Urteil des OLG Köln vom 05.03.1996
OLG Köln: fahrzeug, fahrbahn, schweres verschulden, unfall, fernlicht, geschwindigkeit, versicherungsleistung, versicherungsnehmer, versicherer, vollstreckung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 9 U 147/95
05.03.1996
Oberlandesgericht Köln
9. Zivilsenat
Urteil
9 U 147/95
Landgericht Köln, 24 O 263/94
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 06.04.1995 verkündete
Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 263/94 -
geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
10.000,00 DM, die er auch in Form einer selbstschuldnerischen
Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder
Volksbank erbringen kann, abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
Der Kläger begehrt von der Beklagten aus einer für das Leasing-Fahrzeug O-C, amtliches
Kennzeichen L-NG X, abgeschlossenen Vollkaskoversicherung Entschädigungsleistungen
wegen eines Verkehrsunfalles vom 28.03.1994. An diesem Tage war der Kläger mit dem
Fahrzeug auf einer Landstraße in einer langgezogenen Rechtskurve nach links von der
Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Gegenüber der an der Unfallstelle
erschienenen Polizei sowie mehrfach gegenüber der Beklagten hat der Kläger als
Unfallursache angegeben, ihm sei auf seiner Fahrbahn ein Fahrzeug mit Fernlicht
entgegengekommen, dem er habe ausweichen müssen; hierdurch sei sein Fahrzeug außer
Kontrolle geraten. In dem gegen den Kläger anhängig gewesenen Bußgeldverfahren
haben allerdings zwei Unfallzeugen übereinstimmend bekundet, daß zur Unfallzeit dem
Kläger kein derartiges Fahrzeug mit Fernlicht entgegengekommen sei, woraufhin der
Kläger dann wegen Fahrens mit nicht angepaßter Geschwindigkeit zu einer Geldbuße von
100,00 DM verurteilt wurde (Urteil des Amtsgerichts Neuwied vom 21.09.1994, Bl. 84 ff.).
Mit Schreiben vom 08.08.1994 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aus der
Vollkaskoversicherung ab und berief sich dabei auf Leistungsfreiheit wegen falscher
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Angaben des Klägers zur Unfallursache und wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des
Versicherungsfalles gem. § 61 VVG.
Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger seine Entschädigungsforderungen weiter. Er
hat zur Unfallursache nunmehr vorgetragen, er habe überhaupt keine plausible Erklärung
für den Unfall; vermutlich habe er sich durch ein entgegenkommendes Fahrzeug geblendet
gefühlt; möglicherweise sei Aquaplaning oder eine unebene Fahrbahn die Ursache
gewesen; die Straße sei seinerzeit naß gewesen. Angesichts der unklaren Unfallursache
könne ihm auch nicht der Vorwurf der grob fahrlässigen Herbeiführung des
Verkehrsunfalles gemacht werden. Allein die Tatsache, daß er mit dem Fahrzeug von der
Fahrbahn abgekommen sei, berechtige nicht zu dem Schluß, daß er mit überhöhter
Geschwindigkeit gefahren sei oder sich sonstwie grob fahrlässig verhalten habe; er sei
keinesfalls mehr als 100 km/h gefahren.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 70.893,00 DM nebst 12,5 % Zinsen seit dem
13.07.1994 an die Firma O-C-Leasing GmbH in T. zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich weiterhin auf Leistungsfreiheit berufen und dem Kläger vorgeworfen, er habe in
arglistiger Weise seine Aufklärungsobliegenheit durch falsche Angaben zur Unfallursache
verletzt. Ferner hat die Beklagte behauptet, der Kläger habe den Unfall durch eine
überhöhte Geschwindigkeit grob fahrlässig verursacht; stehe nämlich fest, daß ihm kein
Fahrzeug mit Fernlicht auf seiner Fahrbahn entgegengekommen war, dem er hätte
ausweichen müssen, könne nur eine überhöhte Geschwindigkeit für das Abkommen von
der Fahrbahn ursächlich gewesen sein.
Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil, auf dessen Einzelheiten in vollem
Umfang Bezug genommen wird, der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt:
Zwar habe der Kläger seine Obliegenheit zur Aufklärung des Unfallherganges gröblich
verletzt, da seine frühere Schilderung von einem entgegenkommenden Fahrzeug, das ihn
geblendet habe, nicht zutreffend sei und vom Kläger auch nicht mehr aufrechterhalten
werde; auch sei nicht zweifelhaft, daß der Kläger diese früheren Angaben vorsätzlich falsch
gemacht habe und dies auch generell für eine mögliche Einstandspflicht der Beklagten
relevant gewesen sein könnte; gleichwohl trete deshalb aber keine Leistungsfreiheit ein,
weil der Kläger über die Folgen seiner falschen Angaben nicht belehrt worden sei; eine
Belehrung sei auch nicht ausnahmsweise wegen eines arglistigen Vorgehens des Klägers
entbehrlich; seine frühere Schilderung könne lediglich den Zweck gehabt haben, einen
berechtigten Entschädigungsanspruch zu verstärken und unbezweifelbar erscheinen zu
lassen, nicht aber den Zweck, einen solchen Anspruch erst zu begründen oder zu erfinden.
Gegen das ihr am 26.04.1995 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.05.1995 Berufung
eingelegt, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis in die
Gerichtsferien hinein mit einem am 13.09.1995 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz
begründet hat.
Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und ist der Ansicht, daß es entgegen der
Auffassung des Landgerichts schon deshalb keiner Belehrung über die Folgen der
Verletzung der Aufklärungsobliegenheit bedurft habe, weil einerseits die
Obliegenheitsverletzung nicht folgenlos geblieben sei und der Kläger andererseits schon
bei der erstmaligen Anzeige des Versicherungsfalles, bei der keine Belehrung erforderlich
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sei, die falsche Schilderung zum entgegenkommenden Fahrzeug gemacht habe; zudem
habe der Kläger sehr wohl arglistig gehandelt, da es ihm darauf angekommen sei, sich die
Versicherungsleistung durch die grob unwahren Angaben zu erhalten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
ferner zu gestatten, Sicherheit auch durch die Bürgschaft einer deutschen
Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volksbank zu leisten.
Auch er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und ist der Auffassung, das
Landgericht habe völlig korrekt und zu Recht die Beklagte verurteilt, die
Versicherungsleistung zu erbringen.
Wegen weiterer Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die Schriftsätze der
Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat auch in der Sache selbst Erfolg.
Die Klage ist abzuweisen, weil die Beklagte wegen Verletzung der
Aufklärungsobliegenheit durch den Kläger gem. § 7 I Abs. 2 S. 3, V Abs. 4 AKB i.V. mit § 6
Abs. 3 VVG von der Leistungspflicht frei ist.
Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger die ihm nach § 7 I Abs. 2
S. 3 AKB obliegende Pflicht, bei Eintritt eines Versicherungsfalles alles zu tun, was zur
Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann, dadurch verletzt hat, daß er sowohl in der
schriftlichen Schadensanzeige vom 02.04.1994 (Bl. 25 d.A.) als auch in einem
Zusatzfragebogen (Bl. 28 d.A.) sowie erneut im Rahmen der Beantwortung des Schreibens
der Beklagten vom 21.04.1994 (Bl. 36 d.A.) objektiv falsch angegeben hat, der Unfall
beruhe darauf, daß ihm auf seiner Fahrbahn ein Fahrzeug mit Fernlicht entgegenkommen
sei, dem er habe ausweichen müssen. Der Kläger ist auch der weiteren Feststellung des
Landgerichts im angefochtenen Urteil, diese frühere Schilderung des Unfallherganges
werde von ihm in seinem Klagevorbringen nicht mehr aufrechterhalten, nicht
entgegengetreten. Abgesehen davon ist die betreffende Feststellung aber auch sachlich
zutreffend. Zwar hat der Kläger auch im vorliegenden Rechtsstreit seine Darstellung von
einem entgegenkommenden Fahrzeug, das ihn geblendet habe, trotz der anders lautenden
Bekundungen der Zeugen U. und P. im Bußgeldverfahren nicht völlig fallen gelassen; es ist
jetzt jedoch nicht mehr davon die Rede, daß das Fahrzeug ihm auf seiner Fahrbahn
entgegengekommen ist, und auch nicht mehr davon, daß der Unfall allein dadurch
verursacht wurde, daß er dem auf seiner Fahrbahn entgegenkommenden Fahrzeug habe
ausweichen müssen. Der Kläger läßt es jetzt vielmehr offen, welcher Umstand dafür
ursächlich war, daß er von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt ist.
Diese divergierenden Angaben des Klägers zur Unfallursache erfüllen objektiv den
Tatbestand der Obliegenheitsverletzung, da es einen erheblichen Unterschied für die
Beurteilung der damaligen Unfallsituation macht, ob der Kläger in einer für ihn nahezu
unabwendbaren Weise praktisch gezwungen war, ein Lenkmanöver durchzuführen, oder
ob ein konkreter Anlaß hierfür von ihm nicht sicher genannt werden kann. Die
unterschiedlichen Schilderungen des Klägers betreffen den eigentlichen Kern des
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Unfallgeschehens und stellen nicht etwa nur weniger bedeutsame Modifikationen des
Herganges im Randbereich dar. Es bestehen daher keine vernünftigen Zweifel, daß dem
Kläger bewußt war, daß er mit seiner Darstellung vom entgegenkommenden Fahrzeug
eine falsche Aufklärung über das Unfallgeschehen gab und damit seine
Aufklärungsobliegenheit verletzt hat. Sein vorsätzliches Vorgehen steht damit fest und wird
im übrigen entsprechend dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 VVG auch vermutet (vgl.
Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., Anm. 14 zu § 6).
Die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ist im vorliegenden Fall allerdings entgegen
der Auffassung der Beklagten folgenlos geblieben, da die Verletzung vor der Erbringung
von Entschädigungsleistungen durch die Beklagte erkannt worden ist und die Beklagte aus
diesen Gründen Leistungen verweigert. Die in solchen Fällen für den Eintritt von
Leistungsfreiheit erforderlichen Voraussetzungen der "Relevanz" (vgl. Prölss/Martin, a.a.O.,
Anm. 9 Ca zu § 6) liegen hier aber vor. Relevanz einer vorsätzlichen, aber folgenlos
gebliebenen Obliegenheitsverletzung ist gegeben, wenn der Pflichtenverstoß generell
geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und den
Versicherungsnehmer ein schweres Verschulden trifft.
Daß die falschen Angaben zur Unfallursache generell geeignet waren, die
Aufklärungsinteressen der Beklagten ernsthaft zu gefährden, liegt auf der Hand. Ihr wurde
durch die Fehlinformationen der Blick auf eine zutreffende Beurteilung ihrer
grundsätzlichen Einstandspflicht insofern verstellt, als bei einer zutreffenden Darstellung
des Herganges eine grob fahrlässige Herbeiführung des Verkehrsunfalles durchaus in
Erwägung gezogen werden konnte, die nach § 61 VVG Leistungsfreiheit zur Folge hätte
haben können.
Auch der Vorwurf eines schweren Verschuldens des Klägers ist vorliegend gerechtfertigt.
Seine mehrfach abgegebenen falschen Darstellungen zur Unfallursache lassen sich nicht
als ein solches Fehlverhalten ansehen, das auch einem ordentlichen
Versicherungsnehmer leicht unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger
Versicherer Verständnis aufzubringen vermag (BGH Versicherungsrecht 1984, 228).
Gerade die Hartnäckigkeit, mit der der Kläger an seiner falschen Schilderung festgehalten
hat, läßt zur Überzeugung des Senats den Schluß darauf zu, daß der Kläger die Beklagte
in der Absicht arglistig täuschen wollte, irgendwelche Verdachtsmomente einer
möglicherweise grob fahrlässigen Verursachung des Verkehrsunfalles im Sinne des § 61
VVG bei der Beklagten gar nicht erst aufkommen zu lassen und den
Entschädigungsanspruch dadurch nicht zu gefährden. Wer aber derart gezielt und in
arglistiger Weise den Versicherer falsch informiert, kann sich nicht im nachhinein darauf
berufen, er sei nicht über die Folgen einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit belehrt
worden. Ein solcher Versicherungsnehmer kann nicht im unklaren darüber sein, daß er im
Falle der Aufdeckung seiner irreführenden Fehlinformationen schwerwiegende
versicherungsrechtliche Nachteile, insbesondere auch den Verlust seines
Entschädigungsanspruches zu gewärtigen hat (so BGH speziell für die
Fahrzeugversicherung in Bezug auf eine bewußt wahrheitswidrige Unfallschilderung in
Versicherungsrecht 1973, 174 ff., 175 unter VI. 4.; vgl. ferner Prölss/Martin, a.a.O., Anm. 3 C
zu § 34 m.w.N.). Unter diesen Umständen war im vorliegenden Fall eine Belehrung des
Klägers entbehrlich. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt es dabei nicht
darauf an, ob der Kläger durch sein Verhalten einen nach der objektiven Rechtslage nicht
gegebenen Entschädigungsanspruch erst begründen oder erfinden wollte; es reicht aus,
daß er befürchtete, ohne die falschen Angaben nicht in den Genuß der
Versicherungsleistung zu kommen (BGH und Prölss/Martin, a.a.O.).
Die Beklagte ist daher wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit von der
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Leistungspflicht frei.
Auf die weitere Frage, ob Leistungsfreiheit auch wegen grob fahrlässiger Herbeiführung
des Versicherungsfalles nach § 61 VVG besteht, kommt es daher nicht an.
Der Berufung der Beklagten war nach alledem stattzugeben und die Klage abzuweisen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruhen auf den § 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für den Kläger: 70.893,00 DM