Urteil des OLG Köln vom 16.07.1993

OLG Köln (amtliches kennzeichen, fahrverbot, umstände, ordnungswidrigkeit, begründung, staatsanwaltschaft, geschwindigkeit, ermessensspielraum, anordnung, erhöhung)

Oberlandesgericht Köln, Ss 278/93 (B) - 146 B -
Datum:
16.07.1993
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 278/93 (B) - 146 B -
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird als unbegründet
verworfen. Die Kosten des Rechtmittels und die dem Betroffenen in der
Rechtmittelinstanz ent-standenen notwendigen Auslagen trägt die
Staatskasse.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen einer fahrläs-sigen Ordnungswidrigkeit
gemäß §§ 41 (Z. 274), 49 StVO, 24 StVG" zu einer Geldbuße von 300,00 DM verurteilt.
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Es hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Betroffene ist arbeitslos. Er bezieht eine monat-liche Arbeitslosenhilfe von
1.000,00 DM. Mit einer Aushilfstätigkeit als Taxifahrer verdient er monatlich 300,00 DM
bis 350,00 DM hinzu.
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Der Betroffene wurde durch Bußgeldbescheid vom 18.12.1991 (OKD E., .................)
wegen einer Ge-schwindigkeitsüberschreitung um 30 km/h mit einer Geld-buße von
100,00 DM bestraft.
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Am 23.07.1992, 11.57 Uhr befuhr der Betroffene im Rahmen seiner Aushilfstätigkeit mit
dem Taxi D., amtliches Kennzeichen ..., in K. die Bundesautobahn bei km .......
zwischen den Anschlußstellen K. und K.B. in Richtung D.. Obwohl die zulässige
Höchstgeschwindigkeit in diesem Be-reich durch VZ 274 auf 100 km/h beschränkt war,
fuhr der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von 131 km/h.
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Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:
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Nach den Regelsätzen des Bußgeldkatalogs ist diese Tat grundsätzlich mit einer
Regelbuße von 150,00 DM behängt. Da der Angeklagte innerhalb eines Jahres vor
dieser be-reits einmal rechtskräftig wegen einer Geschwindigkeits-überschreitung um
mehr als 25 km/h bestraft ist, hat er gemäß § 2 BKatV darüber hinaus ein Fahrverbot
von 1 Mo-nat verwirkt.
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Vorliegend konnte jedoch in Abweichung von der im Buß-geldkatalog vorgesehenen
Regelbestrafung unter Erhöhung der zu verhängenden Geldbuße von der Verhängung
eines Fahrverbots abgesehen werden. Der Betroffene legt als Aushilfstaxifahrer
erhebliche Strecken zurück. Die Ord-nungswidrigkeit geschah darüber hinaus auf der
Autobahn unwiderlegt auf gerader freier Strecke, so daß entspre-chend der
unwiderlegten Einlassung davon auszugehen ist, daß die Ordnungswidrigkeit durch
einen kurzfristigen Konzentrationsmangel verursacht wurde.
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Darüber hinaus war der Betroffene in der Hauptverhand-lung im vollem Umfang
einsichtig. Aufgrund des Eindrucks in der mündlichen Verhandlung wird die
Verhängung einer erhöhten Geldbuße den Betroffenen nach Überzeugung des
Gerichts in nicht geringerem Maße als der Ausspruch eines Fahrverbots für die Zukunft
zu konzentrierter Ein-haltung der Geschwindigkeitsbeschränkungen anhalten.
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Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint unter Abwägung des
Schuldvorwurfs und der Einkommenslage des Betroffenen die Verhängung einer
gegenüber der Regelbuße erhöhten Geldbuß von 300,00 DM zur Ahndung der
begange-nen Ordnungswidrigkeit angemessen und ausreichend.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der
geltend gemacht wird, das Amtsgericht habe von der Anordnung eines Fahrverbots
nicht absehen dürfen. Dies sei nur beim Vorliegen außer-gewöhnlicher Umstände
gerechtfertigt, die den Gründen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen seien.
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Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, gegen deren Zulässigkeit im Hinblick
auf die Höhe der verhängten Geldbuße keine Bedenken bestehen (vgl. BGH NJW
1991, 1367 = VRS 81, 41; Senatsentscheidung vom 19.06.1990 - Ss 233/90 -) bleibt
ohne Erfolg.
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Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils ist nicht zu beanstanden. Es enthält die
erforderlichen Angaben zur ordnungsgemäßen Ermittlung der Geschwindigkeitsüber-
schreitung.
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Auch der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils läßt einen Rechtsfehler
nicht erkennen.
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Das Amtsgericht hat nicht verkannt, daß § 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV das Vorliegen eines
beharrlichen Verstosses i. S. von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert, so daß es
regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vgl.
BGH St 38, 231 = StVE Nr. 29 zu § 25 StVG = VRS 83, 212 = NZV 1992, 286; OLG
Düsseldorf VM 1992 Nr. 113).
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Allerdings befreit die BKatV Verwaltungsbehörden und Gerichte nicht von der - zur
Wahrung des durch die uneingeschränkte Bezugnahme von § 26 a StVG auf § 25
StVG auch vom Bundesverfassungsgericht konkretisierten Regelungsgehalts der
Ermächtigungsnorm - erforderlichen Einzelfallprüfung. Eingeschränkt wird vielmehr in
den katalogmäßig bestimmten Regelfällen nur der Begründungs-aufwand (vgl. BGH St
38, 125, 131 = NJW 1992, 1397), während umgekehrt das Absehen von der
Anordnung des Fahrverbots einer eingehenden Begründung bedarf (vgl. BGH St 38,
131). Aus einem Vergleich des Regelfahrver-bots in § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG bei
Verstößen gegen § 24 a StVG (vgl. auch § 2 Abs. 3 BKatV), wonach in diesen Fällen
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ein Fahrverbot in der Regel anzuordnen ist, mit den Regelungen in § 2 Abs. 1 und 2
BKatV, wonach bei den dort genanten Katalogtaten ein Fahrverbot in der Regel in
Betracht kommt, ergibt sich aber, daß dem Tatrichter bei der Entscheidung über ein
Absehen von der Anord-nung in den letztgenannten Fällen ein etwas größerer
Ermessensspielraum zur Verfügung steht. Damit wird dem Umstand Rechnung
getragen, daß die Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG sich in ihrem Unrechtsgehalt
und ihrer Gefährlichkeit deutlich von den Ordnungswidrigkeiten des § 24 StVG
unterscheidet, was auch in der höheren Bußgeldandrohung und der längeren
Verjährungsfrist zum Ausdruck kommt (vgl. Himmelreich/Hentschel, Fahrver-bot,
Führerscheinentzug, 7. Aufl., Band I., Rdnr. 341). Kann daher bei einem Verstoß gegen
§ 24 a StVG ein Fahrverbot nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher Art oder dann
entfallen, wenn das innere und äußere Erscheinungsbild außergewöhnlich weit vom -
weit auszu-legenden - Durchschnittsfall abweicht (vgl. BGH St 38, 134,
Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 32. Aufl., § 25 StVG, Rdnr. 15 a m.w.N.;
Himmelreich/Hentschel a.a.O., Rdnr. 342 a, b; Grohmann MDR 1991, 1026, 1027), so
können in den Fällen des § 2 Abs. 1 und 2 BKatV zur Begründung einer Ausnahme
unter Umständen schon erhebli-che Härten oder mehrere für sich genommen
gewöhnliche und durchschnittliche Umstände ausreichen (vgl. BGH a.a.O.;
Jagusch/Hentschel, a.a.O., Rdnr. 15 b m.w.N.; Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 13. Aufl.,
§ 25 StVG, Rdnr. 9; Janiszewske DAR 1992, 91; Grohmann a.a.O.; vgl. auch OLG
Karlsruhe DAR 1992, 437). Soweit die Oberlan-desgerichte Düsseldorf (a.a.O. sowie
NZV 1993, 241) und Oldenburg (NZV 1993, 278, 279) einen anderen Standpunkt zu
vertreten scheinen, kann ihnen im Hinblick auf die angeführte Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs und unter Berücksichtigung der mit Gesetzeskraft versehenen
Auslegung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG durch das Bun-desverfassungsgericht (vgl.
BVerfGE 27, 36 = NJW 1969, 1623) nicht gefolgt werden.
Den hiernach zu stellenden Anforderungen an die Begründung einer Ausnahme vom
Regelfahrverbot wird das angefochtene Urteil noch gerecht. Dabei ist zu berück-
sichtigen, daß die Entscheidung in erster Linie tatrich-terlicher Würdigung unterliegt
(vgl. BGH St 38, 237) und daher vom Rechtsbeschwerdegericht nur in
eingeschränktem Umfange, nämlich auf das Vorliegen von Ermessensfehlern hin, zu
überprüfen ist. Nur bei solchen Fehlern, insbesondere wenn das Tatgericht den ihm
eingeräum-ten Ermessensspielraum bei der Rechtsfolgenentscheidung überschreitet,
ist seine Entscheidung im Rechtsbeschwer-deverfahren angreifbar (vgl. BGH St 17,
36, 37 f; OLG Düsseldorf, VRS 73, 142, 143; OLG Hamm, VRS 74, 136 f). Ein
Rechtsfehler dieser Art ist den Ausführungen des Amtsgerichts nicht zu entnehmen. Es
hat bei seiner Ent-scheidung berücksichtigt, daß der Betroffene Vielfahrer ist, daß die
Überschreitung der Geschwindigkeit auf ge-rader freier Strecke und aufgrund
kurzfristigen Konzen-trationsmangels erfolgte und daß der Betroffene sich in vollem
Umfange einsichtig gezeigt hat. Nach dem Gesamt-zusammenhang der Urteilsgründe
kam hinzu, daß die jetzt abzuurteilende und die frühere Geschwindigkeitsüber-
schreitung nicht sehr hoch waren, der Betroffene sonsti-ge Vorbelastungen nicht
aufwies und er - bei äußerst be-schränkten finanziellen Verhältnissen - als Aushilfsta-
xifahrer auf die Fahrerlaubnis dringend angewiesen ist. Wenn das Amtsgericht
geglaubt hat, daß aufgrund der Ge-samtheit dieser Umstände - bei angemessener
Erhöhung der Geldbuße - auf die Verhängung des Fahrverbots verzichtet werden
könne, so ist dies aus der Sicht des Rechtsbe-schwerdegerichts nicht zu beanstanden,
wobei dahinstehen kann, ob nicht eine andere Entscheidung ebenso oder gar besser
vertretbar gewesen wäre. Die relative Weite des tatrichterlichen Ermessens bei der
Entscheidung, ob von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, mag zu einer ge-
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wissen Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung führen. Dies erscheint dem Senat jedoch
als nicht vermeidbare Konse-quenz der getroffenen Regelung. Der Gesetzgeber hätte
diese Konsequenz durch eine entsprechende Änderung des § 25 Abs. 1 StVG
vermeiden können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO in Verbin-dung mit § 46 OWiG.
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