Urteil des OLG Köln vom 28.03.2002
OLG Köln: gemeinde, transport, zustand, beratung, vorrang, fahrweg, verschulden, vollstreckbarkeit, werterhöhung, reparaturkosten
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 7 U 5/01
28.03.2002
Oberlandesgericht Köln
7. Zivilsenat
Urteil
7 U 5/01
Landgericht Aachen, 4 O 372/00
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der
weitergehenden Berufung das Urteil des Landgerichts Aachen vom 13.
12. 2000 - 4 O 372/00 - teilweise abgeändert und wie folgt neugefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.503,98 Euro nebst 4 %
Zinsen seit dem 30. 10. 2000 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage
abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 46 % und
die Beklagte zu 54 %. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung ist teilweise begründet. Dem
Kläger steht gegenüber der beklagten Gemeinde wegen Verletzung der ihr ob-liegenden
Verkehrssicherungspflicht ein Schadensersatzanspruch in der aus der Ur-teilsformel
ersichtlichen Höhe zu (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG u. § 9 a StrWG NW).
I.
1) Die Beklagte ist als Straßenbaulastträgerin auf Grund ihrer öffentlich-rechtlichen
Verkehrssicherungspflicht (§ 9 a StrWG NW) gehalten, die öffentlichen Ver-kehrswege
möglichst gefahrlos zu gestalten und im Rahmen des Zumutbaren allen Gefahren zu
begegnen, die den Verkehrsteilnehmern aus einem nicht ordnungsge-mäßen Zustand der
Verkehrsanlage drohen. Diese Grundsätze muss die Beklagte auch beachten, wenn sie im
Straßenraum Hindernisse anbringt, um (etwa) Anord-nungen der Verkehrsbehörde
geschwindigkeitsbeschränkender Art Nachdruck zu verleihen oder - wie im Streitfall - das
Oberflächenwasser abzuleiten (zur Pflicht des Straßenbaulastträgers zur Ableitung des
Oberflächenwassers vgl. Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., § 13, Rz. 28.2). Dabei muss
die Beklagte darauf achten, dass das Hindernis nicht selbst zur Q u e l l e einer
Verkehrsgefährdung wird, in-dem Fahrzeuge nach Überfahren des Hindernisses trotz
verkehrsgerechten Verhal-tens des Kraftfahrzeugführers beschädigt werden (vgl. BGHZ 60,
54 = VersR 1973, 252 = NJW 1973, 460; BGH NZV 1991, 385 = VersR 1991, 1055 = NJW
1991, 2824; OLG Hamm NZV 1992, 483; Bergmann/Schumacher, Die Kommunalhaftung,
2. Aufl., S. 66 f. m.w.N.). Abzustellen ist jeweils auf die Verkehrsbedeutung der k o n k r e t e
n Straße. Der Verkehrssicherungspflichtige hat grundsätzlich alle Maßnahmen zu treffen,
die geeignet sind, Gefahren, die von der Straße ausgehen, von den Benutzern
fernzuhalten, mit denen nach der Zweckbestimmung und der Beschaffenheit der -
konkreten - Straße gerechnet werden muss (BGH NZV 1991, 385 (386)).
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Nach diesen Maßstäben hat die beklagte Gemeinde ihre Verkehrssicherungspflicht
verletzt. Die T. Straße, um deren Benutzung es vorliegend geht, erschließt in ihrem
vorderen Teil (zur D. Straße hin) das Anwesen des Klägers sowie weitere
Hausgrundstücke und sodann im weiteren Verlauf (auf die Ortschaft B. zu) weitläufige land-
und forstwirtschaftlich genutzte Flächen. Wie sich dem überreichten Bildmaterial
entnehmen lässt, befindet sich die hier in Rede stehende Aufpflasterung mit den parallel
und schräg angeordneten Ablaufrinnen im Übergangsbereich zwischen den baulich und
landwirtschaftlich genutzten Flächen. Ihrer Zweckbestimmung nach dient deshalb die T.
Straße jedenfalls auch, wenn nicht sogar vornehmlich, der Nutzung durch
landwirtschaftliche Fahrzeuge. Sie soll überhaupt erst die Bewirtschaftung des
umfänglichen landwirtschaftlich genutzten Grundbesitzes ermöglichen. Die beklagte
Gemeinde ist daher gehalten, die Planung und den Ausbau der T. Straße danach
auszurichten. Insbesondere hat sie dafür Sorge zu tragen, dass die Straße von
landwirtschaftlichen Fahrzeugen, sei es in unbeladenem oder beladenem Zustand,
gefahrlos benutzt werden kann.
Dieser ihr obliegenden Verpflichtung ist die Beklagte, soweit es um die hier in Rede
stehende Aufpflasterung mit der V-förmig angeordneten Entwässerungsrinnen geht, nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht nachgekommen. Nach den Ausführungen des
Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. S. L., der als Hochschullehrer für Landmaschinentechnik
für die Beurteilung von Fahrbetriebsschäden besonders ausgewiesen ist, ist es zwar
möglich, dass der Kläger mit seinem Traktor die Aufpflasterung mit den beiden V-förmig
angeordneten Entwässerungsrinnen bei vorsichtiger Fahrweise (Geschwindigkeiten
##blob##lt; 5 km/h) gefahrlos passiert. Das Auftreten von Fahrwerksschäden ist in diesem
Fall äußerst gering.
Anders verhält es sich jedoch, wenn der Kläger auf dem Siloblockschneider, wie es
während der Stattfütterungen von Herbst bis Frühjahr etwa 30 mal in der Woche vorkommt,
Silage aufgenommen hat. In diesem Fall kommt es durch die Steigung der Straße in
Verbindung mit ruckartig auftretenden Kräften auch bei vorsichtigem Durchfahren der V-
Rinne zum Abrutschen der Silage, sofern diese nicht durch das Schneidmesser (vgl. Abb.
Bl. 110 oben d. GA) gesichert wird. Das Schneidmesser ist aber nur geeignet für die
Aufnahme von Vertikalkräften und nicht von Horizontalkräften, wie sie beim Durchfahren
der V-Rinne zwangsläufig auftreten. Folge hiervon ist, dass die Halterung des
Schneidmessers unter der Belastung leidet und über kurz oder lang - wie vorliegend zum
wiederholten Male - Schaden nimmt.
Die Aufpflasterung in Verbindung mit der V-Rinne stellt danach für den Kläger eine - von
ihm nicht vermeidbare - Gefahrenquelle dar. Eine Sicherung der Ladung in anderer Weise
als mit dem Schneidmesser ist mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln nicht möglich. Die
Befestigung mit einem Gurt würde nichts nützen, da die Silage, wie der Sachverständige
ausgeführt hat, auf dem Siloblockschneider gleichwohl verrutschen würde. Unzumutbar ist
die Sicherung der Ladung durch die vom Sachverständigen bei seiner Anhörung am
21.02.2000 beschriebene Vorrichtung. Nach dessen Angaben würde diese nämlich nicht
nur mehr als 1.000 DM kosten, sondern könnte auch nicht ständig angebracht bleiben. Sie
müßte jeweils vor Einholung der Silage angebracht und nach deren Abladung wieder
entfernt werden. Der Kläger kann auch nicht darauf verwiesen werden, zum Transport der
Silage einen anderen - sehr viel weiteren - (Um-)Weg durchs Dorf zu nehmen oder die
Silage auf dem Hofgelände zu lagern. Es ist die - vorrangige - Verpflichtung der Beklagten,
die T. Straße so zu gestalten, dass auf ihr eine betriebsgerechte Benutzung möglich ist.
Schon gar nicht darf die Beklagte gestalterischen Gesichtspunkten den Vorrang einräumen
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und den Zweck vernachlässigen, den die T. Straße als Fahrweg für landwirtschaftliche
Fahrzeuge zu erfüllen hat, nämlich eine gefahrlose Benutzung zu gewährleisten.
Die Beklagte hat die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht auch schuldhaft ver-letzt. Sie
war verpflichtet, die Oberflächenentwässerung darauf zu überprüfen, ob sie eine
Gefahrenquelle darstellt. Eine dahin gehende Überprüfung hätte, erforderli-chenfalls nach
sachkundiger Beratung, spätestens erfolgen müssen, nachdem sie von den Problemen, die
es beim Passieren der Aufpflasterung gab, unterrichtet worden war.
Demgegenüber lässt sich nicht feststellen, dass den Kläger ein mitwirkendes Verschulden
trifft. Er hat die Beklagte vergeblich um Abhilfe gebeten. Selbst im vorliegenden Verfahren
hat er seine Bereitschaft erklärt, auf die geltend gemachten Ansprüche zu verzichten, wenn
die Beklagte die V-Rinne so ändert, dass sie gefahrlos überfahren werden kann.
Wie der Sachverständige ausgeführt hat, ist wegen der örtlichen Gegebenheiten auch ein
Umfahren der V-Rinne nicht möglich. Ebensowenig ist der Kläger, wie oben bereits
ausgeführt, verpflichtet, für den Transport einen Umweg durch das Dorf zu machen. Soweit
die Kammer darauf verwiesen hat, dem Kläger sei es zuzumuten, die Fahrbahnvertiefung
vor dem Befahren mit Brettern oder Ähnlichem auszugleichen, verkennt sie den Inhalt der
Verkehrssicherungspflicht, wonach derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, die
notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen hat. Die Beklagte ist die
Pflichtige, nicht der Kläger.
2) Die Beklagte hat danach Ersatz für die Schäden zu leisten, die beim Passieren der hier
in Rede stehenden Gefahrenquelle an dem Schneidmesser und dessen Halterung
aufgetreten sind. Dies sind, wie der Sachverständige erläutert hat, folgende
Reparaturkosten:
- Rechnung der R.-Waren-Zentrale eG v. 6. 12. 1999 über 484,75 DM
- Rechnung der R.-Waren-Zentrale eG v. 11. 4. 2000 über 2.279,43 DM
- Rechnung der R.-Waren-Zentrale eG v. 27. 4. 2000 über 504,17 DM
- zusammen: 3.268,35 DM
Für die durch die Reparatur eintretende Werterhöhung ist ein Abzug neu für alt an-
zusetzen, der nach Einschätzung des Sachverständigen mit 10 % zu bewerten ist. Danach
steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch von 2.941,52 DM = 1.503,98 Euro zu.
3) Der Zinsanspruch ist nach § 288 BGB a. F. nur in Höhe von 4 % gerechtfertigt, da die
zuerkannten Beträge vor dem 01.05.2000 fällig geworden sind.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 5.453,45 DM = 2.788,30 Euro