Urteil des OLG Köln vom 20.06.2008
OLG Köln: einstweilige verfügung, werbung, who, irreführung, beitrag, medizinprodukt, mortalität, hauptsache, wiedergabe, sicherheit
Oberlandesgericht Köln, 6 U 9/08
Datum:
20.06.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 9/08
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 81 O 220/07
Normen:
HWG § 3; UWG §§ 4 Nr. 11; 5
Tenor:
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 30. November 2008
verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Köln - 81 O 220/07 - wird, soweit nicht der Verfügungsantrag
zurückgenommen oder das Verfahren von den Parteien in der
Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist,
zurückgewiesen; die Urteilsformel wird klarstellend wie folgt neu gefasst:
Die einstweilige Verfügung der 1. Kammer für Handelssachen des
Landgerichts Köln - 81 O 220/07 - vom 21. August 2007 wird bestätigt,
soweit damit angeordnet worden ist:
Die Antragsgegnerin hat es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden
Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu
250.000,00 € zu unterlassen,
zu Zwecken des Wettbewerbs das Medizinprodukt N. gegenüber
Fachkreisen mit nachfolgenden Aussagen zu bewerben oder bewerben
zu lassen:
Bereits nach fünf Minuten erzielte N. eine Mortalität von 100 % -
und/oder - Die dimeticonhaltige Lösung zeigte be-reits nach wenigen
Minuten eine 100%ige abtötende Wirkung an Kopfläusen - und/oder -Die
In-vitro-Vergleichsstudie belegt eine 100%ig abtötende Wirkung an
Kopfläusen - und/oder - Dies führt unweigerlich zum Ersticken der Läuse
und ihrer Entwicklungsstadien (Larven, Eier / Nissen),
wenn dies geschieht wie in dem nachfolgend wiedergegebenen Internet-
Auszug:
pp.
Von den Kosten des Verfahrens haben die Antragsgegnerin 7/8 und die
Antragstellerin 1/8 zu tragen.
G r ü n d e
1
I.
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Die Antragstellerin vertreibt ein Mittel zur Bekämpfung von Kopflausbefall. Sie nimmt die
Antragsgegnerin, Anbieterin des konkurrierenden Mittels N., das Kopfläuse mit einer die
Atmung angreifenden hochprozentigen Lösung des Silikonöls Dimeticon bekämpft, auf
Unterlassung einer als Artikel einer Medizin-Journalistin formulierten, auf eine In-vitro-
Vergleichsstudie von O. gestützten Werbung in Anspruch, die Ende Juli 2007 im
geschützten, an Fachkreise gerichteten Bereich ihrer Webseite erschien. Das
Landgericht hat die beantragte einstweilige Verfügung – sinngemäß – erlassen und mit
dem angefochtenen Urteil bestätigt. Im Berufungsrechtszug hat die Antragstellerin einen
Teil ihrer Anträge zurückgenommen; in Bezug auf einen weiteren Teil der Anträge
haben die Parteien das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt
erklärt. Mit ihrer die Aufhebung des verbleibenden Teils der einstweiligen Verfügung
erstrebenden Berufung rügt die Antragsgegnerin Rechtsanwendungsfehler des
Landgerichts, während die Antragstellerin die Entscheidung verteidigt.
3
II.
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Die zulässige Berufung hat – soweit darüber noch zu entscheiden war – in der Sache
keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die in der Urteilsformel in konkreter
Verletzungsform wiedergegebenen Werbeaussagen als irreführend angesehen und die
Antragsgegnerin zu ihrer Unterlassung verpflichtet §§ 3, 5, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr.
1 UWG, § 3 HWG.
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Eine Werbeaussage ist – unabhängig von ihrer objektiven Richtigkeit – irreführend,
wenn sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen ein Verständnis erweckt, das mit
den tatsächlichen Verhältnissen nicht im Einklang steht, wobei der Werbende auch eine
ungünstigere, aber verständigerweise mögliche Auslegung gegen sich gelten lassen
muss (vgl. Hefermehl / Köhler / Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 26. Aufl., § 5 UWG Rn.
2.67, 2.69, 2.71 f., 2.111 m.w.N.). So liegt es bei den im Verfügungsantrag verbalisierten
und mit "und/oder" verbundenen Angaben, deren Untersagung die Antragstellerin
begehrt:
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1. Die Angabe, dass das Medizinprodukt der Antragsgegnerin ausweislich der in der
Werbung referierten In-vitro-Vergleichsstudie in Bezug auf die untersuchten Kopfläuse
bereits nach fünf Minuten eine Mortalität von 100 % erzielt habe, ist zumindest
mehrdeutig. Gerade derjenige Teil der Fachkreise, der auf Grund biologischer oder
parasitologischer Vorkenntnisse weiß, dass ein exakter Todeszeitpunkt bei Insekten
sehr schwer zu definieren ist, und die dafür im wissenschaftlichen Schrifttum
herangezogenen Kategorien kennt, wird der angegriffenen Aussage entnehmen, dass
sämtliche (100 %) der in vitro untersuchten Parasiten bereits nach fünf Minuten keinerlei
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Lebenszeichen ("no vital signs") mehr hätten erkennen lassen, obwohl dies gemäß der
Studie (Anl. ASt 6 = AG 1, Seite 3) bis zu diesem Zeitpunkt nur bei 31 von 50
Kopfläusen (62 %) der Fall war.
Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, nach Veröffentlichungen wie dem auf ein
WHO-Testprotokoll bezogenen Beitrag von A. (Anl. AG 6) reiche bereits ein – in dem
Beitrag von A. und dem Artikel von M. (Anl. AG 7) als "knockdown" bezeichneter –
Status reduzierter Aktivität ("minor vital signs") aus, die Kopfläuse als tot zu definieren,
gilt dies auch nach ihrem eigenen Vorbringen nur unter der weiteren Voraussetzung,
dass sich der "knockdown"-Status nach fortgesetzter Beobachtung (gemäß WHO-
Empfehlung über 24 Stunden) als irreversibel erwiesen hat. Aus der Studie von M. (Anl.
AG 7) mag darüber hinaus zu entnehmen sein, dass sämtliche Kopfläuse, die im
Untersuchungsverlauf nach 10 Minuten den "knockdown"-Effekt zeigten, nach 18
Stunden definitiv tot waren. Danach ist aber ein nach fünf Minuten beobachteter
"knockdown"-Status allein – wie im Übrigen auch die Ergebnisse der streitbefangenen
Studie für die Konkurrenzprodukte L. und H. belegen – keineswegs ein sicheres
Mortalitätskriterium. Doch wird gerade der besonders fachkundige Teil der
Werbeadressaten in Kenntnis der vorbezeichneten Zusammenhänge dazu neigen, die
Aussage nicht nur so zu verstehen, dass alle in das Mittel der Antragsgegnerin
eingetauchten Kopfläuse – wie die Verfasser der Studie nach 24stündiger Beobachtung
rückschließend festgestellt hätten – sicher getötet worden seien, sondern dass sich
diese Wirkungsaussage sogar schon nach nur fünf Minuten habe treffen lassen – was
so nicht zutrifft.
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Diese von der Werbung geweckte Fehlvorstellung ist wettbewerbsrechtlich relevant (vgl.
Hefermehl / Köhler / Bornkamm, a.a.O., Rn. 2.169 ff.), denn die Annahme, im In-vitro-
Versuch sei die "todsichere" Wirkung des Mittels der Antragsgegnerin "bereits nach fünf
Minuten" zutage getreten, hebt das Produkt von Pedikuloziden ab, deren Wirkung sich
erst später oder weniger deutlich zeigt; auf diese Weise kann sie die Marktentscheidung
der umworbenen Fachkreise beeinflussen.
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2. Auch der Aussage, die dimeticonhaltige Lösung (nämlich das Mittel der
Antragsgegnerin) habe bereits nach wenigen Minuten eine 100%ige abtötende Wirkung
an Kopfläusen gezeigt, werden die angesprochenen Fachkreise die irreführende
Behauptung entnehmen, dass die erfolgreiche Abtötung der Parasiten schon nach
kurzer Zeit definitiv erkennbar geworden und nicht erst auf Grund mehrstündiger
Beobachtung nachgewiesen worden sei (zumal das Element der Erkennbarkeit hier
durch den Ausdruck "Wirkung zeigen" zusätzlich betont wird).
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3. Die Angabe, dass die In-vitro-Vergleichsstudie eine 100%ig abtötende Wirkung an
Kopfläusen belege, ist in der konkreten Verletzungsform ebenfalls zur Irreführung
geeignet, weil sie – als abschließender Satz des gesamten Artikels – wie eine
wiederholende Zusammenfassung der zuvor referierten Untersuchungsergebnisse
erscheint. Die Werbeadressaten werden diese Aussage nicht nur als isolierte
Wiedergabe des Ergebnisses einer sich über 24 Stunden erstreckenden Untersuchung,
sondern vor dem Hintergrund der vorangegangenen Angaben auch als eine (zur
Aufrechterhaltung der bereits eingetretenen Irreführung geeignete) Bezugnahme auf die
angeblich schon nach wenigen Minuten zu beobachtende definitive Abtötung sämtlicher
Kopfläuse verstehen. Auf den weiteren in der Antragsschrift angesprochenen
Irreführungsaspekt, dass die referierte Studie bei einer in das Mittel der Antragsgegnerin
getauchten Laus nach 24 Stunden noch "minor vital signs" konstatierte (während
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sämtliche mit dem Konkurrenzprodukt L. affizierten Kopfläuse 24 Stunden später "no
vital signs" erkennen ließen), kommt es daher nicht an, so dass offen bleiben kann, ob
die zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung noch bemerkbaren geringen Lebenszeichen
aus fachlicher Sicht dem Befund definitiver Abtötung sämtlicher Parasiten
gleichzusetzen sind, wie die Antragsgegnerin geltend macht.
4. Als irreführend – unter einem allerdings abweichenden Gesichtspunkt – stellt sich
schließlich auch die Aussage dar, es komme unweigerlich zum Ersticken der Läuse und
ihrer Entwicklungsstadien (Larven, Eier / Nissen). Die angesprochenen Fachkreise
werden den Hinweis auf eine "unweigerlich" eintretende Wirkung im vorliegenden
Kontext nicht nur auf den vorangegangenen Satz beziehen, in dem von einer
(naturgemäß zum Ersticken führenden) Verhinderung des Sauerstoffaustauschs die
Rede ist, sondern sie werden annehmen, dass hier (über die Darstellung eines
abstrakten Wirkprinzips hinaus) zugleich eine konkrete Aussage über die Wirksamkeit
des Medizinprodukts der Antragsgegnerin getroffen wird; diesem wird auf diese Weise
ein mit Sicherheit zu erwartender Erfolg beigelegt, für den es nach dem unstreitigen
Sachverhalt jedoch an verlässlichen Anhaltspunkten fehlt (§ 3 S. 2 Nr. 2 lit. a HWG).
Denn abgesehen vom Problem der Übertragbarkeit des Ergebnisses der In-vitro-
Vergleichsstudie auf die praktische Anwendung lassen sich daraus jedenfalls keine
Erkenntnisse für die Wirkung des Mittels auf die Entwicklungsstadien (Larven, Eier /
Nissen) der Kopfläuse ableiten, weil sich die Untersuchung darauf nicht bezog. Dass sie
über – andere – gesicherte Erkenntnisse zur Wirkung ihres Mittels auf die Larven und
Nissen der Kopfläuse verfüge, hat die Antragsgegnerin selbst nicht behauptet; die
angegriffene Aussage erweckt aber genau diesen Eindruck.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 91a Abs. 1 S 1, 92 Abs. 1 S. 1,
269 Abs. 3 S. 2 ZPO, wobei sie hinsichtlich der Anträge, auf die sich die im Termin
abgegebene Unterlassungserklärung der Antragsgegnerin bezieht, ihrer
Kostenübernahmeerklärung folgt.
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Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
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