Urteil des OLG Köln vom 04.05.2001
OLG Köln: wiederaufleben des anspruchs, abänderungsklage, verwirkung, auflage, unterhalt, datum, einkünfte, erwerbstätigkeit, trennung, ausschluss
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 25 UF 63/00
04.05.2001
Oberlandesgericht Köln
25. Zivilsenat
Urteil
25 UF 63/00
Amtsgericht Wermelskirchen, 5 F 170/99
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 1. Februar 2000 verkündete
Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Wermelskirchen - 5 F 170/99 -
dahin geändert, dass die Klage abgewiesen wird. Der Kläger hat die
gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige, an sich statthafte sowie frist- und formgerecht eingelegte und begründete
Berufung (§§ 511, 511 a, 516, 518, 519 ZPO) hat auch in sachlicher Hinsicht Erfolg; sie
führt unter Abänderung des angefochtenen Urteils zur Klageabweisung.
Der Kläger ist durch Urteil des Familiengerichts Wermelskirchen vom 12.01.1999 - 5 F
15/98 - unter anderem zur Zahlung nachehelichen Unterhalts in monatlicher Höhe von
996,00 DM ab 01.03.1998 an die Beklagte verurteilt worden. Dieses Urteil ist rechtskräftig,
nachdem die Beklagte die seinerzeit von ihr eingelegte Berufung - 25 UF 38/99 OLG Köln -
zurückgenommen hat, Bl. 398 BA.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger im Wege der Abänderungsklage den Wegfall
seiner titulierten Unterhaltsverpflichtung mit Wirkung ab dem Eintritt der Rechtshängigkeit
verlangt. Das Familiengericht hat der Klage für die Zeit ab 10.10.1999 stattgegeben. Das
hält der Überprüfung durch den Senat nicht Stand. Die Abänderungsklage ist zulässig, aber
unbegründet und musste deshalb auf die Berufung abgewiesen werden.
Der Kläger stützt seine Klage ausschließlich darauf, dass die Beklagte ihre nachehelichen
Unterhaltsansprüche verwirkt habe. Das ergibt sich aus seinem gesamten schriftsätzlichen
Vorbringen und seiner ausdrücklichen, im Termin zur mündlichen Verhandlung vom
30.03.2001 protokollierten und nach Vorspielen genehmigten Erklärung. Wenn es dort
heißt, die "Berufung" werde ausschließlich auf den Verwirkungseinwand gestützt, ist das
nichts weiter als ein unschädliches Versprechen, hat doch nicht der Kläger, sondern die
Beklagte Berufung eingelegt, so dass diese Äußerung des Klägers nicht der Berufung,
sondern seiner Klage zuzuordnen ist. Den Einwand der Verwirkung der nachehelichen
Unterhaltsansprüche macht der Kläger zulässiger Weise im Wege der Abänderungsklage
geltend, wie schon das Familiengericht zutreffend ausgeführt hat. Eine
Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO kommt nicht in Betracht. Diese Klage wäre
nur statthaft, wenn die Verwirkung, falls sie durchdringt, die Unterhaltsansprüche der
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Beklagten auf Dauer ausschließen würde. Dann handelte es sich um einen
rechtsvernichtenden Einwand gegen den titulierten Anspruch, der nicht mit
Abänderungsklage, sondern mit Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen ist (BGH
FamRZ 1991, 1175; Hoffmann/Stephan, EheG, 2. Auflage, § 66 Rz. 7 jeweils für den Fall
der Verwirkung nach § 66 EheG). Demgegenüber kann der Einwand des Klägers, wie
nachstehend darzulegen sein wird, nur in § 1579 Nr. 2, Nr. 6 BGB seine Stütze finden.
Diese sog. negative Härteklausel des Unterhaltsrechts erfordert aber gemäß ihrem
verbindlichen Wortlaut in sämtlichen Anwendungsfällen eine umfassende, an den
beiderseitigen Belangen der geschiedenen Ehegatten unter Bedachtnahme auf das Wohl
eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinsamen Kindes
orientierte Billigkeitsprüfung, wobei je nach Lage des Streitfalles ein zeitlich begrenzter
Ausschluss oder eine zeitlich begrenzte Herabsetzung des nachehelichen
Unterhaltsanspruchs in Betracht kommen kann. Diese Besonderheiten gegenüber einem
auf Dauer wirkenden rechtsvernichtenden Einwand lassen es gerechtfertigt erscheinen, die
prozessuale Geltendmachung der Verwirkung des gesetzlichen Unterhaltsanspruches
nach § 1579 BGB, die im Falle ihres Durchgreifens ein späteres Wiederaufleben des
Anspruchs nicht prinzipiell ausschließt, der Abänderungsklage zuzuordnen
(Göppinger/Wax/Vogel, Unterhaltsrecht, 7. Auflage, Rz. 2444; Thomas-Putzo, ZPO, 22.
Auflage, § 323 Rz. 2; Palandt-Brudermüller, BGB, 60. Auflage, § 1579 Rz. 51, jeweils m.N.
aus der Rechtsprechung).
Die zulässige Abänderungsklage ist unbegründet.
Die Beklagte als Unterhaltsberechtigte hat sich zwar eines schweren vorsätzlichen
Vergehens gegenüber dem Kläger als Unterhaltsverpflichteten schuldig gemacht, was aber
im Rahmen der umfassenden Billigkeitsprüfung nicht zum Wegfall oder auch nur zur
Herabsetzung ihrer im Vorprozess titulierten nachehelichen Unterhaltsansprüche führt.
Die Beklagte hat im Vorprozess im Termin zur mündlichen Verhandlung, der am
17.08.1999 vor dem Senat stattgefunden hatte, einen versuchten Prozessbetrug zum
Nachteil des Klägers begangen. Das Familiengericht hatte ihr, teilweise im Wege fiktiver
Berechnung, durch halbtätige Erwerbstätigkeit erzielbare Nettoeinkünfte in monatlicher
Höhe von insgesamt 1.372,00 DM zugeordnet, während die Beklagte mit ihrer damaligen
Berufung geltend machte, mehr als 800,00 DM monatlich, die sie sich - als eheprägendes,
also nach der Differenzmethode zu behandelndes Einkommen - anrechnen lasse, erziele
sie nicht und könne sie auch nicht erzielen. In der besagten mündlichen Verhandlung ist
sie eingehend richterlich dazu befragt worden, wie es sich mit ihren Einkünften aus dem
Flechten von Rasta-Zöpfen verhalte. Auf diese Frage hat sie ausweislich des Protokolls
wörtlich erklärt:
"Ich habe im Schnitt gerechnet etwa einmal im Monat einen Rasta-Zopf geflochten und
dadurch eine Nettoeinnahme von 150,00 DM (Honorar 200,00 DM - 50,00 DM Unkosten)
erzielt. Das ist aber nur bis zur Trennung gewesen. Seit dem Jahre 1996 - nach der
Trennung - habe ich keinen einzigen Rasta-Zopf mehr geflochten".
Diese an Klarheit und Eindeutigkeit schlechterdings nicht mehr zu überbietende Aussage
ergibt - ohne jedes Wenn und Aber -, dass die Beklagte bezogen auf das Datum ihrer
damaligen Anhörung seit Jahr und Tag, aus welchen Gründen auch immer, nicht einen
einzigen Pfennig mit dem Flechten von Rasta-Zöpfen verdient hatte, weil selbiges nicht
mehr stattgefunden hatte. Dabei handelt es sich um eine faustdicke, plumpe Lüge, wie der
vom Kläger in jenem Termin im Anschluss daran sogleich überreichte, mit Fotografien
dokumentierte Bericht der von ihm beauftragten Detektei augenblicklich offenbarte. Denn
gemäß diesem Bericht hatte die Beklagte, durch etliche Fotos belegt, am 12. und am
13.06.1999 durch das Flechten je eines Rasta-Zopfes an beiden Tagen je 350,00 DM
kassiert. Durch ihr Lügen, womit sie keinen Erfolg hatte, so dass der Betrug im
Versuchsstadium stecken blieb, wollte sie das Gericht und den Kläger Glauben machen, so
wenig zu verdienen - und verdienen zu können -, dass ihr auf ihre Berufung hin mehr
Unterhalt als gemäß dem damaligen erstinstanzlichen Urteil zugesprochen werden müsse,
eine ganz bewusst auf die Schädigung der Vermögensinteressen des Klägers angelegte
Aktion in der Absicht rechtswidriger Bereicherung. Denn jedes Einkommen, das durch
Flechten von Rasta-Zöpfen erzielt wurde, führte zwangsläufig zur Erhöhung des von der
Beklagten mit monatlich 800,00 DM eingeräumten Einkommenslimits, das sie dem mit ihrer
damaligen Berufung geforderten Unterhalt zugrunde gelegt hatte. Das jetzige Bemühen der
Beklagten um Entkräftung des Vorwurfs des versuchten Betruges - "Entschuldigung" mit
Aufgeregtheit und mangelnder Beherrschung der deutschen Sprache - ist angesichts der
ungemein einfachen, damaligen Fragestellung des Gerichts und der damaligen glasklaren
Antwort der Beklagten unbeachtlich. Der versuchte Prozessbetrug ist durch nichts aus der
Welt zu schaffen. Bewusstes Verschweigen oder gar bewusstes Ableugnen von Einkünften
mit dem Ziel der Erlangung unrechtmäßigen Unterhalts kann durchaus gemäß § 1579 Nr. 2
(und Nr. 6) BGB die Sanktion der Aberkennung jeglichen Unterhaltsanspruchs auslösen
(OLG Karlsruhe FamRZ 1995, 1488; OLG Koblenz OLG-Report 1997, 245). Während es
sich in den vorstehend entschiedenen Fällen um einen jeweils besonders schweren,
vollendeten Prozessbetrug handelte, ist das betrügerische Verhalten der Beklagten
sogleich aufgedeckt worden und deshalb erfolglos geblieben; die für die Berufung
nachgesuchte Prozesskostenhilfe wurde verweigert und etliche Zeit danach wurde die
Berufung zurückgenommen. Das allein vermöchte der jetzigen Berufung allerdings nicht
zum sachlichen Erfolg zu verhelfen, ist es doch ganz gewiss nicht das Verdienst der
Beklagten, damals "erfolglos" geblieben zu sein. Die unabweisbar erforderliche
umfassende Billigkeitsprüfung führt aber dazu, dass der Verwirkungseinwand gegenüber
dem im Vorprozess in monatlicher Höhe von 996,00 DM zuerkannten nachehelichen
Unterhalt nicht durchgreift. Der Kläger beruft sich, wie schon erwähnt, ausschließlich auf
Verwirkung, macht also nicht geltend, seine finanziellen Verhältnisse hätten sich
inzwischen verschlechtert. Deshalb ist davon auszugehen, dass er - nach Abzug des
Kindesunterhalts - über ein bereinigtes durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in
Höhe von rund 4.000,00 DM (4.267,00 DM gemäß dem abzuändernden Urteil) verfügt.
Damit ist er leistungsfähig. Das Familiengericht hat, wie schon erwähnt, im abzuändernden
Urteil das erzielbare Einkommen der Beklagten mit monatlich 1.372,00 DM angenommen,
wobei es sich teilweise um eine fiktive Berechnung handelt. Im damaligen
Berufungsverfahren wollte die Beklagte mit betrügerischen Mitteln lediglich erreichen, dass
diese teilweise fiktive Anrechnung erzielbaren Einkommens in Wegfall geriet, was ihr
strafrechtlich relevantes Verhalten zwar keineswegs ungeschehen macht, aber doch in
einem milderen Licht erscheinen lässt. Dabei ist der Senat davon überzeugt, dass die
Beklagte diejenigen Einkünfte, die das Familiengericht im Vorprozess auf ihrer Seite
angesetzt hat, bis auf den heutigen Tag zu keiner Zeit erzielt und auch nicht erzielen kann,
so dass es ohnehin nur im Rückgriff auf § 1579 BGB, wie noch darzulegen sein wird, bei
dem vom Familiengericht angesetzten Einkommen bleiben kann. Damit aber muss es sein
Bewenden haben, während für einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des im
Ausgangsverfahren titulierten Unterhalts kein Raum ist. Gemäß den zu den Akten
überreichten Bescheiden war die Beklagte bis einschließlich Juni 2000 auf ergänzende
Leistungen der Sozialhilfe angewiesen, was übrigens im Rahmen der Billigkeitsprüfung
gemäß § 1579 BGB ebenfalls und zwar zu ihren Gunsten zu berücksichtigen ist. Durch
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Aushilfstätigkeit in einem Sportstudio und durch Tätigkeit als Raumpflegerin verdiente sie,
was sie urkundlich belegt hat, im monatlichen Durchschnitt insgesamt rund 800,00 DM
netto. Ihre berufsbedingten Fahrtkosten und die Kosten ihrer Krankenversicherung, die sie
decken muss, schlagen gegenwärtig mit monatlich insgesamt 321,00 DM zu Buche, so
dass selbst bei unterstellten Einkünften aus dem Flechten des einen oder anderen Rasta-
Zopfes eine erhebliche Lücke zu den Einkünften klafft, die das Familiengericht im
Vorprozess veranschlagt hat.
Seit Juli 2000 hat sich die finanzielle Situation der Beklagten allerdings insofern verändert,
als sie durch eine selbständige Tätigkeit in der Sparte der medizinischen Fußpflege über
die Runden zu kommen sucht. Dadurch erzielt sie, wenn sie auch ihre bisherigen
Tätigkeiten weiterhin ausübt, naturgemäß zusätzliche Einkünfte, wodurch aber das vom
Familiengericht im Vorprozess angesetzte Einkommen zur Zeit ebenfalls noch nicht
erreicht wird. Des weiteren ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Beklagte als
Unternehmerin kurz über lang steuerpflichtig werden und weitere Betriebskosten haben
wird. Zum anderen und insbesondere kommen an dieser Stelle die Belange der zur Zeit
13jährigen Tochter I. der Parteien ins Spiel, die in der Obhut der sorgeberechtigten
Beklagten lebt. Die schutzwürdigen Interessen dieses minderjährigen gemeinsamen
Kindes der Parteien sind letztlich von ausschlaggebender Bedeutung dafür, dass der
Abänderungsklage kein sachlicher Erfolg beschieden ist; sie sind in ganz besonderer
Weise im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 1579 BGB zu berücksichtigen und lassen
für die im angefochtenen Urteil bejahte Verwirkung keinen Raum: Solange ein
gemeinsames Kind das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist der betreuende
Elternteil nach allgemeinen unterhaltsrechtlichen Grundsätzen maximal zur Aufnahme und
Durchführung einer Halbtagstätigkeit verpflichtet (Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung
zur Höhe des Unterhalts, 7. Auflage, Rz. 403 m. zahlreichen N. aus der höchstrichterlichen
Rechtsprechung). Wird ein solches Arbeitspensum zu Lasten der Beklagten veranschlagt,
so liegt sie mit ihrem dadurch erzielbaren Einkommen zur Überzeugung des Senats
jedenfalls zur Zeit weit unterhalb dessen, was das Familiengericht im Vorprozess angesetzt
hat. Die Differenz mag infolge des damaligen versuchten Prozessbetruges hingenommen
werden, wird auch mit der jetzigen Berufung nicht angegriffen. Auf keinen Fall aber geht es
an, die Beklagte auf eine vollschichtige Erwerbstätigkeit zu verweisen, wie das
Familiengericht meint. Denn der Leidtragende wäre dabei nicht etwa die Beklagte, sondern
das Kind, das in diesem Falle zwangsläufig zum ganz überwiegenden Teil der Versorgung,
Beaufsichtigung und Betreuung durch seine leibliche Mutter als seine hauptsächliche
Bezugsperson ermangeln würde, was auch im Rahmen des § 1579 BGB schlechterdings
nicht akzeptiert werden kann.
Nach alledem konnte der Berufung sachlicher Erfolg nicht versagt bleiben.
Die zivilprozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Streitwert für die Berufungsinstanz: 11.952,00 DM