Urteil des OLG Köln vom 22.01.2002

OLG Köln: schlüssiges verhalten, bezahlung, irreführung, irrtum, identifizierung, aufklärungspflicht, strafbarkeit, einfluss, beendigung, verfügung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 551/01 - 2/02 -
22.01.2002
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 551/01 - 2/02 -
Unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels wird das
angefochtene Urteil im Schuldspruch abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
Leverkusen vom 27. April 2001 wird mit der Maßgabe verworfen, dass
der Angeklagte des versuchten Betruges in 4 Fällen schuldig ist (§§ 263,
22, 23, 248a, 53 StGB).
Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Leverkusen hat den Angeklagten wegen Betruges in 4 Fällen zu einer
Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20 DM verurteilt, der Einzelstrafen von jeweils
20 Tagessätzen zugrunde liegen. Die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten ist
durch Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Köln vom 12. Oktober 2001
verworfen worden. Mit seiner Revision beantragt der Angeklagte die Aufhebung des
Berufungsurteils und seinen Freispruch, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an
das Landgericht. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der
Verfahrensrüge wird geltend gemacht, das Landgericht habe seine gesetzliche
Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO verletzt.
II.
Das Rechtsmittel begegnet hinsichtlich seiner Zulässigkeit keinen Bedenken. In der Sache
hat es nur insoweit Erfolg, als auf Grund der Sachrüge der Schuldspruch der tatrichterlichen
Entscheidungen in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO der Abänderung
unterliegt. Im Übrigen ist die Revision zu verwerfen, weil die Überprüfung des
angefochtenen Urteils auf Grund der Revisionsbegründung keinen Verfahrensmangel und
keinen auf das Ergebnis - nämlich den Rechtsfolgenausspruch - durchgreifenden
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im Dezember 1999 Halter
eines VW-Lieferwagens und eines Pkw der Marke Opel Kadett. Am 02.12., 07.12. und
14.12.1999 suchte er mit dem Lieferwagen eine Selbstbedienungstankstelle in L. auf,
betankte das Fahrzeug unter konkludenter Vortäuschung einer nicht vorhandenen
Zahlungsbereitschaft an Selbstbedienungszapfsäulen mit Dieselkraftstoff im Wert von
39,93 DM, 82,27 DM bzw. 46,03 DM und verließ sodann entsprechend seinem zuvor
gefaßten Entschluss mit dem Wagen das Tankstellengelände, ohne zu bezahlen. Am
13.12.1999 verfuhr er in gleicher Weise mit seinem Pkw, wobei er Superbenzin im Wert von
72,25 DM tankte. Die Kassierer der Tankstelle wurden auf die Taten jeweils erst
nachträglich dadurch aufmerksam, dass das - mit dem Einhängen der "Zapfpistole"
ausgelöste - Rotlichtzeichen auf dem Display der Kasse, mit dem die Sperrung der
betreffenden Zapfsäule bis zur Bezahlung angezeigt wird, längere Zeit aufleuchtete. Sie
stellten erst daraufhin jeweils fest, dass ohne Bezahlung getankt worden war, und nahmen
die Sicherung der Videoaufnahmen aus der Überwachungsanlage vor.
a)
Diese Feststellungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie halten der
revisionsgerichtlichen Überprüfung sowohl hinsichtlich der materiell-rechtlichen
Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung und deren Dokumentation in
den Urteilsgründen als auch im Hinblick auf den verfahrensrechtlich gebotenen Umfang der
Beweiserhebung stand.
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht seine Überzeugung von der Tat und der
Täterschaft des Angeklagten begründet hat, weisen keine revisiblen Mängel auf. Sie sind
weder in sich widersprüchlich noch lückenhaft oder unklar, lassen keine Verstöße gegen
Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze und keine Hinweise darauf erkennen, dass
falsche Maßstäbe für die zur Verurteilung erforderliche bzw. ausreichende Gewißheit
angelegt worden sind (vgl. dazu BGH NJW 2000, 370 [371]; BGH NJW 1998, 3068; OLG
Düsseldorf NZV 2000, 134 [135]; OLG Hamm VRS 101, 58 [59]; KG NJW 1999, 3500 m. w.
Nachw.; OLG Koblenz NZV 2001, 357 = DAR 2001, 418 [419]; OLG Zweibrücken StV
1998, 363; SenE v. 08.12.2000 - Ss 497/00 -; SenE v. 26.01.2001 - Ss 520-521/00 -; SenE
v. 06.06.2001 - Ss 161/01 -; SenE v. 30.10.2001 - Ss 412/01 -). Das gilt insbesondere für
die Erörterungen zu der Frage, ob der Angeklagte mit der Person identisch ist, die auf den
Lichtbildern (Videoprints) der Überwachungskamera beim Betanken seiner Fahrzeuge zu
den Tatzeiten abgebildet ist. Insoweit ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass die
Lichtbilder in ihrer Gesamtheit geeignet waren, als Grundlage einer hinreichend sicheren
Identifizierung zu dienen, und dass die Überzeugungsbildung der Strafkammer von der
Identität des Abgebildeten mit dem Angeklagten an unterscheidungskräftigen Merkmalen
festgemacht werden konnte. Dass geringfügige Abweichungen in Körperstatur und Frisur
vorlagen, hat die Kammer berücksichtigt ("zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung geringfügig
dünner"; "geringfügig kürzer geschnitten") und darüber hinaus auch die Existenz einer dem
Angeklagten ähnlichen Person in Erwägung gezogen. Wenn sie sich im Ergebnis davon
überzeugt hat, dass es sich bei dem Abgebildeten um den Angeklagten und nicht um eine
unbekannte andere Person handelt, so liegt darin entgegen der Auffassung der Revision
kein Verstoss gegen Denkgesetze.
Das Landgericht hat auch nicht seine Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) verletzt. Die
insoweit erhobene Verfahrensrüge führt nicht zu der Feststellung, dass eine zur Aufklärung
des Sachverhalts gebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens pflichtwidrig
unterlassen worden ist. Die Identifizierung eines Täters anhand von Fotos einer
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Überwachungskamera ist Sache des Tatrichters, der dazu grundsätzlich nicht der Mithilfe
eines Sachverständigen bedarf (BayObLG DAR 1999, 559 = NZV 2000, 48; vgl. a. BGHSt
30, 172 [177] = NJW 1981, 2133). Die Revisionsbegründung belegt demgegenüber nicht,
dass sich die Strafkammer im vorliegenden Fall die erforderliche eigene Sachkunde nicht
zutrauen durfte, sondern sich zur Heranziehung eines Sachverständigen gedrängt sehen
musste.
b)
Die demnach rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen
(vollendeten) Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) allerdings nicht. Denn es fehlt an einer auf das
täuschende Verhalten des Angeklagten zurückzuführenden Vermögensverfügung des
Tankstellenpersonals, weil der Tankvorgang von den Kassierern jeweils erst nachträglich
bemerkt worden ist.
aa)
Im Ansatz geht das Landgericht freilich zutreffend davon aus, dass (auch) beim
Selbstbedienungstanken derjenige, der mit von vornherein gegebener Zahlungsunwilligkeit
tankt und wegfährt, ohne den Kraftstoff zu bezahlen, sich in der Regel des Betruges
schuldig macht (BGH NJW 1983, 2827 m. krit. Anm. Gauf NStZ 1983, 505 u. Anm.
Deutscher NStZ 1983, 507; BGH NJW 1984, 501; SenE v. 08.03.2000 - Ss 92/00 - m. w.
Nachw.; Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 263 Rdnr. 63b; vgl. a. Herzberg
NJW 1984, 896; Borchert/Hellmann NJW 1983, 2799; w. Nachw. bei Tröndle/Fischer,
StGB, 50. Aufl., § 263 Rdnr. 7b). Indem er als Kunde auftritt und sich wie ein solcher verhält,
bringt er durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck, dass er den Kraftstoff nach Erhalt
bezahlen werde. Durch dieses Vortäuschen nicht vorhandener Zahlungsbereitschaft
erweckt er bei dem Tankstelleninhaber oder dessen Personal einen entsprechenden Irrtum
mit der Folge, dass ihm - sofern es sich um eine Bedienungstankstelle handelt, das Benzin
in den Tank eingefüllt oder - falls es eine Selbstbedienungstankstelle ist - das Einfüllen
gestattet wird (BGH NJW 1983, 2827). Die für den Betrugstatbestand vorauszusetzende
Verfügung liegt im Falle des Selbstbedienungstankens also darin, dass das
Tankstellenpersonal mit dem Tanken einverstanden ist (vgl. Cramer a.a.O. § 263 Rdnr.
63b).
Ein entsprechender Wille als Folge der Täuschungshandlung des Täters kann aber nur
gebildet werden, wenn eben diese Handlung von dem Tankstellenbetreiber oder seinen
Mitarbeitern überhaupt wahrgenommen worden ist. Bleibt der Täter dagegen - wie im
vorliegenden Fall - bis zur Beendigung des Tankvorgangs unbemerkt, gewinnt seine
Handlungsweise keinen Einfluss auf die Willensbildung
des Tankstellenpersonals und kann schon deshalb weder zu einem Irrtum noch zu einer
Vermögensverfügung in Bezug auf den von ihm getankten Kraftstoff führen. Eine
Strafbarkeit wegen vollendeten Betruges scheidet damit aus.
bb)
Die auf umfassender Sachverhaltsaufklärung beruhenden Urteilsfeststellungen tragen
jedoch die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Betruges (§§ 263, 22 StGB).
In dieser Hinsicht ist zu beachten, dass ein entsprechender Schuldspruch in
Fallgestaltungen der hier vorliegenden Art zwar regelmäßig in Betracht kommt (BGH NJW
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1983, 2827; SenE v. 08.03.2000 - Ss 92/00 -; vgl. a. Cramer a.a.O. § 263 Rdnr. 28), aber
ausnahmsweise nicht gerechtfertigt ist, sofern der Täter wahrnimmt, dass sein Tanken nicht
beobachtet wird, und er sicher ist, ungesehen zu bleiben. Denn in diesem Fall bildet er
keinen Täuschungsvorsatz. Die in § 263 StGB vorausgesetzte Täuschungshandlung setzt
auch in der Modalität des schlüssigen Verhaltens ein zur Irreführung eines Menschen
bestimmtes und damit der Einwirkung auf das intellektuelle Vorstellungsbild dieses
Menschen dienendes Gesamtverhalten voraus. An dem Tatentschluss zu einem solchen
Verhalten fehlt es, wenn der Täter davon ausgehen darf, dass er sein Vorhaben, ohne
Bezahlung zu tanken, unbemerkt verwirklichen kann (vgl. Borchert/Hellmann NJW 1983,
2799 f.; Herzberg NJW 1985, 896; Gauf NStZ 1983, 505 [506]).
Allerdings sind kaum noch Fälle vorstellbar, in denen der Täter diese Überzeugung
gewinnen kann. Vielmehr ist bei realitätsnaher Betrachtung unter den heutigen
Verhältnissen stets mit der Möglichkeit der unmittelbaren oder durch
Überwachungsanlagen vermittelten Wahrnehmung zu rechnen (vgl. a. Tröndle/Fischer
a.a.O. § 242 Rdnr. 24). Abgesehen von Ausnahmesituationen ist daher davon
auszugehenen, dass der Täter beim Vorfahren an der Tankstelle billigend in Kauf nimmt, er
könne jederzeit bemerkt werden, und dass er für diesen Fall auf eine Irreführung des
Beobachters abzielt, also mit zumindest bedingtem Täuschungsvorsatz handelt
(einschränkend insoweit noch Gauf a.a.O.). Das gilt auch für den vorliegenden Fall. Das
Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte jeweils wahrheitswidrig
vorspiegelte, den Kraftstoff nach Erhalt bezahlen zu wollen. Anhaltspunkte zu Zweifeln
daran, dass er mit der Möglichkeit seiner Beobachtung während des Tankens rechnete,
lagen ersichtlich nicht vor.
c) Der Senat kann in entsprechender Anwendung der §§ 353, 354 Abs. 1 StPO den
Schuldspruch nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen abändern (vgl. BGHSt 8,
191 [193] = NJW 1956, 32; BGHSt 10, 404 [405] = NJW 1957, 1845; BGH NJW 1964, 210
[212]; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 354 Rdnr. 11 - 17; Kuckein, in:
Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 354 Rdnr. 12, 15; Hanack, in: Löwe-Rosenberg,
StPO, 24. Aufl., § 354 Rdnr. 30). Denn zum einen ermöglichen die getroffenen
Feststellungen eine abschließende materiell-rechtliche Beurteilung (vgl. dazu SenE v.
06.06.2000 - Ss 227/00 - = VRS 99, 363 = VM 2000, 86 [Nr. 95]; OLG Saarbrücken StraFo
2001, 203 [204]). Zum anderen ist auszuschließen, dass eine erneute tatrichterliche
Verhandlung zu weitergehenden Feststellungen führen könnte, die eine Verurteilung
wegen vollendeten Betruges tragen würden.
Die Bestimmung des § 265 StPO steht der Entscheidung nicht entgegen, weil der
Angeklagte jegliche Tatbeteiligung bestritten hat und sich bei Erteilung eines rechtlichen
Hinweises somit nicht anders hätte verteidigen können (SenE v. 16.02.2001 - Ss 31/01 -;
SenE v. 30.10.2001 - Ss 412/01 -).
2)
Die Änderung des Schuldspruchs bedingt im vorliegenden Fall keine Aufhebung im
Rechtsfolgenausspruch. Der Senat kann nämlich ausschließen, dass die rechtsfehlerhafte
Annahme der Tatvollendung sich bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten
ausgewirkt hat. Die rechtliche Bewertung der Taten als Versuch beruht nicht etwa darauf,
dass der vom Vorsatz umfasste Taterfolg ausgeblieben wäre, sonder vielmehr darauf, dass
es - ohne Wissen und Wollen des Angeklagten - an der kausalen Verknüpfung zwischen
seinem tatbestandsmäßigen Handeln einerseits sowie dem angestrebten und
eingetretenen Taterfolg andererseits fehlt. In dieser Hinsicht hat die Strafkammer nichts
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verkannt und den Unrechts- und Schuldgehalt der Taten zutreffend eingeschätzt. Es
bestand ersichtlich kein Anlass, unter Heranziehung der Milderungsmöglichkeit gemäß §§
49 Abs. 1, 23 Abs. 2 StGB die Einzelstrafen noch niedriger als geschehen (mit jeweils 30
Tagessätzen) festzusetzen.
3)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Der Teilerfolg des Rechtsmittels
rechtfertigt eine Gebührenermäßigung und eine Belastung der Staatskasse mit Auslagen
des Angeklagten aus Billigkeitsgründen gemäß § 473 Abs. 4 StPO nicht, weil davon
auszugehen ist, dass die Revision auch eingelegt worden wäre, wenn der Schuldspruch
bereits in der Vorinstanz entsprechend der Senatsentscheidung ergangen wäre.