Urteil des OLG Köln vom 24.04.2009
OLG Köln: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, sozialhilfe, bedürftigkeit, erwerbseinkommen, einkünfte, meinung, nettoeinkommen, anspruchsvoraussetzung, ermessen, erwerbstätigkeit
Oberlandesgericht Köln, 4 WF 39/09
Datum:
24.04.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 WF 39/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Eschweiler, 13 F 165/08
Tenor:
Die Streitwertbeschwerde des Verfahrensbevollmächtigten der
Antragstellerin wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
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Die gemäß §§ 33 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 RVG, 68 Abs. 1 GKG zulässige - insbesondere
fristgerecht eingelegte – Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin
ist unbegründet.
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Zu Recht hat das Familiengericht den Gegenstandswert für die Scheidungssache auf
2.400,00 € (gerundet) festgesetzt. Gemäß § 48 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 GKG ist der
Gegenstandswert in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Umfanges und der Bedeutung der
Sache und der Vermögens- und Einkommenssituation der Parteien, nach seinem
Ermessen zu bestimmen, wobei für die Einkommensverhältnisse der Parteien das in 3
Monaten erzielte Nettoeinkommen einzusetzen ist und der Streitwert nicht unter
2.000,00 € angenommen werden darf.
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Zutreffend hat das Familiengericht das Einkommen der Parteien auf gerundet 2.400,00 €
angenommen. Zu Recht hat es nämlich die von der Antragstellerin bezogenen
Leistungen nach SGB II als Einkommen unberücksichtigt gelassen. Der Senat schließt
sich insoweit den überzeugenden Argumenten des OLG Schleswig in dessen
Beschluss vom 27.10.2008 – 13 WF 135/08 – (veröffentlich u. a. in FuR 2009, 179) an,
wonach Sozialhilfeleistungen nicht als Einkommen im Sinne des § 48 Abs. 3 GKG
anzusehen sind. Zutreffend fasst das Oberlandesgericht Schleswig in der zitierten
Entscheidung des Meinungsstreit hierzu wie folgt zusammen:
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"… Die herrschende Meinung lehnt dies (Bewertung des Arbeitslosengeldes II als
Einkommen, Anmerkung des Gerichts) ab, da das Gesetz hinsichtlich der
Gebührenberechnung mit der Bezugnahme auf das Einkommen der Eheleute
ersichtlich an deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpfe. Rein staatliche
Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II könnten aber die individuelle
Belastbarkeit der Eheleute nicht bestimmen, sondern seien gerade Ausdruck
fehlender eigener Mittel der Empfänger (es folgen umfangreiche Rechtsprechungs-
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und Literaturzitate). Diese Auslegung des § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG wurde vom
Bundesverfassungsgericht aus verfassungsrechtlicher Sicht ausdrücklich nicht
beanstandet (Bundesverfassungsgericht FamRZ 2006, 841).
Die Gegenansicht will das Arbeitslosengeld II in die Bemessung des Streitwertes
einbeziehen, da der Wortlaut des Gesetzes nicht danach differenziere, aus welcher
Quelle das bezogene Einkommen stamme. Der Wortlaut des § 48 Abs. 2 GKG
erkläre die Einkommensverhältnisse der Parteien ohne Rücksicht auf eine
wirtschaftliche Belastbarkeit und ohne Unterscheidung nach Einkommensquelle für
maßgebend. Es lasse sich dem Gesetzeswortlaut nicht im Wege eines
Umkehrschlusses entnehmen, dass die Einkommensverhältnisse ausschließlich
von Nettoeinkünften, also vom Erwerbseinkommen bestimmt sein sollten. Dass der
Mindestwert von 2.000,00 € gemäß § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG durch diese Auslegung
seine praktische Bedeutung nahezu einbüße, liege nicht in einer zu weiten
Fassung des Einkommensbegriffs begründet, sondern darin, dass der Mindestwert
von 2.000,00 € inzwischen weit hinter dem zurückbleibe, was 2 Personen für 3
Monate als Einkommensminimum benötigten (es folgen weitere Zitatstellen für die
oben wiedergegebene Meinung).
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Der Senat folgt der erstgenannten Auffassung, dass der Bezug von Sozialleistungen
kein für die Streitwertfestsetzung in einer Ehesache relevantes Einkommen darstellt. Die
rein am Wortlaut ("Einkommen") orientierte Auslegung der Gegenmeinung (so auch der
12. Zivilsenat – Familiensenat – des OLG Köln in seinem Beschluss vom 17.12.2008 zu
Aktenzeichen 12 WF 167/08) überzeugt nicht. Vielmehr ist auf Sinn und Zweck der
genannten Wertvorschrift abzustellen. Den Senat überzeugen die Argumente, wonach
die Vorschriften über die Streitwertbestimmung in Ehesachen nicht wie z. B. die
Prozesskostenhilfevorschriften das konkret verfügbare "flüssige" Einkommen und
Vermögen in den Vordergrund stellen, sondern an eine weitergehende
Statusbetrachtung anknüpfen, nach der vom 3-fachen Nettomonatseinkommen der
Eheleute auszugehen ist. Anzustellen ist danach eine Gesamtbetrachtung der
wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute unter Einbeziehung sozialer Gesichtspunkte,
denen die Vorschrift des § 48 Abs. 3 GKG Rechnung trägt. Dann erscheint es aber nicht
gerechtfertigt, die Streitwertermittlung unter Einbeziehung des Arbeitslosengeldes II
vorzunehmen. Der finanzielle Status von SGB II-Leistungsbeziehern bewegt sich auf
dem nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches definierten niedrigsten Niveau in
Deutschland (vgl. OLG Hamburg OLGR 2006, 269 f.). Folgt man der gesetzgeberischen
Intension der Regelung in § 48 Abs. 3 GKG, sollen aber nur solche Einkünfte der
Eheleute bei der Streitwertberechnung mit herangezogen werden, die Ausdruck ihrer
Leistungsfähigkeit sind. Die Festsetzung angemessener Gebühren soll im jeweils
konkret zu beurteilten Fall nach sozialen Gesichtspunkten möglich sein. Der Streitwert
und danach die Höhe der Gerichtsgebühren sollen sich demnach gerade an der
wirtschaftlichen Gesamtsituation der Eheleute unter Berücksichtigung einer
möglicherweise schlechteren finanziellen Situation einer der Parteien bemessen.
Staatliche Unterstützungsleistungen wie das Arbeitslosengeld II sind aber gerade nicht
Zeichen der Leistungsfähigkeit der Parteien, sondern vielmehr Ausdruck ihrer
Bedürftigkeit. Sie decken das Existenzminimum ab und geben keine Rechtfertigung
dafür, höhere Gebühren verlangen zu können. Zum Nettoeinkommen im Rahmen der
Streitwertermittlung sind demgemäß nur Einkünfte zu zählen, denen eine
Erwerbsleistung der Parteien zugrunde liegt (so OLG Schleswig a.a.O.; OLG Düsseldorf
FamRZ 2006, 807). Das am 01.01.2005 eingeführte Arbeitslosengeld II beruht auf einer
Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe. Nach seiner Struktur stellt
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es eine Sozialhilfe für Bedürftige, aber arbeitsfähige Personen dar (OLG Schleswig
a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Dresden NJW-RR 2007, 1161 f.). Das
Arbeitslosengeld II wird nur für den Fall der Bedürftigkeit gewährt.
Anspruchsvoraussetzung ist nicht eine vorangegangene Erwerbstätigkeit, sondern nur
die Erwerbsfähigkeit des Empfängers. Die Höhe orientiert sich nicht an
vorausgegangenen Arbeitseinkünften, sondern nur am Grundbedarf des
Leistungsempfängers. Dem Arbeitslosengeld II kommt keine Lohnersatzfunktion zu; es
kann als Sozialhilfe für Hilfsbedürftige, arbeitsfähige Personen charakterisiert werden
(so OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 807 zitiert in OLG Schleswig a.a.O.). Die staatlichen
Zuwendungen sind damit gerade Ausdruck fehlender eigener Mittel der Empfänger.
Entgegen der Auffassung der Gegenmeinung spricht auch die Festlegung eines
Mindestwertes auf 2.000,00 € gemäß § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG für diese Auslegung der
Gesetzesnorm. Sie gestattet es, einen auch für die wirtschaftlichen Belange der
Prozessbevollmächtigten der Eheleute vertretbaren wirtschaftlichen Geschäftswert zu
bestimmen. So wird der Leistungsfähigkeit der Eheleute und den wirtschaftlichen
Interessen des Anwaltes in vertretbarem Rahmen Rechnung getragen, ohne dass die
staatlichen Sozialhilfestellen (Prozesskostenhilfe) noch weiter über Gebühren
beansprucht werden müssten.
Im Übrigen kann die Berechnung des Streitwerts nicht beanstandet werden. Erhebliche
Einwendungen werden mit Beschwerde hiergegen auch nicht vorgebracht. Die vom
Erwerbseinkommen vorgenommenen Abzüge – insbesondere die Berücksichtigung
gezahlten Kindesunterhalt – entsprechen der Rechtslage.
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Im Hinblick auf § 33 Abs. 9 RVG ist eine Kostenentscheidung entbehrlich.
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Der Gegenstandswert der Beschwerde liegt über 200,00 €.
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