Urteil des OLG Köln vom 06.10.1994
OLG Köln (zustellung, schuldner, anerkennung des urteils, ordre public, termin, zpo, vorbehalt des ordre public, anerkennung des ausländischen urteils, vorbereitung der verteidigung, einleitung des verfahrens)
Oberlandesgericht Köln, 7 W 34/94
Datum:
06.10.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 W 34/94
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 2 O 181/94
Schlagworte:
Vollstreckbarkeit ausländische Urteile Zustellung
Normen:
§ 335 ZPO; § 337 ZPO
Leitsätze:
1. Der Begriff der "ordnungsgemäßen Zustellung" i.S.d. Art. 27 Nr. 2
EuGVÜ erfaßt nur die Ordnungsmäßigkeit des Zustellungsakts selbst;
ob die ordnungsgemäße Zustellung so rechtzeitig erfolgte, daß die nach
dem Verfahrensrecht des Urteilsstaats geltende Einlassungsfrist gewahrt
ist, ist insoweit ohne Bedeutung. 2. Auf die Einhaltung der
Einlassungsfrist nach dem Verfahrensrecht des Urteilsstaats kommt es
auch nicht bei der Prüfung an, ob das das Verfahren einleitende
Schriftstück i.S. d. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ so rechtzeitig zugestellt worden
ist, daß der Beklagte sich verteidigen konnte. Indizwirkung hat insoweit
allerdings, wenn die im Vollstreckungsstaat geltende Einlassungsfrist
nicht gewahrt ist. 3. Eine Frist von gut 3 Wochen ist im Regelfall zur
Verteidigung ausreichend, wenn das Verfahren vor einem Gericht in
Belgien anhängig ist, der Beklagte seinen Wohnsitz im Bezirk des OLG
Köln hat und die Terminsladung in deutscher Übersetzung zugestellt
worden ist. 4. Die Nichteinhaltung der Einlassungsfrist des
Verfahrensrechts des Urteilsstaats steht der Anerkennung des Urteils
nicht gem. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ entgegen, wenn die Zustellung des das
Verfahren einleitenden Schriftstücks rechtzeitig i.S. d. Art. 27 Nr. 2
EuGVÜ erfolgt ist. 5. Die in §§ 335 Abs. 2, 337 S. 2 ZPO getroffenen
Bestimmungen über die Ladung der säumigen Partei zu einem
Folgetermin sind nicht von so fundamentaler Bedeutung, daß ein
hiervon abweichendes ausländisches Verfahren als mit
rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar qualifiziert werden müßte.
Tenor:
1. Die Beschwerde wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen. 2.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e
1
I.
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Der Gläubiger will aus einem Urteil des Handels- gerichts A. vom 7. April 1993 gegen
den Schuld- ner in der Bundesrepublik vollstrecken. Dieser hat sich auf das Verfahren
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vor dem belgischen Gericht nicht eingelassen. Die Ladung zu dem auf den 31. März
1993 bestimmten Termin mit Angabe der wesentlichen Klagegründe - unbezahlte
Rechnun- gen vom 30. September 1992 und 21. Oktober 1992 - (sogenanntes
Dagvaarding) wurde ihm mit deutscher Übersetzung am 9. März 1993 durch persönliche
Über- gabe zugestellt. Zum Termin vom 07.04.1993 wurde er nicht geladen.
Rechtsmittel gegen die Entscheidung des belgischen Gerichts hat der Schuldner
offenbar nicht eingelegt. Entsprechend dem Antrag des Gläubigers hat der Vor- sitzende
der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bonn mit dem angefochtenen Beschluß
angeordnet, daß das Urteil vom 7. April 1993 mit der Vollstreckungs- klausel zu
versehen ist. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Schuld- ners, mit der er geltend
macht: Das Urteil vom 7. April 1993 könne aus mehreren Gründen in der
Bundesrepublik nicht anerkannt und dürfe deshalb auch nicht vollstreckt werden. Die
Zustellung vom 9. März 1993 sei nicht ordnungsge- mäß, weil der Zeitraum zwischen
dem 9. März 1993 und dem 31. März 1993 zur Wahrung der nach belgi- schem Recht
geltenden Einlassungsfrist nicht ausge- reicht habe; diese betrage bei einem
ausländischen Beklagten 23 Tage. Außerdem sei ihm das Dagvaarding nicht so
rechtzeitig zugestellt worden, daß er sich gegen die Klage hätte verteidigen können. Zu
berücksichtigen sei insoweit, daß er die flämische Sprache nicht beherrsche und ihm
das belgische Rechtssystem fremd sei. Er habe deshalb, um zu wis- sen, worum es
eigentlich ging, zunächst einen deut- schen Anwalt mit internationaler Erfahrung kontak-
tieren müssen, um über ihn einen belgischen Anwalt zu finden, der die deutsche
Sprache beherrschte, so daß er - der Schuldner - mit diesem problemlos die Sache hätte
besprechen und die Verteidigung vorbereiten können. Hierfür sei ein Zeitraum von nur
wenig mehr als 3 Wochen nicht ausreichend gewesen, weil er sein Unternehmen nur
mit zwei Angestellten, die einzig für die rein technische Abwicklung zuständig seien,
führe. Dementsprechend sei er arbeitsmäßig außerordentlich stark belastet und sehr
häufig unterwegs. Seine Arbeitsbelastung sei insbesondere im hier maßgebenden
Zeitraum vor den Osterferien sehr groß gewesen, da in dieser Zeit regelmäßig ein stark
erhöhter Arbeitsanfall zu bewältigen sei. Es komme hinzu, daß im März 1993 sein
Unternehmen in W. umgezogen sei, was einen zu- sätzlichen Arbeitsanfall bewirkt
habe. Schließlich macht der Schuldner geltend, er hätte zum Termin vom 7. April 1993
geladen werden müssen. Es sei da- von auszugehen, daß im Termin vom 31. März
1993 die Sache auf den 7. April 1993 vertagt worden sei; der 7. April 1993 sei also nicht
nur ein Verkündungs- termin gewesen. Nach belgischem Zivilprozeßrecht hätte er zum
Verhandlungstermin vom 7. April 1993 geladen werden müssen. Er beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Be- schlusses den Antrag auf Erteilung der
Vollstreckungsklausel zurückzuweisen.
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Der Gläubiger beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er meint, die nach belgischem Recht erforderliche Einlassungsfrist sei gewahrt, weil sie
nicht erst nach der Zustellung vom 9. März 1993 zu laufen begonnen habe, sondern
schon am 17. Februar 1993. Nach belgischem Recht sei nämlich die am 16. Fe- bruar
1993 erfolgte Zustellung des Dagvaarding durch Übergabe des zuzustellenden
Schriftstücks vom belgischen Gerichtsvollzieher an die Staatsanwalt- schaft des
Gerichtsbezirks A. zum Zwecke der noch durchzuführenden Auslandszustellung für den
Frist- beginn maßgebend. Der Zeitraum zwischen dem 9. März und 31. März 1993 sei
für eine Vorbereitung der Verteidigung gegen die Klage ausreichend gewesen. Zum
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Termin vom 7. April 1993 habe der Schuldner nicht geladen werden müssen, da es sich
insoweit nur um einen Verkündungstermin gehandelt habe.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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II.
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Die Beschwerde ist nach Art. 36, 37 des Überein- kommens über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen (EuGVÜ), §§ 11, 12 des Gesetzes zur Ausführungen
zwischenstaatlicher Aner- kennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und
Handelssachen (AVAG) vom 30. Mai 1988 zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Gemäß Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ kann der Antrag auf Er- teilung der Vollstreckungsklausel
nur aus einem der in Art. 27, 28 EuGVÜ angeführten Gründe abgelehnt werden. Im
Streitfall kommen nur die in Art. 27 Nr. 1, 2 EuGVÜ genannten Versagungsgründe in
Frage. Sie liegen nach Ansicht des Senats jedoch nicht vor.
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1. Nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem
Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren
einleitende Schriftstück oder ein gleich- wertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß und
nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte.
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a) Das das Verfahren einleitende Schriftstück ist dem Schuldner ordnungsgemäß
zugestellt worden. Nach dem insoweit maßgebenden belgischen Recht wird der Prozeß
durch Zustellung des sogenann- ten Dagvaarding (Ladung zum Termin mit Angabe der
Klagegründe) eingeleitet. Dieses ist das verfahrenseinleitende Schriftstück im Sinne des
Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ (OLG Hamm NJW-RR 1988, 446; Geimer, Internationales
Zivilprozeßrecht 2. Aufl., Rdnr. 2927; Linke in Bülow-Böckstiegel, Internatio- naler
Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 27 EuGVÜ, Anm. III 3). Die Frage der
ordungsgemäßen Zustellung ist nach dem Verfahrensrecht des Urteilsstaats - hier:
Belgien - einschließlich der einschlägigen völker- rechtlichen Verträge zu beurteilen
(BGH NJW 1993, 598, 600; Gottwald in MüKo-ZPO, Art. 27 EuGVÜ, Rdnr. 15, 16;
Kropholler, Europäisches Zivilprozeß- recht, 4. Aufl., Art. 27 EuGVÜ, Rdnr. 28 und 36;
Linke a.a.O., Anm. III 4 a). Das Dagvaarding ist entsprechend den in Belgien geltenden
Vorschriften zugestellt worden. Dort gilt das Zustellungsver- fahren der "remise au
parquet". Danach werden Auslandszustellungen als im Inland erfolgt fin- giert, wenn das
zuzustellende Schriftstück vom Zustellungsorgan an die für dessen Weiterleitung ins
Ausland zuständige Stelle übergeben wird (vgl. OLG Köln, NJW-RR 1990, 127, 128;
Kropholler a.a.O. Art. 20 Rdnr. 6 und Art. 27 Rdnr. 29; Geimer a.a.O., Rdnr. 2926). Das
ist ausweislich der vorge- legten Urkunde hier am 16. Februar 1993 geschehen durch
Aushändigung des Dagvaarding seitens des bel- gischen Gerichtsvollziehers an die für
dessen Wei- terleitung in die Bundesrepublik zuständige Staats- anwaltschaft des
erstinstanzlichen Gerichts in Ant- werpen. Genügt ist ferner den Anforderungen des
Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher
Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November 1965. Das
Dagvaarding ist mit der erforderlichen (§ 3 des Ausführungsgesetzes vom 22. Dezember
1977) Überset- zung ins Deutsche dem Schuldner am 9. März 1993 durch persönliche
Übergabe zugestellt worden. Hier- über verhält sich das Zustellungszeugnis des - zu-
ständigen (§ 4 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes) - Amtsgerichts W. vom 11. März 1993.
Der Schuldner meint, die Zustellung sei deshalb nicht ordnungsgemäß, weil nach
belgischem Zivilpro- zeßrecht die Einlassungsfrist nicht schon mit der fiktiven Zustellung
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vom 16. Februar 1993 zu laufen begonnen habe, sondern erst mit der tatsächlichen
Zustellung an ihn am 9. März 1993. Die Dauer der Einlassungsfrist nach belgischem
Recht kann ebenso unentschieden bleiben wie die Frage, ob sie schon am 16. Februar
1993 oder erst am 9. März 1993 in Lauf gesetzt worden ist. Nach Ansicht des Senats ist
unter ordnungsgemäßer Zustellung im Sinne des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nämlich nur die
Ordnungsmäßig- keit des Zustellungsakts zu verstehen, die hier, wie ausgeführt, zu
bejahen ist und vom Schuldner auch nicht in Abrede gestellt wird. Auf die Frage, ob die
ordnungsgemäße Zustellung so rechtzeitig erfolgte, daß die ausländische
Einlassungsfrist gewahrt ist, kommt es nicht an. Den insoweit erforderlichen Schutz des
Schuldners gewährleistet die zweite Alternative des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, wonach das
das Verfahren einleitende Schriftstück so rechtzeitig zugestellt worden sein muß, daß
sich der Schuldner verteidigen konnte. Weder nach dem Wortlaut noch dem Sinn des in
Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ 1. Alternative verwendeten Begriffs der ordnungs- gemäßen
Zustellung ist es geboten, dem Schuldner bezüglich der Frage, der rechtzeitigen
Zustellung einen doppelten Schutz zu gewähren - durch Prüfung zum einen der
ausländischen Einlassungsfrist, zum anderen der Frage, ob so rechtzeitig zugestellt
worden ist, daß er sich verteidigen konnte. Der Senat verkennt nicht, daß Art. 27 Nr. 2
EuGVÜ zwei selbständige Versagungsgründe beinhaltet mit der Folge, daß das
ausländische Urteil auch dann nicht anerkannt werden kann, wenn zwar das das
Verfahren einleitende Schriftstück dem Schuldner so rechtzei- tig übergeben worden ist,
daß er sich verteidigen konnte, die Zustellung aber nicht ordnungsgemäß war - es sei
denn, der Zustellungsmangel ist durch das insoweit maßgebende ausländische Recht
geheilt. Das nötigt indes nicht dazu, bei Prüfung der Ord- nungsmäßigkeit der Zustellung
außer der Ordnungs- mäßigkeit des Zustellungsakts auch die Frage zu prüfen, ob
zwischen der Zustellung und dem Termin ein der ausländischen Einlassungsfrist
entsprechen- der Zeitraum lag. Die Terminologie des § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (kein
Versäumnisurteil, wenn die nicht erschienene Partei nicht ordnungsmäßig, "insbeson-
dere" nicht rechtzeitig geladen war) ist für die Auslegung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ
bedeutungslos, weil die ZPO nicht nebeneinander eine ordnungs- gemäße Zustellung
und einen für die Verteidigung ausreichenden Zeitraum als Voraussetzungen eines
Versäumnisurteils statuiert. Bei solcher Rechtslage drängt es sich naturgemäß auf, die
Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Zustellung auch auf die Frage der Wahrung der
maßgebenden Fristen zu erstrecken. Das Verständnis der ordnungsgemäßen
Zustellung nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ im Sinne eines ordnungsgemäßen
Zustellungsakts trägt auch dem Sinn und Zweck von Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ Rechnung.
Nach dieser Vor- schrift darf die ausländische Entscheidung keines- falls auf ihre
Gesetzmäßigkeit nachgeprüft werden. Dies betrifft nicht nur die Frage des materiellen
Rechts, sondern auch die des Verfahrensrechts. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, 1. Alternative
macht hiervon eine Ausnahme. Der Richter des Vollstreckungsstaats muß nach
Maßgabe des ausländischen Rechts die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung prüfen. Es
besteht aber kein nachvollziehbarer Grund, diese Ausnahme weit auszulegen, nämlich
in dem Sinn, daß auch die Wahrung der ausländischen Einlassungsfrist geprüft wird,
obwohl der Schuldner durch die 2. Alternative des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ bezüglich des
ihm zur Ver- teidigung zuzubilligenden Zeitraums ausreichend ge- schützt wird.
b) Dem Schuldner ist das Dagvaarding so rechtzeitig zugestellt worden, daß er sich
verteidigen konnte. Maßgebend ist insoweit der Zeitraum zwischen der tatsächlichen
Zustellung am 9. März 1993 und dem Tag des Termins 31. März 1993. Der Richter des
Vollstreckungsstaats muß die Rechtzeitigkeit der Zustellung in eigener Zuständigkeit
und Verantwort- lichkeit ohne Bindung an die Feststellungen des ausländischen
Gerichts beurteilen (BGH NJW 1986, 2197; OLG Köln, NJW-RR 1990, 127, 128; Linke
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a.a.O., Anm. III 4 b; Kropholler a.a.O., Art. 27 Rdnr. 31; Geimer a.a.O., Rdnr. 2930). Auf
die Einhaltung des ausländischen Verfahrensrechts kommt es nicht an (Linke a.a.O.;
MüKo-Gottwald a.a.O., Rdnr. 22; Kropholler a.a.O., Rdnr. 32). Für die Beurteilung der
Rechtzeitigkeit der Zustellung hat das Gericht des Vollstreckungsstaates lediglich den
Zeitraum zu berücksichtigen, über den der Schuld- ner verfügte, um den Erlaß einer
vollstreckbaren Versäumnisentscheidung zu verhindern (BGH NJW 1986, 2197; 1991,
641). Es ist ein wesentliches Indiz für die fehlende Rechtzeitigkeit, wenn die im
Vollstreckungsstaat geltende Einlassungsfrist nicht gewahrt ist (BGH NJW 1986, 2197;
MüKo-Gottwald a.a.O., Rdnr. 22).
Der Senat hält den Zeitraum vom 9. bis zum 31. März 1993 für ausreichend. Die für
Inlands- prozesse maßgebende Einlassungsfrist von 2 Wochen (§ 274 Abs. 3 Satz 1
ZPO) ist eingehalten. Die genannte Vorschrift geht ersichtlich davon aus, daß sich der
inländische Beklagte innerhalb von 2 Wo- chen so verteidigen kann, daß ein
Versäumnisurteil gegen ihn verhindert wird. Der Normalfall ist hier zugrundezulegen.
Nach dem Inhalt des Dagvaarding wurde der Schuldner wegen zwei unbezahlter
Rechnun- gen in Anspruch genommen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß
etwaige Einwendungen des Schuldners derart waren, daß er sie, wäre er in der
Bundesrepublik verklagt worden, nicht innerhalb von zwei Wochen hätte vortragen
können. Für die im Aus- land zuzustellende Klage schreibt die ZPO keine be- stimmte
Einlassungsfrist vor. Diese ist gemäß § 274 Abs. 3 Satz 3 ZPO vom Vorsitzenden bei
der Festset- zung des Termins zu bestimmen. Es versteht sich von selbst, daß sie
zumindest im Regelfall nicht auf weniger als zwei Wochen bemessen werden darf. Dem
Schuldner verblieben nach der Zustellung vom 9. März 1993 gut drei Wochen. Dies war
ausreichend, denn gegenüber einem Inlandsprozeß benötigte er einen über die
deutsche Einlassungsfrist hinaus- gehenden Zeitraum praktisch nur deshalb, weil er
einen die deutsche Sprache beherrschenden, beim Ge- richt in Antwerpen
zugelassenen Rechtsanwalt finden mußte. Dies war innerhalb einer Woche ohne
weiteres zu bewerkstelligen. Der Prozeß wurde nicht an einem vom Wohnsitz des
Schuldners weit entfernten Ort geführt. Die Entfernung zwischen W. und Antwerpen ist
geringer als die zwischen W. und vielen Städten in der Bundesrepublik. Die fehlende
Kenntnis des Schuldners vom belgischen Rechtssystem ist ohne wesentliche
Bedeutung. Sie nötigte nur dazu, sich durch einen belgischen Rechtsanwalt vertreten zu
lassen. Im übrigen gibt es viele deutsche Staats- bürger, die auch mit dem deutschen
Gerichtsverfah- ren nicht vertraut sind. Die zweiwöchige Einlas- sungsfrist gemäß § 274
Abs. 3 Satz 1 ZPO gilt auch diesen gegenüber. Die mangelnde Kenntnis des belgi-
schen Rechts setzte den Schuldner auch nicht außer- stande, den Inhalt des ihm mit
deutscher Überset- zung zugestellten Dagvaarding zu verstehen. Unge- achtet vieler
Unterschiede gegenüber der Zustellung einer deutschen Klageschrift ergab sich aus
ihm auch für den juristischen Laien eindeutig, daß der Schuldner wegen zweier
unbezahlter Rechnungen in Anspruch genommen wurde und deshalb, wenn er keine
Einwendungen erhob, zur Zahlung bestimmter Beträge verurteilt werden sollte. Die vom
OLG Hamm im Beschluß vom 3. August 1987 (NJW-RR 1988, 446 f.) erhobenen
Bedenken gegen die Verständlichkeit des Dagvaarding teilt der Senat bezüglich des
hier zugestellten Dagvaarding nicht. Im übrigen hat das OLG Hamm den damals zur
Debatte stehenden Zeitraum von zwanzig Tagen zwischen Zustellung und Termin
ersichtlich deshalb nicht für ausreichend gehalten, weil keine Übersetzung des
Dagvaarding ins Deut- sche zugestellt worden war. Das ist im Streitfall anders. Die vom
Schuldner hervorgehobene Arbeitsbelastung, die ihn seinerzeit daran gehindert haben
soll, sich zu verteidigen, rechtfertigt nicht die Anwen- dung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, 2.
Alternative. Die Verteidigung gegen die Klage, sofern der Schuldner überhaupt
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Einwendungen hatte, war vordringlich. Notfalls hätten andere Arbeiten zurückgestellt
wer- den müssen. Der Umzug innerhalb desselben Orts (W.) mag unaufschiebbar
gewesen sein. Es ist aber weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, daß der
Umzug für den Schuldner eine derartige Belastung darstellte, daß er gehindert war,
seine offenkundig dringliche Verteidigung vor dem belgischen Gericht zwecks
Vermeidung eines Versäumnisurteils zu besor- gen. Feiertage fielen in den Zeitraum
vom 9. bis 31. März 1993 nicht. Ostern lag im Jahre 1993 am 11./12. April.
c) Soweit der Schuldner bemängelt, daß er nicht zum Termin vom 7. April 1993 geladen
worden ist, spielt das im Rahmen des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ keine Rolle. Die eventuell
erforderliche Ladung - falls der 7. April 1993 nicht nur zur Verkündung des Urteils
aufgrund der (einseitigen) Verhandlung vom 31. März 1993 diente - war nicht das das
Verfahren einleitende Schriftstück im Sinne des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ. Ist das gerichtliche
Verfahren im Sin- ne dieser Vorschrift ordnungsgemäß eingeleitet, so können spätere
Verfahrensfehler die Anerkennung des ausländischen Urteils im Vollstreckungsstaat nur
nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ verhindern.
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2. Auch dessen Voraussetzungen liegen indes nicht vor. Nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ wird
eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffent- lichen Ordnung
des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, widersprechen würde. Dieser Vorbehalt
des ordre public greift nur in Ausnahmefällen ein. Für etwaige Verfahrensverstöße - nur
solche stehen hier in Rede; der Schuldner macht selbst nicht gel- tend, daß das Urteil
vom 7. April 1993 inhaltlich der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik wider- spricht -
gilt: Die Vollstreckbarerklärung kann nicht schon deshalb versagt werden, weil die
ausländische Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von
zwingenden Vorschriften des deutschen Prozeßrechts abweicht. Ein Versagungsgrund
ist vielmehr nur dann gegeben, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts aufgrund
eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen
Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, daß es nicht als in einem
geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann. Es muß
sich also um einen fundamentalen Verfahrensverstoß handeln (BGH FamRZ 1990, 868,
869; NJW 1978, 1114, 1115; Linke a.a.O., Anm. II 3). Speziell zum Grundsatz des
rechtlichen Gehörs, den der Schuldner hier für ver- letzt hält, hat der Bundesgerichtshof
ausgeführt: Im Rahmen des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ könne der Grund- satz rechtlichen
Gehörs nur unter Berücksichtigung des Systems und der Struktur des ausländischen
Ver- fahrensrechts gewährleistet werden. Abzustellen sei dabei lediglich auf die
Grundwerte, die Art. 103 Abs. 1 GG schütze. Dies sei zum einen das Prinzip der
Rechtsstaatlichkeit, das grundsätzlich verbie- te, eine Entscheidung zu treffen, bevor der
Betrof- fene Gelegenheit habe, sich zu äußern. Zum anderen könne eine relevante
Verletzung vorliegen, wenn einem Verfahrensbeteiligten nicht die Rolle eines
Verfahrenssubjekts eingeräumt worden sei, das aktiv die Gestaltung des Verfahrens
beeinflussen könne (FamRZ 1990, 868, 869; NJW 1978, 1114, 1115; siehe auch MüKo-
Gottwald a.a.O., Rdnr. 9). Die Anerkennungsfähigkeit nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ setzt
nicht voraus, daß das auländische Gericht die für sein Verfahren maßgebenden
Vorschriften in vollem Umfang beachtet hat. Das gilt schon deshalb, weil nach Art. 34
Abs. 3 EuGVÜ die ausländische Entscheidung "keinesfalls auf ihre Gesetzmäßigkeit
nachgeprüft werden" darf. Die - angebliche - Nicht- einhaltung der belgischen
Einlassungsfrist und die unterlassene Ladung zum Termin vom 7. April 1993
rechtfertigen daher für sich genommen nicht die Anwendung des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ.
Entscheidend ist vielmehr, ob das ausländische Urteil an einem sol- ch fundamentalen
Verfahrensverstoß leidet, daß es nicht mehr als in einem rechtsstaatlichen Verfahren
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zustandekommen bewertet werden kann. Davon kann hier keine Rede sein: Die -
angebliche - Nichteinhaltung der Einlassungs- frist nach belgischem Recht kann schon
deshalb nicht als ein der Anerkennung entgegenstehender fundamentaler
Verfahrensverstoß gewertet werden, weil das Dagvaarding dem Schuldner, wie oben
unter 1 b ausgeführt, so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte.
Ob der Schuldner zum Termin vom 7. April 1993 hätte geladen werden müssen, kann
dahinstehen. Ein fundamentaler Verfahrensverstoß liegt jedenfalls nicht vor. Der
Schuldner geht selbst davon aus, daß im Termin vom 31. März 1993 die Sache auf den
7. April 1993 vertagt worden ist, daß also im er- sten Termin der zweite anberaumt
worden ist. Daß in einem solchen Fall eine Ladung zum zweiten Termin entbehrlich ist,
entspricht im Grundsatz dem deut- schen Recht. Nach § 218 ZPO ist zu Terminen, die in
verkündeten Entscheidungen bestimmt sind, eine Ladung der Parteien nicht erforderlich.
Hiervon ma- chen für das Versäumnisverfahren §§ 335 Abs. 2, 337 Satz 2 ZPO
Ausnahmen. Es kann aber keine Rede davon sein, daß die letztgenannten Vorschriften
von solch fundamentaler Bedeutung sind, daß ein ohne ihre Be- achtung erlassenes
Versäumnisurteil als mit rechts- staatlichen Grundsätzen unvereinbar qualifiziert werden
müßte. Der Beklagte, der zum 1. Termin so rechtzeitig geladen worden ist, daß er sich
vertei- digen konnte, muß damit rechnen, daß seine Untätig- keit und sein
Nichterscheinen im Termin so verstan- den werden, daß er sich am Prozeß nicht
beteiligen wolle und deshalb Ladungen zu späteren Terminen überflüssig erscheinen.
Erst recht gilt das für die Ladung ausländischer Prozeßbeteiligter, die häufig
umständlich und zeitaufwendig ist. Auch die ZPO hat dies in gewisser Weise
berücksichtigt. Gemäß § 174 Abs. 2 ZPO hat die Partei, die nicht im Inland wohnt, einen
Zustellungsbevollmächtigten zu benen- nen. Geschieht dies nicht, so können alle
späteren Zustellungen bis zur nachträglichen Benennung in der Art bewirkt werden, daß
der Gerichtsvollzieher das zu übergebende Schriftstück unter der Adresse der Partei
nach ihrem Wohnort zur Post gibt. Die Zustellung wird mit der Aufgabe zur Post als be-
wirkt angesehen, selbst wenn die Sendung als unbe- stellbar zurückkommt (§ 175 Abs.
1 Satz 2, 3 ZPO). Es liegt auf der Hand, daß eine Zustellung dieser Art keine Gewähr
dafür bietet, daß das zuzustellen- de Schriftstück die Partei tatsächlich erreicht. Der
deutsche Gesetzgeber hat dies bewußt in Kauf genommen. Der Partei, die trotz
rechtzeitiger Ladung zum ersten Termin nicht erscheint, wird auch nicht das rechtliche
Gehör abgeschnitten, wenn sie zu späte- ren Terminen nicht geladen wird. Sie hat mit
der ersten Ladung Gelegenheit erhalten, sich aktiv am Prozeß zu beteiligen, diese
Gelegenheit aber nicht wahrgenommen. Ändert sie später ihre Einstellung, so ist es ihr
zuzumuten, sich von sich aus in den Prozeß einzuschalten. Ferner scheidet die
Anwendung des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ auch deshalb aus, weil es dem Schuldner möglich
war, die nach seiner Ansicht verfahrens- fehlerhafte Entscheidung des belgischen
Gerichts mit einem Rechtsmittel anzugreifen. Die Rechtspre- chung des Europäischen
Gerichtshofs, wonach der Nichtgebrauch eines Rechtsmittels es nicht recht- fertigt, das
auf einem Verfahrensfehler beruhen- de Urteil anzuerkennen (RIW 1993, 65 f.; siehe
ferner BGH NJW 1993, 598, 600 m.w.N.), betrifft Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ und nicht den hier
einschlä- gigen Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ. Auf die letztgenannte Vorschrift kann diese
Rechtsprechung nicht übertra- gen werden. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ betrifft die ord-
nungsgemäße Einleitung des Verfahrens. In Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ geht es dagegen
darum, ob die Anerken- nung des ausländischen Urteils der öffentlichen Ordnung des
Vollstreckungsstaates widersprechen würde. Der Richter des Vollstreckungsstaats hat
nicht das ausländische Urteil als solches nebst dem ihm zugrundeliegenden Verfahren
zu beurteilen, erst recht nicht den ordre public des Urteilsstaats, sondern nur, ob die
Anerkennung des Urteils im Vollstreckungsstaat dessen öffentlicher Ordnung wi-
dersprechen würde (vgl. Jenard-Bericht zum EuGVÜ Art. 27, ordre public, abgedruckt in
Bülow-Böck- stiegel a.a.O. Nr. 601 Seite 66, 67). Maßgebender Beurteilungszeitpunkt ist
deshalb die Prüfung der Anerkennungsfähigkeit durch den Richter des Voll-
streckungsstaats (Linke a.a.O. Anm. II 1). Unter diesen Umständen ist es folgerichtig, im
Rahmen des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ auch zu berücksichtigen, daß der Schuldner einen -
angeblichen - Verfahrensfeh- ler im Rechtsmittelweg geltend machen konnte (eben- so
BGH FamRZ 1990, 868, 869 unten/870 oben; MüKo- Gottwald, ZPO, § 328 Rdnr. 89).
3. Der Senat läßt die Rechtsbeschwerde zu, weil nach seiner Ansicht die Frage von
grundsätzlicher Bedeu- tung ist, ob mit ordnungsgemäßer Zustellung im Sin- ne des Art.
27 Nr. 2 EuGVÜ nur, wie vom Senat ange- nommen, die Ordnungsmäßigkeit des
Zustellungsakts gemeint ist, oder ob darüber hinaus die Wahrung der ausländischen
Einlassungsfrist geprüft werden muß. Eine Beschränkung der Zulassung der
Rechtsbeschwer- de, sofern sie überhaupt möglich sein sollte, soll hiermit nicht
ausgesprochen sein.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Beschwerdewert: 28.000,-- DM
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