehende Weisungen des Schleppzugführers nicht befolgen.
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Hiernach hatte der Schiffsführer des Schleppverbandes die jeweils angemessene
Geschwindigkeit vorzugeben und musste prüfen, ob die von dem Vorspannboot
tatsächlich vorgegebene Geschwindigkeit angemessen war. Dabei musste er die
Beladung seines Schleppverbandes, eine mögliche Anströmung des Propellerstrahles
des Vorbootes und die Wassertiefe berücksichtigen. Da er bei Nacht mit Radar fuhr,
musste er auch berücksichtigen, dass eine mögliche Änderung des Wellenbildes nicht
frühzeitig erkennbar war, um die Wellenleistung zu reduzieren, und daher von
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vornherein langsamer fahren als bei Tag und klarer Sicht. Auch wenn entsprechend
dem Klagevortrag die Maschine des Schubverbandes nur mit halber Kraft fuhr (638 KW),
das Vorspannboot hingegen mit voller Kraft (594 KW), hatte er die Verantwortung für die
letztlich gefahrene Geschwindigkeit und hätte das Vorspannboot zu einer
entsprechenden Reduzierung auffordern müssen. Das ist unstreitig nicht geschehen,
offenbar weil sich Schiffsführer J. voll auf das Vorspannboot verlassen hat. Die Klägerin
kann sich aber nicht mit Erfolg darauf berufen, dass Schiffsführer J. als Inhaber des
Rheinschifferpatents nicht ebenso gute Ortskenntnisse hatte wie der Beklagte zu 2) und
nicht reviererfahren war. Wenn das zutrifft, durfte er erst Recht nicht bei voller Abladung
und Dunkelheit eine Geschwindigkeit wie die tatsächlich gefahrene zulassen.
Demgegenüber ist dem Beklagten zu 2) kein schuldhaftes Verhalten anzulasten. Die
besondere Sachkunde und Revierkenntnis des Beklagten zu 2) begründeten allein noch
nicht die Pflicht, beim Erreichen des Fahrwasserbereichs mit geringerer Wassertiefe die
Leistung seiner Maschine zu reduzieren. Der Beklagte zu 2) durfte in Ermangelung
anderer Anhaltspunkte davon ausgehen, dass auch dem Schiffsführer J. die Örtlichkeit
hinreichend bekannt war. Daher genügte er seinen Pflichten, indem er -
unwidersprochen - vor Fahrtbeginn nachfragte, ob alles dicht und von der Klüse her
alles in Ordnung sei. Als ihm dies bestätigt und darüber hinaus gesagt wurde, der
Schubverband sei schon des öfteren verschleppt worden, durfte er ohne weitere
Überprüfung des Schubverbandes (Schiffsaufbauten, Schiffskörper, Tiefgang,
Abladung) darauf vertrauen, dass der Schiffsführer J. ihn zu einer Reduzierung der
Geschwindigkeit anweisen würde, falls die Situation des Schubverbandes dies
erfordern würde. Wenn Schiffsführer Janko erst seine zweite Fahrt mit dem
Koppelverband machte und nur relativ selten den Rhein befuhr, so war es seine Sache,
den Beklagten zu 2), der hiervon keine Kenntnis haben konnte, darauf hinzuweisen. Der
Beklagte zu 2) hatte keine Anhaltspunkte dafür, dass Schiffsführer J. die mit dem
Einfahren in den Bereich mit niedrigerer Wassertiefe verbundene Gefahr nicht kannte
oder dass der von Schiffsführer J. mit dem Einsatz des Vorspannbootes angestrebte
Geschwindigkeitsgewinn von ca. 1 km/h absolut und unter allen Umständen zu hoch
war.
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Schließlich ist dem Beklagten zu 2) nicht anzulasten, dass er nicht frühzeitig die Gefahr
für den Leichter erkannt und hierauf reagiert hat. Denn es ist nicht ersichtlich und wird
auch von der Klägerin nicht behauptet, dass er vom Vorspannboot aus gesehen hat,
dass der Leichter schon vor Eintritt in den Bereich mit geringerer Wassertiefe
ungewöhnlich hoch angeströmt wurde.
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Soweit die Klägerin geltend macht, der Beklagte zu 2) sei völlig übernächtigt und
übermüdet gewesen, ferner sei das Vorspannboot in Unterbesatzung gefahren, waren
diese Umstände - ihre Richtigkeit unterstellt - nicht kausal für das Unfallereignis, da der
Beklagte zu 2) seine Pflichten zur Gefahrenabwehr nicht verletzt hat.
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Auf die Berufung der Beklagten war daher die Klage abzuweisen, während die Berufung
der Klägerin zurückzuweisen war.
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Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des §
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543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Berufungsstreitwert: 178.488,86 EUR für den Zahlungsantrag + 10.000,00 EUR
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für den Feststellungsantrag
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