Urteil des OLG Köln vom 15.04.1997
OLG Köln (stgb, bedingter vorsatz, radweg, sturz, zeuge, fahrrad, vorsatz, boden, einlassung, täter)
Oberlandesgericht Köln, Ss 165/97 - 72 -
Datum:
15.04.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 165/97 - 72 -
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Fest-stellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Köln zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung und
unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§§ 142 Abs. 1 Nr. 1, 230, 232, 53 StGB) zu einer
Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 70,00 DM verurteilt. Zugleich hat es dem
Angeklagten gemäß § 44 StGB für die Dauer von zwei Monaten verboten,
Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Das Landgericht die Berufung des
Angeklagten verworfen.
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Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagten am 23. März 1996 mit einem PKW die
Straße A.d.O. in K. und wollte nach rechts in die bevorrechtigte R. Straße einbiegen.
Hierzu mußte er zunächst den neben der R. Straße verlaufenden Radweg überqueren.
Obwohl sich von links der Radfahrer I. näherte, fuhr der Angeklagte mit dem PKW auf
den Radweg und versperrte diesen, was den Zeugen I. veranlaßte, sich bremsbereit zu
machen. Als der Angeklagte den Wagen nunmehr zurückrollen ließ, nahm der Zeuge I.
an, der Autofahrer wolle den bevorrechtigten Radweg frei machen, um ihm, dem
Radfahrer, die ungehinderte Durchfahrt zu ermöglichen, und ließ deshalb das Fahrrad
ungebremst weiterrollen. Plötzlich fuhr der Angeklagte wieder vorwärts und versperrte
den Radweg erneut. Da der Zeuge I. jetzt nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte, lenkte
er das Fahrrad nach links auf die Fahrbahn, um einen Zusammenstoß mit dem PKW zu
verhindern, was auch gelang. Anschließend steuerte er das Fahrrad sofort wieder nach
rechts auf den Radweg, weil er befürchtete, sonst von Kraftfahrzeugen angefahren zu
werden. Durch das Ausweichmanöver geriet das Fahrrad außer Kontrolle und prallte
gegen einen Laternenmast. Der Zeuge I. stürzte zu Boden und trug starke Prellungen im
Schulter- und Brustbereich davon.
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Wörtlich heißt es im Urteil:
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"Aus dieser Position (erg.: auf dem Boden liegend) sah der Zeuge I., daß auf dem
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Beifahrersitz eine Frau saß. Der PKW blieb etwa 10 Sek. im Einmündungsbereich
der Straße A.d.O. stehen, bog dann langsam in die R. Straße nach rechts ein und fuhr
in Richtung N. Ring davon. Die ganze Zeit über sah die Beifahrerin den Zeugen I. an.
Dieser hatte vor dem Sturz bei der Annäherung an die Einmündung eine männliche
Person als Fahrer erkannt."
Die Einlassung des Angeklagten, er sei zur Tatzeit nicht mit dem Wagen gefahren, hat
das Landgericht aufgrund der Beweisaufnahme für widerlegt erachtet. Weiter hat es
ausgeführt:
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"Als Schutzbehauptung wertet die Kammer auch die Einlassung des Angeklagten, er
habe den Sturz des Radfahrers nicht bemerken können, weil er außerhalb seines
Blickfeldes stattgefunden hat. Die einzige Sichtbehinderung für den Angeklagten
bestand in seiner Beifahrerin. Es ist aber gerichtsbekannt, daß Beifahrer in einem
PKW dem Fahrer nicht grundsätzlich oder vollständig die Sicht aus dem rechten
Seitenfenster nehmen...."
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Darüber hinaus enthält das Urteil keine weiteren Feststellungen zur Kenntnis des
Angeklagten von dem Sturz des Radfahrers.
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Gegen das Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung
formellen und materiellen Rechts gerügt wird.
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Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.
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Die Verfahrensrügen bedürfen keiner Entscheidung, weil bereits die Sachbeschwerde
durchgreift.
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Die Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB)
beruht auf einer materiell-rechtlich unvollständigen Tatsachengrundlage. Die
Feststellungen sind in revisionrechtlich bedeutsamer Weise lückenhaft, wenn sie nicht
den gesamten äußeren und inneren Tatbestand des anzuwendenden Gesetzes
ausschöpfen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 267 Rn. 5, 7 m.w.N.).
Nimmt der Tatrichter entgegen der Einlassung des Angeklagten bedingten Vorsatz an,
muß das Urteil Feststellungen zur Vorstellungs- und Willensseite enthalten, die jene
Schlußfolgerung tragen. Für den subjektiven Tatbestand des § 142 StGB genügt
bedingter Vorsatz (vgl. Schönke/Schröder-Cramer, StGB, 25. Aufl., § 142 Rn. 76
m.w.N.). Erforderlich ist daher, daß der Täter weiß oder zumindest damit rechnet, daß
ein Unfall vorliegt und er als Mitverursacher in Betracht kommt. Vorsatz setzt ferner
voraus, daß der Täter sich bewußt vom Unfallort entfernt, bevor er durch seine
Anwesenheit und die Angabe seiner Unfallbeteiligung Feststellungen ermöglicht hat
(vgl. Cramer a.a.O.). Zwar bedarf es keiner genauen Kenntnis von der Art des
verursachten Schadens. Es ist jedoch nicht ausreichend, daß der Täter die Entstehung
eines mehr als nur unerheblichen Schadens hätte erkennen können und müssen, denn
insoweit ist lediglich Fahrlässigkeit gegeben (vgl. BayObLG bei Janiszewski NStZ 1988,
544). Wer trotz Hinweises seines Beifahrers auf einen möglicherweise verursachten
Verkehrsunfall seine Fahrt vom Unfallort weiter fortsetzt, handelt aber regelmäßig mit
bedingtem Vorsatz (vgl. Cramer a.a.O. m.w.N.).
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Den Feststellungen der Strafkammer läßt sich zur subjektiven Tatzeit her nichts
Brauchbares entnehmen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte den
Unfall bemerkt hat, sind aus dem Urteil nicht ersichtlich. Daß er durch Geräusche oder
taktile Wahrnehmung aufmerksam geworden ist, kann nach der Art des Unfallhergangs,
bei der keine Berührung der Fahrzeuge stattgefunden hat, nicht ohne weiteres
angenommen werden. Die Strafkammer selbst geht hiervon nicht aus. Ihre Erwägung,
der Sturz des Zeugen I. habe sich trotz der im PKW befindlichen Beifahrerin innerhalb
des Sichtbereichs des Angeklagten abgespielt, behandelt lediglich die gegebenen
Sichtmöglichkeiten sagt aber nicht Konkretes über die tatsächliche Wahrnehmung des
Angeklagten aus. Vielmehr spricht der Umstand, daß der Angeklagte mit dem PKW
erneut auf den Radweg gefahren ist, eher dafür, daß er wegen mangelnder
Aufmerksamkeit den von links herankommenden Radfahrer nicht gesehen hat. Als der
Zeuge I. nach dem Passieren des Wagens in dessen unmittelbarer Nähe gestürzt war
und auf dem Boden lag, war die Sicht des Fahrzeugführers auf den Unfallort durch das
Fahrzeugchassis zumindest erheblich erschwert. Unter diesen Umständen erlauben die
Feststellungen nicht den Schluß, der Angeklagte habe den Unfallhergang selbst
mitbekommen. Auch die weitere Feststellung, die Beifahrerin des Angeklagten - seine
Ehefrau - habe den gestürzten Zeugen I. die ganze Zeit über angesehen, rechtfertigt
nicht die Annahme, der Angeklagte habe auf diesem Wege, also durch seine
Beifahrerin, von dem Unfall und der Möglichkeit seiner Beteiligung erfahren. Denn es ist
nicht ausgeschlossen, daß die Ehefrau als Beifahrerin auf die Verkehrsabläufe nicht
geachtet und deshalb den Sturz des Zeugen I. nicht dem Fahrverhalten des
Angeklagten zugeordnet hat. Selbst wenn die Beifahrerin dem Angeklagten über den
Sturz eines Radfahrers zwischen Fahrbahn und Radweg berichtet haben sollte, kann
daraus noch nicht abgeleitet werden, der Angeklagte habe diesen Vorfall mit seiner
Fahrweise in Zusammenhang bringen müssen. Daß dies nach den ihm bekannt
gewordenen Beobachtungen der Beifahrerin unvermeidlich gewesen sei, ergibt sich
nicht mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Urteil.
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Da hiernach die subjektive Tatseite des § 142 StGB nicht mit Tatsachen belegt ist, kann
die Verurteilung nach dieser Vorschrift keinen Bestand haben.
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Das gilt auch für den Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung. Zwar handelt
es sich um materiell-rechtlich selbständige Straftaten im Sinne von § 53 StGB. Jedoch
überschneidet sich der maßgebende Sachverhalt derart, daß eine getrennte Aburteilung
ohne die Gefahr einander widersprechender Feststellungen nicht möglich ist (vgl.
Jagusch/Hentschel, StVR, 34. Aufl., § 142 StGB Rn. 74). Deshalb ist das angefochtene
Urteil insgesamt aufzuheben (§ 353 StPO). Gemäß § 354 Abs. 2 StPO bedarf es der
Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
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