Urteil des OLG Köln vom 30.05.1997
OLG Köln (fahrbahn, zeichen, akten, fahrzeugverkehr, original, begründung, aufhebung, auflage, verteidiger, gegenverkehr)
Oberlandesgericht Köln, Ss 136/97 (Z) - 93 Z -
Datum:
30.05.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 136/97 (Z) - 93 Z -
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Unter Aufhebung des
angefochtenen Urteils wird der Betroffene freigesprochen. Die Kosten
des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen
Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
G r ü n d e:
1
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlich unerlaubten Parkens (§§ 12
Abs. 4 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO i. V. m. § 24 StVG) zu einer Geldbuße von 30,00
DM verurteilt. Es hat festgestellt:
2
"Am 26.06.1996 in der Zeit zwischen 10.41 Uhr und 10.45 Uhr parkte der Betroffene in
der O.-Straße in A. den PKW ... in Fahrtrichtung links. Die O.-Straße, in der der
Betroffenen auch wohnt, ist durch Verkehrszeichen 325/326 als verkehrsberuhigter
Bereich ausgewiesen. Das Befahren der O.-Straße ist in beiden Richtungen erlaubt.
Schienen sind nicht verlegt."
3
Der Betroffene, auf dessen Angaben dieser Sachverhalt beruht, hat die Auffassung
vertreten, in einem verkehrsberuhigten Bereich sei es erlaubt, auf der linken Seite zu
parken, weil es sich nicht um eine Straße im eigentlich Sinne handele. Dem ist das
Amtsgericht mit folgenden Erwägungen entgegengetreten:
4
"Gemäß § 12 Abs. 4 StVO ist zum Parken der rechte Seitenstreifen zu benutzen oder
an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren. Links darf nur dann gehalten und
geparkt werden, wenn auf der rechten Seite Schienen liegen oder wenn es sich um
eine Einbahnstraße (Zeichen 220) handelt. Beide Voraussetzungen liegen hier nicht
vor. Die O.-Straße ist weder als Einbahnstraße ausgewiesen noch sind dort Schienen
verlegt. Eine Ausnahme vom Gebot des Rechtsparkens auch für verkehrsberuhigte
Bereiche ist in der Straßenverkehrsordnung nicht vorgesehen. Der in § 12 Abs. 4 Satz
4 StVO enthaltene Ausnahmekatalog ist abschließend. Er betrifft auch
verkehrsberuhigte Bereiche, da es sich hierbei um öffentliche Verkehrsflächen handelt,
deren Benutzung in der Straßenverkehrsordnung geregelt ist."
5
Gegen dieses Urteil wendet sich der Zulassungsantrag des Betroffenen mit der
Sachrüge. Er vertritt weiterhin den Standpunkt, daß im vekehrsberuhigten Bereich das
Linksparken zulässig sei.
6
Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig,
insbesondere form- und fristgerecht begründet worden. Zwar trägt die zunächst zu den
Akten gelangte Begründungsschrift entgegen § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i. V. m § 345
Abs. 2 StPO nicht die vollständige Unterschrift des Verteidigers Rechtsanwalt P.,
sondern lediglich das Kürzel "P.". Die daraufhin vorgenommenen Ermittlungen des
Senats haben jedoch ergeben, daß dem Geschäftsstellenbeamten des Amtsgerichts
fristgerecht sowohl das vollständig unterschriebene Original der Begründung als auch
die nur mit "P." gekennzeichnete Durchschrift vorgelegt und von ihm mit dem
Eingangsstempel des 30.01.1996 versehen worden sind. Durch eine dem
Geschäftsstellenverwalter unterlaufene, vom Verteidiger nicht bemerkte Verwechslung
ist sodann die nur eine Paraphe enthaltende Durchschrift zu den Akten gelangt,
während das mit vollem Namen unterzeichnete Original dem Verteidiger für seine
Handakten zurückgereicht worden ist. Danach steht fest, daß eine formgerechte
Begründungsschrift rechtzeitig beim Amtsgericht eingegangen ist, mag sie auch infolge
eines Versehens des Geschäftsstellenbeamten erst später zu den Akten gebracht
worden seien. Daß irrtümlich die paraphierte Durchschrift zu den Akten genommen und
das Unterschriebenen Original zurückgegeben worden ist, steht einem gerichtsinternen
zeitweiligen Verlust der Begründungsschrift nach deren Eingang gleich und kann nicht
zu einer Fristversäumnis führen. Da auch hier eine den Formerfordernissen
entsprechende Begründung fristgerecht beim Amtsgericht eingetroffen ist, bedarf es
ungeachtet der Tatsache, daß die Begründung durch einen vom Gericht zu vertretenden
Irrtum verspätet zu den Akten gelangt ist, keiner Wiedereinsetzung wegen Versäumung
der Begründungsfrist, denn diese ist - wie dargelegt - eingehalten.
7
Die gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des materiellen Rechts
zuzulassende Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Betroffenen.
8
Das nach den Feststellungen vom Betroffenen praktizierte Linksparken im
verkehrsberuhigten Bereich (§ 42 Abs. 4 a StVO - Zeichen 325 -) war entgegen der
Auffassung des Amtsgerichts nicht verbotswidrig.
9
§ 12 Abs. 4 Satz 1 StVO bestimmt, daß zum Parken der rechte Seitenstreifen (dazu
gehören auch, sofern ausreichend befestigt, entlang der Fahrbahn angelegte
Parkstreifen) zu benutzen ist, sonst muß an den rechten Fahrbahnrand herangefahren
werden. Da der Seitenstreifen als der unmittelbare neben der Fahrbahn liegende Teil
der Straße definiert wird (vgl. Vwv I zu § 2 Abs. 4 Satz 3 StVO; OLG Hamm DAR 1994,
409; Jargusch/Hentschel, StVR 34. Auflage, § 2 StVO Rn. 25), setzt die Regelung des §
12 Abs. 4 StVO die Existenz einer Fahrbahn voraus und ordnet an, daß entweder auf
oder neben dieser rechts zu parken ist. Fahrbahn heißt der für den Fahrzeugverkehr
bestimmte Teil der Straße (vgl. Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 14. Auflage, § 2 Rn. 17),
auf dem Fußgänger die in §§ 25, 26 StVO genannten Beschränkungen beachten
müssen. So dürfen Fußgänger auf der Fahrbahn nur gehen, wenn die Straße weder
Gehweg noch Seitenstreifen hat (§ 25 Abs. 1 Satz 2 StVO). Benutzen sie die Fahrbahn,
müssen sie am Fahrbahnrand gehen, bei Dunkelheit oder schlechter Sicht einzeln
hintereinander (§ 25 Abs. 1 Satz 3 und 4 StVO). Desweiteren haben Fußgänger
Fahrbahnen zügig und auf kürzestem Weg zu überqueren, wobei vorhandene
Fußgängerüberwege oder Markierungen zu benutzen sind (§ 25 Abs. 3 StVO).
Demgegenüber gilt für verkehrsberuhigte Bereiche gemäß § 42 Abs. 4 a StVO - Zeichen
325 - folgendes: Fußgänger dürfen die Straße in ihrer ganzen Breite benutzen
10
(Kinderspiele sind überall erlaubt), der Fahrzeugverkehr muß Schrittgeschwindigkeit
einhalten, die Fahrzeugführer dürfen die Fußgänger weder gefährden noch behindern,
sondern müssen, sofern nötig, warten. Aus dem Vergleich zwischen den jeweiligen
Funktionen beider Straßenteile und den unterschiedlichen Befugnissen ihrer Benutzer
folgt, daß der verkehrsberuhigte Bereich keine "Fahrbahn" hat, sondern insgesamt eine
Sonderfläche darstellt, auf der sowohl Gehen als auch Fahren erlaubt ist, letzteres aber
nur mit erheblichen Einschränkungen. So wenig dem Fahrzeugverkehr vorbehaltene
Straßenteile als Gehweg bezeichnet werden können, weil hier unter den
Voraussetzungen der §§ 25, 26 StVO auch eine Benutzung durch Fußgänger stattfinden
kann, so wenig dürfen Flächen, die in erster Linie für den Fußgängerverkehr
freigegeben sind, dem Begriff "Fahrbahn" zugeordnet werden. Da der verkehrsberuhigte
Bereich somit eine Sonderfläche ohne Fahrbahn ist, die Parkregelung des § 12 Abs. 4
Satz 1 StVO aber nur für Fahrbahnen oder daneben liegende Seitenstreifen gilt, kann
daraus ein generelles Linksparkvervot für den durch Zeichen 325 gekennzeichneten
Sonderbereich nicht hergeleitet werden, wobei nach dem Inbegriff der Urteilsgründe
davon auszugehen ist, daß der Betroffene zwar in Fahrtrichtung auf der linken Seite
geparkt hat, jedoch innerhalb einer markierten Parkfläche.
Eine andere Beurteilung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO
(wie das Amtsgericht meint) Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes wäre, wonach für
alle Straßenbereiche - also auch für Sonderflächen - das Prinzip des Rechtsparkens zu
gelten hätte. Dagegen spricht indes § 12 Abs. 4 Satz 4 StVO, der das Linksparken in
Einbahnstraßen (Zeichen 220) und dort, wo auf der rechten Seite Schienen liegen, für
zulässig erklärt. Zwar könnte das Linksparken in Einbahnstraßen noch als gesetzlich
bestimmte Ausnahme von einem allgemeinen Rechtsparkgebot betrachtet werden, weil
hier eine Gefährdung durch Gegenverkehr nicht zu befürchten ist. Auf der anderen Seite
zeigt die Zulässigkeit des Linksparkens, falls rechts Schienen verlegt sind, daß die
Frage, wo geparkt werden darf, vom Gesetzgeber nicht nach einem übergeordneten
Gesichtspunkt geregelt worden ist, sondern jeweils aufgrund von
Zweckmäßigkeitserwägungen. Sofern auf der rechten Seite Schienen liegen, darf
hiernach trotz möglichen Gegenverkehrs links geparkt werden. Die dabei denkbare
Gefährdung durch Fahrzeuge, welche die Gegenfahrbahn überqueren müssen, um
Parkplätze auf der linken Straßenseite aufzusuchen oder von dort wieder auf den
rechten Straßenteil zurückzukehren, hat der Gesetzgeber als nicht so schwerwiegend
betrachtet, daß er sich veranlaßt gesehen hätte, das Linksparken in diesen Fällen zu
verbieten. Ist das Linksparken somit schon auf Straßen mit Fahrbahnen unter
bestimmten Voraussetzungen dort, wo es dem Gesetzgeber zweckmäßig erschien,
zulässig, so kann für Sonderflächen, die nicht ausdrücklich der Regelung des § 12 Abs.
4 Satz 1 StVO unterworfen sind, aus den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften kein
allgemeines Postulat des Rechtsparkens entnommen werden. Hierfür gibt es um so
weniger Grund, als der Fahrzeugverkehr im verkehrsberuhigten Bereich
Schrittgeschwindigkeit einhalten muß, so daß die mit dem Kreuzen von "Gegenverkehr"
verbundene (abstrakte) Gefahr insgesamt nicht von erheblichem Gewicht ist, selbst
wenn erfahrungsgemäß das Gebot, Schrittgeschwindigkeit einzuhalten, nicht von allen
Verkehrsteilnehmern stets befolgt wird.
11
Da nach allem entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ein Verkehrsteilnehmer im
verkehrsberuhigten Bereich innerhalb gekennzeichneter Parkflächen auch in
Fahrtrichtung links parken darf, mußte der Betroffene unter Aufhebung des
angefochtenen Urteils freigesprochen werden.
12
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 StPO i. V. m. § 46 Abs. OWiG.
13