Urteil des OLG Köln vom 24.01.2001

OLG Köln: vernehmung von zeugen, firma, bürgschaftserklärung, ergänzung, verkäuferin, bürge, alibibeweis, unterzeichnung, unterlassen, gegenpartei

Oberlandesgericht Köln, 13 U 89/00
Datum:
24.01.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 89/00
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 22 O 499/99
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 22. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 9. März 2000 - 22 O 499/99 - aufgehoben und
der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Ent-scheidung - auch
über die Kosten der Berufung, mit Ausnahme der Gerichtskosten, die
nicht zu erheben sind - an das Landgericht zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Das Rechtsmittel führt gemäß § 539 ZPO zur Aufhebung des auf verfahrensfehlerhafter
Grundlage ergangenen Urteils des Landgerichts und zur Zurückverweisung des
Rechtsstreits zum Zwecke der Sachaufklärung und erneuten Entscheidung.
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1. Es ist bereits in sich widersprüchlich, dass das Landgericht das Bestreiten des
Beklagten einerseits als "völlig unsubstantiiert" angesehen, andererseits
gleichwohl nach den §§ 296, 282 Abs.1 und 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen
hat. Ein zwar verspätetes, zugleich aber mangels erforderlicher Substantiierung
unerhebliches Vorbringen kann die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern,
weil es die Entscheidungsreife nicht hindert.
2. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des
darlegungspflichtigen Klägers das "einfache Bestreiten" des Beklagten. Anderes
gilt nur, wenn lediglich die beklagte Partei die wesentlichen Tatsachen kennt,
während die Klagepartei außerhalb des eigentlichen Geschehensablaufs steht,
wobei die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden davon
abhängen, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat (st.
Rspr., z.B. BGH NJW 1999, 1404, 1405; NJW 1995, 3311, 3312).
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1. Bei Anlegung dieser Maßstäbe war das einfache Bestreiten des als Bürge in
Anspruch genommenen Beklagten, er habe die von der Klägerin als Anlage K1 zu
den Akten gereichte Bürgschaftserklärung nie abgegeben, die Unterschriften auf
dem Formular stammten nicht von ihm, auch seien ihm die dort - als Verkäufer-
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und Vermittlerfirma - genannte Firma E. GmbH sowie die näheren Umstände des
in Rede stehenden Darlehens völlig unbekannt, ausreichend und wirksam. Die
Erheblichkeit dieses Bestreitens hing nicht davon ab, dass der Beklagte eine
Erklärung dafür bot, wie die Klägerin zu den ihn als Bürge ausweisenden
Angaben auf dem Darlehensantrag vom 18.03.1998 mit zwei Unterschriften, die
den Vornamen des Beklagten erkennen lassen, gekommen sein mochte. Es wäre
vielmehr zunächst einmal Sache der Klägerin gewesen, ihrerseits substantiiert
darzulegen, wie sie zu diesen Angaben gekommen ist.
2. Es befremdet daher schon, dass mit der Terminsverfügung vom 14.12.1999
lediglich dem Beklagten eine Frist zur "ergänzenden" Klageerwiderung gesetzt
wurde (eine gewisse Erklärung hierfür mag immerhin bieten, dass sich der
Beklagte in der Klageerwiderung weiteren Sachvortrag vorbehalten hatte), ohne
dass jedenfalls auch die Klägerin zu der in der Tat notwendigen Ergänzung ihres
Vorbringens aufgefordert wurde. Der Beklagte ist der Aufforderung zur Ergänzung
seines Vorbringens im Übrigen fristgemäß nachgekommen, indem er darauf
hingewiesen hat, dass er der Darlehensnehmerin, Frau S., zwar in einem anderen
Zusammenhang einmal bei der - bereits abgewickelten - Finanzierung eines
Fahrzeugs ausgeholfen habe. Mit der vorliegenden Angelegenheit habe er jedoch
nichts zu tun, insbesondere keine Bürgschaftserklärung abgegeben, und Frau S.
auch seit Oktober 1997 nicht mehr gesehen. Da die Pflicht zur Substantiierung, die
jeder Partei obliegt, ihre Grenze in dem subjektiven Wissen der Parteien und der
Zumutbarkeit weiterer Ausführungen hat, ist nicht ersichtlich, welche Angaben die
Zivilkammer insoweit noch vom Beklagten erwarten zu können glaubte.
3. Dieses Bestreiten des Beklagten bedurfte auch keiner weiteren Substantiierung,
nachdem die Klägerin ihrerseits mit Schriftsatz vom 17.01.2000 und - korrigierend -
mit weiterem Schriftsatz vom 28.01.2000 dargestellt hatte, wie es zu der
Bürgschaftserklärung des Beklagten gekommen sein soll. Danach waren die
Unterschriften sowohl der Darlehensnehmerin - und Käuferin des Fahrzeugs - als
auch des Beklagten bei der Verkäuferin geleistet worden. Als Verkäufer- und
Vermittlerfirma hatte die Klägerin zunächst - wie auch im Darlehensantrag vom
18.03.1998 ausgewiesen - die Firma E. GmbH bezeichnet und demgemäß auch
deren Geschäftsführer zum Nachweis dafür benannt, dass diese Vermittlerin sich
den Personalausweis des Beklagten hat vorlegen lassen und nach Feststellung
der Identität des Beklagten "in ihrer Anwesenheit die Unterschrift auf der
Bürgschaftserklärung am 18.03.1998 entgegengenommen" habe. Die
"Selbstauskunft" mit den Angaben zu Antragsteller und Bürgen (Bl. 52) sowie die
"Legitimationsprüfung" (Bl. 53) sind ebenfalls auf Kopfbögen der Firma E. erstellt,
die letztere weist auch diese Firma als diejenige aus, welche die
Legitimationsprüfung vorgenommen habe. Erst mit Schriftsatz vom 28.01.2000 hat
die Klägerin diese Angaben dahin korrigiert, dass eine damals bereits in
Liquidation befindliche Firma I. diejenige gewesen sei, welche sich als
Verkäuferin die Personalausweise der Darlehensnehmerin und des Beklagten
habe vorlegen lassen und auch die Identität des Beklagten festgestellt habe,
während die Finanzierung über die Firma E. abgewickelt worden sei, der eine
Mitarbeiterin der Firma I. zu diesem Zweck die maßgeblichen
Darlehensunterlagen überbracht habe.
4. Wenn der Beklagte daraufhin in der mündlichen Verhandlung vor der Zivilkammer
vom 17.02.2000 versucht haben mag, Mutmaßungen darüber anzustellen, "wie es
zu Manipulationen mit den verwendeten Daten in der Selbstauskunft und der
Legitimationsprüfung und zu einer Unterschriftsfälschung gekommen sein kann"
(Seite 6 der Urteilsausfertigung), so ist weder nachvollziehbar, welche
substantiierten Tatsachenbehauptungen dem Beklagten insoweit für ein
wirksames Bestreiten abzuverlangen sein sollten, noch gar, inwiefern ein solcher
auf Vermutungen beruhender Erklärungsversuch als verspätetes Bestreiten den
Präklusionsvorschriften unterliegen soll. Offenbar stützten sich die Vermutungen
des Beklagten darauf, dass der Fahrzeugkauf, bei dessen Finanzierung er nach
eigenen - in der Berufungsverhandlung unter Vorlage einiger Unterlagen
ergänzten - Angaben im Jahre 1997 Frau S. behilflich gewesen ist, eben bei dem
Autohaus I. erfolgt sei (Seite 4 der Berufungsbegründung), das die Klägerin
überhaupt erst mit Schriftsatz vom 28.01.2000 in den Rechtsstreit eingeführt hat.
Im Übrigen erschließt sich auch nicht, inwiefern der Rechtsstreit nach Auffassung
der Zivilkammer mit einer prozessleitenden Ladung und Vernehmung der beiden
von der Klägerin für die Unterschriftsleistung des Beklagten benannten Zeugen
hätte zum Abschluss gebracht werden können, obwohl sowohl die Klägerin (Bl.
51) als auch - gegenbeweislich - der Beklagte (Bl. 41) die Einholung eines
Schriftsachverständigengutachtens beantragt haben. Zur Vorlage notwendigen
Schriftvergleichsmaterials hat sich der Beklagte in der Berufungsverhandlung
erboten.
1. Die im angefochtenen Urteil als Grundlage der Überzeugungsbildung nach § 286
ZPO angeführte "gesamte Verfahrenssituation" gibt daher tatsächlich für eine
solche Überzeugung nichts her, sondern stellt sich als Ergebnis nicht nur
überspannter, sondern auch verfahrensfehlerhafter Anforderungen an das
Bestreiten des Beklagten sowie rechtsfehlerhafter Zurückweisung vermeintlich
verspäteten Vorbringens des Beklagten dar. Das angefochtene Urteil beruht
insoweit auf einer groben Verletzung des Gebots, alle erheblichen Beweismittel zu
erschöpfen. Die Sache ist daher gemäß § 539 ZPO unter Aufhebung des
angefochtenen Urteils an das Landgericht zur Nachholung der versäumten
Sachaufklärung zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung des Senats
gemäß § 540 ZPO ist angesichts der Schwere der Verfahrensverstöße und des
Umfangs der Sachaufklärung, die voraussichtlich neben der Vernehmung von
Zeugen die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert, nicht
sachdienlich.
2. Soweit die Berufung ihrerseits nunmehr den Vortrag der Klägerin zur
Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung am 18.03.1998 als unsubstantiiert
bezeichnet, weil eine Angabe zur Tageszeit fehlt, sei angemerkt: Der Umstand,
dass der Beklagte mangels genauer Zeitangaben keinen "Alibibeweis" (im Sinne
zeitlicher Verhinderung aus beruflichen Gründen) führen kann, ist kein Grund, den
Vortrag der Klägerin als unsubstantiiert zurückzuweisen. Es bleibt dem Gericht
und der Gegenpartei unbenommen, die Zeugen nach allen Einzelheiten zu
befragen, die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundung von
Bedeutung sein können, insbesondere nach Ort, Zeit und Begleitumständen; die
Beweiserhebung darf indessen nicht davon abhängig gemacht werden, dass die
beweispflichtige Partei solche Einzelheiten vorträgt (vgl. BGH NJW 1999, 1859,
1860), zumal es sich hier nicht um einen Gegenstand aus dem eigenen
Wahrnehmungsbereich der Klägerin handelt. Als Schlüssigkeitsvoraussetzung ist
die Angabe näherer Einzelheiten nur dann nötig, wenn diese für die Rechtsfolgen
von Bedeutung sind oder der Vortrag infolge der Einlassung des Beklagten unklar
wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten
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Rechts zulässt (BGH NJW-RR 1998, 712). Für die Schlüssigkeit der Behauptung
einer wirksamen Bürgschaftserklärung des Beklagten bedarf es der Angabe der
Tageszeit nicht.
3. In der Berufungsverhandlung hat sich der Beklagte auch zu dem von der Klägerin
behaupteten und durch ihre Mitarbeiterin Frau S. zu Beweis gestellten
Telefongespräch, welches am 18.02.1999 stattgefunden haben soll, und dessen
Inhalt geäußert. Im Rahmen einer indiziellen Gesamtwürdigung kann dieses
Gespräch ebenfalls in die Sachaufklärung einzubeziehen sein.
4. Nach § 8 Abs.1 S.1 GKG war anzuordnen, dass die Gerichtskosten des
Berufungsverfahrens nicht zu erheben sind, weil sie auf einer unrichtigen
Sachbehandlung durch die Zivilkammer des Landgerichts beruhen. Bei
Aufhebung und Zurückverweisung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels
ist die Nichterhebung der durch das Rechtsmittel verursachten Gerichtskosten
jedenfalls dann geboten, wenn das erstinstanzliche Gericht - wie hier - unter
Übergehung entscheidungserheblicher Beweisantritte jegliche Sachaufklärung
unterlassen hat und diese verfahrensfehlerhafte Handhabung, zu der die belastete
Partei nicht beigetragen hat, nur im Wege der Berufung korrigiert werden kann. Im
Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Berufung der
verfahrensabschließenden Sachentscheidung des Landgerichts vorbehalten.
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Streitwert der Berufung und Urteilsbeschwer: 28.056,15 DM.
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