Urteil des OLG Köln vom 23.08.2000
OLG Köln: fahren, fahrbahn, unerlaubte handlung, geschwindigkeit, gefährdung, behandlung, entstehung, körperverletzung, schmerzensgeld, hirnblutung
Oberlandesgericht Köln, 11 U 16/00
Datum:
23.08.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 16/00
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 9 O 248/99
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 07.12.1999 verkündete Urteil
der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 O 248/99 - abgeändert
und wie folgt neu gefasst: 1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
6.000,00 DM nebst 4% Zinsen seit dem 27.08.1998 zu zahlen. 2. Es wird
festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche
materiellen Schäden aus dem Unfall vom 06.09.1996 auf der Straße B.
in St. zu 30% zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte
übergegangen sind oder übergehen; ferner wird festgestellt, dass der
Beklagte dem Kläger die aus dem genannten Unfall resultierenden,
nach dem 30.06.2000 entstehenden immateriellen Zukunftsschäden
unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 70% zu
ersetzen hat. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die Berufung
wird im Übrigen zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits erster
Instanz haben der Kläger zu 70%, der Beklagte zu 30% zu tragen; die
Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zu 80%, dem
Beklagten zu 20% zur Last. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
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Das Landgericht hat einen Anspruch des Klägers dem Grunde nach zu Recht bejaht;
der Kläger kann indes nicht nur 10%, sondern 30% des ihm aufgrund des Unfalls vom
06.09.1996 entstandenen Schadens verlangen; ihm ist dem gemäß auch ein höheres
als das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld zuzuerkennen.
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1. Zur Haftung dem Grunde nach gilt Folgendes:
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a) Da der Kläger seinen Anspruch gegen den Beklagten als Fußgänger nur auf
unerlaubte Handlung (§§ 823, 847 BGB) stützen kann, muss er eine schuldhaft
verursachte Körperverletzung darlegen und beweisen. Das Landgericht nimmt an, der
Beklagte habe sich im Unfallzeitpunkt 1 m auf der Fahrbahn befunden und deshalb
gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen. Was das für ein schuldhaftes Verhalten des
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Beklagten besagen soll, ist nicht genau gesagt. Gemeint ist wohl, der Beklagte habe
die Fahrbahn nicht trotz des herannahenden Klägers betreten bzw. diesen nicht durch
einen weiteren Schritt in Richtung Fahrbahnmitte zu Fall bringen dürfen. Wenn dies
festgestellt werden kann, muss in der Tat eine schuldhaft verursachte Körperverletzung
bejaht werden. Der Beklagte durfte die Fahrbahn nur betreten bzw. sich nur weiter in
Richtung Fahrbahnmitte bewegen, wenn er sich überzeugt hatte, dass kein
Fahrzeugverkehr nahte, der dadurch, dass er die Fahrbahn betrat, gefährdet wurde.
Für die die Haftung auslösende Fahrlässigkeit genügt dabei schon eine kleine
Unaufmerksamkeit.
b) Der Senat folgt der Auffassung des Landgerichts, dass nach den Umständen und
dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein fahrlässiges Verhalten des Beklagten
festgestellt werden muss. Zwar hat kein Zeuge bekunden können, wie sich der
Zusammenprall genau abgespielt hat. Die Aussage des Zeugen H. klingt zunächst gar
so als habe der Kläger den Beklagten, der am linken Fahrbahnrand ging, angefahren.
Bei lebensnaher Betrachtung müssen die Zeugenaussagen aber mit dem Landgericht
dahin verstanden werden, dass der Beklagte unmittelbar vor dem Zusammenprall eine
Bewegung in Richtung Straßenmitte gemacht hat. Dass sich der Kläger in diesem
Moment bereits unmittelbar im Bewegungsbereich des Klägers befand und dass es
durch die Bewegung des Beklagten zu dem Zusammenprall kam, ergibt sich aus dem
Unfallhergang.
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2. Der Beklagte haftet nur in eingeschränktem Umfang, weil den Kläger an der
Entstehung des Unfalls ein Mitverschulden trifft (§ 254 Abs. 1 BGB). Auch dies steht
zur Überzeugung des Senats auf Grund der Umstände des Falles und des
Ergebnisses der Beweisaufnahme fest. Danach ist der Kläger auf die Jugendgruppe
nicht in einer die Gefährdung der Jungen und die eigene Gefährdung ausschließenden
Weise zugefahren, obwohl er eine mögliche Gefährdung erkannt hat und dem durch
eine andere Fahrweise hätte Rechnung tragen können.
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a) Das Landgericht stellt einen Verstoß des Klägers gegen § 2 Abs. 2 StVO, wonach
möglichst weit rechts zu fahren ist, fest. Richtig daran ist, dass der Kläger nach den
Umständen weiter rechts hätte fahren können, als er es getan hat, und dass es dann zu
dem Unfall nicht gekommen wäre. Die Fahrbahn ist an der Unfallstelle 6,7 m breit. Das
Fahrzeug, dem der Kläger ausweichen musste, parkte einige Meter von der
Jugendgruppe weg in Fahrtrichtung des Klägers am rechten Fahrbahnrand. Es
handelte sich um einen Personenkraftwagen, durch den maximal 3 m der Fahrbahn
blockiert waren. Da sich der Beklagte nach dem Beweisergebnis nur ca. 1 m vom
linken Gehwegrand entfernt auf der Fahrbahn befand und lediglich seine
Drehbewegung zu dem Unfall führte, muss für den Kläger genügend Platz vorhanden
gewesen sein, in ausreichendem Abstand rechts an der Jugendgruppe vorbei zu
fahren. Seine - vom Beklagten vermutete - Absicht, möglichst weit links zu fahren, um
kurz hinter der Unfallstelle mit einiger Geschwindigkeit nach rechts in den Kranensterz
einbiegen zu können, wäre nicht geeignet, einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot
zu rechtfertigen. Das Rechtsfahrgebot schützt aber nach der Rechtsprechung nur den
sich in Längsrichtung abwickelnden Begegnungs- und Überholverkehr, dient also nicht
dem Schutz von Fußgängern, die sich auf die Fahrbahn begeben (BGH VersR 1964,
1069; 1975, 37, 39; OLG Celle ZfSch 1988, 189; OLG Düsseldorf DAR 1975, 331; OLG
Karlsruhe VersR 1979, 478; OLG Nürnberg VersR 1980, 338 f.); seine Missachtung als
solche rechtfertigt dann bei Fallgestaltungen wie im Streitfall aber auch nicht den
Vorwurf des Mitverschuldens. Ob der aufgeführten Rechtsprechung uneingeschränkt
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zu folgen ist, kann letztlich dahinstehen; denn jedenfalls hätte der Kläger unter den
nachstehend erörterten Aspekten weiter rechts fahren müssen.
b) Das Landgericht bejaht einen Verstoß gegen § 1 StVO. Nach Absatz 2 dieser
Vorschrift hat sich jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein
Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar,
behindert oder belästigt wird. In der Tat ist der Kläger in gefährdender Weise auf die
Jugendgruppe zugefahren. Darüber hinaus lässt sich auch ein Verstoß gegen das
Gebot, die Geschwindigkeit den Verkehrsverhältnissen anzupassen, (§ 3 Abs. 1 Satz 2
StVO) bejahen. Der Kläger hat deshalb den Unfall mitverursacht und die entstandenen
Folgen mit zu verantworten. Im Einzelnen gilt Folgendes:
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(1) Der Kläger ist ersichtlich zu schnell gefahren. Unabhängig von den
Zeugenaussagen, die auf einer nur relativ kurzfristigen und entsprechend unsicheren
Wahrnehmung beruhen und gegen die auch im Übrigen Vorbehalte angebracht sein
mögen, ergibt sich bereits aus der Heftigkeit des Sturzes und der Tatsache, dass der
Klägers gegen das einige Meter entfernte Fahrzeug geschlagen ist, dass seine
Geschwindigkeit nicht unerheblich gewesen sein muss. Schon in dem Unfallprotokoll
der Polizei ist bezeichnender Weise von einer hohen Geschwindigkeit des Klägers die
Rede. Ob er, was in der mündlichen Verhandlung in den Raum gestellt worden ist, mit
einem Rennrad oder, wie er mit Schriftsatz vom 21.07.2000 richtig gestellt hat, mit
einem Mountain-Bike gefahren ist, ist dabei unerheblich. Die Geschwindigkeit war den
Umständen nach schon dann überhöht, wenn er auf der stark abschüssigen Strecke
auf die Jugendgruppe nicht angemessen reagieren konnte.
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(2) Der Kläger hat auch auf die Jugendgruppe nicht in einer Weise reagiert, die
geeignet war, eine Gefährdung der Jungen und die eigene Gefährdung zu verhindern.
Er hatte nach seinem eigenen Vortrag die Gruppe, die sich teilweise auf der Straße
befand, die aber nicht auf den Verkehr achtete, als mögliche Gefahrenquelle
wahrgenommen. Sein Vortrag, er habe geklingelt und gerufen, macht nur Sinn, wenn
er die Gruppe als (mögliches) Hindernis erkannt hatte und gleichwohl mit einiger
Geschwindigkeit nahe an ihr vorbei fahren wollte. Dies war aber verfehlt. Angesichts
der Situation musste der Kläger vorsichtig fahren. Er durfte sich der Gruppe weder
mehr als erforderlich durch Fahren auf der linken Fahrbahnseite nähern noch durfte er
so fahren, dass er auf Bewegungen einzelner Jugendlicher nicht mehr reagieren
konnte. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Jugendlichen nach Auffassung des
Klägers etwa verkehrswidrig verhielten. Gerade wenn er ein solches Verhalten und
eine daraus resultierende mögliche Gefahr erkannt hat, musste er - gerade auch zu
seinem eigenen Schutz - angemessen darauf reagieren. Er musste bedenken, dass
ihn die in ein Gespräch vertieften Jugendlichen möglicherweise nicht bemerkt hatten.
Er musste ferner in Rechnung stellen, dass sich die Unfallstelle in einem Wohnbereich
befindet und dass - zumal jugendliche - Fußgänger sich auf in Wohngebieten
gelegenen Straßen erfahrungsgemäß oft unvorsichtiger verhalten als auf einer
Hauptverkehrsstraße. Dabei kann dahinstehen, ob - worüber die Parteien streiten - die
Straße durch Zeichen 250 gesperrt und nur der Anliegerverkehr eröffnet war; diesem
Umstand kommt für die Eingrenzung der Pflichten der Parteien und das Maß ihrer
Mitverantwortung keine entscheidende Bedeutung zu.
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(3) Eine Vernehmung der jetzt von dem Kläger benannten Zeugin K. hält der Senat
nicht für erforderlich, da eine weitere Sachverhaltsaufklärung davon nicht zu erwarten
ist. Die Benennung der Zeugin erfolgt offensichtlich deshalb, weil sie auf Seite 2 der
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polizeilichen Verkehrsunfallanzeige als Zeugin aufgeführt ist. Es kann dahinstehen, ob
Präklusionsvorschriften anwendbar sein könnten, weil die Vernehmung der in Belgien
wohnhaften Zeugin den Rechtsstreit verzögert. Die Vernehmung hat schon aus
Sachgründen zu unterbleiben. Ausweislich des Unfallberichts hat die Zeugin
seinerzeit nach dem Unfall nur bekundet, der Kläger gegen das abgestellte Fahrzeug
geraten; dagegen hat sie offensichtlich weder der protokollierten Feststellung
widersprochen, der Kläger sei mit hoher Geschwindigkeit gefahren, noch angegeben,
der Kläger habe gerufen und geklingelt; letzteres kann im übrigen, wie sich aus den
bisherigen Ausführungen ergibt, unterstellt werden.
3. Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ergibt, dass der Beitrag
des Klägers überwiegt. Er hätte bei verständiger Einschätzung der Situation ohne
Weiteres das Geschehen steuern und den Unfall vermeiden können. Dagegen ist der
den Beklagten treffende Fahrlässigkeitsvorwurf gering; mehr als eine unvorsichtige
Bewegung, die zum Zusammenprall mit dem bis dahin nicht wahrgenommenen
Fahrrad geführt hat, ist nicht festzustellen. Die vom Landgericht angesetzte
Mitverschuldensquote von 90% erscheint dem Senat gleichwohl als zu hoch. Der
Senat hält es für angemessen, dass der Beklagte für die Unfallfolgen zu 30%
einzustehen hat und der Kläger die Folgen im übrigen selbst tragen muss.
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4. Die von dem Kläger erlittenen Verletzungen rechtfertigen bei voller Haftung eines
leicht fahrlässig handelnden Unfallgegners ein Schmerzensgeld in Höhe von
20.000,00 DM. Nach den vorliegenden Gutachten geht der Senat von folgendem
Schadensbild aus: Der Kläger erlitt bei dem Sturz auf den Hinterkopf eine
Hirnkontusion, ein Schädelhirntrauma dritten Grades und eine traumatische Läsion
des Augennervs mit Blutung und einer Stauungspapille, ferner einen
Hüftgelenkspfannenbruch. Er befand sich fünf Wochen in stationärer Behandlung. Als
Folge einer Hirnblutung und Hämatombildung erfolgte eine neurochirurgische
Behandlung (Punktion zur Entlastung des Hämatoms). Verblieben sind eine geringe
Einschränkung des Sehvermögens (MdE 2%) und Aufmerksamkeits-, Merk- und
Konzentrationsstörungen, die zwar dazu geführt haben, dass der Kläger bei der
Feuerwehr nur noch in den Tagesschichten arbeitet, aber keinen Berufswechsel und
keine Umschulung erfordern. Verblieben sind zudem Beschwerlichkeiten auf Grund
einer eingeschränkten Beweglichkeit des Hüftgelenks. Insgesamt muss zum jetzigen
Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass die Verletzung des Klägers nicht
unerheblich war, ihre Folgen aber weitgehend überwunden sind und bei
entsprechender Bemühung des Klägers auch keine weiteren nennenswerten Folgen
verbleiben werden.
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Die Bemessung des Schmerzensgeldes unter Berücksichtigung des überwiegenden
Verursachungsbeitrags des Klägers führt danach zu dem ausgeurteilten Betrag von
6.000,00 DM.
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5. Entsprechend den Ausführungen zu 1 bis 3 ist die Ersatzpflicht des Beklagten für
30% der aus dem Unfall entstehenden materiellen Schäden festzustellen. Weiterhin ist
die Ersatzpflicht in dem genannten Umfang für in Zukunft entstehende immaterielle
Schäden festzustellen, weil angesichts der nicht unerheblichen Kopfverletzung die
Entstehung von Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH VersR 1989,
1055 f.; MDR 1997, 1052).
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die
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Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
Die Beschwer keiner Partei übersteigt 60.000,00 DM.
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Berufungsstreitwert: 39.000,00 DM (Zahlungsantrag 30.000,00 DM,
Feststellungsantrag 9.000,00 DM).
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