Urteil des OLG Köln vom 18.02.2009

OLG Köln: aussetzung, satzung, umrechnung, unterlassen, versorgung, aussetzen, verfahrensmangel, sachprüfung, altersgrenze, gerichtsbarkeit

Oberlandesgericht Köln, 27 UF 124/08
Datum:
18.02.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
27 UF 124/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Geilenkirchen, 12 F 12/08
Tenor:
I.
Auf die (befristete) Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 3. vom
04.09.2008 wird der Ausspruch zum Versorgungsausgleich in dem am
01.08.2008 verkündeten Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht -
Geilenkirchen - 12 F 12/08 - insoweit aufgehoben, als zu Lasten der
Versorgung des Antragstellers bei der Beschwerdeführerin
Anwartschaften zu Gunsten der Antragsgegnerin bei der weiteren
Beteiligten zu 1. begründet werden.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und
Entscheidung zurückverwiesen; das Verfahren ist insoweit ausgesetzt.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Im
Übrigen obliegt dem Familiengericht die Entscheidung über die Kosten
des Beschwerdeverfahrens.
II.
Beschwerdewert: 2.000 €
G r ü n d e :
1
1.
2
Die gemäß §§ 621 Abs. 1 Nr. 6, 621 e ZPO zulässige befristete Beschwerde der
weiteren Beteiligten zu 3. führt zur Aufhebung der Entscheidung des Familiengerichts
über den Versorgungsausgleich insoweit, als der Ausgleich der Anwartschaften des
Antragstellers bei der Beschwerdeführerin betroffen ist, und zur Zurückverweisung der
Sache in diesem Umfang an die erste Instanz.
3
2.
4
Der BGH hat durch Urteil vom 14.11.2007 - IV ZR 74/06 - (BGHZ 174, 127, 172 ff.; vgl.
Leitsätze in FamRZ 2008, 395 = FamRB 2008, 35 = MDR 2008, 208; bestätigt durch
Urteil vom 14.05.2008 – IV ZR 47/05 – FamRZ 2008, 1343 ff. Rn 21 ff.; so inzwischen
auch der XII. Senat des BGH mit Beschlüssen vom 05.11.2008 – XII ZB 53/06 Rn 8 ff.,
XII ZB 87/06 - FamRZ 2009, 211 - Rn 12 f. und XII ZB 181/05 Rn 36 ff. [für die
inhaltsgleiche Regelung der Rheinischen Zusatzversorgungskasse]) die in der seit dem
01.01.2002 gültigen Satzung der Beschwerdeführerin enthaltene Regelung über die
Startgutschriften rentenferner Versicherter wegen Verstoßes gegen Art. 3 I GG für
unwirksam erklärt. Eine den Vorgaben der Entscheidung entsprechende Neufassung
der Satzung ist bislang nicht erfolgt, so dass ungewiss ist, wie hoch die Anrechte der
Parteien bei der Beschwerdeführerin letztlich zu veranschlagen sind. Da die
geschiedenen Eheleute zu den sog. rentenfernen Jahrgängen (Vollendung des 55.
Lebensjahrs nach dem 01.01.2002) gehören, die Ehe vor dem 01.01.2002 geschlossen
wurde und eine Versorgung bei der Beschwerdeführerin am 01.01.2002 noch nicht
bezogen wurde, ist eine Durchführung des Versorgungsausgleichs hinsichtlich der
Anwartschaften bei der Beschwerdeführerin derzeit nicht möglich (vgl. Borth, FamRZ
2008, 326; BGH Beschlüsse vom 5.11.2008 XII ZB 53/06 Rn 14 ff, XII ZB 87/06 Rn 14 ff
und XII ZB 181/05 Rn 42 f).
5
3.
6
Dieser Umstand nötigt jedoch nicht dazu, die Entscheidung des Familiengerichts zum
Versorgungsausgleich insgesamt aufzuheben:
7
Ein Teilausgleich, der die Anrechte in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes
(ZVöD) ausspart, ist zum einen dann möglich, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte
lediglich über Anrechte außerhalb der ZVöD verfügt, die geringer sind als die des
ausgleichspflichtigen Ehegatten. In einem solchen Fall liegt nach dem
Ausgleichssystem gem. §§ 1587b I, II BGB und §§ 1 II, III, 2, 3b I VAHRG in Bezug auf
die ZVöD ein aussonderbarer Teil vor (Borth, aaO, 327 unter 3. a) mit Hinweis auf BGH,
FamRZ 1983, 38 und 890). Insoweit kann eine Teilentscheidung ergehen, weil wegen
des getrennt durchzuführenden Ausgleichs in den beiden Versorgungssystemen (§
1587b I BGB hinsichtlich der gesetzlichen Rentenversicherung, § 1 III VAHRG – sog.
analoges Quasisplitting – für die ZVöD) der Wertausgleich bei der gesetzlichen
Rentenversicherung durch die Zusatzversorgung des Ehegatten nicht beeinflusst wird
(vgl. Borth, aaO sowie ständige Rechtsprechung des Senats, u.a. Beschlüsse vom
14.04.08 - 27 UF 20/08 -, 16.04.08 - 27 UF 22/08 – und 23.10.08
8
- 27 UF 60/08 -).
9
Eine Teilentscheidung ist aber auch dann möglich, wenn – wie vorliegend - beide
Parteien zusätzlich auch ausgleichungspflichtige Anrechte bei der ZVöD haben, das
Anrecht des – auch im Übrigen - Ausgleichspflichtigen das zu verrechnende Anrecht
des Ausgleichsberechtigten aber deutlich überwiegt (Borth, aaO unter 3. b). Auch wenn
man derzeit nicht abschätzen kann, in welchem Umfang sich die vorzunehmende
Neufestsetzung des Startguthabens auf die Höhe der Anrechte konkret auswirkt, wird es
auf jeden Fall gem. § 1 III VAHRG zu einem Quasi-Splitting zugunsten der
Antragsgegnerin kommen. Denn diese hat nach den Berechnungen des Amtsgerichts
mit 7,11 € ein deutlich niedrigeres Anrecht als der Antragsteller mit 128,67 €. Nach den
Berechnungen der Beschwerdeführerin erhöht sich die Differenz unter Berücksichtigung
10
der geltend gemachten Einwendungen gegen die Umrechnung des Amtsgerichts noch
weiter (10,13 € zu 193 €). Damit geht der Ausgleich sowohl bei der gesetzlichen
Rentenversicherung gem. § 1587 b I BGB als auch für die Zusatzversorgung nur in eine
Richtung, so dass eine wechselseitige Beeinflussung – vergleichbar mit den Fällen in §
2 I Nr. 1 b) VAÜG – jedenfalls ausscheidet und einer Teilentscheidung nicht
entgegensteht.
Da gegen den Ausgleich der gesetzlichen Rentenanwartschaften gem. § 1587 b I BGB
in dem diesbezüglichen Teil der Versorgungsausgleichsentscheidung des
Familiengerichts Einwendungen nicht erhoben und Bedenken nicht ersichtlich sind,
kann es bei diesem Teil der Entscheidung verbleiben.
11
4.
12
Im Übrigen ist die Entscheidung aus den dargestellten Gründen jedoch aufzuheben. Da
nicht abzusehen ist, wann die Satzungsänderung erfolgen wird, kann allerdings
insoweit vorerst eine Entscheidung in der Sache nicht ergehen. Vielmehr ist das
Verfahren gem. § 148 ZPO auszusetzen (BGH, Beschlüsse vom 05.11.2008 XII ZB
53/06 Rn 20 ff. und XII ZB 87/06 Rn 28).
13
a)
14
Bislang hat der Senat in ständiger Rechtsprechung (Beschlüsse vom 30.4.2008 - 27 UF
219/07, 14.04.08 – 27 UF 20/08 -, 16.04.2008 – 27 UF 22/08 - sowie 23.10.08 – 27 UF
60/08 -) im Anschluss an die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 28.12.2007 – 15 UF
240/07 – (NJW 2008, 1393 = FamRZ 2008, 1086; Zusammenfassung mit zust. Anm.
Gutdeutsch FamRB 2008, 72; ebenso OLG Naumburg, Beschluss vom 17.03.08 - 3 UF
29/08 -, NJW 2008, 2594 f.; OLG Zweibrücken – 6. Senat -, Beschluss vom 22.09.08 - 6
UF 158/07 -; nach Angaben der Beschwerdeführerin weiterhin: OLG Oldenburg, 3 UF
185/07 vom 08.02.08 und 4 UF 162/07 vom 05.03.08; OLG Hamm, 5 UF 157/07 vom
22.02.08) die Auffassung vertreten, dass in Fällen dieser Art entsprechend der
Regelung in § 2 I 2 VAÜG eine Aussetzung des Verfahrens zu erfolgen hat (vgl. auch
die Regelung in § 53c FGG). Aufgrund der oben bereits angeführten drei
Entscheidungen des BGH vom 05.11.2008 stützt der Senat die Aussetzung nunmehr auf
eine entsprechende Anwendung von § 148 ZPO.
15
Dabei entspricht es der Übung des Senats, in den Fällen, in denen eine Aussetzung in
der ersten Instanz verfahrensfehlerhaft unterblieben ist, die angefochtene Entscheidung
aufzuheben, die Sache zurückzuverweisen und zugleich die Aussetzung
auszusprechen (Beschlüsse vom 03.03.2008 - 27 UF 211/07 - unter Bezugnahme auf
OLG Karlsruhe NJW-RR 1996, 903, 904 u. FamRZ 2000, 1155 f. = JURIS Rn 18 und
vom 23.10.08 – 27 UF 60/08 -; ebenso andere Familiensenate des OLG Köln, z.B.
Beschlüsse vom 11.04.2008 - 4 UF 21/08 – OLGR 2008, 629 ff. = FamRZ 2008, 2210 =
JURIS Rn 20 und vom 11.06.08 - 12 UF 17/08 – FamRZ 2008, 2213 = JURIS Rn 6;
Palandt/Brudermüller, BGB, 67. Aufl. 2008, § 2 VAÜG Anh. II zu § 1587 b, Rn 12), die
dann von selbst endet, wenn die Neufassung der Satzung der Beschwerdeführerin in
Kraft tritt (ähnlich OLG Brandenburg, Beschlüsse vom 29.02.08 - 9 UF 9/08 – und
22.05.08 - 9 UF 28/08 – OLGR 2009, 16 f. = FamRZ 2008, 2213, welches das
angefochtene Urteil abändert, indem es die Aussetzung beim Amtsgericht feststellt).
Eine Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht, damit dieses selbst – durch
eine weitere Entscheidung - die Aussetzung vornehmen kann (vgl. OLG Stuttgart, aaO;
16
OLG Naumburg, aaO; OLG Köln, FamRZ 1994, 1041; OLG Nürnberg, FamRZ 1995,
1362 f.; Johannsen/Henrich/ Hahne, Ehegesetze, 4. Aufl. 2003, § 2 VAÜG Rn. 1 aE; MK-
BGB/Sander, BGB, 4. Aufl. 2000, § 2 VAÜG Rn. 12) erscheint wenig zweckdienlich,
zumal nach den zitierten Entscheidungen des BGH ein Ermessensspielraum bei der
Aussetzungsfrage in Fällen der vorliegenden Art nicht besteht.
b)
17
Bei dieser Verfahrensweise bleibt der Senat auch unter Berücksichtigung der drei
zitierten Beschlüsse des BGH vom 05.11.2008.
18
Während in den Fällen, die diesen Entscheidungen zugrunde lagen, die
Familiengerichte keine Kenntnis von den Urteilen des BGH vom 14.11.2007 - IV ZR
74/06 - (BGHZ 174, 127ff.; u.a. veröffentlicht in FamRZ 2008, 395) und vom 14.05.2008
– IV ZR 47/05 – (FamRZ 2008, 1343 ff.) zur Unwirksamkeit der Übergangsregelungen
bei der Umstellung des Systems der Zusatzversorgung im Öffentlichen Dienst sowie des
OLG Stuttgart vom 28.12.2007 – 15 UF 240/07 – (NJW 2008, 1393 = FamRZ 2008,
1086) und den nachfolgenden Entscheidungen einer Vielzahl von Oberlandesgerichten
(z.B. OLG Oldenburg - 3 UF 185/07 - vom 08.02.2008 und - 4 UF 162/07 - vom
05.0320.08; OLG Hamm - 5 UF 157/07 - vom 22.02.2008; OLG Naumburg, Beschluss
vom 17.03.2008 - 3 UF 29/08 -; ebenso der Senat in ständiger Rechtsprechung, u.a. 27
UF 219/07 vom 30.04.2008, 20/08 vom 14.04.2008 und 22/08 vom 16.04.2008) haben
konnten, waren diese Entscheidungen und die zugrunde liegenden Rechtsfragen bei
der mündlichen Verhandlung im hiesigen Verfahren und Erlass des Urteils am
01.08.2008 bereits seit Monaten in den einschlägigen Fachzeitschriften veröffentlicht
und wurden diskutiert (s. auch die Ausführungen von Gutdeutsch FamRB 2008, 72 u.
Borth, FamRZ 2008, 326 f.). Dann stellt es einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S.v.
§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar, wenn das Amtsgericht die Parteien nicht darauf hinweist,
dass es von der Rechtsprechung des BGH abweichen und den Entscheidungen der
Oberlandesgerichte einschließlich derjenigen des zuständigen Familiensenats nicht
folgen will. Schon das Familiengericht hätte die Sache aussetzen müssen (vgl. zur
Reduzierung des grundsätzlichen Ermessens in § 148 ZPO zu einer Pflicht BGH aaO).
Dass dies ohne weitere Sachprüfung nicht geschehen ist, ist verfahrensfehlerhaft. § 538
Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist auf das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohne
Systembrüche übertragbar (BGH, Beschluss vom 5.11.2008 – XII ZB 53/06 - Rn 26). Ein
Antrag der Parteien für die Zurückverweisung ist nicht erforderlich, da § 621 e Abs. 3
ZPO nicht auf § 538 ZPO verweist, der ein solches Antragserfordernis vorsieht (OLG
Köln – 4. ZS - FamRZ 2005, 1921 ff. = JURIS Rn 11 und Beschluss vom 16.02.2009 – 4
UF 194/08 - sowie – 26. ZS - FamRZ 2004, 1301 = JURIS Rn 7; ferner OLG Stuttgart,
aaO und Thomas/Putzo/Hüßtege: ZPO, 28. Aufl. 2007, § 621e ZPO, Rn 15, je mwN).
19
Ein Unterlassen der Aussetzung durch das Familiengericht zu einer Zeit, als die
grundlegenden Entscheidungen zur Unwirksamkeit der VBL-Satzung bereits
veröffentlicht und deren Auswirkungen auf das Verfahren des Versorgungsausgleichs in
Rechtsprechung und Schrifttum erörtert wurden, dürfte zudem als Verstoß gegen die
Pflicht zur Amtsermittlung gem. § 12 FGG zu werten sein (vgl. Götsche, jurisPR-FamR
3/2009 Anm. 2), da die Maßnahmen unterlassen wurden, die erforderlich sind, um den
zutreffenden Wert der Anrechte aus der ZVöD festzustellen. Die Zurückverweisung hat
auch den Vorteil, dass den Parteien nicht eine Tatsacheninstanz genommen wird.
20
c)
21
Bei der nach Anpassung der Satzung der VBL zu treffenden Entscheidung wird das
Familiengericht auch den Einwendungen nachzugehen haben, die die
Beschwerdeführerin hinsichtlich der Umrechnung der Anrechte im Hinblick auf die
Teildynamik und die Anhebung der Altersgrenze für die Regelaltersrente erhoben hat
(vgl. dazu auch die von ihr zitierte Entscheidung des 10. Zivilsenats des OLG Köln vom
20.02.2008 – 10 UF 230/07 -).
22
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren sind gem. § 21 I 1 GKG nicht zu erheben.
23
Die Wertfestsetzung beruht auf § 49 Nr. 3 GKG.
24