Urteil des OLG Köln vom 25.01.2002

OLG Köln: wiedereinsetzung in den vorigen stand, wahrung der frist, leichte fahrlässigkeit, zustellung, fahrverbot, höchstgeschwindigkeit, innerorts, fahrbahn, ordnungswidrigkeit, subjektiv

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 16/02 (B) - 10 B -
25.01.2002
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 16/02 (B) - 10 B -
I.
Dem Betroffenen wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung
der Rechtsbeschwerde auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den
vorigen
Stand gewährt.
II.
Der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts Köln vom 19. November
2001
ist damit gegenstandslos.
III.
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über
die
Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Köln
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen
Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 200,00 DM und zu einem
Fahrverbot von der Dauer eines Monats verurteilt. Nach den Feststellungen des
Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 31.10.2000 um 18.25 Uhr mit einem PKW in K. die
B.straße stadtauswärts mit einer Geschwindigkeit von 82 km/h, obwohl die zulässige
Höchstgeschwindigkeit auf der innerorts gelegenen Straße nur 50 km/h betrug. Der
Betroffene hat sich eingelassen, er habe das Tempo-50-Schild nicht gesehen; vor dem
Tatort sei eine Strecke lang 70 km/h erlaubt und er habe nicht bemerkt, dass die 70 km/h-
Zone an der B.straße zu Ende gewesen sei.
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Das Amtsgericht hat unter anderem ausgeführt:
"Soweit der Betroffene erklärt hat, er habe die Tempo-50-Schilder nicht gesehen, beruht
dies nach Auffassung des Gerichts auf Unaufmerksamkeit, da zwei Schilder rechts und
links der Fahrbahn deutlich aufgestellt sind, wie der Zeuge bekundet hat."
Durch Schriftsatz seines bevollmächtigten Verteidigers hat der Betroffene rechtzeitig
Rechtsbeschwerde eingelegt. Das Urteil ist dem Betroffenen persönlich am 23.08.2001
zugestellt worden. Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 05.10.2001 - am gleichen Tag beim
Amtsgericht eingegangen - ist die Rechtsbeschwerde begründet und beantragt worden,
das Fahrverbot unter Erhöhung der Geldbuße aufzuheben. Durch Beschluss vom
19.11.2001 hat das Amtsgericht "den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der
Rechtsbeschwerde" als unzulässig verworfen, da die Rechtsbeschwerde nicht rechtzeitig
begründet worden sei. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Antrag des Betroffenen auf
Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, mit dem vorsorglich Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand beantragt wird. Zur Begründung wird vorgetragen, der Verteidiger habe
das angefochtene Urteil am 05.09.2001 formlos erhalten; deshalb sei die
Rechtsbeschwerdebegründung rechtzeitig erfolgt.
Das Amtsgericht hat zutreffend die Rechtsbeschwerdebegründung als verspätet
angesehen.
Der Betroffene hat die Monatsfrist gemäß § 345 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG
versäumt. Sie begann mit der Zustellung des angefochtenen Urteils am 23.08.2001 und
endete am Montag, den 24.09.2001, wurde also durch den am 05.10.2001 bei Gericht
eingegangenen Schriftsatz nicht gewahrt. Die Zustellung an den Betroffenen war wirksam.
Die Bestimmung des § 145 a Abs. 1 StPO, wonach Zustellungen an den gewählten
Verteidiger vorgenommen werden können, begründet keine Rechtspflicht, Zustellungen für
den Betroffenen an den Verteidiger zu bewirken. Zustellungen an den Betroffenen selbst
sind vielmehr wirksam und setzen die Rechtsmittelfristen in Lauf (BayObLG NStZ-RR 2000,
110; SenE v. 29.10.2001 - Ss 437/01 (Z).
Dem Betroffenen ist jedoch gegen die Versäumung der
Rechtsbeschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
da die Fristversäumung nicht durch ihn verschuldet worden ist. Der aus den Akten
ersichtliche Verfahrensablauf lässt erkennen, dass der Betroffene das seinerseits
Erforderliche veranlasst hat, um nicht nur die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels
gegen das Urteil vom 02. Juli 2001, sondern auch dessen prozessordnungsgemäße
Begründung in die Wege zu leiten, indem er nämlich seinen Verteidiger mit der
Durchführung des Rechtsmittels beauftragte. Demgemäß hat der Verteidiger hier zunächst
die Rechtsbeschwerde eingelegt und danach - ohne weiteres Zutun des Betroffenen - auch
die Rechtsmittelbegründung gefertigt. Grundsätzlich kann der Betroffene, der seinen
Verteidiger mit der Durchführung eines Rechtsmittels beauftragt hat, davon ausgehen, dass
dieser den Auftrag vollständig und ordnungsgemäß erledigt (SenE VRS 100, 186 und
SenE v. 29.10.2001 - Ss 437/01 Z). Versäumt der mit der Durchführung des Rechtsmittels
beauftragte Verteidiger die Rechtsmittelbegründungsfrist, weil er ohne weiteres davon
ausgeht, das Urteil sei dem Angeklagten an dem selben Tag zugestellt worden, an dem er
unter formloser Übersendung einer Urteilsabschrift von der Zustellung unterrichtet wurde,
liegt grundsätzlich kein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Mitverschulden des
Betroffenen darin, dass er den Verteidiger nicht vom Zeitpunkt der Zustellung des Urteils an
sich in Kenntnis gesetzt und von sich auch sonst nichts unternommen hat, um auf die
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Wahrung der Frist hinzuwirken (BayObLG NZV 2000, 380 = VRS 98, 195; SenE v.
29.10.2001 - Ss 437/01).
Infolge der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der
Rechtsbeschwerdebegründungsfrist ist der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts vom
19.11.2001 gegenstandslos (vgl. SenE v. 15.09.2000 - Ss 370/00; Kuckein in KK StPO, 4.
Aufl., § 346 Rdn. 29 m.w.N.; Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 346 Rdn. 38).
Die nach Wiedereinsetzung gegen die Fristversäumung zulässige Rechtsbeschwerde, mit
der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird, führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam,
da der Schuldumfang der Verkehrsordnungswidrigkeit nicht hinreichend klar festgestellt ist.
Eine wirksame Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch setzt
voraus, dass in der angefochtenen Entscheidung hinreichende Feststellungen für die vom
Rechtsbeschwerdegericht zu treffende Entscheidung über die Rechtsfolgen getroffen sind
(SenE v. 5.3.1993 - Ss 41/93 B; Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 79 Rdnr. 32 m.w.N.; Steindorf in
KK-OWiG, 2. Aufl, § 79 Rdnr. 143). Für die Rechtsbeschwerde gelten nach § 79 Abs. 3
OWiG die Vorschriften der StPO über die Revision. Für die Revisionsbeschränkung gelten
die gleichen Grundsätze wie für die Berufungsbeschränkung i.S. des § 318 StPO (vgl.
SenE v. 10.4.2001 - Ss 136/01; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 344 Rdnr. 7).
Eine Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch ist ebenso wie eine
solche Beschränkung der Berufung unwirksam, wenn die Feststellungen zur Tat so knapp,
unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für
den Rechtsfolgenausspruch sind (SenE v. 13.8.1996 - Ss 393/96; zu § 318 StPO vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 318 Rdnr. 16 m.w.N.). Diese Grundsätze
gelten auch für die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch.
Geht es um die Verhängung eines Regelfahrverbots nach § 2 BKatV, so geben die
Feststellungen zur Tat nur dann eine Grundlage für die zu treffende Entscheidung über die
Rechtsfolge, wenn erkennbar ist, ob dem Betroffenen grob pflichtwidriges Verhalten
vorzuwerfen ist oder ob ihm nur einfache Fahrlässigkeit zur Last fällt. Seit der BGH-
Entscheidung vom 11.09.1997 - 4 StR 638/96 (= DAR 1997, 450 = NJW 1997, 3252 = NZV
1997, 525 = VRS 94, 221) ist anerkannt, dass ein Fahrverbot wegen grober Verletzung der
Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nicht in Betracht kommt, wenn die Ordnungswidrigkeit
darauf beruht, dass der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit
begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat und ihm sich diese
Geschwindigkeitsbeschränkung auch nicht aufdrängen musste (SenE VRS 97, 375; SenE
v. 21.03.2000 - Ss 50/00). Folglich muss den Feststellungen zur Schuldfrage insbesondere
zu entnehmen sein, ob ein vom Betroffenen geltend gemachtes sogenanntes
Augenblicksversagen ausgeschlossen ist. Die Frage der subjektiv besonderen
Verantwortungslosigkeit des Täters, die Voraussetzung für die Anordnung eines
Fahrverbotes ist (vgl. BGH a.a.O.), hängt mit dem Schuldspruch untrennbar zusammen
(SenE VRS 101, 218). Sie kann daher nicht losgelöst von den Schuldfeststellungen
beantwortet werden.
Da im vorliegenden Fall dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden kann, ob das
Amtsgericht von einem grob pflichtwidrigem Verhalten oder nur einfacher Fahrlässigkeit
ausgegangen ist, ist die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den
Rechtsfolgenausspruch unwirksam. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen erfasst folglich
auch den Schuldspruch.
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Die somit unbeschränkte Rechtsbeschwerde ist auch begründet, da das angefochtene
Urteil materiell-rechtlich unvollständig ist. Wie zur Frage der Rechtsmittelbeschränkung
schon ausgeführt, enthält das Urteil keine sichere Tatsachengrundlage für die
Rechtsfolgenentscheidung. Es bleibt unklar, ob das Amtsgericht dem Betroffenen eine
grobe Pflichtwidrigkeit oder nur einfache Fahrlässigkeit vorwirft. Nähere Darlegungen
hierzu drängten sich aber auf, da der Betroffene sich darauf berufen hat, er habe das
Verkehrszeichen, das die zunächst erlaubte Geschwindigkeit von 70 km/h wieder auf die
innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h beschränkt habe, übersehen. Der
Betroffene machte damit ein Augenblicksversagen geltend. Wenn das Amtsgericht hierzu
ausführt, das Übersehen der beiden rechts und links der Fahrbahn aufgestellten
Verkehrszeichen beruhe auf Unaufmerksamkeit, so wird damit nur eine leichte
Fahrlässigkeit begründet. Es fehlt aber die Darlegung, dass die Fehlleistung, die in dem
Übersehen der Verkehrszeichen besteht, ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder
Gleichgültigkeit beruht (vg. BGH a.a.O.). Insbesondere kann dem Urteil nicht entnommen
werden, dass wegen der Art der Bebauung oder der Straßenführung sich eine Reduzierung
der vorher zulässigen Höchstgeschwindigkeit aufdrängte (vgl. SenE v. 26.01.2000 - Ss
627/99).