Urteil des OLG Köln vom 04.09.2006

OLG Köln

Oberlandesgericht Köln, 2 VA (Not) 13/05
Datum:
04.09.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 VA (Not) 13/05
Schlagworte:
Notarbestellung, Voraussetzungen
Normen:
BNotO § 6
Leitsätze:
§ 17 AVNot NRW in der seit 2004 geltenden Fassung genügt den
verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Tenor:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens sowie die
notwendigen Auslagen des Antragsgegners.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der Antragsteller wurde 1993 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und ist seither als
Sozius einer Rechtsanwalts- und Notarkanzlei in H. tätig. Am 12.01.2005 hat sich der
Antragsteller um eine ausgeschriebene Notarstelle im Bezirk des Amtsgerichts Gronau
beworben. Bei der Bewertung seiner Leistungen gem. § 17 AVNot 2004 durch den
Antragsgegner erreichte er einen Punktwert von 114,60 Punkten, während der am
besten bewertete Mitbewerber auf 132,15 Punkte und ein weiterer Mitbewerber auf
131,1 Punkte kamen. Die Ermittlung der Punktewerte stellt sich im einzelnen wie folgt
dar.
3
Bewerber
Beteiligter zu 2)
weiterer Bewerber
Antragsteller
Rang
1
2
3
2. Staatsexamen
38,75
43,25
34
RA-Tätigkeit
30
25,75
30
Fortbildungen
44
37
25
Beurkundungen
19,4
25,1
23,6
4
Sonderpunkte
Summe
132,15
131,1
114,6
Der Antragsgegner teilte dem Antragsteller deshalb mit Schreiben vom 16.06.2005 mit,
dass die Vergabe der Stelle an den besser bewerteten Mitbewerber beabsichtigt sei .
5
Der Antragsteller hält die Entscheidung für rechtswidrig und beanstandet – ohne nähere
Begründung -, dass die für die Auswahlentscheidung maßgebliche Regelung in § 17
Abs. 2 AVNot 2004 verfassungswidrig sei.
6
Er beantragt,
7
den Antragsgegner unter Aufhebung des Bescheides vom 16.06.2005 zu
verpflichten, über seine Bewerbung um die ausgeschriebene Notarstelle unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
8
Der Antragsgegner beantragt,
9
den Antrag zurück zu weisen.
10
Der Antragsgegner hält die Grundlage der Auswahlentscheidung, § 17 Abs. 2 AVNot
2004, für verfassungsmäßig.
11
Der Antragsgegner hat auf Bitten des Senats bislang die ausgeschriebene Stelle nicht
besetzt. Die Beteiligten haben auf Durchführung der mündlichen Verhandlung
verzichtet.
12
II.
13
Der vom Antragsteller vorsorglich gestellte Antrag, dem Antragsgegner aufzugeben, bis
zur Entscheidung in der Hauptsache die Stelle freizuhalten, ist durch die Erklärung des
Antragsgegners, die Stelle vorläufig nicht zu besetzen, erledigt. Der im übrigen
zulässige Antrag des Antragstellers ist nicht begründet. Entgegen der von ihm
vertretenen Rechtsauffassung erfolgte die Entscheidung auf der Grundlage wirksamer
Rechts- und Verwaltungsvorschriften.
14
§ 17 AVNot 2004, der die Grundsätze für die fachliche Bewertung der Bewerber um eine
Stelle im Bereich des Anwaltsnotariats regelt, ist verfassungsgemäß. Rechtsgrundlage
für die Auswahl der Bewerber um eine Stelle als Anwaltsnotar ist § 6 Abs. 2 und 3
BNotO. Diese Bestimmung ist verfassungsgemäß (BVerfG NJW 2004, 1935, 1936f.).
Danach kommt es neben den zwingenden Erfordernissen gemäß § 6 Abs. 2 BNotO –
mindestens fünfjährige Zulassung zur Anwaltschaft und mindestens dreijährige Tätigkeit
als Rechtsanwalt in dem in Aussicht genommenen Amtsbezirk – insbesondere auf die
Bewertung der fachlichen Eignung der Bewerber an. Hierfür können
15
die Note des 2. Staatsexamens,
16
die Dauer der Tätigkeit als Rechtsanwalt,
die bei der Vorbereitung auf den Notarberuf gezeigten Leistungen sowie
notarbezogene Lehrgänge
17
in die Bewertung einbezogen werden. In Nordrhein-Westfalen wird die Regelung über
die Bewertung der fachlichen Qualifikation in § 6 Abs. 3 BNotO durch § 17 Abs. 2 AVNot
2004 konkretisiert. Diese Konkretisierung entspricht den verfassungsrechtliche
Anforderungen, denn danach kommt es für die Vergabe einer Notarstelle entscheidend
darauf an, dass die Grundsätze der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG gewahrt
werden (BVerfG NJW 2004, 1935, 1940f.). Diese wird durch § 17 Abs. 2 AVNot 2004
gewährleistet.
18
1. Die für die Bewertung herangezogenen Kriterien sind geeignet, die Qualifikation
eines Bewerber um eine Notarstelle zu beurteilen.
19
a) Das Ergebnis der die Ausbildung abschließenden Staatsprüfung ist nach § 6 Abs. 3
S. 1 BNotO zu berücksichtigen. Es gibt Aufschluss über die allgemeine juristische
Befähigung des Bewerbers (vgl. BGH, Beschluss vom 14.03.2005 – NotZ 27/04 -, NJW-
RR 2006, 55, 56). Im Hinblick darauf, dass besondere, notarspezifische Fähigkeiten nur
auf dieser allgemeinen Grundlage aufbauen können, kommt auch dieser eine
aussagekräftige Bedeutung für die Befähigung zum Amt des Notars zu.
20
b) Die Dauer der Rechtsanwaltstätigkeit ist gemäß § 6 Abs. 3 S. 3 BNotO "angemessen
zu berücksichtigen". Aus der reinen Zeitdauer der Tätigkeit als Rechtsanwalt ergeben
sich zwar keine notarspezifischen Qualifikationen. Sie belegt jedoch immerhin – und
zwar unabhängig von der fachlichen Ausrichtung der Anwaltstätigkeit -, dass der
Bewerber mit dem Umgang mit Mandanten und der Führung einer Kanzlei vertraut ist.
21
c) Die Berücksichtigung der bereits als Notarvertreter oder Notarverwalter
vorgenommenen Beurkundungen entspricht in besonderer Weise dem vom
Bundesverfassungsgericht herausgestellten Prinzip der Bestenauslese:
22
"..., dass die ständige Vertretung eines Notars neben der reinen
Beurkundungstätigkeit eine Vielzahl von weiteren Aufgaben umfasst,
insbesondere die unparteiische Beratung der Rechtsuchenden, das
selbständige Aufsetzen von Urkunden sowie die Durchführung der
beurkundeten Geschäfte. Eine solche Vertretung ist – je länger sie dauert, umso
stärker – vielseitig und steht der vollen Ausübung des Amts des Notars gleich."
(BVerfG NJW 2004, 1936, 1941)
23
Es wäre sachwidrig, die aus der Tätigkeit als Notarvertreter bzw. Notariatsverwalter
gewonnene praktische Erfahrung bei der Beurteilung der fachlichen Eignung zu
vernachlässigen, denn hierdurch würde "die fachliche Berufserfahrung, also ein
wesentliches Merkmal für die Eignungsprognose, fast vollständig entwertet" (BVerfG
NJW 2004, 1935, 1941).
24
Der Berücksichtigung dieser praktischen Erfahrungen steht nicht entgegen, dass nicht
alle Interessenten in gleichem Umfang die Möglichkeit haben, diese praktischen
25
Erfahrungen in einer Notarvertretung zu sammeln und außerdem auch Art und Umfang
der Tätigkeit des Notarvertreters im Zusammenhang mit der Beurkundung nicht bewertet
werden.
aa) Es spricht einiges dafür, dass ein Einzelanwalt gegenüber einem in einer
Rechtsanwalts- und Notarsozietät tätigen Mitbewerber geringere Chancen hat, als
Notarvertreter bestellt zu werden. Diese Mitbewerber erhalten über ihren Sozius vielfach
die Möglichkeit, als Notarvertreter tätig zu werden. Dem gegenüber werden
Einzelanwälte kaum die Chance haben, als Notarvertreter eingesetzt zu werden, denn
die Notare werden einen in ihrem eigenen Geschäftsbezirk ansässigen Rechtsanwalt,
also einen wirtschaftlichen Konkurrenten, kaum mit der Vertretung beauftragen.
Bedeutsamer ist die Möglichkeit, praktische Erfahrungen als Notariatsverwalter eines
ausgeschiedenen oder amtsunfähigen Notars zu sammeln. Es fällt jedenfalls auf, dass
die Bewerber in den derzeit beim Senat anhängigen Besetzungsverfahren fast sämtlich
– und die bestplatzierten insgesamt – in einer Sozietät mit einen Anwaltsnotar tätig sind.
26
Den Bewerbern, die mit einem Anwaltsnotar in einer Sozietät verbunden sind, entsteht
hierdurch im fachlichen Teil ein möglicher Punktvorsprung von 30 Punkten – ein
Bewerber ohne praktische Erfahrungen kann durch umfangreiche theoretische
Fortbildungen maximal 90 von möglichen 120 Punkten bekommen. Eine Kompensation
dieses Punktvorsprungs durch andere Bewertungsbereiche ist kaum möglich, denn
27
bei der Examensnote machen 30 Punkte sechs Punkte oder zwei Noten im
Examensergebnis aus;
bei der Anwaltstätigkeit werden ohnehin nur zehn Jahre (= 30 Punkte)
berücksichtigt und fünf Jahre Anwaltstätigkeit muss jeder Bewerber schon gemäß
§ 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO vorweisen, so dass gegenüber Mitbewerbern, die bereits
umfangreich als Notarvertreter tätig waren, was i. d. R. mit einer längeren
Anwaltstätigkeit korrespondiert, kaum "Boden gutgemacht" werden kann.
Sonderpunkte gemäß § 17 Nr. 6 AVNot 2004 sind am ehesten für Anwälte
erreichbar, die als Notarvertreter bestellt waren (§ 17 Abs. Nr. 6 lit. d) AVNot 2004).
Für Einzelanwälte kommen allenfalls 20 Zusatzpunkte aus benoteten
Leistungsnachweisen (§ 17 Nr. 6 lit. e) AVNot 2004) und Veröffentlichungen zu
notarspezifischen Themen (§ 17 Nr. 6 lit. g) AVNot 2004) in Betracht.
28
29
Die Wahrung der Chancengleichheit beim Zugang zum Notaramt erscheint damit
zumindest zweifelhaft. Die Frage, ob dies verfassungswidrig ist, oder aber
hingenommen werden muss, weil die Regelung des § 39 Abs. 3 S. 3 BNotO, wonach
grundsätzlich nur zum Notarvertreter bestellt werden darf, wer von dem amtierenden
Notar hierfür vorgeschlagen wurde, Ausfluss der Berufsfreiheit des Notars ist - wofür
vieles spricht -, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Auch wenn der Zugang zu
Notarvertretungen verfassungswidrig beschränkt sein sollte, ändert das nichts an der
durch die Vertretung gewonnenen zusätzlichen Qualifikation des Mitbewerbers:
30
"Das Ziel der Gewährleistung eines chancengleichen Zugangs zum Notaramt
31
rechtfertigt es nicht, unbestritten erworbene Qualifikationen außer Betracht zu
lassen. Sofern bei der Bestellung des Beschwerdeführers zum ständigen
Vertreter des seiner Sozietät angehörenden Notars Auswahlfehler
vorgekommen sein sollten, ... können diese die danach gezeigte Bewährung
und Befähigung für das Amt des Notars nicht in Frage stellen." (BVerfG NJW
2004, 1936, 1941)
bb) Die Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen aufgrund vorgenommener
Beurkundungen ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil allein die Zahl und nicht
auch die Qualität der hiermit verbundenen Leistungen berücksichtigt wird. Das
Erreichen der Höchstpunktzahl 60 setzt mindestens 300 Beurkundungen voraus, wenn
diese sämtlich innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Ende der Bewerbungsfrist
erfolgten und der Bewerber jeweils für eine ununterbrochene Dauer von mindestens
zwei Wochen als Notarvertreter tätig war. Anderenfalls sind bis zu 600 Beurkundungen
zur Erreichung der Höchstpunktzahl erforderlich. Bei dieser großen Zahl von
Beurkundungen kann davon ausgegangen werden, dass der Bewerber mit der ganzen
Breite der in der jeweiligen Notarpraxis anfallenden Beurkundungen konfrontiert wurde
und er insoweit Erfahrungen sammeln konnte. Eigenverantwortlich war dabei jeweils
zumindest die Belehrung vorzunehmen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass auch
bei der Fortbildung im wesentlichen nur der Zeitaufwand berücksichtigt wird, denn die
Maximalpunktzahl ist allein durch die Teilnahme an 120 halbtägigen
Fortbildungsveranstaltungen erreichbar.
32
Die vorstehenden Überlegungen gelten jedenfalls für den Regelfall, in dem die
Beurkundungen im Rahmen von Notarvertretungen bzw. Notariatsverwaltungen
erfolgten, die sich über einen längeren, mehrjährigen Zeitraum erstreckten. Nach dem
Wortlaut des § 17 Abs. 2 Nr. 4 AVNot 2004 würden allerdings auch eine Vielzahl
gleichgelagerter Beurkundungen innerhalb eines ganz kurzen Zeitraums zur Vergabe
von Punkten führen, obwohl in diesem Fall aus der Zahl der Beurkundungen ersichtlich
nicht auf eine entsprechende Qualifikation und Erfahrung geschlossen werden kann. Im
Hinblick auf die hinter der Regelung des § 17 Abs. 2 Nr. 4 AVNot 2004 stehende, oben
näher dargelegte Überlegung ist in derartigen Fällen, in denen die Quantität der
Beurkundungen ersichtlich keinen Rückschluss auf die Qualifikation zulässt, eine
teleologische Reduktion der Bestimmung vorzunehmen, die in der Praxis auch erfolgt.
Von daher besteht auch unter diesem Gesichtspunkt nicht die Gefahr, dass die
grundsätzlich zunächst einmal rein quantitative Beurteilung zu sachwidrigen
Ergebnissen führt.
33
Es besteht auch kein zwingender Grund, die Beurkundungen von Tatsachen (§ 36
BeurkG) oder die Abnahme eidesstattlicher Versicherungen (§ 38 BeurkG) bei der Zahl
der Beurkundungen unberücksichtigt zu lassen. Auch diese Beurkundungen gehören
mit zum Spektrum der Tätigkeit eines Notars. Sie sind auch nicht den
Unterschriftsbeglaubigungen gemäß § 40 BeurkG, die nicht berücksichtigt werden,
vergleichbar, weil sie rechtlich durchaus anspruchsvoll sein können, etwa wenn es sich
um die Beurkundung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft handelt. Auch die
erforderliche Belehrung desjenigen, der eine eidesstattliche Versicherung abgibt,
erfordert eine entsprechende rechtliche Prüfung. Zudem besteht angesichts der Zahl
von Beurkundungen gemäß § 38 BeurkG, die in einem durchschnittlichen Notariat
anfallen, nicht die Gefahr, dass ein Bewerber seine Punkte ausschließlich oder ganz
überwiegend mit der Abnahme eidesstattlicher Versicherungen erzielt hat. Der Anteil
der Beurkundungen gemäß § 38 BeurkG am Geschäftsanfall übersteigt nach den
34
Feststellungen der Westfälischen Notarkammer nur selten 25%. Sollte sich im Einzelfall
gleichwohl erweisen, dass ein überproportional hoher Anteil der Beurkundungen solche
gemäß §§ 36, 38 BeurkG betrifft, besteht schließlich auch noch die Möglichkeit, diese im
Wege einer teleologischen Reduktion der Bestimmung im Einzelfall unberücksichtigt zu
lassen, soweit deshalb anzunehmen, dass die Zahl der Beurkundungen keinen
Rückschluss auf die gewonnenen praktischen Erfahrungen zulässt.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, besondere, über den Durchschnitt der
Beurkundungen hinausgehende inhaltliche Qualitäten der im Rahmen der
Notarvertretungen bzw. Notariatsverwaltungen vom Bewerber erbrachten Leistungen
über Sonderpunkte (§ 17 Abs. 2 Nr. 6 lit. d) AVNot 2004) zu erfassen. Hierdurch wird
dem Gesichtspunkt, dass es für die Qualifikation eines Bewerbers nicht allein auf die
Quantität der Beurkundungen ankommen kann, hinreichend Rechnung getragen.
35
cc) Die im wesentlichen rein quantitative Betrachtung bei den Beurkundungen und die
auf herausgehobene Tätigkeiten beschränkte Vergabe von Sonderpunkten –
vergleichbares gilt für die Fortbildungsveranstaltungen - erscheint auch unter dem
Gesichtspunkt der Effizienz der Verwaltung geboten und ist deshalb bei der
verfassungsrechtlichen Beurteilung der Regelung mit zu berücksichtigen. Bei einem
Besetzungsverfahren mit mehreren – teilweise deutlich über zehn – Bewerbern wären
andernfalls einige tausend Urkunden und jedenfalls mehrere hundert
Fortbildungsveranstaltungen im Rahmen des Besetzungsverfahrens zu beurteilen.
Dabei ließe sich ohne Beiziehung der Handakten des Notars der Anteil des Bewerbers
an der jeweiligen Beurkundung gar nicht nachvollziehen. Der mit einem solchen
Vorgehen verbundene Aufwand wäre für die Notarkammern und die Justizverwaltung
schlechterdings nicht zu leisten und würde damit die zeitnahe Besetzung frei
gewordener Notarstellen unmöglich machen.
36
d) Das zweite Feld notarspezifischer Aus- und Fortbildung ist die Teilnahme an
entsprechenden Kursen. Allein schon die Teilnahme an einer großen Zahl von Kursen
lässt erwarten, dass entsprechende Kenntnisse erworben wurden, auch wenn keine
bewertete Erfolgskontrolle durchgeführt wurde. Zwar würden bewertete
Leistungskontrollen im Rahmen der Fortbildung dem Leistungsgedanken eher
entsprechen. Die Justizverwaltung, die diese Fortbildungsveranstaltungen nicht selbst
durchführt, muss es jedoch hinnehmen, wenn die Veranstalter (bisher) von einer
differenzierten Bewertung der Leistungskontrollen absehen. Durch die möglichen
Sonderpunkte gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 6 lit. e) AVNot 2004 ist darüber hinaus
gewährleistet, dass bewertete Leistungen im Rahmen der Fortbildung ein höheres
Gewicht erlangen als unbewertete. Dies schafft für die Zukunft einen Anreiz bei den
Veranstaltern und Teilnehmern von Fortbildungskursen, Leistungsbewertungen
vorzunehmen. Die unbewerteten Teilnahmenachweise müssen aber gegenwärtig schon
deshalb weiterhin bei der Bewertung mit berücksichtigt werden, weil insoweit aufgrund
der Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 1997, 948, 949; 1998, 637) ein
Vertrauensschutztatbestand entstanden ist.
37
e) Besondere notarspezifische Leistungen, die die Qualifikation eines Bewerbers
erhöhen, lassen sich darüber hinaus durch die Sonderpunktregelung des § 17 Abs. 2
Nr. 6 AVNot 2004 erfassen. Die dort aufgeführten Merkmale lassen jeweils eine
gegenüber den vorhergehenden Merkmalen gesteigerte Befähigung für das Notaramt
erkennen.
38
Nicht ausdrücklich in § 17 Nr. 6 AVNot 2004 erwähnt ist allerdings der Umstand, dass
die Anwaltstätigkeit notarnäher oder notarferner ausgestaltet sein kann. Während in § 17
Abs. 2 Nr. 2 AVNot 2004 die reine Zeit der Anwaltszulassung im Hinblick auf die dabei
erworbenen Fähigkeiten im Umgang mit Mandanten und die Organisation einer Kanzlei
berücksichtigt wird, kann sich aus der konkreten anwaltlichen Tätigkeit eine
berufsspezifische Qualifikation für das Amt des Notars ergeben (vgl. auch BGH NJW-
RR 2006, 781 Rdnr. 17).
39
Die von der Beteiligten zu 1) vertretene Auffassung, dass es nach der Neufassung der
AVNot nicht mehr geboten sei, den Bezug der Anwaltstätigkeit zur Notartätigkeit noch
gesondert zu bewerten, weil die Dauer der Anwaltstätigkeit ein geringeres Gewicht für
die Besetzungsentscheidung bekommen habe und nunmehr wesentlich auf die
fachbezogene Qualifikation abgestellt wird, teilt der Senat – in Übereinstimmung mit
dem Antragsgegner – nicht. Der Gesichtspunkt der Bestenauslese spricht dafür, dass für
die Besetzungsentscheidung der Frage, ob die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts
notarnäher oder notarferner ausgerichtet war, Bedeutung zukommen muss. Es ist
offensichtlich, dass bei ansonsten gleichen Voraussetzungen eine notarnähere
Anwaltstätigkeit, mit einem Schwerpunkt auf der Vertragsgestaltung im Gesellschafts-,
Immobilen-, Familien- und/oder Erbrecht eine höhere Qualifikation bedeutet als eine
notarfernere Tätigkeit etwa im Bereich des Strafrechts oder des Verkehrsunfallrechts.
Dies muss dann auch bei der Besetzung berücksichtigt werden.
40
§ 17 Abs. 2 Nr. 6 AVNot 2004 ermöglicht diese Berücksichtigung, auch wenn der
Wortlaut dieser Regelung nicht ganz klar ist. Die beiden Einleitungssätze
41
"Im Rahmen der Gesamtentscheidung können weitere Punkte für im Einzelfall
vorhandene besondere notarspezifische Qualifikationen angerechnet werden.
Dies kommt in der Regel in Betracht für:..."
42
lassen die Auslegung zu, dass der Katalog des § 17 Abs. 2 Nr. 6 AVNot 2004 nur
Regelbeispiele enthält, für die insbesondere ("in der Regel") die Vergabe von
Sonderpunkten in Betracht kommt, aber nicht abschließend ist. Für diese Deutung
sprechen entscheidend folgende Argumente:
43
Der Katalog des § 17 Abs. 2 Nr. 6 S. 2 AVNot 2004 dient der Konkretisierung der
allgemeinen Regelung in Satz 1, wonach "besondere notarspezifische
Qualifikationen" durch die Vergabe von Sonderpunkten berücksichtigt werden. Die
Entscheidung dafür, "besondere notarspezifische Qualifikationen" zu
berücksichtigen, wäre aber mit einer abschließenden Aufzählung, die ersichtlich
nicht alle denkbaren Qualifikationsmöglichkeiten aufzählt, nicht vereinbar.
44
45
Dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestenauslese kann nur dadurch
Rechnung getragen werden, dass auch weitere Qualifikationen berücksichtigt
werden.
46
47
Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, dass § 17 Abs. 2 Nr. 6 AVNOt 2004
hinsichtlich der maximal erreichbaren Zahl von Sonderpunkten zwischen verschiedenen
Tätigkeiten differenziert – teilweise können bis zu 20 Sonderpunkte, teilweise dagegen
nur maximal 10 Sonderpunkte erreicht werden. Ebenso wie es möglich ist, aufgrund
eines wertenden Vergleichs nicht ausdrücklich aufgezählte Tätigkeiten überhaupt als
solche zu qualifizieren, die die Vergabe von Sonderpunkten rechtfertigen, ist es möglich,
diese einer der beiden Gruppen mit jeweils unterschiedlicher Höchstpunktzahl
zuzuordnen.
48
2. Auch die Gewichtung der einzelnen Qualifikationsmerkmale entspricht dem
Grundsatz der Bestenauslese.
49
a) Die notarspezifische Qualifikation (Beurkundungen und Fortbildungskurse) hat
größere Bedeutung als die allgemeine Befähigung (Examensergebnis und Zeit der
Rechtsanwaltszulassung). Theoretisch können aus beiden Bereichen jeweils 120
Punkte erreicht werden, so dass beide Bereiche dasselbe Gewicht hätten. Praktisch ist
es jedoch nahezu ausgeschlossen, im Bereich der allgemeinen Befähigung mehr als 90
Punkte zu erreichen, nämlich 30 aus der Anwaltstätigkeit und 60 aus dem
Examensergebnis. Dies setzt bereits voraus, dass das Examen mit einem gehobenen
vollbefriedigend (12 Punkte) bestanden wurde. Bessere Examensergebnisse erreicht in
Nordrhein-Westfalen nur eine verschwindend geringe Zahl von Kandidaten (unter 3 %).
Hinzu kommt noch, dass durch die Möglichkeit der Vergabe von Sonderpunkten für
besondere notarspezifische Qualifikationen für ein weiteres Übergewicht des
notarspezifischen Teils gesorgt ist.
50
Es ist zwar weiterhin denkbar, dass bei ansonsten gleicher Qualifikation letztlich das
Examensergebnis den Ausschlag gibt. Dies liegt jedoch in der Natur der Sache und ist
auch sachgerecht (vgl. auch BGH NJW-RR 2006, 55, 56), denn wenn das
Examensergebnis überhaupt berücksichtigt wird, muss es zwingend auch den
Ausschlag geben können, wenn alle anderen Faktoren gleich bewertet sind. Die Zahl
der Fälle, in denen dies praktisch relevant wird, dürfte jedoch verschwindend gering
sein. In den derzeit beim Senat anhängigen Verfahren hat das Examensergebnis in
keinem Fall den Ausschlag gegeben, Es ist nicht einmal durchgängig der Bewerber mit
dem besten Examensergebnis auf Platz 1 gekommen.
51
b) Auch die Gewichtung der beiden notarspezifischen Qualifikationsmerkmale ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Grundsätzlich werden beide
Qualifikationsmerkmale gleich gewichtet. Das erscheint auch sachgerecht, denn
Theorie und Praxis der Notartätigkeit kommt eine etwa gleiche Bedeutung zu. Für die
gleiche Bewertung spricht hier auch, dass lediglich quantitative Anforderungen gestellt
werden, denn es kommt nur auf die Zahl der Fortbildungsveranstaltungen bzw.
Fortbildungskurse an, nicht aber qualitative.
52
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass nur maximal 30 Punkte aus dem einen Bereich
auf den anderen übertragen werden können. Eine volle Übertragung der Punkte aus
dem notarpraktischen Teil auf den theoretischen Teil würde es ermöglichen, dass ein
Bewerber ohne jede theoretische Fortbildung sich allein durch eine besonders große
53
Zahl von Beurkundungen für das Notaramt qualifizieren könnte. Angesichts des
eigenständigen Wertes theoretischer Aus- und Fortbildung gegenüber der praktischen
Tätigkeit ist es zulässig, dass dies durch die Begrenzung der Punkteübertragung
verhindert oder zumindest erschwert wird.
Umgekehrt würde eine volle Übertragung von im theoretischen Bereich erreichten
Punkten auf den praktischen Teil es ermöglichen, dass dieses Qualifikationsmerkmal
ausgeblendet würde, was ersichtlich nicht mit dem Grundsatz der Bestenauslese
vereinbar wäre, denn ein Bewerber der über dieselbe theoretische Qualifikation verfügt
wie ein Mitbewerber, zusätzlich aber auch über praktische Erfahrung, ist überlegen. Die
Auffassung in dem Gutachten von Prof. Dr. T., das in dem Parallelverfahren 2 VA (Not)
20/05) vorgelegt wurde, "dass diese Gewichtung der Auswahlkriterien (d. i. Fortbildung
und Beurkundungspraxis) mit dem Leistungsprinzip ... nicht zu vereinbaren ist, liegt auf
der Hand" überzeugt deshalb nicht. T. selbst hat dies auch in einem früheren Aufsatz
(NWVBl. 2005, 41, 50) noch anders gesehen. Der Umstand, dass es durch die
Berücksichtigung der notarpraktischen Erfahrungen zu einer Art "closed shop" der
bestehenden Anwaltsnotariate kommt, ist nur durch eine andere Regelung bei der
Notarvertretung, nicht aber im Rahmen der Besetzung freier Notarstellen nach dem
Grundsatz der Bestenauslese zu lösen.
54
c) Es ist schließlich auch nicht zu beanstanden, dass die Zahl der erreichbaren
Sonderpunkte beschränkt ist. Es ist insbesondere nicht geboten, jede über die im
Rahmen des § 17 Abs. 2 Nr. 4 AVNot 2004 maximal zu berücksichtigende Zahl von
Beurkundungen hinausgehende Beurkundung durch eine – letztlich unbegrenzte Zahl
von Sonderpunkten – zu berücksichtigen. Im Hinblick darauf, dass im Rahmen des § 17
Abs. 2 Nr. 4 AVNot 2004 allein auf die Zahl der Beurkundungen abgestellt wird, kann es
für Sonderpunkte nach § 17 Abs. 2 Nr. 6 lit. d) AVNot 2004 auf die Zahl der
Beurkundungen generell nicht mehr angekommen. Oberhalb der durch § 17 Abs. 2 Nr. 4
AVNot 2004 vorgegebenen Grenze von 300 bzw. 600 Beurkundungen kann auch nicht
mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass jede weitere Beurkundung zu
einem beurteilungserheblichen Anstieg der Befähigung führt. Eine rein quantitative
Berücksichtigung von Beurkundungstätigkeit auch bei den Sonderpunkten würde
letztlich dazu führen, dass das legitime Ziel der Justizverwaltung, theoretische und
praktische Erfahrungen im Bereich der Notartätigkeit in etwa gleich zu gewichten,
unterlaufen würde. Es wäre dann auf dem Weg über Sonderpunkte möglich, letztlich
doch ohne theoretische Fortbildung die Maximalpunktzahl zu erreichen. Deshalb ist es
auch sachgerecht, dass auch die maximal erreichbare Punktzahl für benotete
Leistungsnachweise gem. § 17 Abs. 2 Nr. 6 lit. e) AVNot 2004 auf zehn beschränkt ist.
Die Beschränkung der durch die Tätigkeit als Notarvertreter bzw. Notariatsverwalter
erreichbaren maximalen Zahl von Sonderpunkten trägt im übrigen auch dem
Gesichtspunkt des gleichmäßigen Zugangs zu öffentlichen Ämtern Rechnung. Dadurch
wird gewährleistet, dass der Vorsprung von Bewerbern, die die Möglichkeit der
Notarvertretung haben, gegenüber solchen Bewerbern, die diese Möglichkeit nicht
haben, nicht völlig uneinholbar wird.
55
3. Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Bewertung der Bewerber nach
einem schematisierten Punkteverfahren und nicht durch einen individuellen Vergleich
erfolgt. Das Punkteverfahren hat den Vorteil, besonderer Transparenz: die Bewerber
können sich im Vorhinein ausrechnen, welche Punktzahl sie erreichen werden und sie
können sich für die Zukunft durch spezifische Aktivitäten sei es im Bereich der
Fortbildung, der Beurkundungstätigkeit oder der notarspezifischen
56
Qualifikationsmerkmale "verbessern".
Ein individueller Vergleich wäre demgegenüber praktisch nur durch eine Prüfung
möglich. Diese ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Sie hat darüber hinaus den
Nachteil, dass sie nur eine Momentaufnahme liefert. Immerhin wird aber durch die
Regelung in § 17 Abs. 2 Nr. 6 AVNot 2004 die Möglichkeit eröffnet, besondere, über den
Durchschnitt hinausragende notarspezifische Leistungen auch gesondert zu bewerten,
so dass auch dem Grundsatz
57
"Herausragende Leistungen müssen – gegebenenfalls durch Sonderpunkt – das
ihnen gebührende Gewicht erhalten." (BVerfG NJW 2004, 1936, 1940)
58
Rechnung getragen ist.
59
III.
60
Der die Gerichtskosten betreffende Kostenausspruch beruht auf § 111 Abs. 4 Satz 2
BNotO in Verbindung mit § 201 Abs. 1 BRAO. Die Entscheidung über die
außergerichtlichen Kosten erfolgt gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 BNotO i.V.m. § 40 Abs. 4
BRAO nach § 13 a Abs. 1 Satz FGG. Dabei wurde berücksichtigt, dass die weiteren
Beteiligten keinen Sachantrag gestellt und damit kein Kostenrisiko übernommen haben
(vgl. Kopp/schenke, VwGO, 14. Aufl., 2005, § 162 Rdnr. 23 m. w. N.).
61
IV.
62
Der Gegenstandswert wird auf 50.000 € festgesetzt.
63