Urteil des OLG Köln vom 02.03.2004

OLG Köln: vernehmung von zeugen, eintritt des versicherungsfalles, eintritt des versicherungsfalls, versicherungsnehmer, schweres verschulden, versicherer, fahrzeug, wagen, entwendung

Oberlandesgericht Köln, 9 U 113/03
Datum:
02.03.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 113/03
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 9 O 85/03
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 23.05.2003 verkündete Urteil
der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 O 85/03 –
wird zurück¬gewiesen.
Die Kosten des Berufungs¬verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
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I. Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche des Klägers auf Grund einer bei
der Beklagten abgeschlossenen Teilkaskoversicherung wegen einer behaupteten
Entwendung seines PKW BMW 318 i (amtliches Kennzeichen XX – xx 79). Der Wagen
wurde überwiegend vom Sohn des Klägers, dem Zeugen B N, genutzt.
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Am 19.07.2001 gegen 8.10 Uhr stieß das Fahrzeug gegen ein Straßenlaterne im
Kreuzungsbereich T-Straße/C-Weg in D. Der Fahrer beging Unfallflucht. Es konnte nicht
aufgeklärt werden, wer das Fahrzeug gesteuert hatte. Im Wagen befand sich der
Originalschlüsselbund des Sohnes des Klägers.
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In der vom Kläger unterschriebenen Schadenanzeige vom 26.07.2001, auf die wegen
der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 36, 37 GA), ist angekreuzt auf die
Frage: "Fahrzeugschlüssel abgezogen und Lenkrad eingerastet ?" "Ja" und "Türen
abgeschlossen ?" "Ja".
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Der Kläger hat vorgetragen, sein Sohn habe das Fahrzeug am 18.07.2001 gegen 22.30
Uhr vor dem Hause des Zeugen O, einem Freund, in I abgestellt. Der Kraftwagen sei
dann weder vom Kläger noch von seinem Sohn, vielmehr von einem Unbekannten
gefahren worden. Dem stehe nicht entgegen, dass der Sohn im Rahmen seiner
Vernehmung im Ermittlungsverfahren nicht habe sagen können, ob er beim Verlassen
des Fahrzeugs dieses verschlossen bzw. den Schlüssel vom Zündschloss abgezogen
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habe.
Die Beklagte hat den Diebstahl bestritten. Sie hat sich auf grobfahrlässige
Herbeiführung des Versicherungsfalls und auf Obliegenheitsverletzung wegen falscher
Angaben in der Schadenanzeige berufen.
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Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen die Klage abgewiesen. Es hat
ausgeführt, das äußere Bild des Diebstahls sei nicht bewiesen. Neben einem Verlust
des Schlüssels und der anschließenden Entwendung sei es gleichermaßen denkbar,
dass der Zeuge N seinen Schlüsselbund dem Unfallverursacher freiwillig ausgehändigt
habe.
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Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil und seine tatsächlichen
Feststellungen Bezug genommen.
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Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers. Er macht geltend, dass das äußere
Bild der Entwendung bewiesen sei. Der Sohn habe den Fahrzeugschlüssel unmittelbar
nach dem Aussteigen aus dem vor der Wohnung des Freundes abgestellten Wagen
verloren. Dort sei der Schlüssel von den Tätern des Diebstahls gefunden und zur
Entwendung genutzt worden. Im übrigen begründe das Verhalten des Sohnes allenfalls
den Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit. Eine Obliegenheitsverletzung liege nicht vor, weil
die Fragestellung missverständlich gewesen sei. Die Tochter des Klägers habe als
Zeugin das Ausfüllen der Schadenanzeige plausibel erklärt.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen,
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an den Kläger 5.137,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über
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dem Basiszinssatz seit dem 27.7.2002 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, dass der Unfallort in der
Nähe der Wohnung des Klägers liege. Der Wagen sei mit einem Originalschlüssel
bewegt worden. Insoweit habe der Kläger nicht erklären können, wie ein Unbekannter in
den Besitz des Schlüssels gekommen sei.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Schriftsätze verwiesen.
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Die beigezogenen Akten 14 Js 918/01 StA Aachen sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
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II. Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung des Klägers ist unbegründet. Das
Landgericht hat im Ergebnis die Klage zu Recht abgewiesen.
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1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Entschädigungsanspruch wegen des
behaupteten Schadenereignisses vom 18./19.07 2001 aus §§ 1, 49 VVG,
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§ 12 Nr. 1 I b) AKB nicht zu.
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a) Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob der Kläger den Nachweis des äußeren
Bildes der Fahrzeugentwendung erbracht hat. Hierzu reicht in der Regel der Nachweis,
dass der Versicherungsnehmer sein Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem
bestimmten Ort abgestellt und dort später nicht wieder aufgefunden hat (vgl. BGH, r+s
1995, 288 = VersR 1995, 909). Die Schlüsselverhältnisse gehören nicht zum äußeren
Bild (vgl. BGH, r+s 1997, 5).
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b) Der Ersatzanspruch des Klägers entfällt jedenfalls, weil die Beklagte wegen
schuldhafter Verletzung der dem Versicherungsnehmer nach § 7 I Nr. 2 Satz 3 AKB
obliegenden Aufklärungspflicht gemäß § 7 V Nr. 4 AKB in Verbindung mit § 6 Abs. 3
VVG von ihrer etwaigen Leistungspflicht frei geworden ist.
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Der Versicherungsnehmer ist nach Eintritt des Versicherungsfalles gemäß § 7 I Nr. 2
Satz 3 AKB verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein
kann. Dazu gehört auch die Pflicht, den Versicherer wahrheitsgemäß und vollständig
über solche Umstände zu unterrichten, die für die Feststellung des Hergangs des
Schadenereignisses von Bedeutung sind.
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Es muss dem Versicherer ermöglicht werden, sachgemäße Feststellungen zu treffen.
Die Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Aufklärung besteht auch im Hinblick
auf die Fragen nach den Umständen des Abstellens und den Schlüsselverhältnissen.
Dass diese für die Regulierungsentscheidung des Versicherers in einem Diebstahlsfall
von besonderer Wichtigkeit sind, unterliegt keinem Zweifel. Diese
Aufklärungsobliegenheit nach Eintritt des Versicherungsfalls hat der Kläger verletzt.
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Der Kläger selbst hat nämlich in der Schadenanzeige vom 26.7.2001 falsche Angaben
im Hinblick auf das Abziehen des Fahrzeugschlüssels und Abschließen der Türen
gemacht. Dass die Tochter ihn beim Ausfüllen der Schadenanzeige unterstützt hat, führt
zu keiner anderen Beurteilung. Bei den Angaben handelt sich um eine eigene Erklärung
des Klägers. Er hat die Schadenanzeige persönlich unterschrieben. Wie seine Tochter,
die Zeugin P N, vor dem Landgericht bekundet hat, hat sie lediglich beim Ausfüllen
geholfen. Sie fungierte damit als Schreibhilfe; die Erklärung stammt vom Kläger selbst
(vgl. BGH r+s 1995, 81).
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Eine falsche Angabe liegt auch dann vor, wenn der Versicherungsnehmer einen
Sachverhalt als feststehend darstellt, obwohl er darüber keine sichere Erkenntnis hat. Er
macht dann Angaben "ins Blaue hinein", wobei er sich bewusst ist, dass seine Angabe
falsch sei kann. Wenn sich der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer im
Hinblick auf eine aufklärungsbedürftige Tatsache eindeutig festlegt, ist die Kenntnis der
eigenen Ungewissheit der Kenntnis der Unrichtigkeit gleichzusetzen (vgl. OLG Hamm,
r+s 1995, 208). So liegt es hier.
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Der Kläger hat angegeben, dass der Fahrzeugschlüssel abgezogen, das Lenkrad
eingerastet und die Türen abgeschlossen gewesen seien, obwohl er nicht wusste, ob
der Sohn den Schlüssel abgezogen und die Fahrzeugtür abgeschlossen hatte. In
seinem nachgereichten Schriftsatz vom 03.02.2004 räumt der Kläger auch ein, dass
nicht festgestanden habe, dass der Schlüssel im Fahrzeug vergessen oder nach
ordnungsgemäßen Verschließen in Fahrzeugnähe verloren worden sei. Dass der
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Kläger in der Schadenanzeige auf das Gutachten hingewiesen hat, ändert nichts.
Insoweit ist die darin enthaltene Bemerkung, der Mitarbeiter des
Abschleppunternehmers habe mitgeteilt, dass das Fahrzeug sei mit Schlüsseln im
Zündschloss vorgefunden worden sei, nicht maßgebend. Entscheidend sind die
Angaben zu den Umständen beim Verlassen des Fahrzeugs nach dem Abstellen.
Der Senat geht mit dem Landgericht auch davon aus, dass die Schilderung des Sohnes
zum Verlust der Schlüssel nicht zutreffend ist. Der Zeuge hat nicht plausibel zu erklären
vermocht, wie die Schlüssel außerhalb des Fahrzeugs gelangt sein sollen.
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Aus den objektiv unzutreffenden Angaben des Klägers folgt Leistungsfreiheit der
Beklagten nach § 7 I Nr. 2 Satz 3, V Nr. 4 AKB i.V.m. § 6 Abs. 3 VVG. Die gegen ihn
sprechende Vorsatzvermutung (§ 6 Abs. 3 S. 1 VVG) hat der Kläger nicht widerlegt.
Nach den Grundsätzen der sog. Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofes
(BGH, VersR 1984, 228), tritt bei vorsätzlichen, aber für den Versicherer folgenlos
gebliebenen Verletzungen der Aufklärungspflicht Leistungsfreiheit allerdings nur ein,
wenn die Verletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu
gefährden und wenn dem Versicherungsnehmer ein schweres Verschulden zur Last
fällt. Ferner muss er über den Eintritt der Leistungsfreiheit des Versicherers bei
derartigen Obliegenheitsverletzungen zutreffend belehrt worden sein. Diese
Voraussetzungen sind gegeben. Die Obliegenheitsverletzung war geeignet, die
Interessen der Beklagten als Versicherer ernsthaft zu gefährden. Es liegt auf der Hand,
dass der Kaskoversicherer für seine Regulierungsentscheidung über die Umstände des
Abstellens informiert sein muss.
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Die Belehrung in dem Fragebogen ist inhaltlich zutreffend und entspricht den
Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 1998, 447; r+s 1993, 321 ). Dem
Versicherungsnehmer ist klar und deutlich gesagt, dass bewusst unwahre oder
unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, auch wenn
dem Versicherer hierdurch kein Nachteil entsteht.
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Von einem nur geringen Verschulden des eindeutig über die mögliche Folge einer
Obliegenheitsverletzung belehrten Klägers kann nicht ausgegangen werden. Es liegen
keine Umstände vor, die sein Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen
könnten. Es handelt sich insgesamt betrachtet nicht um ein Fehlverhalten, das auch
einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen kann und für das deshalb
ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag. Die Fragestellung in der
Schadenanzeige ist eindeutig. Dass nur zwei Antwortalternativen zum Ankreuzen
bestehen, ändert nichts.
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Demnach war eine Entschädigung zu versagen.
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Auf die Frage der erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls und
die grob fahrlässige Herbeiführung kam es nicht an.
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2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO n. F. sind nicht
gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordert die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige
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Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 5.137,92 €
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