Urteil des OLG Köln vom 04.07.2001
OLG Köln: fristlose kündigung, inkasso, versicherung, leichtfertiges verhalten, abmahnung, unternehmensgruppe, ruf, sicherheitsleistung, abgabe, zwangsvollstreckung
Oberlandesgericht Köln, 19 U 16/01
Datum:
04.07.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 16/01
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 85 O 171/00
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 12.12.2000 verkündete Urteil
des Landgerichts Köln - 85 O 171/00 - wird zurückgewiesen. Die Kosten
des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt. Das Urteil ist
vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1
Die Beklagte ist die Vertriebsorganisation der "D. Unternehmensgruppe", die unter
mehreren Firmen, darunter auch der Dr. D. Inkasso GmbH, Inkasso Dienstleistungen
anbietet und Auskunfteien betreibt.
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Der Kläger war für die Beklagte auf der Grundlage des Handelsvertretervertrages vom
01.01./02.01.1998 als Untervertreter tätig. Die Beklagte kündigte das Vertragsverhältnis
mit Schreiben vom 30.11.1999 fristgerecht zum 30.06.2000, mit Schreiben vom
27.01.2000 fristlos.
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Die Beklagte hat die fristlose Kündigung auf eine vom Kläger in dem einstweiligen
Verfügungsverfahren 22 O 579/99 LG Köln abgegebene eidesstattliche Versicherung
vom 18.01.2000 gestützt. In jenem Verfahren hatte die Dr. D. Inkasso GmbH den
erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers, den sie mit der Bearbeitung
von Inkassoangelegenheiten beauftragt hatte, auf die Herausgabe von Handakten in
Anspruch genommen, die dieser in großer Stückzahl - rd. 100.000 Stück - in einer
nächtlichen Aktion am 15./16.12.1999 aus seiner Kanzlei im Gebäude der D.
Unternehmensgruppe entfernt hatte. Während die Antragstellerin den Antrag auf ein
Auftragsverhältnis zum Antragsgegner gestützt hatte, hatte dieser behauptet, nicht von
der Antragstellerin, sondern von der Firma D.T.M. direkt mandatiert worden zu sein, was
die Antragstellerin im Ergebnis erfolgreich durch Vorlage eines zwischen ihr und D.T.M.
geschlossenen Inkassovertrages vom 08.03.1995 entkräften konnte. Mit diesem Vertrag
vom 08.03.1995 beschäftigte sich die vom Kläger zugunsten seines erstinstanzlichen
Prozessbevollmächtigten abgegebene eidesstattliche Versicherung vom 18.01.2000, in
welcher der Kläger erklärte, der vorgelegte Vertrag erscheine ihm nicht authentisch; er
habe ihn, obwohl seit Januar 1996 für die D. Unternehmensgruppe tätig, nie zuvor
gesehen; der Vertrag habe sich nie in der D.T.M.-Kundenakte befunden; er wisse, dass
zwischen D.T.M. und der Dr. D. Inkasso GmbH kein Inkassovertrag geschlossen worden
sei und müsse davon ausgehen, dass der vorgelegte Vertrag zurückdatiert worden sei.
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Nachdem der Kläger zunächst beantragt hat, festzustellen, dass die von der Beklagten
am 27.01.2000 ausgesprochene fristlose Kündigung nichtig sei, da die Ausführungen in
seiner eidesstattlichen Versicherung der Wahrheit entsprochen hätten und aufgrund
einer übergeordneten Offenbarungspflicht die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung
gerechtfertigt gewesen sei, hat er beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen,
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1.)an den Kläger 36.830,-- DM nebst 5 % Zinsen seit dem 01.07.2000 zu zahlen;
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2.)für den Zeitraum vom 27.01.200 bis zum 30.06.2000 gegenüber dem Kläger die
Provision aus eigenem Geschäft und Mitarbeitergeschäft abzurechnen;
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3.)dem Kläger für den Zeitraum vom 27.01.2000 bis zum 30.06.2000 sämtliche zur
Nachprüfung der Provisionen erforderlichen Buchauszüge zur Verfügung zu stellen;
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4.)gegenüber dem Kläger Mitteilung über sämtliche Umstände zu machen, welche für
die Berechung des Provisionsanspruches wesentlich sind;
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5.)durch ihren Geschäftsführer an Eides statt zu versichern, dass die vorgelegten
Buchauszüge richtig und vollständig sind;
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6.) an den Kläger die nach der Abrechnung sich ergebenden Beträge nebst 5% Zinsen
seit dem 15. des jeweils dem Abrechnungszeitraum folgenden Monats zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Ansicht vertreten, durch den Vorwurf einer strafbaren Handlung gegenüber
ihrem Hauptkunden, die nicht vorgelegen habe, und durch das Parteiergreifen des
Klägers zugunsten seines erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten in der
Auseinandersetzung mit der Dr. D. Inkasso GmbH habe der Kläger seine
Interessenwahrungs- und Schweigepflicht schwerwiegend verletzt und damit das
Vertrauensverhältnis derart nachhaltig zerstört, dass ihr ein Festhalten an dem
Handelsvertretervertrag bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht
zuzumuten gewesen sei. Wegen des Verhaltens des Klägers habe die D.
Unternehmensgruppe zudem mit der Kündigung des Vertriebsvertrages gedroht.
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Durch Urteil vom 12.12.2000, auf dessen Inhalt wegen sämtlicher Einzelheiten Bezug
genommen wird, hat das Landgericht die Zahlungsklage und die Stufenklage insgesamt
mit der Begründung abgewiesen, dem Kläger stünden weder Ansprüche auf Zahlung
des Fixums noch auf Zahlung von Provisionen für die Zeit vom 27.01.2000 bis
30.06.2000 zu, da die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen sei.
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Gegen dieses ihm am 15.12.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 15.01.2001
bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, die er nach Verlängerung
der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.03.2001 mit am 22.02.2001 bei Gericht
eingegangenem Schriftsatz begründet hat.
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Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und vertritt die Ansicht, ebenso
wie ein Arbeitnehmer sei er als Handelsvertreter berechtigt, sich zu einem eventuell
gesetzwidrigen Verhalten des Unternehmers zu äußern. Zudem habe das Landgericht
über den Wahrheitsgehalt der eidesstattlichen Versicherung Beweis erheben müssen.
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Der Kläger beantragt,
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1.)unter Abänderung des Urteils der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Köln vom 12.12.2000 (Aktenzeichen: 85 O 171/00) nach den erstinstanzlichen Anträgen
des Klägers zu erkennen;
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2.)hilfsweise dem Kläger nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung abzuwenden, die auch in Form der selbstschuldnerischen
Bürgschaft einer deutschen Großbank und/oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse
erbracht werden kann.
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Die Beklagte beantragt,
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1.)die Berufung zurückzuweisen,
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2.)der Berufungsbeklagten wird hilfsweise die Befugnis eingeräumt, gegen
Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung abzuwenden und ihr nachzulassen, eine
nach § 711 ZPO zu erbringende Sicherheitsleistung durch selbstschuldnerische und
unwiderrufliche Bankbürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen
Sparkasse zu leisten,
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und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend trägt sie vor,
dass der Kläger leichtfertig und verantwortungslos gehandelt habe, da er, statt sich bei
der Beklagten oder der Dr. D. Inkasso GmbH nach der Existenz des Inkassovertrages zu
erkundigen, den Vorwurf einer strafbaren Handlung erhoben habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst allen
Anlagen ergänzend bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die form- und fristgerechte eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung des
Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Ebenso wie das Landgericht, auf dessen
zutreffende Ausführungen in den Entscheidungsgründen der Senat zur Vermeidung von
Wiederholungen voll inhaltlich Bezug nimmt, ist der Senat der Ansicht, dass der Kläger
durch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung seine Pflichten aus § 86 Abs. 1
HGB und § 2 Abs. 1 und Abs. 4 des Handelsvertretervertrages (Bl. 6 ff d.A.) derart
schwerwiegend verletzt hat, dass die Beklagte berechtigt war, das Vertragsverhältnis mit
ihm ohne vorherige Abmahnung fristlos zu kündigen.
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Entgegen der Ansicht des Klägers bedarf es in diesem Zusammenhang keiner
Beweisaufnahme darüber, ob der Inkassovertrag zwischen D.T.M. und B. Köln bzw.
nunmehr Dr. D. Inkasso GmbH bereits am 08.03.1995 so, wie vorgelegt, geschlossen
worden ist oder nicht (wobei aufgrund der vorgelegten Unterlagen allerdings nichts für
eine Rückdatierung spricht). Die fristlose Kündigung ist deshalb gerechtfertigt, weil der
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Kläger hier ohne jeden rechtfertigenden Grund und damit leichtfertig Behauptungen
über ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Hauptkunden der Beklagten aufgestellt
hat, wobei er, wie er selbst einräumt, jedenfalls im Zeitpunkt der Abgabe der
eidesstattlichen Versicherung keinen Beweis dafür hatte, dass der Vertrag nicht
tatsächlich existierte; er hat dies vielmehr lediglich vermutet. Auch wenn man, wie das
Landgericht, angesichts der Formulierungen in der eidesstattlichen Versicherung hier
von einer Meinungsäußerung des Klägers und nicht von einer Tatsachenbehauptung
auszugehen haben wird ( die mehrfach wiederholte Behauptung, es gebe keinen
Inkassovertrag, wird man nach dem Gesamtzusammenhang dahin verstehen müssen,
es gebe keinen Inkassovertrag mit dem Inhalt, wie der vom 08.03.1995), so hat der
Kläger in der eidesstattlichen Versicherung seine Meinungsäußerung jedoch als
Schlussfolgerung aus Tatsachen dargestellt, und damit zumindest den Verdacht einer
strafbaren Handlung nachhaltig geäußert. Im Hinblick darauf, dass den Kläger die
Auseinandersetzungen zwischen seinem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten
und der Dr. D. Inkasso GmbH persönlich überhaupt nichts angingen, hätte er, wenn er
sich schon als der rechtschaffene Bürger, als den er sich darstellen will, zu einem
Einmischen in diesen Prozess verpflichtet sah, vorher mit der Beklagten Rücksprache
nehmen müssen, bzw. die Frage der Existenz dieses Vertrages mit dem Kunden der
Beklagten, der Dr. D. Inkasso GmbH, erörtern müssen. Sicherlich wird man ebenso wie
in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung die Loyalitätspflicht des Handelsvertreters
aus § 86 HGB nicht so weit ausdehnen müssen, dass es ihm untersagt wäre, ein
tatsächlich feststehendes strafbares Verhalten seines Geschäftsherrn und evtl. eben
auch eines Kunden zu offenbaren. Wenn aber, wie hier, und worauf der Kläger gerade
in der Berufungsbegründung erneut abstellt, der Kläger damals nur den Verdacht hatte,
dass eine Rückdatierung des Vertrages vorlag, weil ihm ein solcher Vertrag nicht
bekannt war, so ist dieser Tatsachenhintergrund zu dürftig für einen derart erheblichen
Vorwurf und rechtfertigt unter keinen Umständen, sich ohne Not auf Seiten des Gegners
des Kunden des Geschäftsherrn in einen Prozess von nicht unerheblicher rechtlicher
und geschäftlicher Tragweite einzumischen, wie dies der Kläger hier getan hat. Ganz
abgesehen davon stellt allein schon die Beantwortung der Frage des erstinstanzlichen
Prozessbevollmächtigten, ob ein Inkassovertrag existiere, angesichts der
Prozesssituation einen schwerwiegenden Verstoß des Klägers gegen seine vertragliche
Verschwiegenheitsverpflichtung dar, so dass auch dies in die Bewertung, ob die
außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist, mit einzubeziehen war.
Von ganz erheblichem Gewicht ist bei der Bewertung des Verhaltens des Klägers
schließlich auch, dass er in der Auskunft- und Inkassobranche tätig war, die, wie
gerichtsbekannt, in der Öffentlichkeit ohnehin häufig im Ruf der Unseriosität steht, und
die von daher seit Jahren versucht, diesem Ruf entgegen zu wirken und jedenfalls alles
zu vermeiden, diesen Ruf noch zu verfestigen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund war
der Beklagten die weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger, der durch ein
unverständlich leichtfertiges Verhalten nicht nur den Hauptkunden der Beklagten,
sondern letztlich - angesichts der Außenwirkungen des Prozesses zwischen dem
erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Dr. D. Inkasso GmbH -
auch die Inkassobranche und damit das eigentliche Geschäftsfeld - auch - der
Beklagten selbst in Verruf gebracht hat, unzumutbar.
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Angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen des Klägers und der nachhaltigen
Zerstörung des Vertrauensverhältnisses bedurfte es vor Ausspruch der
außerordentlichen Kündigung keiner vorherigen Abmahnung seitens der Beklagten.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob man der Ansicht folgt, dass im Bereich der Störung
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des Vertrauensverhältnisses (im Gegensatz zu Störungen im Bereich des
Leistungsverhältnisses) eine vorherige Abmahnung grundsätzlich nicht erforderlich ist
(Hopt, Handelsvertreterrecht, 2. Auflage, § 89 a Rn. 10; v Hoyningen/Huene, in:
MünchKomm-HGB, § 89 a, Rn. 29), oder ob man bei Störungen im Vertrauensbereich
eine Abmahnung nur dann nicht für erforderlich hält, wenn die Störung so gravierend ist,
dass eine Billigung des Verhaltens offensichtlich ausgeschlossen bzw. die
Vertrauensbasis so erschüttert ist, dass sie auch durch eine Abmahnung nicht wieder
hergestellt werden kann (BGH NJW 1992, 1416; DB 1981, 987, Küstner-Thume,
Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 1, 3. Auflage, Rn. 1750; Westphal,
Vertriebsrecht, Band 1, Handelsvertreterrecht, Rn. 1997). Denn auch die letztgenannten
Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Tatsache, dass der Kläger während des
Laufs der ordentlichen Kündigungsfrist einen derartig schwerwiegenden
Pflichtenverstoß leichtfertig begangen hat, berechtigte die Beklagte zur sofortigen
Kündigung, weil sie sich auf seine Loyalität in der restlichen Vertragslaufzeit nicht mehr
verlassen konnte.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Streitwert für den Rechtsstreit erster und zweiter Instanz und zugleich Wert der
Beschwer für den Kläger: 56.830,-- DM.
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Der Wert der Stufenklage richtet sich nach dem Wert der zu erwartenden
Provisionszahlungen des Klägers für die Zeit vom 28.01. bis 30.06.2000. Angaben
hierzu hat der Kläger trotz Aufforderung nicht gemacht. Da nicht vorgetragen und auch
sonst nicht ersichtlich ist, dass der Kläger in dieser Zeit wieder gesund genug gewesen
wäre, um Eigengeschäfte zu tätigen, unstreitig das Auskunftsgeschäft seit 01/00
keinerlei Provisionen mehr erbrachte und der Kläger im Verfahren 19 U 99/01 OLG Köln
(dort Bl. 60) vorgetragen hat, nahezu alle von ihm vermittelten Kunden hätten die
Verträge mit der Dr. D. Unternehmensgruppe gekündigt, schätzt der Senat die
möglicherweise zu erwartenden Provisionen in der restlichen Vertragslaufzeit auf
20.000,-- DM. Auch die Beklagte hat angesichts des Hinweises des Senats in der
mündlichen Verhandlung ihren Antrag auf Heraufsetzung des Streitwertes
zurückgenommen. Mithin war der Streitwert einheitlich für beide Instanzen (§ 25 Abs. 1
GKG), wie geschehen, festzusetzen.
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